
Warum Politiker es nicht mit der Wahrheit haben
US-Vizepräsident J.D. Vance sagt, Joe Biden habe die amerikanische Wirtschaft ins Verderben geführt. Das ist eine gewagte Behauptung, denn sie lässt sich rasch überprüfen: Das Gegenteil ist der Fall. Noch nie in den letzten 50 Jahren ging es beim Amtsantritt eines neuen US-Präsidenten der Wirtschaft besser. Das ändert sich zwar grad rapide, weil die USA unter Donald Trump ökonomisches Harakiri machen. Bei Amtsantritt hat die Wirtschaft aber gebrummt. J.D. Vance lügt. Die Frage ist: Warum? Wie kommt ein Politiker dazu, in einem so einfach überprüfbaren Fall zu lügen? Das Problem ist: Politik hat wenig bis nichts mit Wahrheit zu tun. Wahrheit bedeutet, dass eine Aussage mit der Realität übereinstimmt. Politik aber handelt von der Zukunft, von einer möglichen, wünschbaren oder drohenden künftigen Welt. Über diese künftige Welt lassen sich keine wahren Aussagen machen, weil sie noch nicht Realität ist. Also können Politiker über die Zukunft sagen, was sie wollen. Die Probleme beginnen spätestens dann, wenn die Gegenwart diese beschworene Zukunft einholt. Dann kommt es zum Lackmustest: beugt sich die Politik der Wahrheit oder versucht sie umgekehrt, die Wahrheit ihrer Politik zu beugen? An genau diesem Punkt stehen die USA heute. In diese Gefahr begeben sich aber auch Politiker hierzulande. Denn Politiker haben es nicht mit der Wahrheit.
In den USA nennt man es den «Misery Index». Es ist eine Möglichkeit, den Zustand der Wirtschaft eines Landes in einer einzigen Zahl zum Ausdruck zu bringen. Kreiert hat den Index der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Arthur Okun in den 1960er-Jahren. Die Berechnung des «Misery Index» ist denkbar einfach: Man addierte die Inflationsrate und die Arbeitslosenquote. Die beste Note aller Länder erzielt die Schweiz: Arbeitslosenquote und Inflation sind extrem tief. Entsprechend fällt der «Misery Index» mit einer Note von 3,3 extrem gut aus. Am anderen Ende der Skala liegt Argentinien: Die hohe Arbeitslosigkeit und die gigantische Inflation führen zu einem «Misery Index» von 173 – so sieht wirtschaftliches Elend aus. Die USA befinden sich auf dieser Skala mit einem Index von 6,9 im vorderen Drittel, hinter Deutschland, aber vor Ländern wie Grossbritannien, Dänemark oder Schweden.
Justin Wolfers, Professor für Wirtschaft an der University of Michigan, hat den «Misery Index» der USA für die letzten 50 Jahre berechnet, und zwar jeweils für den Zeitpunkt der Amtseinsetzung eines neuen Präsidenten. Das Resultat: Noch nie in den letzten 50 Jahren ging es der amerikanischen Wirtschaft bei Amtsantritt eines Präsidenten so gut. Die Inflationsrate liegt bei unter 3 Prozent, die Arbeitslosenquote bei etwa 4 Prozent. Trotzdem sagt Vizepräsident J.D. Vance: «Joe Biden left this economy in a disaster.» – Joe Biden hat die Wirtschaft in eine Katastrophe gestürzt. Die Zahlen belegen: Das ist falsch. Das «Disaster» hat erst mit der Amtsübernahme von Donald Trump begonnen: Seine Zollpolitik hat zum Beispiel den S&P 500, also den Aktienindex von Standard & Poor’s der 500 grössten börsennotierten amerikanischen Unternehmen, auf Talfahrt geschickt. Das Verdikt ist eindeutig: Vance lügt.
