Susanne Lebrument: «Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger ist zentral.»

Publiziert am 15. Januar 2025 von Matthias Zehnder

Das 316. Fragebogeninterview, heute mit Susanne Lebrument, Delegierte des Verwaltungsrates von Somedia. Sie sagt, es scheine ihr, «dass alles schneller geworden ist, teilweise auch unpersönlicher. Aber vielleicht bin ich einfach nur älter und müder geworden.» Der Alltag in den Redaktionen sei zunehmend datengetrieben: «Wir messen, welche Artikel wie und wann gelesen werden. Welche Themen müssen wir nachziehen und vertiefen. Und welche Themen oder welche Narrative funktionieren nicht.» Und nun werde die KI die Welt der Medien «nochmals fundamental» verändern. Sie kann sich vorstellen, «dass es noch lange gedruckte Tageszeitungen gibt. Vielleicht in Form von Magazinen oder personalisiert». Für sie sei «die gedruckte Tageszeitung und das Buch ein Gegengewicht zum Digitalen. Am Abend mag ich nicht mehr in den Bildschirm starren, dann möchte ich mich gerne mit physischen Dingen umgeben. Bücher und Zeitungen lesen, mit echten Menschen quatschen oder streiten.» Sie glaubt deshalb, dass «die persönlichen ‹wirklichen› Begegnungen wieder wichtiger werden. Denn sie spenden Wärme, Geborgenheit und ein Gefühl der Wirklichkeit und Realität.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Zeitung und iPad. Das Handy schläft noch. Oder ich versuche wenigstens, nicht schon am Morgen früh am Handy zu sein. Manchmal gelingt es mir besser, manchmal weniger gut. Aber eben: die «Südostschweiz» darf in keinem Fall fehlen. Sonst werde ich – gelinde gesagt – hässig.

Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?

Ich nutze Instagram, Linkedin und YouTube. Ich habe mich bewusst von den anderen Plattformen verabschiedet. Ich finde den Informationsgehalt bis auf wenige Ausnahmen mässig oder wie es Lady Gaga formulierte: «the toilet oft he internet».

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Mir scheint, dass alles schneller geworden ist, teilweise auch unpersönlicher. Aber vielleicht bin ich einfach nur älter und müder geworden.
Der Alltag insbesondere in der Redaktion ist datengetrieben und die Menschen in den Redaktionen sind anders. Es findet immer mehr eine produktegetriebene Sicht statt. Wir messen, welche Artikel wie und wann gelesen werden. Welche Themen müssen wir nachziehen und vertiefen. Und welche Themen oder welche Narrative funktionieren nicht. Nun wird KI nochmals fundamental die Welt der Medien verändern.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder noch. Ich glaube es war einfach anders. Die Menschen konsumieren Inhalte, Informationen, Videos und Audio auf vielen Kanälen. Was sicherlich eine Herausforderung ist, ist die Herkunft und Qualität der Informationen und Inhalte.
Mein Vater erzählte mir von den Anfängen – er trat 1971 in die damalige Gasser AG ein –, dass es Parteimitglieder gab, die den fixfertigen Artikel direkt in der Druckerei ablieferten, ohne Gegenlesen.
Und wenn man die Geschichte unter anderem der «Bündner Zeitung» liest, dann hatte die Bündner Regierung im geschichtlichen Kontext teilweise eine Zensurfunktion. Aber dies liegt Jahrhunderte zurück. Also früher war nicht alles besser. Im Gegenteil. Aber heute sind sicherlich fake und deep news ein grosses Problem.
Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger ist zentral.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Mehr denn je. Geschriebene Worte, insbesondere handgeschriebene, berühren Menschen auf besondere Weise. Sie können Menschen befähigen und beflügeln oder sie können Menschen zerstören. Mir scheint, dass die geschriebene Sprache noch mächtiger geworden ist.

Was soll man heute unbedingt lesen?

