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Das Prinzip Trotzdem
Im Untertitel seines neuen Buchs hat Roger de Weck ein doppeltes Paradoxon untergebracht. Das Offensichtliche betrifft den Widerspruch zwischen Journalismus und Medien: Warum sollen wir den Journalismus vor den Medien retten, wo es doch die Medien sind, die den Journalismus transportieren? Die Antwort: weil die Medien ganz auf die Aufmerksamkeitsbewirtschaftung als Businessmodell setzen und das bekommt dem Journalismus nicht. In dieser zugespitzten Form ist der Untertitel aber natürlich selbst eine (wenn auch kluge) Bewirtschaftung der Aufmerksamkeit. In seinem Buch zeigt de Weck, welche Konsequenzen es hat, dass wir immer mehr Medien haben (und nutzen), aber immer weniger Mittel (und Zeit) für den Journalismus. Die Verlage versuchen, sich mit der Boulevardisierung ihrer Inhalte gegen ihren Niedergang zu stemmen – und besiegeln ihn gerade damit. In seinem Buch schreibt Roger de Weck wortgewaltig gegen diesen Niedergang an. Das im Titel angesprochene «Trotzdem» meint, dass Journalismus heute trotz des Medienbetriebs möglich sein muss. Denn Journalismus ist eine wichtige Infrastruktur der Demokratie. Der echte Journalismus, nicht die klickgierigen Medien. Seine Hoffnung schöpft Roger de Weck aus den Menschen: «Keine Branche ist dermassen selbstgerecht und zugleich dermassen selbstkritisch.»
In seinem Buch bietet Roger de Weck eine fulminante Diagnose des Medienbetriebs. Er zeigt, welche verheerenden Auswirkungen für die Inhalte die Businessmodelle der Medien im digitalen Raum haben. Das Geschäftsmodell ist einfach: Möglichst viel Aufmerksamkeit, damit online möglichst viel Werbung ausgeliefert werden kann. Das Problem dabei ist, dass journalistische Medien im kakophonischen Lärm des Internets Schwierigkeiten haben, sich Gehör zu verschaffen – also: Aufmerksamkeit zu erregen. «Viele Medien wollen ihre Einbussen wettmachen, indem sie schriller auftreten. Die Überschriften werden reisserischer, die Anmoderationen aufdringlicher, Texte und Videos halten die Spannung künstlich hoch, öfter ist die Auswahl der Themen mehr kommerziell als essenziell.» Die Folge: Die Medien verleiden uns den Journalismus. «Die mediale Überspanntheit nervt», stellt de Weck fest. «Kleiden Redaktionen auch Banales und Belangloses in dramatische Worte, erschlafft peu à peu das Interesse.» Der Journalismus wird zur Fortsetzung der sozialen Medien mit denselben Mitteln – und schafft damit seine Berechtigung ab. Roger de Weck: «Nach dem Muster der sozialen Medien steigt ein Festival des Absoluten und Definitiven, jeder Beitrag hat einen Pflock einzuschlagen. Suchend die Wirklichkeit zu ertasten ist nicht vorgesehen. Die Nuance weicht dem ersten Gebot der Aufmerksamkeitsökonomie: Klotzen statt kleckern.»
Das Sagen auf den Redaktionen (die längst «Newsrooms» sind) haben nicht mehr Publizisten, sondern Content Manager. Sie optimieren die Inhalte aufgrund der Nutzungszahlen im Internet. Vom «Chefredakteur Google» spricht Roger de Weck. Die Folge des Managements nach Zahlen: Die Angebote gleichen sich immer mehr. «Mutter des Stumpfsinns ist die Berechenbarkeit», schreibt de Weck. «Beim Variieren des Immergleichen erlahmen Redaktionen
und ihr Publikum.» Wenn Excel reagiert, werden Medien langweilig. Das ist das nächste Paradox der Aufmerksamkeitsorientierung. «Dem Effizienzmaximierungsjournalismus fällt das Mannigfaltige, aber auch das Innovative zum Opfer», schreibt de Weck. Bahnbrechend Neues passe in kein Format, «denn es sucht ja seine definitive Form, es lässt sich noch nicht ‹visualisieren›. Und im visuellen Zeitalter wirkt der Reflex: Kein Bild? Kein Thema.» Die Haltung der Content-Manager, der Journalismus müsse die Aufmerksamkeitsgesetze sozialer Plattformen befolgen, amputiere die Seele und Massstäbe der Redaktionen, schreibt de Weck. «Denn es zermürbt auch resiliente Journalisten und Journalistinnen, in der Logik und Algorithmik der Plattformen arbeiten zu müssen.» So ist es.
