Markus Spillmann: «Es ist relevant, dass Menschen selbstbestimmt und kritisch Nachrichten nutzen.»

Publiziert am 11. Dezember 2024 von Matthias Zehnder

Das 311. Fragebogeninterview, heute mit Markus Spillmann, Journalist, Medienmanager und Unternehmer. Er sagt, er möchte «keine Zeit für Provinzielles oder ‹feel-good›-Abwegiges vergeuden», er beginne den Tag lieber mit Fakten. Es sei eine «absurde Entwicklung in unserer sogenannten Wissensgesellschaft», dass Dinge geglaubt werden wollen, die «nachweislich falsch sind». Er findet deshalb, dass wir als Gesellschaft «ein Problem haben, das wir schleunigst angehen sollten: Die Nachrichtenkompetenz fördern, um die Demokratie zu stärken». Fähig zu sein, «in einer immer komplexeren Informationswelt den Überblick zu behalten, zu wissen, was fake, KI-generiert und was noch ‹echt› ist» – das könne man heute nicht mehr «einfach so; auch nicht wir Erwachsenen». Hier entstehe ein «lebenslanger Bildungsauftrag; an Eltern, an Lehrpersonen, aber auch an Unternehmen». Er warnt Verleger davor, sich der KI zu verschreiben. «Warum sollte irgendjemand für so ein Produkt noch etwas bezahlen?» KI könne ein «tolles Arbeitsinstrument» sein, für ein «Qualitätsmedium aber braucht es Menschen, die rausgehen, vor Ort recherchieren, Kontexte erkennen und vermitteln können, analytisch sind und vor allem Primärquellen erschliessen». Braucht die Schweiz dafür eine Medienförderung? «Wir haben sie bereits, seit Jahren! Heisst einfach nicht so, ist es aber.» Die Frage sei vielmehr, «ob wir mehr Förderung brauchen oder vielleicht eine andere. Und ob die bestehenden Instrumente effektiv ihre Ziele erreicht haben, die man einst mit ihnen verband». Stattdessen drehe sich die Diskussion um «SRG vs. Private, Zeitung vs. Online, 4 oder 6 Prozent. Und orientiert sich ausschliesslich an der Vergangenheit». Das sei mit Blick auf die neuen Herausforderungen «keine sehr luzide Vorgehensweise».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich mag keine Zeit für Provinzielles oder «feel-good»-Abwegiges vergeuden, sondern will Fakten, gut geführte Interviews mit Leuten, die etwas zu sagen haben, kluge Analysen und Hintergründe. Daher FAZ und NZZ, dann die Informationssendungen von Deutschlandfunk, BBC, France Info und ein wenig SRF 4. Am Wochenende beim Hundemarsch wenn immer möglich BBC-Weekend.

Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?

Bei Facebook und X zähle ich inzwischen zu den Account-Leichen; auf Youtube bin ich häufig, allein schon für die Live-Berichterstattung zur Vendée Globe; Insta, um zu wissen, was meine Kinder so treiben, und LinkedIn, weil ich muss. Den Rest schenk ich mir.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Turbulent, dramatisch, aufregend, nicht zwingend immer zum Besseren. Gleichzeitig relativiert sich über Zeit einiges auch wieder. Etwa die Furcht, den nächsten Hype zu verpassen. Meistens ist der schon wieder vorbei, wenn die Furcht überwunden ist.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Weder noch. Anders war früher, dass der Druck zur Kommerzialisierung im Journalismus nicht so stark war wie heute. Das hat allerdings auch zu einer gewissen Trägheit geführt. Heute wiederum ist dieser Druck omnipräsent und Trägheit durch konstante Aufgeregtheit abgelöst worden. Guten Journalismus gab es trotzdem: damals wie heute – leider genauso das Gegenteil.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Geschichtsbücher.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lese immer mehrere Bücher parallel: Ist eines schlecht, wird es ersetzt durch ein neues.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Interessante Frage: Steht am Beginn von Interesse nicht immer die Erkenntnis, etwas nicht zu wissen? Ich erfahre Dinge von meinen Kindern, meiner Partnerin, von Freunden, durch Begegnungen, auf Reisen, durch Neugier, beim Lesen, selbst durch meinen Hund. Das weckt nicht immer, aber öfters, mein Interesse.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Nicht mehr lange. Mindestens in den reifen Medienmärkten. Und dazu zählt der hiesige.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Warum für die Medien? Fake News sind gefährlich für unsere Gesellschaft, weil sie dank Sozialen Medien enorme Reichweiten erzielen und zersetzend wirken. Die Wahrnehmung dessen, was faktisch richtig und sachlich nachvollziehbar ist, verschiebt sich. Es ist eine absurde Entwicklung in unserer sogenannten Wissensgesellschaft: Nicht die Tatsache, dass Dinge bewusst behauptet werden, die nachweislich falsch sind. Das gab es schon früher. Nein, dass sie geglaubt werden wollen. Im vollen Bewusstsein, dass sie falsch sind! Das relativiert im dümmsten Fall auch den Stellenwert von Journalismus, vor allem dann, wenn er durch schlechte Leistung Vertrauen verspielt.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Radio ja, Fernsehen bis auf Livesport praktisch nicht mehr.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja. Empfehlenswert die «Ezra Klein Show» der NYT, dann im letzten Jahr «Putin» von BBC Four.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Dass wir ein Problem haben, das wir schleunigst angehen sollten: Die Nachrichtenkompetenz fördern, um die Demokratie zu stärken. Darum haben wir eben usethenews.ch lanciert – die Allianz für Nachrichtenkompetenz. Weil wir glauben, dass es relevant ist, dass Menschen selbstbestimmt und kritisch Nachrichten nutzen, um mündig Entscheidungen zu treffen. Gerade in einer Demokratie wie der unsrigen. Sonst verkommt sie zur Lotterie.