James Bridle: «Die Unfassbare Vielfalt des Seins» oder «Eine Frage der Chemie» von Bonnie Garmus.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Da ich viele Bücher lese, musste ich mir antrainieren, die schlechten Bücher wegzulegen. Ich gebe den Büchern 50 Seiten lang Zeit, wenn sie bis dahin nicht reüssieren, dann fort mit Ihnen. Eine Ausnahme mache ich bei Martin Walser. Ich lese all seine Bücher, obwohl ich ihn nicht mag. Aber seine Bücher scheinen mich in irgendeiner Form zu faszinieren. Das muss ich bei mir noch analysieren.
Gottseidank, kaufe ich wenige schlechte Bücher, da ich immer hervorragend beraten werde in meinen Buchhandlungen. Das einzig schlechte Buch in letzter Zeit war «Fifty Shades of Grey». Grottenschlecht. Ich habe es mir nur gekauft, weil ich den Film «The book club» mit Jane Fonda gesehen habe. Ein herrlicher Film von vier alten Damen, die einen Literaturclub haben, der sich jedoch dem Ende zuneigt und Jane Fonda versucht den Literaturclub eben mit «Fifty Shades of Grey» wiederzubeleben. Und ich dachte mir, Millionen von Leserinnen und Leser können sich nicht täuschen. Ich lag falsch.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In Diskussionen mit Freunden. Beim Lesen von Zeitungen und Büchern. Aber am meisten lerne ich und profitiere ich in Diskussionen. In Begegnungen mit anderen Menschen. Ich zwinge mich immer dazu aus der Komfortzone auszutreten. An Orte zu gehen, die ich nie besuchen würde wie beispielsweise den Stadtpark in Chur. Er gilt als die grösste offene Drogenszene der Schweiz. Noch heute habe ich eindrückliche Erinnerungen an meinen Spaziergang im Stadtpark und es hat mir eine ganz neue Perspektive eröffnet.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Ich könnte mir vorstellen, dass es noch lange gedruckte Tageszeitungen gibt. Vielleicht in Form von Magazinen oder personalisiert. Für mich ist die gedruckte Tageszeitung und das Buch ein Gegengewicht zum Digitalen. Am Abend mag ich nicht mehr in den Bildschirm starren, dann möchte ich mich gerne mit physischen Dingen umgeben. Bücher und Zeitungen lesen, mit echten Menschen quatschen oder streiten.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Mich dünkt, dass eine Regulierung gerade bei KI und Digitalisierung sehr wichtig ist. Wir möchten gute, qualitativ hochwertige Informationen. Es ist wie bei einem guten Essen oder einer guten Gesundheitsversorgung. Es braucht Regeln. Nicht jeder hat die gleichen moralischen und ethischen Vorstellungen einer Weltordnung. Alles andere ist naiv zu glauben.
Daher braucht es unbedingt Regeln im Umgang mit Informationen. Wir Medien sind stark reglementiert und das ist richtig so. Wenn wir eine «kritische» Titel- oder Bilderwahl haben oder Fehler machen, dann melden sich die Leserinnen und Leser bei mir als Ombudsfrau oder auf der Redaktion und das ist richtig so.
Die Freiheit des Internets empfinde ich erst, wenn ich weiss, dass die Informationen, die kursieren auch der Wahrheit entsprechen und nicht irgendwelche kruden oder düsteren Absichten dahinterstecken. Das ist für mich nicht Freiheit. Nur wenn ich die Regeln kennen und die Regeln für alle gleich sind, dann fühle ich mich frei und sicher zugleich. Das ist also Blödsinn mit dem freien Internet.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich höre Radio Grischa und Deutschlandfunk. Jeden Morgen. Und gewisse Ereignisse muss ich live sehen. Etwa ein Finalspiel im Fussball oder ein Interview mit Angela Merkel.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Economist und «Alles gesagt» von «Zeit online». Viele politische Podcast, jedoch nur von Medienmarken oder versierten Journalisten.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Dass wir unseren Bildungsauftrag stärker wahrnehmen müssen. Wir müssen an die Basis. In die Schulen zu den Jungen. Sie konsumieren sehr viel, aber halt auch viel Schrott. Wie die Erwachsenen übrigens auch (ich inklusive).

