Peter Rothenbühler: «Roboter sind der feuchte Traum der unfähigen Verleger.»
Das 283. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Peter Rothenbühler, Journalist, Kolumnist und Autor. Er sagt: «Mich nerven die Sprüche der Verleger, die dauernd vom Ende der gedruckten Zeitungen plappern, nur um darüber hinwegzutäuschen, dass sie nicht mehr fähig und willens sind, gute Zeitungen zu machen.» Journalisten seien nun mal unbequem, sie stören Verleger und Politiker, die Mächtigen und die Leserschaft. «Sie sind gefährlich», sagt Rothenbühler. «Darum setzen Diktatoren sie ins Gefängnis oder lassen sie killen.» Das werde Robotern nicht passieren, «weil sie nie etwas aufdecken, nie frech werden. Und der Verleger kann sie auf Knopfdruck abstellen.» Er ist überzeugt, dass es noch sehr lange gedruckte Tageszeitungen gibt, «aber nur die besten, und dann sehr lokale Medien, die im Internet keine Konkurrenz haben.» Die Schweiz, sagt Rothenbühler, braucht keine Medienförderung: «Wir brauchen gute Medien, die den Leserinnen und Lesern gefallen. Allerdings braucht es dafür auch Journalisten, die nicht nur das publizieren, was ihnen in den ideologischen Kram passt.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
NZZ, «Tagesanzeiger», «24heures», «Blick», «Le Figaro», Radio France Inter.
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, LinkedIn, YouTube, TikTok und BeReal?
Ich konsultiere sehr oft Videos auf YouTube, das ist mein Musiksender, wo ich wunderbare Sachen aufspüre, vor allem grosse Pianisten, Humoristen und historische Begebenheiten.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Der Laptop, das iPad und das iPhone haben das Produzieren und das Konsumieren von Medien unglaublich stark zum Besseren verändert. Eine echte Revolution. Ich war bei allen Neuheiten dieser Art immer ein First Mover. Hatte ein iPad, als die IT-Verantwortlichen meines Verlegers noch behaupteten, dieses Ding werde nie einen Durchbruch erleben …
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Es war anders. Die Medien haben sich zu mehr Professionalismus entwickelt, dank der besseren Ausbildung und einer kritischer gewordenen Leserschaft. Auch dank einer grösseren Konkurrenz durch neue Medien. Heute ist die NZZ eine der besten Zeitungen Europas, als ich jung war, war sie auch gut, aber zu sehr nur das Blatt der Bürgerlichen.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Selbstverständlich. Und zwar auf allen Kanälen. Aber echt sexy ist das geschriebene Wort nur gedruckt: Möchten Sie die Todesanzeige Ihrer Eltern im Netz lesen? Oder lieber in einer Zeitung gedruckt? Eben! Mich nerven die Sprüche der Verleger, die dauernd vom Ende der gedruckten Zeitungen plappern, nur um darüber hinwegzutäuschen, dass sie nicht mehr fähig und willens sind, gute Zeitungen zu machen. Mit den Kleinanzeigen im Netz verdienen die Damen und Herren, die so lange den Qualitätsjournalismus gepredigt haben, viel mehr. Geld befiehlt auch die Welt der Verleger. Nur sollten sich diese nur noch Krämer nennen und nicht Verleger.
Was soll man heute unbedingt lesen?
NZZ, «Economist», «Corriere della Sera», «New York Times», «Le Figaro», «Le Point», «Le Canard Enchainé».
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Klar, bei den meisten Büchern lese ich nur fünfzig Seiten, dann noch quer gewisse Stellen. Nur sehr gute oder sehr spannende Bücher haben bei mir eine Chance.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Bei Begegnungen mit Unbekannten. Das ist immer noch die beste Art, zu unentdeckten News zu kommen. Ich spreche gerne mit Menschen.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Noch sehr lange, aber nur die besten, und dann sehr lokale Medien, die im Internet keine Konkurrenz haben.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Sie sind Fake, das heisst Wegwerfware. Das Problem ist, dass viele Menschen jeden Käse glauben, die die Sekten, die Russen oder andere Verschwörer verbreiten. Das ist ein uraltes Phänomen. Aber schon die Religionen und die Kirchen basieren auf Fake News, von der jungfräulichen Geburt Christi über die Wunder bis zur Auferstehung, alles Fake News. Aber halt geglaubt von Millionen … Also, es wird sie immer geben, und Gläubige auch. Menschen brauchen offenbar Fake News.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Radio ist mein Lieblingsmedium. Und Fernsehen für alle Sportereignisse und Direktsendungen von Politveranstaltungen, Katastrophen oder Breaking News.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Habe ich nicht. Ich lese lieber.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Das war doch immer so, diese Altersklasse war nie medienaffin, aber heute wird das untersucht, das ist der Unterschied.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Das ist der grösste Blödsinn. Ist das eine Fake News? Oder hat Pietro Supino ein sehr lockeres Verhältnis zum echten Journalismus? Dass Verleger Journalisten lieber durch Roboter ersetzen würden, ist eine alte Geschichte. Solches Zeug habe ich schon vor vierzig Jahren gehört. Denn Journalisten sind unbequem, sie stören. Die Verleger, die Politiker, die Mächtigen und die Leserschaft. Sie sind gefährlich. Darum setzen Diktatoren sie ins Gefängnis oder lassen sie killen. Roboter werden nie ins Gefängnis kommen, weil sie nie etwas aufdecken, nie frech werden. Und der Verleger kann sie auf Knopfdruck abstellen. Roboter sind der feuchte Traum der unfähigen Verleger.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Digitalisierung ist nur eine neue Technik. Jede neue Technik hat zu besserem Journalismus geführt.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Nein, wir brauchen gute Medien, die den Leserinnen und Lesern gefallen. Allerdings braucht es dafür auch Journalisten, die nicht nur das publizieren, was ihnen in den ideologischen Kram passt.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ja, Briefe, und Notizen bei Interviews. Aber sonst ist der Laptop oder der iPad mein bester Kamerad. Weil man so leicht korrigieren kann …
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Eine Offenbarung. Kein anderer Politiker hat so viel Stoff geliefert. Ob er für Amerika und die Welt gut ist (oder sein wird), ist eine andere Frage. Eher nicht.
