Rewert Hoffer: «Die Berichterstattung in Israel dreht sich nahezu ausschliesslich um das eigene Land»
Das 293. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Rewert Hoffer, Korrespondent für die «NZZ» in Israel. Er sagt, in der Schweiz sei der Blick teilweise weiter: «Hier berichten Medien auch über gesellschaftliche Probleme in Bhutan oder die Wahlen in Serbien.» Die Schweizer könnten sich diese Weitschweifigkeit leisten, weil sie «keiner konstanten Kriegsgefahr in ihrer Nachbarschaft ausgesetzt» seien. Hoffer glaubt, dass gedruckte Tageszeitungen noch so lange geben werde, «wie die Generation meiner Eltern lebt». Er selbst konsumiert Medien vor allem digital und hat sich vom linearen Radio und Fernsehen schon lange verabschiedet. Er schwärmt von den vielfältigen Erzähl- und Recherchemöglichkeiten, die durch die Digitalisierung möglich geworden sind, warnt jedoch: «Teilweise denken Journalisten dadurch aber viel zu sehr in Strukturen und verlieren sich in Spielereien, der Inhalt tritt in den Hintergrund.» Er findet, die KI könne gut und gerne «eher müssige journalistische Aufgaben» übernehmen. «Aber eine KI wird niemals einen Whistleblower treffen oder aufschreiben, wie ein fremder Ort tönt, schmeckt und riecht.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Die israelische Tageszeitung «Haaretz» und die «New York Times».
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, LinkedIn, YouTube, TikTok und BeReal?
Twitter und LinkedIn finde ich für Recherchen hilfreich. Meine Posts auf Instagram und BeReal sehen nur meine Freunde – zum Glück.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
So gut wie gar nicht. Mein Berufseinstieg liegt noch nicht sehr lange zurück.
Wenn Du an die Medien in Deinem Berichtsgebiet denkst – welche Unterschiede fallen Dir im Vergleich zu den Medien in der Schweiz auf?
Die Berichterstattung in Israel dreht sich nahezu ausschliesslich um das eigene Land und die Region. in der Schweiz ist der Blick teilweise weiter. Hier berichten Medien auch über gesellschaftliche Probleme in Bhutan oder die Wahlen in Serbien. Schweizer können sich diese Weitschweifigkeit leisten, weil sie keiner konstanten Kriegsgefahr in ihrer Nachbarschaft ausgesetzt sind.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Definitiv. Ohne Bücher, Postkarten, Liebesbriefe oder Instagram-Captions wäre das Leben so vieler sehr viel ärmer.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Worauf man Lust hat.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Schlechte Bücher lege ich sofort weg und sortiere sie meistens direkt aus. Das spart Zeit und Platz.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
In Gesprächen aller Art: mit Kollegen, Freundinnen, Protagonisten und Taxifahrern.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
In etwa so lange wie die Generation meiner Eltern noch lebt.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Eine Chance. Medien können beweisen, warum es sich lohnt, für sie zu bezahlen.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Beides konsumiere ich schon lange nicht mehr.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Ich liebe Podcasts und höre sie beim Kochen, Aufräumen oder zum Sport. Zu meinen Favoriten gehört der «Hintergrund» vom Deutschlandfunk. Gut gemacht finde ich auch «Lost in Nahost – die Story» vom Bayrischen Rundfunk. Alle, die sich für die Geschichte des Britischen oder Osmanischen Imperiums interessieren, sollten den grossartigen Podcast «Empire» hören.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Was es für die Gesellschaft bedeutet, kann ich nicht beurteilen. Die Medien müssen Themen aufgreifen, die junge Menschen interessieren. Dafür sollten sie mehr junge Menschen einstellen.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Eine KI kann schon heute genauso gut Agenturmeldungen umschreiben wie ein Mensch, und das in einem Bruchteil der Zeit. Auch andere, eher müssige journalistische Aufgaben können – und sollten – von Maschinen übernommen werden. Aber eine KI wird niemals einen Whistleblower treffen oder aufschreiben, wie ein fremder Ort tönt, schmeckt und riecht.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Auf keinen Fall zum Tod. Die Erzähl- und Recherchemöglichkeiten sind vielfältiger und ansprechender geworden. Teilweise denken Journalisten dadurch aber viel zu sehr in Strukturen und verlieren sich in Spielereien, der Inhalt tritt in den Hintergrund. Daher weiss ich nicht, ob «Befreiung» das richtige Wort ist.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Nein.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ja, sogar erstaunlich viel: Tagebuch, Postkarten, Gesprächsnotizen, für besondere Menschen sogar Briefe.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Trump hat die Klickzahlen nach oben getrieben. Die Zeitungen, die seine Wahl nicht vorausgesehen hatten, haben wieder mehr Reporterstellen geschaffen. Für die Medien war er also nicht so schlecht. Anderswo hat er mehr Schaden angerichtet.
Wem glaubst Du?
Meinen Freunden.
Dein letztes Wort?
Merci.
Rewert Hoffer
Rewert Hoffer arbeitet als Korrespondent für die NZZ in Israel. Seit Januar 2024 lebt er in Tel Aviv und ist dort für Israel, die palästinensischen Gebiete, Jordanien und Ägypten zuständig. Er ist in Genf aufgewachsen und hat an der Universität Leipzig und der London School of Economics Politikwissenschaft, Global Studies und Wirtschaftsgeschichte studiert. Nach einem Volontariat in der Wirtschafts- und Auslandredaktion arbeitete er ein Jahr lang im Berliner Büro der NZZ, bevor er die Korrespondentenstelle übernahm.
https://www.nzz.ch
Basel, 7. August 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Seit Ende 2018 sind über 290 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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3 Kommentare zu "Rewert Hoffer: «Die Berichterstattung in Israel dreht sich nahezu ausschliesslich um das eigene Land»"
Manchmal – aber nicht mehr so oft – habe ich mitunter eine Wut auf einen Journalismus, der locker vom Hocker für eine abgrundtief arrogant reiche Schweiz schreibt, die nur wissen will, was sie wissen will, damit sie machen kann, was sie will, und nicht tun muss, was sie eigentlich auch gemäss ihrer eigenen Ideologie tun sollte.
Rewert Hoffer: „Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?“ – „Nein.“ Er arbeitet bei der NZZ.
Das sagt viel.
Auch viel sagt meine Antwortenstatistik auf diese Frage direkt aus meinem grossen mächtigen Bauch gefühlt:
90% der bei SRG/SRF/WoZ/Republik/Bajour&Co. tätigen antworteten mit: JA.
10% der überigen Medienangestellten antworteten darauf mit: NEIN.
Das sagt auch doch (irgendwie) auch (ganz) viel…..
Immer wieder der Hinweis:
Öffentlich-rechtliches Radio und Fernsehen ist nicht das Resultat von Medienförderung, sondern gesetzlich verankerter und demokratisch abgestützter Service public.
Medienförderung ist in der Schweiz zum Beispiel die Posttaxenverbilligung, wie sie auch von der NZZ genutzt wird.
Ohne Medienförderung gäbe es in der Schweiz schon länger keine Tageszeitungen mehr.