Roger de Weck: «Wir brauchen Journalismusförderung»

Publiziert am 26. Dezember 2024 von Matthias Zehnder

Das 313. Fragebogeninterview, heute mit Roger de Weck, Autor und Mitglied des Zukunftsrats für Reformen bei ARD, ZDF und Deutschlandfunk. Er sagt, die gedruckte Zeitung habe viele kleine Publika zusammengeführt. «Mit dem Klick-Denken kam die Vorstellung auf, ‹das› grosse Publikum zu erreichen: Was wenig genutzt werde, könne man weglassen». Das habe den Kulturjournalismus und vieles andere beschädigt. «Doch leben wir nunmehr im on-demand-Zeitalter, in dem jede und jeder gemäss unterschiedlichsten Präferenzen Angebote abruft.» Der Journalismus müsse deshalb «neu lernen, viele kleine Publika anzusprechen». In Fake News sieht er ein grosses Problem: «In einer Gesellschaft, in der Fakten nicht mehr gelten, laufen Demokratie und Journalismus auf.» Roger de Weck zitiert deshalb Maria Ressa, die Trägerin des Friedensnobelpreises 2021: «Ohne Fakten keine Wahrheit. Ohne Wahrheit kein Vertrauen. Ohne Vertrauen haben wir keine gemeinsame Wirklichkeit, keine Demokratie.» Er fordert deshalb eine «Journalismusförderung», und zwar durch «völlig unabhängige Vergabeinstanzen, die das Geld gemäss festen Regeln quasi-automatisch zuteilen».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Klar, die «New York Times».

Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?

Ich halte es mit Bluesky anstelle von X. Und schätze LinkedIn als Plattform der guten Nachrichten.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Ein banaler Wandel: einst Papier – jetzt online; einst strukturiert die Zeitungen, später am Tag «Echo der Zeit» und die Tagesschau – jetzt fluid Texte, Podcasts und Videos; einst die journalistischen Medien – jetzt auch die sozialen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Die gedruckte Zeitung kumulierte viele kleine Publika. Mit dem Klick-Denken kam die Vorstellung auf, «das» grosse Publikum zu erreichen: Was wenig genutzt werde, könne man weglassen – was den Kulturjournalismus und vieles andere beschädigte. Doch leben wir nunmehr im on-demand-Zeitalter, in dem jede und jeder gemäss unterschiedlichsten Präferenzen Angebote abruft: Der Journalismus muss neu lernen, viele kleine Publika anzusprechen.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Sinnvolle ja.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Bilderbücher: Man soll mit seinen Kindern Kinderbücher lesen, vorlesen, lesen lassen – wer früh zu lesen beginnt, bleibt der Lektüre treuer.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Kommt vor, dass ich ein gutes Buch weglege, weil mich ein noch besseres lockt.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Überall per Osmose. Vor allem im Gespräch.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Es dürfte in hundert Jahren noch die eine oder andere geben, mit Nostalgiewert. Gedruckte Wochentitel werden sich gut halten, denn sie passen ins «Lean back»-Ritual auf dem Sofa am Wochenende.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

In einer Gesellschaft, in der Fakten nicht mehr gelten, laufen Demokratie und Journalismus auf. Maria Ressa, Friedensnobelpreis 2021: «Ohne Fakten keine Wahrheit. Ohne Wahrheit kein Vertrauen. Ohne Vertrauen haben wir keine gemeinsame Wirklichkeit, keine Demokratie.»

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Dem Radio bleibe ich treu – den Live-Übertragungen auf allen Displays treuer als dem TV-Bildschirm.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Unterwegs, am liebsten von SRF. Lange redselige Podcasts meide ich, denn am Geschwätz herrscht in den Medien und ausserhalb derselben kein Mangel.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Dass diese 56 Prozent allmählich zurückgewonnen und die 44 Prozent weiterhin überzeugt werden müssen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

KI kennt nur das Bekannte, Journalismus recherchiert das Unbekannte.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Grundtendenz ist: mehr Medien, weniger Journalismus – bei einzelnen Medien aber einen immer besser werdenden Journalismus.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Nein, wir brauchen Journalismusförderung: durch völlig unabhängige Vergabeinstanzen, die das Geld gemäss festen Regeln quasi-automatisch zuteilen. In Dänemark übernimmt die öffentliche Hand einen Anteil des Redaktionsbudgets. Baut der Verlag die Redaktion ab, gibt es weniger Zuschuss.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Notizen.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Ist es gut, wenn Medien solche Fragen stellen?