Dabei ist es für mich weniger ein Problem, dass ein Teenager sich noch nicht für Olaf Scholz oder die Finanzierung der 13. AHV-Revision interessiert. Das tut es auch nicht zwingend bei allen Erwachsenen – und war früher auch nicht der Fall. Zumal Jugendliche sehr wohl ihre Informationskanäle haben; es ist einfach nicht mehr das «Tagblatt».

Aber fähig zu sein, in einer immer komplexeren Informationswelt den Überblick zu behalten, zu wissen, was fake, KI-generiert und was noch «echt» ist – das können sie nicht einfach so; auch nicht wir Erwachsenen. Es sind Fertigkeiten, die wir alle lernen müssen. Angesichts des technischen Fortschritts immer wieder von Neuem. Wie Lesen, Schreiben, Rechnen.

Hier entsteht also ein lebenslanger Bildungsauftrag; an Eltern, an Lehrpersonen, aber auch an Unternehmen in diesem Land, die zwingend auf gut ausgebildete Mitarbeitende angewiesen sind. Weil diese, so Schweizer, vierteljährlich zu Abstimmungen und Wahlen gerufen werden. Und damit auch direkt Einfluss nehmen auf die politische Stabilität der Schweiz. Und ja, auch die Politik, die für entsprechende Rahmenbedingungen sorgen sollte. In Bern, in den 26 Kantonen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Wenn Pietro Supino damit meint, dass es sinnvoll und aus seiner Sicht wünschenswert ist, Journalismus durch KI zu ersetzen, dann würde ich von der Hälfte und mehr ausgehen. Was langfristig ein Medienprodukt ersetzlich macht – darum denke ich, hat er das nicht so gemeint.

Warum: KI hat nach heutigem Kenntnisstand das disruptive Potential, viele Arbeitsschritte im Journalismus entweder um ein Zigfaches effizienter oder gar obsolet zu machen. Ergo betriebswirtschaftlich attraktiv angesichts des Kostendrucks. Nur: Warum sollte irgendjemand für so ein Produkt noch etwas bezahlen? Es wäre also den gleichen Fehler zum zweiten Mal begehen: Verleger entwerten den eigenen Inhalt. Um die Jahrtausendwende war es die Gratismentalität im Internet; jetzt ist es der KI-generierte Output. Reproduzierbar. Skalierbar. Wertlos.

Ich plädiere für das Gegenteil: KI ist ein tolles Arbeitsinstrument im Journalismus bei Recherche, Kreation, Produktion. Für ein Qualitätsmedium aber braucht es Menschen, die rausgehen, vor Ort recherchieren, Kontexte erkennen und vermitteln können, analytisch sind und vor allem Primärquellen erschliessen. Dort liegt in Zukunft die Wertschöpfung. Für das Aufkochen von Bekanntem und nach statistischen Wahrscheinlichkeiten Berechnetem braucht es keinen Tages-Anzeiger, auch keine NZZ.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Das ist – sorry – eine eigenartige Frage im Jahr 2024. Als wäre Digitalisierung erst gerade gestern wie ein Gewitter über die Medienlandschaft gezogen. Und was heisst hier «Befreiung»? Jede technologische Entwicklung verändert ein Berufsbild – und die Berufsausübung. Damit verbunden sind Vor-, aber auch gewisse Nachteile. War doch so beim erstmaligen Radiosignal, erneut beim Bewegbild via TV, jetzt ist es halt KI und die Fähigkeit, zunehmend virtuell und synthetisch Information zu vermitteln.

