Stephanie Grubenmann: «Wir haben heute im Journalismus überzeugende, digitale Produkte»

Publiziert am 23. Februar 2022 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Stephanie Grubenmann, Content Strategist bei Liip und ausgewiesene Spezialistin für Innovation im Journalismus. Sie sagt, die Schweizer Medienlandschaft habe sich verändert, das Bild sei vielseitiger geworden. «Die Medien waren eine der ersten Branchen, die transformiert wurden. Neben all den Problemen, die Verlage heute im Bereich Geschäftsmodell haben, hat der Journalismus extrem von der Digitalisierung profitiert.» In die Zukunft blickt sie mit gemischten Gefühlen: «Gedruckte Gratiszeitungen wird es wohl noch einige Jahre geben. Wie lange es kostenpflichtige, gedruckte Tageszeitungen noch geben wird, wird mitunter von der Weiterentwicklung der Diskussion um das Mediengesetz abhängen.» Die Frage sei, wie sich die Medienförderung so anpassen lässt, dass sie «unserer heutigen Medienlandschaft» gerecht werde. Sie denkt dabei, «zumindest temporär», auch an eine Förderung von Digitaljournalismus. 

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Wenn News zum Frühstück, dann das «Briefing aus Bern» der Republik. 

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Faceb…itte was? Instagram war eine Zeit lang ein Ort, an dem sich das Storytelling permanent weiterentwickelt hat. Diese Kraft hat es leider seit Längerem verloren. Toll finde ich, dass ich dort unterdessen qualitative News erhalte – vor allem von öffentlich-rechtlichen Absendern aus der Schweiz und Deutschland. Auf Twitter freue ich mich oft über konstruktive, inhaltsbezogene Interaktion unter Menschen, die sich für gleiche Themen interessieren.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich hatte das erste Mal in meinem Leben Push-Meldungen von 20 Minuten abonniert.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Um mich in einer solchen Frage festlegen zu wollen, bin ich wohl noch zu wenig alt 😉 Mir gefällt aber eine Entwicklung, die ich heute im Vergleich zur Situation vor ein paar Jahren beobachte: Die Schweizer Medienlandschaft hat sich verändert, das Bild ist vielseitiger geworden. Junge Verlage, wie «Tsüri» oder die «Republik», konnten sich etablieren, finden zu funktionierenden Geschäftsmodellen. Andere stehen noch an einem anderen Punkt, tragen aber ebenfalls zu einer Vielfalt bei. Wir haben heute Journalismus der rein durch die Abonnent:innen getragen wird, und das ist in der Geschichte des Journalismus tatsächlich ein sehr spannender Punkt. Und wir haben heute im Journalismus überzeugende, digitale Produkte. Es gibt also durchaus Aspekte, die heute besser sind als früher.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Das geschriebene Wort wird nie aussterben.

Was soll man heute unbedingt lesen?

In den Gesichtern seiner Mitmenschen. Wir brauchen viel Solidarität, Verständnis und Toleranz.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich kann tatsächlich sehr wenig Bücher weglegen, nachdem ich sie angefangen habe.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Austausch mit Menschen, die ich davor nicht (oder wenig) gekannt habe.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Gedruckte Gratiszeitungen wird es wohl noch einige Jahre geben. Wie lange es kostenpflichtige, gedruckte Tageszeitungen noch geben wird, wird mitunter von der Weiterentwicklung der Diskussion um das Mediengesetz abhängen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Für die Medien oder den Journalismus? Wenn wir Medien breiter fassen und dazu soziale Netzwerke wie Facebook oder YouTube zählen, dann profitieren diese auf gewissen Ebenen von Fake News und Desinformation. Darum unternehmen sie noch immer zu wenig, um diese Inhalte von den Plattformen zu verbannen. Wenn wir aber den Blick auf den Journalismus richten: Fake News schaden einer Gesellschaft, Fake News schaden der Demokratie. Journalismus ist Gesellschaft, Journalismus ist Demokratie.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Tatort forever! (Tatsächlich das einzige, das ich linear schaue – mit viel Commitment.)

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich darf mich hier als ultimativer Fan von «Alles gesagt?» outen. Das Format ist genial: Ein Gespräch über das Zeitgeschehen zwischen klugen Menschen – aufgehängt am Profil des Gasts. Wie gut die Moderatoren vorbereitet sind, und die Kunst, mehrstündige Gespräche auf diesem Niveau zu führen, dürfen wir nicht unterschätzen! Wie auch die Bereitschaft der Gäste, sich auf dieses Format einzulassen.

Mir gefallen insbesondere jene Episoden, in denen das Gespräch über diesen Zugang auf den Journalismus kommt und wir so teilweise auch etwas über die Arbeit bei der Zeit erfahren. 