Politik hat wenig mit Wahrheit zu tun
Allerdings nützt es rein gar nichts, einen Politiker der Lüge zu überführen. Denn Politiker haben es nicht mit der Wahrheit. Das hat, jedenfalls meistens, nichts mit ihrem Charakter zu tun, sondern mit ihrem Beruf: Politik hat nur wenig mit Wahrheit zu tun. Schauen wir uns das etwas genauer an. Wir müssen dafür mit der Wahrheit beginnen. Über kaum einen anderen Begriff denkt die Philosophie schon länger nach – und verheddert sich dabei immer wieder in der Sprache, ihrer Bedeutung und dem Problem, dass das, was sich in unseren Köpfen befindet, letztlich sehr subjektiv ist.

Für unsere Zwecke am besten geeignet ist die Definition von Aristoteles. Er beantwortet die Frage, was es bedeutet, wenn etwas wahr ist, in seiner «Metaphysik» so: Über das, was ist, zu sagen, dass es ist, oder über das, was nicht ist, zu sagen, dass es nicht ist. Es könnte so einfach sein. Ein Satz ist wahr, wenn er über das, was ist, sagt, dass es ist. Wahrheit bedeutet, dass eine Aussage mit der Realität übereinstimmt. Solche Sätze lassen sich entsprechend leicht überprüfen. Der Satz: «Es regnet.» ist, je nach Wetter, wahr oder falsch. Um seine Wahrheit zu beurteilen, genügt es, aus dem Fenster zu schauen. Die Krux in der Definition von Aristoteles steckt anderswo. Sie steckt im Wort «sagen»: Wahr ist, über das, was ist, zu sagen, dass es ist. Das bedeutet: Wahrheit ist eng mit der Sprache verbunden.
Verbotene Wörter
John Le Carré sagte einmal: «Ohne klare Sprache gibt es keinen Maßstab für die Wahrheit.» Es ist deshalb kein Zufall, dass die Trump-Regierung derzeit Webseiten und Publikationen nach verbotenen Wörtern durchforstet und alles eliminiert, was nicht in ihr Weltbild passt. Wer die Welt nicht ändern kann, ändert die Sprache – und damit die Wahrnehmung der Welt. Damit setzen Trump und seine Regierung Überzeugung an die Stelle der Wahrheit. Es ist ein Unterschied, ob ich weiss, dass es regnet, oder ob ich davon überzeugt bin, dass es regnet. Wenn ich nur davon überzeugt bin, es also glaube, kann ich auch unrecht haben. Entscheidend ist, dass es in der Politik darauf irgendwann nicht mehr ankommt. Entscheidend ist dann nur noch die Überzeugung und nicht mehr die Wahrheit. Warum?
Weil Politik nicht nur mit dem zu tun hat, was jetzt ist, sondern vor allem mit dem, was künftig sein könnte. Ganz besonders vor einer Wahl beschäftigen sich Politikerinnen und Politiker mit der Zukunft. Sie sagen, was sie verändern wollen, machen Versprechungen und Prognosen. Das Problem dabei ist: Eine Prognose kann nicht wahr sein, sondern nur mehr oder weniger wahrscheinlich. Sie wissen jetzt auch, warum. Aristoteles sagt: Ein Satz ist wahr, wenn er über das, was ist, sagt, dass es ist. Eine Prognose sagt nicht, was ist, sondern was sein wird – oder vielmehr, was sein könnte. Es ist eine Aussage über eine mehr oder weniger mögliche Zukunft. Das, womit die Aussage übereinstimmen könnte, existiert noch gar nicht, deshalb hat die Aussage keinen Wahrheitswert.