Also weder noch, als Antwort: Es geht um Weiterentwicklung, Neu- und Rückbesinnung. Einige Medienunternehmen kriegen das ganz gut hin, anderen straucheln, dritte sterben. Entscheidend ist aus meiner Sicht etwas anderes: Leistet der Journalismus einen Mehrwert, für den es eine Nachfrage gibt? Bis jetzt tut er das. Und ich sehe nicht ein, warum das in Zukunft nicht mehr der Fall sein sollte.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Wir haben sie bereits, seit Jahren! Heisst einfach nicht so, ist es aber. Die Frage wäre also eher, ob wir mehr Förderung brauchen oder vielleicht eine andere. Und ob die bestehenden Instrumente effektiv ihre Ziele erreicht haben, die man einst mit ihnen verband.

Als Antwort ist politisch zu klären, welchen medialen Output in Form von Zugang, Versorgung, Qualität, Vielfalt wir als Gesellschaft wollen in unserem Land. Wenn wir bei einer nüchternen Analyse zum Schluss kommen, dass dieser Output über Zeit nicht dem entspricht, was wir erwarten, ist zu klären, warum dem so ist. Und was dagegen getan werden kann und soll.

Die Diskussion dreht sich dagegen um SRG vs. Private, Zeitung vs. Online, 4 oder 6 Prozent. Und orientiert sich ausschliesslich an der Vergangenheit. Das ist mit Blick auf die bestehenden und vor allem noch entstehenden Herausforderungen keine sehr luzide Vorgehensweise.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Trump I: Für die NYT super. Trump II: we’ll see – X, Truth Social und Fox stehen jetzt vielleicht eher auf der Sonnenseite.

Trump I&II: Für den Journalismus ganz allgemein schlecht. Wobei daran auch gewisse Journalisten nicht ganz unschuldig sind.

Wem glaubst Du?

Dem Verstand.

Dein letztes Wort?

Danke.


Markus Spillmann
Markus Spillmann hat Geschichte, Politische Wissenschaften und Volkswirtschaftslehre studiert. In den Journalismus ist er beim «Badener Tagblatt» eingestiegen. Ab 1995 arbeitete er für die NZZ als Auslandredaktor, 2002 wechselte er zur «NZZ am Sonntag» und leitete da das Ressort International. Er schreibt, er habe als «Journalist mit Schwerpunkt Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik, mit Einsätzen von Afghanistan bis in den Irak» gearbeitet. «Das macht gelassen.» 2006 bis 2014 war er Chefredaktor der «Neuen Zürcher Zeitung», Leiter Publizistik NZZ und Geschäftsleiter der NZZ AG. Seither amtet er als Verwaltungs- und Stiftungsrat und ist Lehrbeauftragter an Hochschulen im In- und Ausland. Heute ist er Inhaber einer Beratungsboutique im Verbund von KMES Partner in Zürich; derzeit im Mandat Geschäftsleiter von UseTheNews (Schweiz).
https://usethenews.ch/


Basel, 11.12.2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 300 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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2 Kommentare zu "Markus Spillmann: «Es ist relevant, dass Menschen selbstbestimmt und kritisch Nachrichten nutzen.»"

  1. Wünsche mir auch im „reifen“ Medienmarkt Schweiz noch lange Tageszeitungen, lieber Weihnachtsmann du hörst mich….
    Und:
    „Heute sei der Druck zur Kommerzialisierung stärker“. Auf die 4. Frage des Fragebogens fällt immer wieder das Wort „Druck“ in den verschiedensten Formen. Interessant was dazu Hr. Spillmann und alle anderen „Medienmenschen“ sagen. Interessant aber auch, wie es die zwei Vollblutjournalisten Roger Schawinski und sein Gast Lukas Hässig (von Inside Paradeplatz), welcher schon vielen Vernichtungs-Prozessen von Grossbanken widerstand, die ihn mit Riesenschadenssummen welcher er als Einzelmaske nie aufbringen könnte zerstören und so zum Schweigen birngen wollten, in der Sendung „Doppelpunkt“ auf Radio1 vom letzten Sonntag sehen (ab 51:50).
    https://2021.radio1.ch/assets/podcasts/doppelpunkt/radio1-doppelpunkt-20241208-1103.mp3
    Bereichernd – wie der wertvolle „Menschen&Medien“-Fragebogen hier, den man nicht mehr missen möchte.

  2. Die KI halte ich für eine Maschine ohne Gefühl und Herz. Habe diese Woche trotzdem die KI gefragt, was sie als eine Bildungsorganisation für die Zukunft versteht. Und gestaunt. Es entspricht ganz und gar nicht dem, was ich von den Massgebenden der Medien, der Politik, der Verwaltung, der Wirtschaft und der Wissenschaft gewohnt bin, die grossartig und superteuer in der Sackgasse einer Bildung für die Vergangenheit stecken.

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