Wem glaubst Du?

Zunächst dem Fundierten. Auch dem Instinkt. Vor allem dem erkenntnisorientierten Austausch.

Dein letztes Wort?

Noch lange keines – hoffentlich.


Roger de Weck
Roger de Weck ist Autor in Zürich, Gastprofessor am College of Europe in Brügge und Mitglied des Zukunftsrats für Reformen bei ARD, ZDF und Deutschlandfunk. Im Oktober 2024 erschien bei Suhrkamp sein Buch «Das Prinzip Trotzdem – Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen». De Weck war SRG-Generaldirektor der SRG, Chefredaktor der «Zeit» und des «Tages-Anzeigers», Chairman of the Board des Geneva Graduate Institute of International and Development Studies und Moderator von «Sternstunden Philosophie». Er studierte Volkswirtschaft an der HSG und stieg bei der «Tribune de Genève» in den Journalismus ein.


Basel, 26.12.2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: Nora Nussbaumer

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4 Kommentare zu "Roger de Weck: «Wir brauchen Journalismusförderung»"

  1. Blick und Bild hatten in der guten alten Zeit die grössten Auflagen, nicht NZZ, FAZ, und schon gar nicht irgendwelche englischsprachigen Medien. Blick und Bild hatten damals den höchsten Marktanteil an der «Volksbildung», ähnlich wie die bildungsfernen Inhalte auf sozialen Medien heute. Ich für meinen Teil hatte, als ich als 11-Jähriger auf dem Weg zu Schule einen dieser gelben Blick Aushänge sah «10 Jähriger unter Mähdrescher gekommen», beschlossen mein ganzes Leben lang nie Blick zu kaufen. Ich war abgestossen von der Tatsache, dass man mit so etwas Geld machen kann. Der Schlöndorf Film «Die verlorene Ehe der Katarina Blum» zeigt ausserdem exemplarisch auf, zu welchen (legalisierten) Verbrechen die Presse sich regelmässig schuldig macht. Das dichten oder auslassen von Fakten wurde lange schulterzuckend als ein Beiprodukt der Freiheit und Demokratie akzeptiert – wohl ein grosser Fehler, denn dieselben fehlenden Regularien, die Schreiberlinge aller Couleur risikolos dastehen lässt, öffnen nun die Tore zu gezielter politischer Manipulation von allen Seiten, nicht zuletzt von Diktatoren aus dem Ausland. Weshalb man nun diese Medien plötzlich noch mehr schützen oder mit öffentlichem Geld unterstützen soll, bleibt aus meiner Sicht mehr als nur fragwürdig. Guter Journalismus lässt sich nicht herbeisubventionieren. Die N.Y. Times und die FAZ zeigen eindrücklich auf, wie man Qualitätsjournalismus auch auf dem Netz erfolgreich verkaufen kann. Die NZZ hat im Deutschsprachigen Raum ebenfalls ein gutes digitales Angebot, allerdings zu einem wesentlich höheren Preis. Ist dies durch die kleine Schweiz erklärbar? Nein, nur durch kleine Erbsenzähler. Das Netz ist global und die NZZ könnte ein globales Publikum adressieren, wenn sie denn nur wollte, bzw. den Mut dazu hätte. Die Dynamik der Digitalisierung verändert die Märkte. Man kann nur entscheiden nichts zu tun (oder beinahe nichts – irgendetwas tut man ja immer damit man auf «Taten» hinweisen kann), oder eine den neuen Umständen angepasste Strategie umsetzen. So wie die jahrzehntelange Subvention von Kohleförderung in Europa in erster Linie für den Erhalt alter Strukturen und damit indirekt mit zum Verlust der Wettbewerbsfähigkeit im Bereich der neuen Technologien beigetragen hat (ganz zu schweigen von den Umwelteffekten), so wird auch die Subventionierung von Medien nichts Gutes für die Menschheit bewirken. Für ein paar Subventionierte kurzfristig hingegen schon…

