
Pascal Ritter: «Ich lasse lieber andere zu Wort kommen.»
Das 303. Fragebogeninterview, heute mit Pascal Ritter, Reporter, Online-Tagesleiter und Blattmacher auf der Zentralredaktion der CH-Media-Zeitungen. Er sagt: «Früher waren die Arbeitsbedingungen auf den Redaktionen besser, was dort entstand aber nicht unbedingt.» Er glaubt, dass es «schon noch ein paar Jahre» gedruckte Tageszeitungen geben werde: «Die gedruckten Zeitungen rentieren vielerorts noch immer besser als die Onlineausgaben und haben eine nicht zu unterschätzende Stammleserschaft.» Er erinnert aber auch daran, dass die linke Berliner Tageszeitung «taz» ab Oktober 2025 werktags nur noch digital erscheint und meint: «In diese Richtung wird es auch bei uns gehen.» Er ist trotzdem zuversichtlich: «Ich beobachte, dass auch Menschen, die kein Zeitungsabo haben, durch Social Media, Pushnachrichten und Gratiszeitungen sehr auf dem Laufenden sind.» Interessant ist seine Antwort zur Frage, ob die Schweiz eine Medienförderung brauche. Er sagt, es gebe «auch ohne staatliche Mittel eine Medienförderung durch Private mit Interessen» und fordert deshalb: «Es braucht eine transparente und fair geregelte Medienförderung.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Die RTS-Radiosendung «La Revue de Presse» mit Valérie Droux. Sie fasst die wichtigsten Zeitungsartikel aus der ganzen Schweiz zusammen. So erfahre ich, was die Westschweizer Zeitungen berichten. Ab und zu ist auch eine Geschichte von mir dabei. Ich staune dann jeweils, wie viel interessanter meine Texte auf Französisch klingen.
Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, Twitter/X, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?
Twitter nutze ich immer noch ab und zu, obwohl es ziemlich kaputt ist. Und neulich habe ich mich dazu überwunden LinkedIn zu installieren. Es ist noch schlimmer, als ich erwartet habe.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Nicht sehr viel, was erstaunlich ist, wenn ich mir überlege, wie oft in der Medienbranche die Zeitenwende ausgerufen wird.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Früher waren die Arbeitsbedingungen auf den Redaktionen besser, was dort entstand aber nicht unbedingt.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Absolut. Da sieht man nur schon an der Bedeutung von Google für News-Webseiten. Das Internet mag am liebsten Texte, weil es Videos nicht nach Stichworten durchsuchen kann. Und irgendjemand gibt ja die Suchanfragen ein.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Vielleicht wieder einmal «Retour à Reims» von Didier Eribon, um den Rechtsrutsch in Europa ein Bisschen besser zu verstehen.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Ja, leider kann ich auch gute Bücher weglegen.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Im Gespräch mit Menschen und auf den hinteren Seiten von Dorf- oder Quartierzeitungen.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Schon noch ein paar Jahre. Die gedruckten Zeitungen rentieren vielerorts noch immer besser als die Onlineausgaben und haben eine nicht zu unterschätzende Stammleserschaft. In Deutschland druckt die «taz» werktags bald nicht mehr. In diese Richtung wird es auch bei uns gehen.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Beides natürlich.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Seit ich herausfand, dass die Sendung «10 vor 10» oft erst um 9 oder 8 vor 10 beginnt, halte ich mich auch nicht mehr so streng ans TV-Programm, aber ich höre oft DRS4-News und bei weltweiten Breaking News schalte ich die internationalen Newssender ein.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Mich beindrucken die True-Crime-Podcasts des Reporters Hedley Thomas aus Australien. Seine Sendung «The Teachers Pet» brachte einen Mörder hinter Gitter und löste eine Gesetzesänderung aus. Im Moment kann man in der aktuell laufenden Serie «Bronwyn» live verfolgen, ob ihm das gleiche noch einmal gelingt. Es geht in beiden Podcasts um Frauen, die vor Jahrzehnten plötzlich spurlos verschwanden. Die Polizei prüfte aber nie ernsthaft, ob ihre Ehemänner etwas damit zu tun haben könnten. Nun tut es Hedley Thomas.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Ich beobachte, dass auch Menschen, die kein Zeitungsabo haben, durch Social Media, Pushnachrichten und Gratiszeitungen sehr auf dem Laufenden sind.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Ein Teil der Berichterstattung lässt sich automatisieren. In einer idealen Welt würden dadurch Ressourcen frei, damit sich Journalistinnen und Journalisten auf das konzentrieren können, was sich nie wird automatisieren lassen: Die investigative Recherche und das Rausgehen zu den Leuten.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Zum Tod ganz sicher nicht, aber zur Befreiung leider sehr wahrscheinlich auch nicht.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Es gibt auch ohne staatliche Mittel eine Medienförderung durch Private mit Interessen. Es braucht eine transparente und fair geregelte Medienförderung.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ja, Postkarten und Post-its.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Er interessiert jedenfalls. Meine Arbeit besteht unter anderem darin, die nationalen und internationalen News auf den Portalen von Regionalzeitungen zu kuratieren. Ich staune immer wieder, wie stark der Name Donald Trump zieht, auch wenn gerade ein handfester Skandal das Dorf erschüttert.
Wem glaubst Du?
Zunächst einmal allen, doch dann kommen mir oft Zweifel.
Dein letztes Wort?
Ich lasse lieber andere zu Wort kommen. Ist das vielleicht eine Berufskrankheit?
Pascal Ritter
Pascal Ritter ist Reporter, Online-Tagesleiter und Blattmacher auf der Zentralredaktion der CH-Media-Zeitungen. Er ist 1985 geboren; sein journalistisches Handwerk lernte er neben dem Studium von Geschichte und Politik bei der «Zürcher Studierendenzeitung». Nach Stationen bei Tamedia und Ringier heuerte er bei der «Schweiz am Sonntag» an, dessen Nachrichtenteam im CH-Media-Newsroom aufging. 2023 gründete er mit Branchenkollegen das Velomagazin «Gruppetto» und ist dort Co-Chefredaktor.
Basel, 16.10.2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Seit Ende 2018 sind über 290 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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