Das Drohen in den Schlagzeilen
Das gilt auch für die Medien. Achten Sie einmal darauf, wie oft in Zeitungen, Radio und Fernsehen von der Zukunft die Rede ist. Nehmen wir diese Schlagzeile hier: «Döner-Preisexplosion droht», warnt der «Der Rheintaler». Man spreche bereits von einem «Döner-Schock», die Politik fordere deshalb eine Dönerpreisbremse. Der Grund: In Deutschland explodieren die Preise für das beliebte Fast Food. Noch schlimmer diese Schlagzeile von SRF: «Droht der Schweiz bis Ostern eine Eierknappheit?» SRF warnt nicht nur, dass eine düstere Eierzukunft einzutreten droht, sondern versieht die Schlagzeile auch noch mit einem Fragezeichen. Das ist doppelt gemoppelt: Ob ich sage, dass, oder frage, ob der Schweiz bis Ostern eine Eierknappheit droht – es geht so oder so um eine mögliche künftige Entwicklung und wie wir alle wissen, sind Prognosen dann besonders schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen. Ob Döner-Schock oder Eierknappheit – Warnungen können nie wahr sein. SRF und der «Rheintaler» betreiben mit solchen Schlagzeilen «Bullshit-Journalismus».
Und genau damit arbeitet auch die Politik. Die Rechte warnt vor böswilligen Migranten, der Überfremdung der Heimat und der wirtschaftlichen Katastrophe durch die grüne Transformation, die Linke warnt vor böswilligen Reichen, wachsender wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit und der Klimakatastrophe. All die Warnungen beschreiben eine mögliche Zukunft und können deshalb nicht wahr sein, sondern allerhöchstens wahrscheinlich. Wie beim «Döner-Schock» und der «Eierknappheit» setzt die Politik darauf, dass eine drastisch skizzierte unerwünschte Zukunft die Wählerinnen und Wähler mobilisieren wird.
Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten
Die Warnungen haben für Politiker drei grosse Vorteile. Den ersten haben wir schon genannt: Warnungen lassen sich nicht auf ihre Wahrheit hin überprüfen, weil sie ja nur von einer möglichen Zukunft handeln. Der zweite Vorteil: Wenn die Zukunft sich in eine deutlich weniger düstere Gegenwart verwandelt, kann ich immer noch behaupten, dass es ohne meine Warnung wesentlich schlimmer herausgekommen wäre. In der Gesundheitspolitik kennen wir das Phänomen als Präventionsparadox. Das nutzen Politiker für sich aus, indem sie behaupten, ihre Warnung, dass uns eine ganz besonders düstere Zukunft drohe, habe dazu geführt, dass die Gegenwart freundlicher sei. Das ist, siehe meine letzten Kommentare, natürlich «Bullshit».
Die Politiker machen es trotzdem, weil die düsteren Warnungen mit einem dritten Vorteil verbunden sind: Offensichtlich sprechen Wählerinnen und Wähler auf Warnungen gut an, auch wenn sie wissen dürften, dass Warnungen nichts mit Wahrheit zu tun haben. Die Medien kennen dieses Wirkprinzip: Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Aus evolutionären Gründen haben Warnungen in unserer geistigen Informationsverarbeitung eine hohe Priorität. All unsre Vorfahren, die Warnungen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben, konnten ihre Gene kaum weitergeben.
Der Teufel an der Wand
Die Sache hat aber einen grossen Haken. Man könnte sagen: Politiker malen den Teufel an die Wand – und wundern sich dann, dass sie von ihm heimgesucht werden. Ich sehe zwei teuflische Wirkungen der düsteren Prognosen in der Gegenwart. Die erste Wirkung: Die düsteren Zukunftsvisionen haben einen Einfluss darauf, wie wir die Gegenwart wahrnehmen. Unsere Wahrnehmung ist selektiv und leicht beeinflussbar. Der Fachbegriff dafür lautet «Confirmation Bias», auf Deutsch «Bestätigungsfehler». Das meint die Tendenz, Informationen so auszuwählen, zu interpretieren und zu erinnern, dass sie die eigenen Überzeugungen oder Erwartungen bestätigen – während gleichzeitig Informationen, die den eigenen Meinungen widersprechen, ignoriert oder abgewertet werden.