Bis im Jahr 2000 haben die Medien zwei Drittel ihrer Erträge im Werbemarkt erwirtschaftet. Heute braucht die Medien nicht mehr, wer Werbung schalten will: Mittlerweile geht jeder zweite Werbefranken an Google und Facebook. Der Journalismus muss sich selbst finanzieren. «Auf sich allein gestellt, sollte er relevanter, substanzieller, interessanter werden, um mehr Nutzerinnen und Nutzer von einem Digital-Abo zu überzeugen.» Ausser bei einer Handvoll Qualitätsmedien ist das Gegenteil der Fall: Die Verlage kürzen den Journalismus kaputt – und Politik und Wirtschaft kommunizieren über die sozialen Medien direkt mit ihren Ansprechpersonen. Und «profilieren» sich dabei nicht selten mit Medienbashing. Die Folge: Der Journalismus stösst «nicht selten ins Leere – viele Klicks, wenig Nachhall.» So erfüllt einerseits anschwellender Lärm den öffentlichen Raum. «Andererseits fragmentiert sich dieser Raum zu einem Gewirr vieler Kleinräume, das wirkt schalldämpfend.» Die fatale Folge: «Journalismus verliert an Kraft ausgerechnet in Zeiten, in denen eine Lawine der Desinformation rollt und Shitstorms tosen.»
Es sind bittere Diagnosen, die Roger de Weck in seinem Buch versammelt. Das einzig Schöne daran ist, dass sie präzise und scharf formuliert sind. Immer wieder glitzern Formulierungen im Buch, die man sich anstreichen und merken möchte. Etwa: «Je kleiner der Screen, desto kürzer die Aufmerksamkeitsspanne.»
Schön ist, dass sich Roger de Weck nicht auf die Feststellung des Niedergangs beschränkt, sondern drei Werkzeuge beschreibt, die dem Journalismus einen Weg aus der Krise schaufeln können. «Zunächst», schreibt de Weck, «muss der Journalismus sich selbst helfen: indem er charakterfest bleibt». Er ruft zum beruflichen Ungehorsam auf, zur Verweigerung der Klicklogik. Er fordert die Journalistinnen und Journalisten zudem dazu auf, sich ihrer selbst stärker zu vergewissern: Es beginne damit, dass der Journalismus «seine radikal neuen Rahmenbedingungen stärker reflektiert – nicht bloss wie üblich den digitalen Umbruch, sondern auch die gesellschaftliche Zeitenwende.» Es brauche «unter Journalistinnen und Journalisten eine Verstetigung und Verbreiterung der bisher lediglich verstreut stattfindenden öffentlichenDebatte darüber, was Journalismus heute will und nicht wollen sollte». Fällig sei eine Diskussion «über den eigenen Beruf – nicht nur in den Redaktionen (die weniger konferieren, da sie mehr produzieren), nicht nur in vorzüglichen Fachmedien, sondern auch in den Publikumsmedien.» Vor allem aber sollten sich Journalisten dem Diktat der Aufmerksamkeitsökonomie verweigern. Denn: Schnelle Aufregung ist langweilig. Die üblichen handwerklichen Tricks und Kniffe kosten Aufmerksamkeit. Roger de Weck findet: Aufmerksamkeit erwächst aus der Substanz, die üblichen Übertreibungen und Überzeichnungen verspielen Aufmerksamkeit. Am Ende ist es vor allem Unterscheidbarkeit, die Aufmerksamkeit schafft. Unterscheidbarkeit aber entsteht aus Ideenreichtum und Experimentierfreude.
