David Bauer: «Für wen machen wir das eigentlich?»
Das 281. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit David Bauer, Leiter des Klimalabors bei der «Republik». Er sagt: «Twitter war jahrelang das unbestrittene Zentrum meines Informations-Ökosystems.» Doch das habe sich verändert: «Inzwischen ist das alles etwas verteilter». Es fehle heute «dieser eine Ort, wo sich kluge Menschen in Echtzeit über aktuelle Themen unterhalten.» Die Frage, wie lange es noch Tageszeitungen gibt, sei von allen Fragen, die sich für die Zukunft des Journalismus stellen, «die, die mich am wenigsten interessiert.» Wichtiger sei, dass die Medien den Journalismus endlich aus Produktsicht denken: «Für wen machen wir das eigentlich, und welche Bedürfnisse haben diese Menschen? In welcher Form möchten Menschen Journalismus konsumieren, auf welchen Plattformen?» Die Medien könnten nicht erwarten, dass «Menschen Journalismus aus Pflichtgefühl konsumieren. Wir müssen ihnen immer wieder aufs Neue beweisen, dass sie etwas davon haben.» Und was ist mit der KI? Die könne allenfalls mittelmässigen Journalismus automatisieren. «Was mich viel mehr interessiert: Welche komplett neuen Möglichkeiten ergeben sich, um mit Unterstützung von KI einzigartigen Journalismus zu produzieren, der Wert schafft?»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Zwei kleine Kinder sorgen verlässlich dafür, dass die Welt da draussen bis nach dem Frühstück nicht zu mir durchdringt.
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, LinkedIn, YouTube, TikTok und BeReal?
Twitter war jahrelang das unbestrittene Zentrum meines Informations-Ökosystems. Inzwischen ist das alles etwas verteilter, was durchaus auch seine Vorteile hat. Was aber definitiv fehlt ist dieser eine Ort, wo sich kluge Menschen in Echtzeit über aktuelle Themen unterhalten.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Niemand nennt mich mehr «Onliner» 🙂
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Ich schaue lieber nach vorn. Ich habe mir bei jedem Stellenwechsel auch die Frage gestellt, ob die Medienbranche noch der Ort ist, wo ich arbeiten möchte. Und ich kam bisher stets zum Schluss: Ich arbeite immer noch enorm gerne an der Zukunft und Gegenwart des Journalismus mit.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Selbstverständlich. Selbst ChatGPT würde dem zustimmen.
Was soll man heute unbedingt lesen?
«On Bullshit» von Harry G. Frankfurt kann und sollte man immer mal wieder lesen.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Weglegen ist einfach. Schwieriger ist herauszufinden, ab wann ich weiss, dass das Buch wirklich schlecht ist.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Wenn meine Kinder mich Dinge fragen, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie nicht erklären kann. Interessantes verbirgt sich oft im Alltäglichen, wenn man einfach mal überlegt: Warum ist das eigentlich so?
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Von allen Fragen, die sich für die Zukunft des Journalismus stellen, ist das die, die mich am wenigsten interessiert.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Fake News sind eine Gefahr für die Gesellschaft. Mit generativer KI nimmt das Problem nochmals komplett neue Dimensionen an. Dadurch steigt grundsätzlich der Wert von verlässlicher Information und der Bedarf nach vertrauenswürdigen Quellen. Die grosse Herausforderung ist, damit wahrgenommen zu werden. Brandolini’s Law ist ein fieser Gegner.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Seit vielen Jahren komplett unbedeutend in meinem Medienkonsum.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Zu viele, um einen einzigen hervorzuheben. Für die klügsten, anregendsten Interviews: Ezra Klein Show. Musik: «Song Exploder». Klima: «A Matter of Degrees», «How to Save A Planet». Für Inspiration in der Produktentwicklung: «Startup» von Gimlet, Spotify – «A Product Story», «Lenny’s Podcast». Um tief in überraschende Themen einzutauchen: «Radiolab», «Freakonomics», «Invisibilia», «Search Engine». Auf Deutsch immer mal wieder gerne «Alles gesagt?» und «Deutschland 3000». Und mein Geheimtipp: «How to Be a Girl».