Der Confirmation Bias besteht aus selektiver Wahrnehmung, Erinnerung und Interpretation und gilt als eine der stärksten kognitiven Verzerrungen. Je düsterer ein Politiker die Zukunft ausmalt, desto stärker reagieren seine Anhänger darauf – und desto mehr beeinflusst das düstere Zukunftsbild ihre Wahrnehmung der Gegenwart. Auch wenn unser Politiker immer nur von einer drohenden Entwicklung in der Zukunft redet, nehmen seine Anhänger diese drohende Zukunft schon in der Gegenwart wahr und geben ihm recht. Die Warnung wird zur sich selber erfüllenden Prophezeiung, nicht weil das, wovor der Politiker warnt, tatsächlich eintrifft, sondern weil seine Anhänger die Welt nur noch durch die Brille dieser Warnung sehen.
Die teuflische Wirkung der Wahrheit
Doch auch die düsterste Brille kommt nicht umhin, ab und zu einen Lichtstrahl passieren zu lassen. So kommt es zur zweiten teuflischen Wirkung: So mächtig die Confirmation Bias sein mag, auch die stärkste kognitive Verzerrung hat ihre Grenzen und dann kommt die Wahrheit ans Licht. Respektive: Sie käme ans Licht, wenn die Politiker es zulassen würden. Was sie natürlich nicht tun können, ohne zuzugeben, dass sie falsch lagen. Also verdüstern sie nicht mehr nur die Zukunft, sondern auch die Gegenwart – und sie beginnen, zu lügen. Das ist der Punkt, an dem J.D. Vance steht, wenn er behauptet, dass es der amerikanischen Wirtschaft so schlecht wie nie gehe.
Über die Zukunft können Politiker behaupten, was sie wollen. Ihre Behauptungen können nie wahr sein, höchstens wahrscheinlich. Aber mit der Zeit erreichen die Behauptungen die Gegenwart, also die Welt der Tatsachen. Die Welt der messbaren Wahrheiten. Jetzt müssen sich die Politiker entscheiden: für die Tatsachen oder für ihre Weltsicht. Politiker wie J.D. Vance entscheiden sich für ihre Weltsicht und gegen die Tatsachen.
Schauen wir uns den Mechanismus noch einmal im Zeitraffer an. So sieht der Ablauf aus:
- Politiker warnen vor einer düsteren Zukunft und allerlei Unheil, das da droht.
- Die düsteren Warnungen stossen in den Medien und beim Publikum auf viel Aufmerksamkeit.
- Es kommt zum Confirmation Bias: Das negative Bild bestätigt sich selbst. Alle sehen düster.
- Mit der Zeit trübt sich auch die Sicht der Gegenwart ein und erreicht damit die Welt der Tatsachen.
- Jetzt müssen sich Behauptungen nicht mehr nur an ihrer Wahrscheinlichkeit, sondern auch an ihrer Wahrheit messen lassen.
- Entweder entscheidet sich der Politiker für die Tatsachen oder für seine Weltsicht.
- So wird aus dem Teufel an der Wand ein Teufel in der Seele: eine Lüge.
Der sechste Schritt ist der entscheidende: Es ist die Wahl zwischen einer tatsachenbasierten Politik, in der es auf die Übereinstimmung mit der Wahrheit ankommt, und einer Politik, die auf einer Weltsicht beruht, bei der es auf die Übereinstimmung mit den Glaubenssätzen dieser Weltsicht ankommt. Und zwar unabhängig von der politischen Ausrichtung, von links oder rechts, progressiv oder konservativ, liberal oder autoritär.
«It’s the economy, stupid!»
