Matthias Stadler: «Zu viele Journalisten leben in einer links-grünen Bubble»
Das 295. Fragebogeninterview, heute mit Matthias Stadler, Redaktionsleiter des innerschweizer Onlinemagazins «Zentralplus». Er sagt, in den letzten Jahren habe die Geschwindigkeit selbst «im sowieso schon schnellen Tagesjournalismus nochmals klar zugelegt». Ein Grund dafür sind die sozialen Medien. Um die macht Stadler allerdings einen Bogen: Er halte «wenig von der Selbstbeweihräucherung und der teilweise rüpelhaften und primitiven Diskussionskultur» auf den Social-Media-Kanälen. Die Medienszene sei ihm «heute teilweise deutlich zu links», sagt er mit Blick auf die Gendersprache. Er sieht darin einen Grund, warum «sich immer mehr Konsumenten vom Journalismus abwenden.» Er bedauert, dass «viele gestandene Journalisten der Branche den Rücken kehren», was «einen grossen Wissensverlust» mit sich bringe. In seiner täglichen Arbeit nutzt er die Unterstützung von KI. Die Programme «können konkret bei der Titelsetzung helfen oder mögliche Nachzüge vorschlagen». Aber «der Grossteil unserer Arbeit ist und bleibt Handwerk.» Die Programme hätten schon Mühe, «inhaltlich korrekte Kurznachrichten zu verfassen, die ich nachher nicht mit mühsamem Redigieren Zeile für Zeile überprüfen muss».
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
«Zentralplus», die «Luzerner Zeitung» und die NZZ.
Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, Twitter/X, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?
Ich bin sehr zurückhaltend, was meine Aktivitäten auf sozialen Medien anbelangt. Ich halte wenig von der Selbstbeweihräucherung und der teilweise rüpelhaften und primitiven Diskussionskultur auf diesen Kanälen. Weniger ist eindeutig mehr. Beruflich finden sich ab und zu Ideen für Geschichten, vor allem Facebook-Gruppen eignen sich im Lokaljournalismus dafür.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Keine überraschende Antwort: Er ist deutlich digitaler und schneller geworden. Selbst die Geschwindigkeit im sowieso schon schnellen Tagesjournalismus hat nochmals klar zugelegt.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Sowohl, als auch. Ich bin durchaus ein kritischer Beobachter der hiesigen Medienszene. Mir ist sie heute teilweise deutlich zu links (Stichwort Gendersprache, um nur ein Beispiel zu nennen), was meiner Meinung nach ein Grund dafür ist, weshalb sich immer mehr Konsumenten vom Journalismus abwenden. Zu viele Journalisten leben in einer links-grünen Bubble. Hinzu kommt, dass viele gestandene Journalisten der Branche den Rücken kehren, was einen grossen Wissensverlust mit sich bringt. Andererseits glaube ich auch, dass der heutige Journalismus viele Möglichkeiten mit sich bringt. Beispielsweise bei neuen Formaten und der Informationsbeschaffung. Der Zeit von Parteizeitungen, wie sie früher üblich waren – und wie ich sie gar nicht mehr kennengelernt habe – trauere ich nicht nach.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Ja.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Meinungen, die nicht der eigenen entsprechen.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Früher konnte ich das nicht. So habe ich beispielsweise «Krieg und Frieden» nicht weggelegt. Am Schluss habe ich drei Jahre dafür gebraucht und kann mich einzig daran erinnern, dass mich die Lektüre wahnsinnig gelangweilt hat. Danach habe ich begonnen, Bücher auch mal wegzulegen oder gar wegzugeben.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Von meiner Frau und guten Freunden.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Totgesagte scheinen in der Tat länger zu leben. Schon vor zehn Jahren hiess es, dass es gedruckte Zeitungen «in wenigen Jahren» nicht mehr geben wird – und trotzdem erscheinen sie auch heute noch. Ich glaube nicht an ein baldiges Ende.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Ich sehe sie als Chance – zumindest für die Medien. Fake News zeigt den Leuten auf, dass Qualitätsmedien mit ihrer Glaubwürdigkeit und ihren Kontrollinstanzen wichtiger denn je sind. Nur müssen wir als Journalisten das noch besser gegen aussen kommunizieren, was ja generell nicht unsere Stärke ist.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Ich höre kaum Radio, lineares Fernsehen gönne ich mir manchmal, wobei sich mein Konsum hauptsächlich auf Sportübertragungen beschränkt.