Der zweite Punkt: Roger de Weck betont, dass Journalismus eine Infrastruktur der Demokratie sei – als Infrastruktur sei deren Instandhaltung eine Staatsaufgabe. Er zeigt anhand einer Reihe von Beispielen etwa anhand der Fördermodelle der skandinavischen Ländern, dass Medienförderung die Medienfreiheit stärkt. Es sei «kein Zufall, dass kleinere Länder Vorreiter der Medienförderung
sind. Auf ihren wenig profitablen Märkten kam es früh zu Verwerfungen, sofort waren Verlage bedroht, in bevölkerungsarmen Flächenstaaten konnten sie den weiträumigenVertrieb gedruckter Zeitungen gar nicht mehr finanzieren». Auch sei die Konzentration
noch empfindlicher zu spüren in überschaubaren Verhältnissen.
Als Drittes setzt Roger de Weck zu einem politischen Plädoyer an. Seine Forderung: «Der Staat muss vor allem den Journalismus fördern, nicht Verlagskonglomerate.» Bis jetzt betreiben Regierungen allenfalls Medienpolitik. Gefordert sei stattdessen eine gute «Journalismuspolitik». Die Frage lautet deshalb: «Was stärkt den Journalismus?» Roger de Weck nennt vier Eckpunkte:
1) Ausbau der Pressefreiheit
Das Problem ist, dass schlechter Journalismus auch in demokratischen Ländern dazu führt, dass die Medienfreiheit unter Druck kommt. Wer dem Journalismus die Mittel entzieht, setzt deshalb meist auch die Freiheit des Journalismus unter Druck. Deshalb genügt es nicht, nur Freiheit zu fordern, sie muss sich auch nutzen lassen. Das führt zum zweiten Punkt:
2) Zielgerichtete Förderung des Journalismus
Für Roger de Weck ist klar: «Die öffentliche Hand muss eingreifen, wenn die unsichtbareHand des Markts versagt. LiberaleDogmen sind gut – besser ist auch im Sinne der Liberalität ein vielfältiger Journalismus.» Rezepte für die Förderung des Journalismus gibt es viele, von der Digitalabgabe zur Finanzierung einer informationellen Grundversorgung bis zur staatlichen Beteiligung oder Bezuschussung von Stiftungen, die Medien finanzieren.
3) Neufassung des Leistungsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse «öffentlich-rechtlicher» werden, schreibt de Weck. «Ein Widersinn wäre es, das journalistische Angebot privater Medien zu fördern und gleichzeitig das der öffentlich-rechtlichen Anstalten auszudünnen.» Die meisten Verlage müssen ihre Redaktionen heruntersparen – warum, sollten deswegen auch ARD und ZDF, ORF und SRF ihre Redaktionen abbauen? Problemtisch ist in diesem Zusammenhang der Kampf der Verleger gegen die Sender: «Ein Teil der Presse verpasst keine gute oder schlechte Gelegenheit, die öffentlichen Medienhäuser ins Zwielicht zu rücken. Heftige Kritiker ziehen den Kampfbegriff ‹Staatsfernsehen› heran, als seien ARD und ZDF vergleichbar mit dem chinesischen Rundfunk. Je schlimmer die Medienkrise Redaktionen auslaugt, desto tiefer der Vorbehalt gegen die massiv privilegierten Riesen ARD und ZDF.» Die öffentlich-rechtlichen Sender sollten sich «innovativ von kommerziellen Medien unterscheiden», schreibt de Weck. Der Platz für kulturelle Themen sei nicht nur in der Nische.
4) Regulierung der sozialen Plattformen
Die sozialen Netzwerke sind «Informationsquelle und Desinformationsschleuder, Debattenforum und Brandbeschleuniger,Treffpunkt kluger Köpfe und Bühne des Hasses, kreative Szene und Jugenddroge, Medium der Menschenfreunde und algorithmischer Manipulation». Roger de Weck fordert deshalb eine Regulierung der grossen Plattformen im Sinne der Demokratie. «Plattformpolitik ist Journalismuspolitik ist Demokratiepolitik. Die Demokratie muss den digitalen Raum zurückerobern: Es sollte selbstverständlich werden, dass X, Facebook oder Instagram dem Gemeinwohl und Gemeinwesen verpflichtet sind wie journalistische Medien.» Ziel müsse sein, dass sich auch die sozialen Medien zu einem «Fundament der Demokratie» entwickeln. «Denn neben der Presse als Vierter Gewalt bilden sie nun die Fünfte Gewalt.»
Roger de Weck: Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen. Suhrkamp, 224 Seiten, 24.90 Franken; ISBN 978-3-518-12863-3
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783518128633
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