Natürlich lässt sich die Welt bis zu einem gewissen Grad verbiegen. Deshalb verbietet die amerikanische Regierung gerade Forschung zum Klimawandel oder zu Diversität und löscht sogar Fotos, die dem Weltbild widersprechen, aus dem Archiv des Pentagon. Früher oder später kommt es aber zum Konflikt zwischen Wahrheit und Weltsicht. Wenn zum Beispiel die amerikanischen Farmer unter Trockenheit und Dürre leiden oder die Prognostiker das nächste Hochwasser verpassen, weil die entsprechenden Daten fehlen.
Am schnellsten reagiert aber nicht die Natur, sondern die Wirtschaft. Sie merkt sofort, wenn Tatsachen und Behauptungen einer Regierung nicht übereinstimmen und reagiert. «It’s the economy, stupid!», rief Bill Clinton im Wahlkampf 1992. Das gilt zweifellos immer noch. Der «Spiegel» titelt heute: «Ruiniert Trump die US-Wirtschaft?» Abgesehen davon, dass das wieder ein Beispiel für Bullshit-Journalismus ist: gut möglich. Die Frage ist, was dann passiert.
Wahrheit oder Totalitarismus
Es werden nicht moralische Bedenken sein, die Donald Trump und J.D Vance zu schaffen machen, sondern die Wirtschaft und ihre nackten Zahlen. Gesellschaftliche Wahrheiten lassen sich verschleiern. Die Wahrheit im Geldbeutel nicht. In demokratischen Gesellschaften neigen linke wie rechte Regierungen deshalb dazu, sich zur Mitte zu bewegen. Ein Beispiel dafür ist Italien, wo Georgia Meloni zuweilen eine fast schon bürgerliche Politik macht. Es heisst nichts anderes, als dass sich die Politik der ökonomischen Wahrheit beugt.

Im Fall der USA bin ich mir nicht mehr so sicher. Es gibt nämlich auch den anderen Weg: den Weg in den Totalitarismus, wie ihn Russland gegangen ist. Dann beugt sich die Politik nicht der Wahrheit, sondern versucht umgekehrt, die Wahrheit zu beugen und Medien, Gerichte, die Nationalbank und die Wissenschaft auf ihre Weltsicht zu trimmen. Derzeit sieht es eher danach aus, dass die USA diesen Weg wählen.
Was können wir tun?
1) Auf die Wahrheit kommt es an: also auf Aussagen über die Gegenwart.
Lassen Sie sich nicht von Schlagzeilen beeindrucken, in denen etwas «droht». Konzentrieren Sie sich auf wahrheitsfähige Berichterstattung. Also auf Aussagen über die Gegenwart oder die Vergangenheit, auf Ergebnisse von wissenschaftlichen Studien, auf Berichte über Tatsachen. Ein Problem sind dabei Berichte darüber, was Politiker gesagt haben. Wenn Adam Bauer sagt: «Die Erde ist eine Scheibe», dann ist das falsch. Wenn eine Zeitung berichtet: «Adam Bauer sagt: ‹Die Erde ist eine Scheibe›», dann kann das wahr sein, wenn Adam Bauer das gesagt hat. Das Problem ist, das unser Gehirn nicht so spitzfindig funktioniert und beim Abspeichern die Anführungszeichen verloren gehen. Also: Achten Sie auf die Wahrheit.
2) Politik ist Glaubenssache.
Politik, das habe ich Ihnen zu zeigen versucht, dreht sich nicht um Wahrheit, sondern um Wahrscheinlichkeit und um eine wünschbare oder drohende Zukunft. In der Politik kommt es deshalb meistens nicht darauf an, was Sie wissen, sondern was Sie glauben. Unsere Gesellschaft mag der Religion abgeschworen haben – in der Politik spielt der Glaube nach wie vor eine grosse Rolle. Achten Sie darauf, wenn Sie von Politikerinnen und Politikern lesen, wie häufig sie sich nicht auf Tatsachen, sondern auf Glaubenssätze beziehen.
3) Achten Sie auf den Moment, wo Wahrheit und Glaube in der Politik in Konflikt geraten.
