Martina Läubli: «Als Ausgleich zur Informationsflut tut es extrem gut, sich einmal richtig in eine Geschichte zu vertiefen.»
Das 282. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Martina Läubli, Kulturredaktorin bei der «NZZ am Sonntag» und zuständig für «Bücher am Sonntag». Sie sagt, Journalismus werde «unter jeder Bedingung von den Menschen geprägt, die ihn machen» – und «es gab und gibt tolle Journalist:innen». Das bedeute auch: «Es liegt an uns, das Beste aus den (veränderten) Rahmenbedingungen herauszuholen.» Als Kulturjournalistin stellt sie aber fest, «dass der Platz für Kulturberichterstattung markant zurückgegangen ist.» Gleichzeitig sei durch die Digitalisierung der «Zeit- und Konformitätsdruck in Richtung Mainstream und Boulevard gestiegen, Stichwort ‹Reichweite›». Das gelte auch für den Ton: «Er ist aufgeregter geworden.» Als Ausgleich empfiehlt Martina Läubli «Bücher!»: «Wenn ich Joanna Osmans ‹Wo die Geister tanzen› und David Grossmanns ›Eine Frau flieht vor einer Nachricht’ lese, erfahre ich so viel mehr über den Nahostkonflikt als durch zahlreiche Medienbeiträge – auch auf der menschlichen Ebene.» Sie ist überzeugt, dass es menschliche Medienschaffende noch lange brauchen wird: «Ein Journalismus, dem es darum geht, nachzudenken und Neues herauszufinden, also zu recherchieren, präzise zu formulieren, zu analysieren und nach Bedeutung zu suchen, lässt sich nicht so rasch automatisieren.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Zum Kaffee «Heute Morgen» auf SRF, die NZZ in der Print-Ausgabe und ein Blick auf den «Tages-Anzeiger» online und die «Republik».
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, LinkedIn, YouTube, TikTok und BeReal?
Auf X und LinkedIn stosse ich manchmal auf spannende Beiträge von Kolleg:innen oder Wissenschaftler:innen. Von der Kultur- und Literaturszene bekomme ich auf Instagram und TikTok einiges mit. Und die Lyrik-Szene nutzt Facebook rege. Meine eigenen Beiträge auf Social Media beschränken sich auf meine journalistische Arbeit. BeReal kenne ich nicht.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Seit ich in den Journalismus eingestiegen bin, wird über die Krise der Medien geklagt. Das digitale Tempo gehört für mich dazu, auch dass man mit gewissem Zeitaufwand verschiedene Kanäle bedienen muss. Gleichzeitig spart man durch neue Technologien auch Zeit. Insgesamt verändert hat sich im medialen Diskurs der Ton. Er ist aufgeregter geworden.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Es bringt nichts, in den wertenden Kategorien «besser» und «schlechter» zu denken. Wenn wir das Früher und das Heute vergleichen, bleibt unklar, auf welcher Basis wir das tun. Journalismus wird unter jeder Bedingung von den Menschen geprägt, die ihn machen; und es gab und gibt tolle Journalist:innen. Anders gesagt: Es liegt an uns, das Beste aus den (veränderten) Rahmenbedingungen herauszuholen. Was ich als Kulturjournalistin trotzdem feststelle, ist die Tatsache, dass der Platz für Kulturberichterstattung markant zurückgegangen ist. Gleichzeitig ist durch die Digitalisierung der Zeit- und Konformitätsdruck in Richtung Mainstream und Boulevard gestiegen, Stichwort «Reichweite».
