Katrin Schregenberger: «Das Internet wird mehr und mehr zum Abfallkübel der Menschheit»

Publiziert am 28. August 2024 von Matthias Zehnder

Das 296. Fragebogeninterview, heute mit Katrin Schregenberger, Inland-Journalistin bei den «Schaffhauser Nachrichten» und Autorin. Sie findet die Medienkonzentration mit den Mantelredaktionen problematisch: «Der Berner liest das gleiche wie der Zürcher im ersten Bund seiner Zeitung, der Luzerner das gleiche wie der St. Galler.» Sie sieht in der Digitalisierung aber auch eine Chance: «Das Internet hat dazu geführt, dass Journalisten nicht mehr jahrelang an den Lesern vorbeischreiben können.» In Fake News, die dank KI noch besser werden, sieht sie «für die Medien eine grosse Chance», für das Internet seien sie aber «eine Katastrophe». «Medien haben die Chance, das Vertrauen der Leserschaft zu erhalten und Berichterstattung von Korrespondenten vor Ort könnte wieder wichtiger werden.» Das Problem sei, dass Teenager über die sozialen Medien schon sehr früh auf politische Propaganda stossen, «die sie dann für bare Münze nehmen. Es ist deshalb unabdingbar, dass die journalistischen Medien sich auch auf diesen Plattformen zeigen und engagieren.» Sie ist zuversichtlich, dass Medien trotz KI auch künftig von Menschen gemacht werden: Die Leserinnen und Leser zahlen «am Ende dafür, dass sie den Menschen, die hinter einer Zeitung stehen, vertrauen und deren Sicht auf die Welt schätzen.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Nachrichten-Newsletter aller Art – von der NZZ bis zu den «Schaffhauser Nachrichten».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, LinkedIn, YouTube, TikTok und BeReal?

Seit Twitter zu X wurde habe ich die Lust an den Sozialen Medien tatsächlich eher verloren. Bei Facebook komme ich erst gar nicht mehr rein, weil ich mein Passwort vergessen habe – und um mich einzuloggen, müsste ich ein Foto meines amtlichen Ausweises schicken, und das geht mir dann doch zu weit. Ich bin jedoch eine rege Nutzerin von Instagram (Inspiration, Unterhaltung) und LinkedIn (Vernetzung).

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Es gab Zeiten, in denen ich ständig auf Twitter war. Damals war das Medium eine wertvolle Nachrichtenquelle, man sah dort als erste, was am nächsten Tag in der Zeitung stand. Diesen hohen Nachrichtenwert hat X heute nicht mehr. Seither verbringe ich viel weniger Zeit auf den sozialen Medien – was eigentlich ganz gut ist.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Es war besser und schlechter! Einen eindeutigen Downgrade bedeutet die Medienkonzentrierung mit den Mantelredaktionen: Der Berner liest das gleiche wie der Zürcher im ersten Bund seiner Zeitung, der Luzerner das gleiche wie der St. Galler. Das Internet wird in der Medienbranche ja gern verteufelt, weil es den Werbemarkt umkrempelt. Doch das Internet hat auch dazu geführt, dass Journalisten nicht mehr jahrelang an den Lesern vorbeischreiben können. Heute muss sich jeder Medienschaffende fragen, was guten Journalismus eigentlich ausmacht. Wofür zahlt man? Das tut der Qualität gut – solange die Redaktionen noch genügend Personal haben.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Geschriebene Worte gibt es seit tausenden von Jahren, das Erzählen von Geschichten ist noch älter. Wird die geschriebene Geschichte tatsächlich von 3-Sekunden-Videos abgelöst? Ich glaube es nicht. Menschen haben das Bedürfnis, abzutauchen. Und das gelingt mit Texten auf einer ganz anderen Ebene.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Bücher – egal ob Sachbuch oder Belletristik! Sie bieten alles, was wir online zu verlieren drohen: Sich in der Tiefe, über lange Zeit mit einem Thema befassen, bei bemerkenswerten Sätzen anhalten, Tagträumen oder philosophischen Gedanken nachhängen. Nicht selten findet man auch in alten Klassikern wie «Krieg und Frieden» Gedanken, die einen auch für zeitgenössische Themen bereichern.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Wenn Bücher schlecht geschrieben sind, dann lege ich sie nach einer Seite schon weg – das geschieht besonders oft bei schlechten Übersetzungen. Bin ich einmal in der Geschichte drin, kann ich aber nicht aufhören, auch wenn sie immer schlechter wird.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In der Zeitung! Hinter jedem journalistischen Text steht ein Mensch, der ein Thema aus irgendeinem Grund interessant fand. Und wenn er schreiben kann, dann kann er mich für dieses Thema begeistern. Das liebe ich am Journalismus. Ausserdem: Im Gespräch mit Menschen, die in einer ganz anderen Welt leben, als ich. Je unterschiedlicher die Bubble, desto spannender das Gespräch!