Das ist der Lackmustest für Politiker: Es kommt der Punkt, da Wahrheit und Glaubenssätze in Konflikt geraten. Donald Trump und Elon Musk haben Meinungsfreiheit gefordert – und löschen jetzt unliebsame Wörter auf den staatlichen Websites. Im Wahlkampf kritisierte Donald Trump die Preise für Müsli, Schokoriegel und Eier. Nach seiner Wahl sagte er, er sei der hohen Lebensmittelpreise wegen gewählt worden. Seine Politik sorgt jetzt aber dafür, dass diese Preise steigen. Bei aller Rhetorik kommt es in der Politik nicht darauf an, was sein wird, sondern darauf, was ist. Achten Sie darauf, wie Politiker regieren, wenn die Realität ihnen nicht gehorcht. Dann wird es spannend – oder gefährlich.
In einem Punkt hat Donald Trump sicher recht: Den meisten Menschen geht es nicht um die grossen Wahrheiten, sondern um Müsli und Schokoriegel. Kritisch wird es erst, wenn Wahrheit und Müsli in Konflikt geraten. Wenn also aus der Wahrheit ein Müsli wird.
Basel 14. März 2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
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Quellen:
Der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance spricht am 10. März 2025 am Kongress der National League of Cities in Washington. Bild: KEYSTONE/EPA/Will Oliver
Book, Simon; Bartz, Tim; Hecking, Claus; Brächer, Michael (2025): Ruiniert Trump die US-Wirtschaft?, in: Der Spiegel, 2025, https://www.spiegel.de/wirtschaft/ruiniert-trump-die-us-wirtschaft-a-a68d0439-fdfb-4466-be2e-2c0e51a629e6 [14.03.2025].
Burkhard, Sara (2025): Döner-Preisexplosion droht, in: Der Rheintaler, 2025, S. 37, [14.03.2025].
Huber, Peter (2012): „It’s the economy, stupid!“: Ein Spruch macht Geschichte, in: Die Presse, 2012, https://www.diepresse.com/1308933/its-the-economy-stupid-ein-spruch-macht-geschichte [14.03.2025].
Kakutani, Michiko (2019): Der Tod der Wahrheit: Gedanken zur Kultur der Lüge, übers. v. Sebastian Vogel, 1. Aufl, Stuttgart 2019.
Rennison, Joe; Kaye, Danielle; Russell, Karl (2025): S&P 500 Dips Into Correction as Stock Market Sours on Trump, in: The New York Times, 2025, https://www.nytimes.com/2025/03/13/business/sp-500-stocks-market-correction.html [14.03.2025].
Rohner, Peter (2024): Wirtschaftselend-Skala: Die Schweiz glänzt, Argentinien liegt am Schluss, in: Handelszeitung, 2024, https://www.handelszeitung.ch/konjunktur/das-glucklichste-land-der-welt-781289 [14.03.2025].
Schaller, Thibaut; Emery, Valentin (2025): Droht der Schweiz bis Ostern eine Eierknappheit?, in: Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), 2025, https://www.srf.ch/news/dialog/ei-ei-ei-droht-der-schweiz-bis-ostern-eine-eierknappheit [14.03.2025].
Strohschneider, Peter (2024): Wahrheiten und Mehrheiten: Kritik des autoritären Szientismus, 1. Auflage, Originalausgabe, München 2024 C.H. Beck [Paperback] 4609.
Wikforss, Åsa (2021): Hörensagen: Wahrheitsfindung in einer faktenfeindlichen Welt, übers. v. Hanna Granz, Susanne Dahmann, 1. Auflage, deutsche Erstausgabe, Hamburg 2021.
Wolfers, Justin (2025): Mr. Vice President, I’m sure you don’t mean to mislead anyone, but the hard data suggest that in fact you’ve inherited a stronger economy…, in: Bluesky, 2025, https://bsky.app/profile/justinwolfers.bsky.social/post/3lkch5updl22v [14.03.2025].