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Ob geschrieben oder gesprochen: Es ist weiterhin nötig, uns die Welt, unser Land, die Gesellschaft zu erklären. Und so lange es für unser Sprechen, Filmen, Fotografieren und Schreiben Speichermedien gibt, so lange haben Worte Zukunft.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Bücher! Sowohl Sachbücher als auch Literatur. Als Ausgleich zur Informationsflut tut es extrem gut, sich einmal richtig in ein Thema oder eine Geschichte zu vertiefen. Zum Beispiel beim Gaza-Krieg: Wenn ich Joanna Osmans «Wo die Geister tanzen» und David Grossmanns «Eine Frau flieht vor einer Nachricht» lese, erfahre ich so viel mehr über den Nahostkonflikt als durch zahlreiche Medienbeiträge – auch auf der menschlichen Ebene. Durch solche Lektüren wird der Horizont weiter und das Leben reicher und tiefer. (Und alles komplexer …)
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Als Literaturkritikerin musste ich richtiggehend lernen, Bücher nicht fertig zu lesen. Inzwischen lege ich schlechte Bücher kaltblütig weg, ausser, ich müsse sie wirklich rezensieren. Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Klassisch: Aus gedruckten Zeitungen. Beim Durchblättern durch die verschiedenen Ressorts stosse ich auf Themen, die ich nicht gesucht habe. Auch gut erzählte Dokumentarfilme können mir den Blick auf bisher nicht Beachtetes öffnen. Und natürlich Gespräche mit Menschen.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
So lange es in der Schweiz Druckereien gibt.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Natürlich sind Fake News eine Gefahr, sie verbreiten sich ja in rasantem Tempo. Das Klicken und Teilen passiert meist vor dem Überprüfen. Zum Glück werden Fake News in vielen Fällen später korrigiert, etwa bei der Aufregung um die Bettwanzen-Plage in Frankreich, die mutmasslich von Russland angeheizt worden ist. Verlässliche Medien können sich dadurch auszeichnen, dass sie Quellen überprüfen und Dinge kritisch hinterfragen und das auch transparent machen.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Ich habe ein altes UKW-Radiogerät in der Küche, ein Erbstück von meinen Grosseltern. Beim Kochen und Abwaschen höre ich deshalb gerne lineares Radio – dass ich mich manchmal über die Musikauswahl ärgere, ist dabei unvermeidlich. Oft höre ich Radiosendungen auch als Podcast. Fernsehsendungen streame ich ausschliesslich.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Ich höre regelmässig das «Echo der Zeit» und «International» als Podcast. Ebenfalls «Lakonisch elegant», den Feuilleton-Podcast von Deutschlandfunk Kultur. Auch die «Sternstunde Philosophie» höre ich als Podcast – in diesen Gesprächen öffnet mir der philosophische Blick eigentlich immer eine neue Perspektive auf die Gegenwart. Für meinen Geschmack tendieren viele Podcasts aber zu Plauderei und ziehen sich in die Länge.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Das ist demokratiepolitisch besorgniserregend. Ich denke schon, dass die Anfälligkeit für Propaganda und Populismus wächst, je weniger junge Menschen Informationen einordnen können. Aber vielleicht entwickeln sie ein Bedürfnis nach Nachrichten und vertiefendem Journalismus, wenn sie 30 sind?
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Das ist gut möglich. Aber werden diese Artikel mehr als Zahlen, Sportergebnisse, Börsenkurse und News liefern? Sind sie mehr als Textproduktion, die einfach Informationen nach dem Muster des bereits Vorhandenen zusammenfasst? Es ist die Aufgabe von Journalist:innen, Fragen zu stellen. Das können Maschinen uns nicht abnehmen, auch wenn sie die Suche nach Antworten erleichtern mögen. Ein Journalismus, dem es darum geht, nachzudenken und Neues herauszufinden, also zu recherchieren, präzise zu formulieren, zu analysieren und nach Bedeutung zu suchen, lässt sich nicht so rasch automatisieren.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Weder noch. Die Neugierde, das Bedürfnis nach Wissen und der Deutung der Welt gibt es, seit es Menschen gibt.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Das Finanzierungsmodell der Medien erodiert kontinuierlich, während die Werbeeinnahmen ins Silicon Valley und nach China fliessen. Vielleicht werden wir eines Tages nicht mehr um eine Medienförderung herumkommen, wenn wir keine Medienwüste wollen.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ich mache von Hand Notizen. Aber sobald es ernsthaft um das Schreiben geht, tippe ich.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Schlecht. Nicht nur für die Medien.
Wem glaubst Du?
Journalist:innen, die ihr Handwerk beherrschen, und Menschen, die etwas von ihrem Gebiet verstehen. Und der Literatur.
Dein letztes Wort?
Martina Läubli
1980 in Zürich geboren und in Rafz aufgewachsen. Studium der Germanistik und der Theologie in Zürich und Berlin, währenddessen freie Mitarbeit beim «Zürcher Unterländer». Dissertation in Komparatistik, daneben Arbeit an der Universität Zürich, im Staatsarchiv Zürich, beim Verlag Nagel & Kimche und als Deutschlehrerin. Journalistische Erfahrung sammelte Martina Läubli beim «Tages-Anzeiger» online, beim «aufbruch» und bei der «Neuen Zürcher Zeitung». 2013 bis 2017 arbeitete sie in verschiedenen Funktionen für die «NZZ», seit 2018 ist sie Kulturredaktorin bei der «NZZ am Sonntag» und für «Bücher am Sonntag» zuständig.
https://www.nzz.ch/nzz-am-sonntag
Basel, 22. Mai 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Seit Ende 2018 sind über 280 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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