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Es heisst, dass viel zu lange vernachlässigt wurde, Journalismus aus Produktsicht zu denken. Also: Für wen machen wir das eigentlich, und welche Bedürfnisse haben diese Menschen? In welcher Form möchten Menschen Journalismus konsumieren, auf welchen Plattformen? Aber auch: Welche Themen interessieren sie, mit welcher Haltung und Herangehensweise? Wir können nicht erwarten, dass Menschen Journalismus aus Pflichtgefühl konsumieren. Wir müssen ihnen immer wieder aufs Neue beweisen, dass sie etwas davon haben.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Sprachmodelle und künstliche Intelligenz werden den Journalismus und das Geschäftsmodell der Medien in den kommenden Jahren tiefgreifend verändern. Aber vermutlich nicht so, wie wir es heute erwarten. We always overestimate the change that will occur in the next two years and underestimate the change that will occur in the next ten, sagte Bill Gates mal.
Eins scheint mir klar: Mittelmässiger Journalismus lässt sich automatisieren, vielleicht irgendwann auch guter Journalismus. Aber was gewinnen wir damit? Wenn wir das können, können es alle mit Zugang zu KI. Dafür braucht es dann keine Medienhäuser mehr. Was mich darum viel mehr interessiert: Welche komplett neuen Möglichkeiten ergeben sich, um mit Unterstützung von KI einzigartigen Journalismus zu produzieren, der Wert schafft?
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Ich bin mir ziemlich sicher, der Journalismus und die Medienbranche stünden heute besser da, wenn die grossen Verlage nicht viele Jahre damit verschwendet hätten, Vor- und Nachteile der Digitalisierung gegeneinander abzuwägen. Anstatt zu erkennen, dass die Digitalisierung so oder so stattfindet und nur diejenigen eine Chance haben, die sich anpassen.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Vielleicht eher: Eine Förderung, die sicherstellt, dass alle Menschen in diesem Land Zugang zu unabhängiger Information haben, die für sie relevant und nützlich ist, als Bürgerinnen, Konsumentinnen und Menschen. Aber ganz ehrlich: Wie eine solche Förderung konkret ausgestaltet werden kann, weiss ich auch nicht. Ich vermute lediglich, dass es besser ginge als die Zustellung von Printzeitungen zu subventionieren und öffentlich-rechtliche Gelder primär für die Herstellung von Radio und Fernsehen vorzusehen.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Immer dann, wenn ich meine Gedanken sortieren muss.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Donald Trump war und ist eine Gefahr für die Demokratie, weit über die USA hinaus. Und damit natürlich schlecht für die Medien. Irgendwann wird man vielleicht mal zurückschauen und feststellen, dass sich im Umgang mit Donald Trump viele Dysfunktionalitäten der Medien kristallisiert haben – und man daraus gelernt hat.
Wem glaubst Du?
Allen, die sich nicht zu sicher sind.
Dein letztes Wort?
Mein ceterum censeo seit mindestens 2014.
David Bauer
David Bauer leitet bei der «Republik» das Klimalabor. Er arbeitet seit vielen Jahren an der Schnittstelle von Journalismus und Produktentwicklung, mit einer Passion für Bereiche, in denen der Journalismus sein Potenzial nicht entfaltet. Angefangen mit Journalismus im Netz ganz allgemein, später Datenjournalismus und visueller Journalismus, nun Journalismus zur Klimakrise und Journalismus in Zeiten von KI. Nebenbei treibt er mit einem simplen Spiel Millionen Menschen weltweit an den Rand der Verzweiflung, ist aber umgekehrt so nett, dass er jede Woche das ganze Web liest, damit andere es nicht tun müssen.
davidbauer.ch
Basel, 15. Mai 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Seit Ende 2018 sind über 280 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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