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ich glaube, dass KI faszinierende Möglichkeiten hat, gerade in der Personalisierung und den Formaten. Die Informationsbeschaffung jedoch, die Einordnung bleibt bei den Menschen. Eines der höchsten Gute in unserer Gesellschaft ist die Begegnung zwischen Menschen. Kommunikation geht nicht nur über die Sprache. Sie spiegelt sich in vielem mehr zwischen Menschen wider. Und in der Diskussion und im Austausch und der Auseinandersetzung mit anderen Menschen lerne und profitiere ich am meisten. Das kann keine KI dieser Welt.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Wir brauchen – gerade in der Schweiz – gute verlässliche hochqualitative Informationen. Man sehe sich die Landsgemeinde in Glarus an. Jeder Bürger, jede Bürgerin hat das Recht am 1. Sonntag im Mai an der Landsgemeinde ihr Votum für oder gegen eine Vorlage einzugeben. Sie gestalten direkt die Zukunft des Kantons mit. Das heisst aber auch, dass sie sehr gut informiert sein müssen, bereits im Vorfeld und da langt das Abstimmungsbüchlein nun mal nicht. Es braucht eine Debattenkultur, eine gesunde, geführte Debattenkultur. Nur so bringen wir die besten Lösungen zustande für unser Land.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ich vergleiche es mit Ländern wie Norwegen, Schweden und anderen skandinavischen Ländern, die über eine hohe Medienförderung verfügen. Sie haben eine sehr vielfältige und farbige Medienlandschaft. Zudem kommen einige der innovativsten Medienunternehmen aus diesen Ländern. Ich sage nicht, dass dies das einzig seeligmachende Instrument ist. Medienförderung bedeutet jedoch nicht, dass die Medienunternehmen staatsgläubig sind. Ich glaube eher, dass Länder mit einer schwachen Medienförderung eher qualitativ zweifelhafte Medien haben. Aber das ist eine These von mir.
Zudem müssten starke Regierungen an starken Medien interessiert sein, denn diese halten ihnen schonungslos den Spiegel vor und machen sie noch besser.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ich schreibe meinen Kindern und meinem Mann, auch meinen Freunden von Hand. Das ist eine hohe Form der Wertschätzung. In meinen Augen.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Ich kann Trump nicht genau einordnen. Ich versuche, sein Regierungsprogramm zu verstehen. Auf der einen Seite den sofortigen Rücktransport der illegalen Flüchtlinge. Dann die neue Behörde für weniger Bürokratie. Dann die höheren Zölle für Kanada, Mexiko und China u.a. Weniger oder gar keine Reglementierung für KI. Weniger Macht den Medien oder ganz einstampfen. Mir scheint, dass er gerne in der Sonne steht und sobald er etwas sagt, dann nehmen es die Medien gerne auf. Er spielt also geschickt mit den Medien und eigentlich sonnt er sich in den Medien – egal ob gut oder schlecht. Daher ist und bleibt er eine Wundertüte.

Wem glaubst Du?

Eine schwierige Frage. Glauben ist so ein Ding. Ich diskutiere viel mit meinen Freunden. Aber eben es gibt nicht die eine Realität oder die Wahrheit und die Dinge verändern sich. Ich glaube an die Beziehung zwischen Menschen. An das Gute im Menschen und dass es wichtig ist, Freunde zu haben und gut zu Freunden und Familien zu schauen. In schlechten wie in guten Zeiten.

Dein letztes Wort?

Ich glaube, dass die persönlichen «wirklichen» Begegnungen wieder wichtiger werden. Denn sie spenden Wärme, Geborgenheit und ein Gefühl der Wirklichkeit und Realität. Wir sollten die kommenden Generationen wieder vermehrt auf diese Art der Kommunikation trainieren, «achtsam mit sich selber umzugehen» und «achtsam mit den Menschen umzugehen». Frustrationstoleranz und im allgemeinen Toleranz scheinen mir sehr wichtig. Und eben Humor. In der Welt sollte es wieder mehr Humor, Gelassenheit und Toleranz geben.


Susanne Lebrument
Susanne Lebrument ist Delegierte des Verwaltungsrates von Somedia. Zum Unternehmen gehören unter anderem die Zeitungen «Südostschweiz», «Bündner Tagblatt» und «La Quotidiana». Susanne Lebrument ist 1972 in Domat/Ems geboren, hat in Chur das Lehrerseminar absolviert und in Zürich Psychologie studiert. Nach einer Journalismusausbildung am MAZ und bei der TX Group und einem CAS in Finanzen und Controlling an der HSG in St. Gallen ist sie heute Delegierte des Verwaltungsrates des Familienunternehmens Somedia. Susanne Lebrument ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von 15 und 16 Jahren.
https://www.somedia.ch


Basel, 15.01.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 300 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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