Wem glaubst Du?
Glauben kann man am Sonntagmorgen in der Kirche. Sonst heisst es, glaub niemandem.
Dein letztes Wort?
Es wird schon alles gut. Wir schaffen das!
Peter Rothenbühler
Peter Rothenbühler (76) war von 1968 bis 1981 Mitglied des Büro Cortesi Biel und hat als freier Journalist und Fotograf für die «National Zeitung», die «Schweizer Illustrierte», das «Badener Tagblatt» und Radio DRS gearbeitet. 1982 hat er zu Ringier gewechselt und war im Ringier Verlag Chef der Entwicklungsgruppe, Gründer von «Blick für die Frau», Chefredaktor von «Sonntagsblick» und «Schweizer Illustrierte». 2002 bis 2011 hat er in Lausanne als Chefredaktor «Le Matin» geleitet. Er war Kolumnist bei «Le Matin Dimanche» und «Schweizer Illustrierte», heute bei der «Weltwoche». Er ist Autor mehrerer Biografien und hatte Lehraufträge an den Universitäten Neuenburg und Genf. Rothenbühler lebt in Le Sentier und Lausanne.
Basel, 29. Mai 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Seit Ende 2018 sind über 280 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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2 Kommentare zu "Peter Rothenbühler: «Roboter sind der feuchte Traum der unfähigen Verleger.»"
Peter Rothenbühler war/ist eine Legende. Er kannte alle. Ob aus Politik, ob aus Wirtschaft, aber auch die Sportler, von Bernhard Russi über Primin Zurbriggen, die Prominez von Elisabeth Tessier über Walter Andreas Müller über Jörg Schneier bis Silvia Jost und Emil Steinberger bis Erich von Däniken. Er schrieb mit feiner Feder. Schillernd aber auch seziergenau konnte er Stimmungen, Menschen, Mechanismen beschreiben. Eher immer links und sehr sozial eingestellt.
Umso erstaunter lese ich ihn jetzt sehr gerne auch in der „Weltwoche“ mit seiner Kolumne „Liebe/r….“ und dann kommt ein Schreiben an jemanden der in der Öffentlichkeit steht. Irgendwie ist er im Alter sehr realistisch geworden. Darf man ihm Altersweisheilt gebühren? Er schrieb quasi (via WW-Kolumne) dem Stadtpräsient von Genf, wieso er den Anlass „Auto-Salon-Genf“ so schlecht behandelt, Steine in den Weg legt, wieso er keine „Zeit“ an die Eröffnung zu gehen hatte und wieso dem „Salon“ im Wüstenreich (wo er 2-jährig jetzt im Turnus stattfindet) im Gegensatz zu Genf der rote Teppich ausgerollt wird (inkl. eigens gebauter Rennstrecke, um die angeschauten Wagen auch gleich zu testen können)…
Er schrieb der (linksgrünen) Lausanner Regierung, wieso sie „Verbrecher“ hätschle und „Steuerzahler“ gängele…
Er schrieb Investor Sami Sawiris über Gianni Infantino, an den Zürcher Zoodirektor und als (Medienspezialist) bis hin zu Ladina Heimgartner….
Schade ist er mit seiner warmherzigen, feinen und gebildeten Ausdrucksweise/Stimme z.Z. nirgens am Radio zu hören…
Eine Perle der Medienzunft. Umso erstaunter bin ich, dass er schon 76 Lenze zählt, welche man ihm natürlich nicht anmerkt. Wünsche Peter Rothenbühler weiterhin, dass er uns noch viele seiner Gedanken schenkt, gute Gesundheit und weitherhin einen hellwachen Geist. Eine Freude in und um ihn zu lesen/hören/sein.
Kostprben, welche wahre „Leckerlis“ sind, sind u.a. hier zu finden:
https://weltwoche.ch/autor/peter-rothenbuehler-2/
Wunderbar von und über Peter Rothenbühler zu lesen: beide sind wir in etwa gleich alt. In meinem Beitrag für DAS BLATT vom Juni zum Thema ‚Leben‘ habe ich heute geschrieben: „Lebensweisheit ist keine Frage des Alters. Kinder sind von Natur aus weise. Für ältere Menschen, die nicht weise werden wollen, kann es insbesondere mit dem Sterben schwierig und trostlos werden.“ Und Friedrich Nietzsche hat 1878 in „Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister.“ in der Sentenz Nr. 348 gemeint:„Woran die Weisheit zu messen ist: Der Zuwachs an Weisheit lässt sich genau nach der Abnahme der Galle bemessen!“