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Ich habe in meinem Leben bis jetzt einen einzigen Podcast gehört. Es ist schlicht nicht mein Format.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Erfreulich sind solche Zahlen natürlich nicht. Aber war es früher anders? Interessierten sich vor 40 Jahren die 20-Jährigen für das Nachrichtengeschehen? Ich wage das zu bezweifeln. Von dem her finde ich: Ruhig Blut. Alles jetzt nur noch auf dieses Publikum auszurichten, wäre komplett falsch.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Bis zu einem gewissen Grad sind solche Programme eine Hilfe. Sie können mir in meinem Alltag konkret bei der Titelsetzung helfen oder mögliche Nachzüge vorschlagen. Aber der Grossteil unserer Arbeit ist und bleibt Handwerk. Soll mir ein Programm eine glaubwürdige Reportage schreiben oder ein Interview machen? Soll es für mich an Pressekonferenzen gehen oder mit Regierungsräten am Telefon Sachfragen besprechen? Ach bitte. Es hat ja nur schon Mühe, inhaltlich korrekte Kurznachrichten zu verfassen, die ich nachher nicht mit mühsamem Redigieren Zeile für Zeile überprüfen muss, was schliesslich länger dauert, als wenn ich den Text selber geschrieben hätte.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Was soll denn die Befreiung des Journalismus sein? Sind wir jetzt nicht frei? Zum Tod führt die Digitalisierung sicher nicht, sie hat uns ja ungeahnte Möglichkeiten beschert.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Ja.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Manchmal, um an unseren Redaktionssitzungen Notizen zu machen. Sonst aber fast nie.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Schlecht. Wenn jemand in dieser Position ständig und aggressiv die Glaubwürdigkeit eines Berufsstands angreift, hinterlässt das irgendwann tiefe Spuren.
Wem glaubst Du?
Meiner Frau, meiner Familie und guten Freunden.
Dein letztes Wort?
Liebe Journi-Kollegen, nehmt die Dinge auch mal mit Humor. Und: Nicht alles ist immer und sofort ein Skandal.
Matthias Stadler
Matthias Stadler (36) ist in Brunnen (SZ) aufgewachsen und hat 2014 an der ZHAW in Winterthur sein Journalismusstudium abgeschlossen. Danach arbeitete er über fünf Jahre auf der Redaktion der «Luzerner Zeitung». Von 2020 bis 2022 lebte er in Neuseeland, der Heimat seiner Frau, von wo aus er als freier Journalist unter anderem für das «Luxemburger Wort» und die NZZ berichtete. Mittlerweile wohnt er wieder in der Innerschweiz und arbeitet seit eineinhalb Jahren als Redaktionsleiter des Onlinemagazins «Zentralplus».
https://www.zentralplus.ch/
Basel, 21. August 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Seit Ende 2018 sind über 290 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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2 Kommentare zu "Matthias Stadler: «Zu viele Journalisten leben in einer links-grünen Bubble»"
Welch erfrischender* Titel: «Zu viele Journalisten leben in einer links-grünen Bubble» – sagt ein Matthias, nämlich Stadler’s Matthias (Innerschweizer Art, den Namen der Dorfbewohner zu nennen).
Herr Stalder könnte sich wahrlich weiterentwickeln: „Die Weltwoche“ oder „Der Nebelspalter“ sind neidisch, einen solchen Kollegen (noch) nicht in der Redaktion zu wissen. Was nicht ist, kann ja noch werden….
Tolles Interview, toller Journalist, tolle Sichtweisen.
*erfrischend = Im Sinne von „mal was anderes“ wie Tagi, SRF (dessen Mitarbeitende-Mehrheit, von einer ZHAW-Studie bewiesen, sich eher dem linken Poltikspektrum zugeneigt fühlen), ARD und ZDF (in deren Nachrichtensendungen massiv mehr Sendeminuten für SPD, Grüne usw., in Talkshows massiv mehr Gäste von SPD, Grüne usw., oftmals werden Politiker von AfD usw. gar nicht erst eingeladen), Anti-AKW-Bildmanipulation (schwarz-grauer Rauch aus Kühltürmen reinretouchiert u.v.m.), wichtige Meldungen von den „Messer-Männern“ (weekly in Deutschland) werden selten bis gar nicht gebracht, Unausgewogenheit (gemessen) sogar bis tief in Vorschulkindersendungen rein = so geht natürlich kein Deftig-Gebühren-ÖRR mehr lange gut….
Und Erfischungen kann man in diesen heissen Hochsommertagen doch durchaus gebrauchen….
Tut mir leid, Herr Zweidler: Dass Sie ein Problem mit den angeblich so linken Medien haben, das haben wir schon lange verstanden. Dass Ihre immer gleichen Vorwürfe durch ständiges Wiederholen nicht richtiger werden, macht Ihre Kommentare in meinen Augen nicht interessanter. Tut mir leid.