  2. Clichés sind Clichés , weil halt doch etwas dran ist, sonst wären sie keine Clichés.
    Bei Roger François Philippe de Weck, welcher ein
    Spross des bekannten Schweizer Bankiers Philippe de Weck und seiner Frau Alix, geb. de Saussure ist, merkt man das Elitäre.
    Der Stammbaum, die Herkunft und der skizzierte Lebenlauf im Wochenkommentar zeugt davon, zu ergänzen noch, dass er regelmässig die Fernsehsendung „SRF-Sternstunde Philosophie“ der SRG moderierte, deren Generaldirektor er war. Zu ergänzen noch, dass er zusätzlich auch Lehrbeauftragter in Warschau war und die Ehrendoktorwürde der Universitäten Fribourg und Luzern trägt. Der Stab reicht er weiter an seine Tochter Laura de Weck, studierte Dramaturgin, welche die Sendung „Sternstunde-Philosopie“ der SRG moderiert.
    Kein „gewöhnlicher“ Medienmensch also, welcher den Gürtel jährlich enger schnallen muss, obwohl es bald keine engeren Löcher mehr hat. De Weck hat zeitlebens meist von Steuer- oder Gebührengelder gelebt, und dies üppig, wenn man bedenkt, dass ein SRG-Generaldirektor über 500’000 CHF (mehr als ein Bundesrat) jährlich verdient, was im Hause SRG (offiziell, laut Nachfrage) mit den hohen Schweizer Lebenshaltungskosten begründet wird.
    Schade finde ich stets bei solchen massgebenden Bedeutungsmenschen, dass sie sich nicht mit dem Kleinen, dem Alltag ihrer Artgenossen, Zuseher- und Hörer auseinandersetzen, mit all diesen Lebenskünstler, welche mit 40’000 CHF, 60’000 CHF oder 70’000 CHF in der Schweiz ihr Leben bestreiten können, und dies trotz der hohen Lebensunterhaltskosten), mit den Geldgebern für SRG-Technik, -Liegenschaften, -Löhnen, -Fahrzeugen, -Ledersessel und -Marmorböden. Schon die erste Frage bestätigt mein (Vor-) Urteil;
    Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen? Antwort De Wecks: Die «New York Times». Als ob in der Schweiz die Mehrheit am Morgen die „New York Times“ auffalten würde, setzte er noch ein verstärkendes „KLAR“ davor…. Nein – da halte ich es lieber mit „Blick“ oder den, für de Weck wahrscheinlich inexistenten „Alternativen Medien“, welche immer wertvoller für viele Zeitgenossen werden. Heute z.B. wertvolle Infos von Serge Maillard (zufällig im „Blick“), dem SGB-Boss, welcher klipp und klar sagt: Ohne „Lohnschutz“ stimme er den Anbindungsverträgen EU-CH nie zu. Bravo. Denn die in den Unterwerfungsverträgen eingebaute „Schutzklauel“ erinnere ihn, so Maillard weiter, an ein Leiterlispiel. Die Verantwortung wird nach Brüssel geschoben, dann wieder nach Bern, dann wieder nach Brüssel, während die Angestellten in der Schweiz munter und emsig durch billigere Kräfte legal ersetzt werden können und die Salärspirale weiter nach unten dreht… (dieses Hin- und Her erinnert mich in der Region Basel lebend stark an den „Euro-Air-Port“, wo Verantwortung von Lärm, Umweltschmutz und Nachtflügen von France in die Schweiz und der Schweiz wieder nach France geschoben wird…)
    Dies alles liest man wohl in der New York Times kaum; doch mit mehr als einer halben Million Jahresgehalt und demensprechender Rente können einem Schutzklausel und Mindestlöhne und sonst noch viel mehr im Lande Schweiz pipegal sein…. Vorurteile, Clichés an denen halt doch immer etwas haftet. Wann kommt der erste SRG-Generaldirektor/in mit Nähe zur Sorg, Not und Bevölkerung für welche dieses Konstrukt vor langer langer Zeit einmal geschaffen wurde?!?…..

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