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Eine schmerzhafte Frage! Ich glaube tatsächlich, dass die Tage der gedruckten Tageszeitungen gezählt sind. Wie lange noch? 20 Jahre? Ich bin schlecht im Schätzen! Ich glaube jedoch nicht, dass alles Gedruckte verschwinden wird. Wochenzeitungen und Monatshefte haben bessere Chancen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Fake News – die jetzt mit KI noch besser werden – sind für die Medien eine grosse Chance, für das Internet hingegen eine Katastrophe. Das Internet wird mehr und mehr zum Abfallkübel der Menschheit. Medien haben die Chance, das Vertrauen der Leserschaft zu erhalten und Berichterstattung von Korrespondenten vor Ort zum Beispiel könnte wieder wichtiger werden. Dafür müssen die Medien aber unbedingt äusserst sorgfältig arbeiten – was leider nicht immer der Fall ist und dadurch das Vertrauen der Leserschaft beschädigt.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich konsumiere Radio und Fernsehen kaum mehr live sondern suche mir meine Häppchen auf Online-Plattformen dann aus, wann ich Lust habe.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich höre am liebsten Podcast-Serien zu jeweils einem Thema. «Zündstoff» von Franziska Engelhardt zum Beispiel habe ich zwar vor einigen Jahren schon gehört, finde ich aber immer noch einen der besten. Dann die Podcasts von Khesrau Behroz sind superspannend (zum Drachenlord, zu Ken Jebsen etc).

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Das tönt natürlich beängstigend – wenn ich an meine Teenager-Zeit zurückdenke, kann ich mich jedoch nicht erinnern, dass wir besonders viel Zeitung gelesen hätten. Das Problem heute ist allerdings, dass Teenager über die sozialen Medien schon sehr früh potentiell auf politische Propaganda stossen, die sie dann für bare Münze nehmen. Es ist deshalb unabdingbar, dass die journalistischen Medien sich auch auf diesen Plattformen zeigen und engagieren.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Guter Journalismus lebt von den Menschen dahinter – aber nicht jede journalistische Dienstleistung muss von Menschen erbracht werden. Bei Meldungen und Tickern sehe ich durchaus die Möglichkeit einer Automatisierung. Dass Menschen dafür aber zahlen, denke ich eher weniger. Sie zahlen am Ende dafür, dass sie den Menschen, die hinter einer Zeitung stehen, vertrauen und deren Sicht auf die Welt schätzen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Digitalisierung führt – nicht nur bei den Medien – zu einem kompletten Umbruch, einem Systemwechsel, in dem wir jetzt stecken. Ich denke, es wird eine Pendelbewegung geben. Im Moment schwingt das Pendel in eine für die Medien schlechte Richtung: Ihr Wert wird von vielen nicht wahrgenommen, bezahlt wird ungern. Die zunehmende Flutung mit Fakes wird die journalistischen Medien aber wieder aufwerten und das Pendel wird wieder zurückschwingen.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Die Medien sind zentraler Teil einer Demokratie. Will man die Demokratie schützen, brauchen wir eine Vielfalt an journalistischen Medien. Deshalb braucht es eine Medienförderung.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ich schreibe oft von Hand. Ein Brainstorming oder wenn ich meine Gedanken zu einem Thema ordnen will, geht bei mir nur, wenn sich dazu auch meine Hand bewegt.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Donald Trump war gut für die Medien, weil alles, was man über ihn schreibt, gut gelesen wird. Er ist jedoch äusserst schlecht für die Demokratie – und schädigt damit auch die Medien.

Wem glaubst Du?

Ich glaube der Wissenschaft, weil sie es geschafft hat, ein System aufzubauen, dass den menschlichen Faktor, die menschliche Subjektivität auf das Minimum reduziert. Ein Mensch kann sich irren, sich selbst oder andere belügen. Das gehört dazu. Ein System mit Peer-Review, dem Prinzip der jederzeitigen Wiederholbarkeit eines Resultats und blinden Versuchen aber ist dagegen hingegen fast ganz gefeit.

Dein letztes Wort?

Wir erleben eine Zeit des gesellschaftlichen und technologischen Wandels. Mit Neugier reitet man auf dieser Welle, mit Angst hingegen wird man überrollt.

Katrin Schregenberger

Katrin Schregenberger ist Inland-Journalistin bei den «Schaffhauser Nachrichten» und hat soeben ihr Sachbuch «Rettung vom Totenwagen» über einen Zürcher Holocaust-Überlebenden publiziert. Die Historikerin war zuvor leitende Redaktorin beim Wissenschaftsmagazin «higgs». Ihre journalistischen Sporen verdiente sie sich über Jahre im Newsroom der NZZ, zuletzt als Chefin vom Dienst.

katrinschregenberger.ch

Basel, 28. August 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 290 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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