5 Kommentare zu "Warum Politiker es nicht mit der Wahrheit haben"
Es ist zu einfach auf „dankbare“ Menschen zu zeigen, um damit vom eigenen, maroden Zustand in Europa und in der Schweiz abzulenken.
Ich lese „Wahrheit“ und ich lese vor allem Herr Trump, Herr Musk + Herr Vance. Natürlich kann man sich zusammenreimen, dass diese Personen hier nicht gut wegkommen. Doch ich las weiter. Und ergänze hier: „Frieden“ ist auch wichtig. Denn ohne „Frieden“ auch keine Wahrheit. Trump ist Friedensmacher – mit Draht zu Putin (These: Bei Biden/Harris gäb’s uns alle heuer nicht mehr…)
Doch wieso immer weit auf das Trio in Übersee…
Denn auch über „Wahrheit“ (in der selbsternannten EU-„Führungs“macht / vergl. H.Münkler „Macht im Umbruch“) Deutschland ist es arg bestellt: Der ehem. Blackrock-Rüstungs-Financier-Mitarbeiter F. Merz (evtl. neuer Bundeskanzler) versprach vor den Wahlen keine neune Schulden. Keine Aufweichung der Schuldenbremse. Strikte Migrationspolitik. Die Wählenden honorierten seine dringend gebrauchten Versprechen mit ihrer Wahlstimme. Keine 1-2 Tage nach der Wahl beschliesst er ein noch nie in Deutschland dagewesenes Sondervermögen (so nennt man neu Schulden) von zusammen einer Billion Euro. Er redet über die Migrationspolitik mit Floskeln die nur jene brauchen, welche das Volk beschwindeln wollen….
Und er peitscht sein Vorhaben mit dem alten Bundestag durch, welche nicht mehr den aktuellen Wählerwillen repräsentiert. Sein Lügengrund: Dringlichkeit. Doch die Brücken und Strassen sind seit Jahren unter CDU/SPD-Führung am zusammenfallen; „Feindbild“ Trump ist seit 2. Nov.24 gewählt…. auf diese Woche käme es bis zur ersten Sitzung des neuen aktuellen Bundestages nicht mehr an. Doch er weiss: Mit den neuen Mehrheiten im neuen Bundestag kämen seine Milliardenschulden nicht mehr durch. Weil der neue Bundestag ja „nur“ vom Wählenden gewählt wurde auch hier Tricksen, Ausspielen und Aushebeln. Mancher Deutsche fragt sich: „Für was wählte ich überhaupt….“
Kann man solchen Poltikern überhaupt noch glauben. Glauben an eine ehrliche, wahre Führung? Schlecht bis unmöglich möglich…. Merkel hatte in diesem Punkt recht: „Merz kann es einfach nicht“ – und ich füge hinzu: Früher war noch mehr Wahrheit im Spiel. Verantwortung. Weniger Handy und Kalkül. Mehr Standfestigkeit, Worthalten und gesunder Verstand. Weniger KI und EDV. Mehr Glaube und Integerheit. Mehr Handschlag und weniger Juristen. Mehr „Face to Face“ anstatt „Facebook“. Mehr Zivilisation und hochhalten der Demokratie.
Heute: Zuvielisation und Unwahrheit. In Politik und allüberall. Mit eifriger Verbreitung der Regierungsvasallen Mainstream und ÖRR am DAB-Volksempfänger…
Weit haben wir es wieder gebracht, doch wie weit so noch? Auch der Holzweg hat ein Ende. Ohne Wahrheit keine Zukunft. Die Jugend kommentiert zu recht: Unwahres Lügengebilde Merz: „Danke für nichts“….
https://www.bild.de/politik/meinung-kommentare-kolumnen/kommentar-zum-schuldenpaket-bei-diesen-zahlen-wird-mir-schwindlig-67d452188f8da2117000ee70?t_ref=https%3A%2F%2Fm.bild.de%2F%3Ft_ref%3Dhttps%253A%252F%252Fwww.bild.de%252F
Werter Herr Zweidler, Ihren Text erlebe ich als einen atemberaubenden wilden Ritt.