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Für die Medien bedeutet es, dass sie ihrer demokratiepolitischen Funktion nicht mehr gerecht werden können, und sich die Krise um ihr Geschäftsmodell in Zukunft noch intensivieren kann. Wir sollten uns vor allem fragen, was diese Entwicklung für unsere Gesellschaft bedeutet, und unsere Bemühungen intensivieren, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. 

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ja, gewisse Formen von Berichterstattung lassen sich automatisieren. Aber Menschen, die sich nicht näher mit der Frage befassen, was Automatisierung in diesem Fall genau bedeutet, stellen sich wohl etwas Falsches darunter vor. Die Aussage von Pietro Supino sagt vor allem etwas über seine Vision dieser journalistischen Produkte aus. 

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Wieso «führt»? Die Digitalisierung ist ja längst Realität. Die Medien waren eine der ersten Branchen, die transformiert wurden. Neben all den Problemen, die Verlage heute im Bereich Geschäftsmodell haben, hat der Journalismus extrem von der Digitalisierung profitiert.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Wenn wir mindestens den Status quo erhalten möchten, dann ja – denn wir haben ja bereits eine etablierte Medienförderung. (Würden wir die Medienförderung abschaffen, würden wir unserem Mediensystem extrem schaden und Informationsversorgung zumindest vorübergehend gefährden). 

Die Frage ist heute: Wie können wir die Medienförderung anpassen, damit sie unserer heutigen Medienlandschaft gerecht wird? In welcher Form kann auch Digitaljournalismus – zumindest temporär – von einer Förderung profitieren? 

Dass junge Verlag heute zu funktionierenden Geschäftsmodellen finden, macht Hoffnung. So oder so werden die nächsten Jahre allerdings weiter von der Transformation gezeichnet sein. 

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Tatsächlich jeden Tag.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Was Trump und andere Populisten dem Journalismus und den Gesellschaften, in denen dieser stattfindet, angetan hat, werden wir noch einige Jahre spüren. Natürlich ist Trump ein Phänomen der Zeit. Aber er hatte seine Wirkmacht ausgiebig genutzt.

Wem glaubst Du?

Ich glaube an und in die Wissenschaft. Und ich glaube an die Wertebasis, welche die Arbeitsprozesse im Qualitätsjournalismus prägt.

Dein letztes Wort?

Sweet!


Stephanie Grubenmann
Dr. Stephanie Grubenmann hat an der Universität Zürich Publizistik studiert und an der Universität St.Gallen im Team von Miriam Meckel promoviert. In ihrer Dissertation zu «Innovation im Journalismus» hatte sie sich vor allem mit dem aufkommenden Digital Storytelling befasst. In diesem Bereich hat sie anschliessend an verschiedenen Hochschulen geforscht und unterrichtet. Heute ist sie in der Kommunikationsberatung tätig: Bei der Digitalagentur Liip arbeitet sie als Content Strategist und UX Writer. An der Universität St.Gallen unterrichtet sie weiterhin im Bereich Journalismus.
https://stephaniegrubenmann.ch/  


Basel, 23. Februar 2022, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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2 Kommentare zu "Stephanie Grubenmann: «Wir haben heute im Journalismus überzeugende, digitale Produkte»"

  1. …..Wie lange es kostenpflichtige, gedruckte Tageszeitungen noch geben wird, wird mitunter von der Weiterentwicklung der Diskussion um das Mediengesetz abhängen……
    Möchte dazu ergänzen, dass auch noch Qualität des Inhalts, Ausrichtung, Preis, Leserzahlen, Zustellung (Uhrzeit) ein Faktor ist, welcher das „Wie weiter“ bei gedruckten Tageszeitungen beeinflussen.
    (wir leben in einer freien, sozialen Marktwirtschaft in welcher (noch) nicht nur staatl. Subventionen, staatl. Regulierungen, staatl. Förderungen zählen…..)

    1. Wenn Sie meinen letzten Wochenkommentar gelesen haben, dann wissen Sie, dass die Qualität des Journalismus eben nicht ausreicht, um am Markt erfolgreich zu sein, weil das Businessmodell der Medien nicht mehr funktioniert. Wie es ohne Medienförderung mit der Frühzustellung weitergeht, zeigt dieser Bericht hier: https://www.persoenlich.com/medien/keine-verpflichtung-mehr-fur-zeitungszustellung Die Post wird die Frühzustellung gleich selbst abschaffen, weil es sich bei den wenigen Zeitungsabonnenten nicht mehr lohnt. Selbst in der Stadt sind die Frühzusteller heute teilweise mit dem Auto unterwegs, weil der Weg zwischen den Abonnenten so weit geworden ist…

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