Vom Stichwort Wahrheit hüpfen Sie zum Frieden & „Trump ist Friedensmacher“.
Dann über den Atlantik nach Europa & zurück zur ‚Wahrheit‘, die Sie bei Friedrich Merz vermissen. Rasch ein Blick zurück: „Früher war noch mehr Wahrheit im Spiel.“ & voraus: „Ohne Wahrheit keine Zukunft.“
Wer Ihre rhetorische Frage „Kann man solchen Poltikern überhaupt noch glauben“ ohne Kontext liest, errät kaum, von wem die Rede ist: JD Vance, D. Trump, V. Putin, F. Merz?
Der Titel von M. Zehnders Artikel lautet: ‚Warum es Politiker nicht mit der Wahrheit haben‘.
Wenn diese warnen, blicken sie in die Zukunft.
Herr Zehnder ruft auf hinzuschauen, wie Politiker reagieren, wenn ihnen die Realität nicht gehorcht
D. Trump & E. Musk forderten Meinungsfreiheit & lassen nun unliebsame Wörter auf staatlichen Websites löschen. Ich finde das beunruhigend.
Und Sie?
Lügen und die Wahrheit haben eines gemeinsam: wirksam können sie werden, wenn sie geglaubt werden. Dazu Johann Wolfgang von Goethe: „Man muss das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird, und zwar nicht von einzelnen, sondern von der Masse. In Zeitungen und Enzyklopädien, auf Schulen und Universitäten, überall ist der Irrtum oben auf, und es ist ihm wohl und behaglich, im Gefühl der Majorität, die auf seiner Seite ist.“ Eine besonders perfide Form von Lüge nenne ich toxischer Positivismus, wo schön geredet und geschrieben wird, was eigentlich schlimm ist. Eines von vielen aktuellen Beispielen dafür sind Schulden, die als Sondervermögen bezeichnet werden. Extrem schwierig habe ich übrigens in der Politik nicht Lügen erlebt, sondern wenn nicht gewusst werden will, was gewusst werden kann.
Antwort:
(Wieder einmal) richtig, U. Keller – Gefahr erkannt doch noch lange leider nicht gebannt: „Toxischer Positivismus, wo schön geredet und geschrieben wird, was eigentlich schlimm ist.“
Doch für die Mehrheit (Mainstream) ist dies eben (leider) nicht toxisch, sondern „Wellness-Botschaften“. Alles ist gut säuselt es im Innen und erst recht im Aussen repetiv und ununterbrochen. Und man kann sich wieder seinem Pferde, seiner Karre, seinem Töff, seinem Week-End zuwenden. Nebenschauplätze werden zum Hauptschauplatz des Lebens. Davon profitierte auch die „Gewinner“ des deutschen Wahlkampfes: Die meisten wollten einfach „Ruhe“, „Nomalo-Zeit“ und „Politik-Abschalten“. Dafür stand für viele die Volkspartei CDU… Mit der war es doch früher schön, unbeschwert. Die hat Vati auch schon immer gewählt. So schön mittig. Immer dem Winde nach… Und (das Beispiel) Sondervermögen – mit dem links und rechts und oben und unten alles zugeschüttet wird, bringt Behaglichkeit, Boom und die Chance die Hirne auszuschalten. So wie es die Mehrheit eben gut und schön will. (Die Giga-Schuld wird nach mir bezahlt – und nach mir die…)
So kann auch ein Kartoffelsack regieren. Mit Geld kann man alles kaufen. Am leichtesten Menschen. Und: Wow, wie schön ist doch ein Kartoffelsack….