Larissa Rhyn: «Die Denkarbeit ist das Wichtigste am Journalismus.»

Publiziert am 11. September 2024 von Matthias Zehnder

Das 298. Fragebogeninterview, heute mit Larissa Rhyn, Leiterin der Bundeshausredaktion und stellvertretende Ressortleiterin Inland beim «Tages-Anzeiger». Sie hofft, dass es noch lange genug gedruckte Tageszeitungen gibt, «damit wir ein Finanzierungsmodell finden, das digital das Fortbestehen von kritischem Journalismus erlaubt». Sie ist deshalb überzeugt, dass wir in der Schweiz «leider» eine Medienförderung brauchen und zwar als Ersatz für die heutige indirekte Presseförderung. «Damit die Traditionszeitungen überleben und damit neue journalistische Projekte eine bessere Chance haben. Was aber noch wichtiger wäre: Eine griffige Regulierung, die verhindert, dass Google und AI unsere kostenpflichtigen Inhalte gratis verbreiten – und gleichzeitig monetarisieren, weil unsere Werbekunden ja auch zu ihnen abwandern.» In Sachen KI glaubt sie, dass sich vielleicht die Fleissarbeit des Journalismus automatisieren lässt, aber «die Denkarbeit nicht. Und die Denkarbeit ist das Wichtigste am Journalismus.» Das gilt auch und gerade im Umgang mit Reizfiguren wie Donald Trump. Der sorge, sagt sie, kurzfristig vielleicht für gute Klickzahlen, «aber Diskursverweigerer in Machtpositionen sind nie gut für die Medien».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Der «Tagi» und die NZZ.

Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, Twitter/X, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?

Facebook nutze ich nie und sollte ich löschen. X wird immer absurder und hat an Bedeutung verloren für die Schweizer Politik, aber es fehlt ein guter Ersatz. Auf Instagram bin ich zu häufig, auf LinkedIn zu selten. Und alles andere erspare ich mir (zumindest jetzt noch).

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Ich lese, höre und schaue jetzt auch das, worauf ich eigentlich keine Lust habe.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Die Arbeitsbedingungen waren besser und der Lokaljournalismus war ausserhalb der grossen Städte präsenter. Dafür war das Storytelling schlechter und Geschichten wurden nicht multimedial erzählt.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Selbstverständlich.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Eine Tageszeitung, bezahlte Onlinemedien – alles, womit man guten Journalismus unterstützt.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Früher musste ich sie zu Ende lesen. Jetzt lege ich sie weg.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Von Menschen, die von etwas begeistert sind.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Ich hoffe, lange genug, damit wir ein Finanzierungsmodell finden, das digital das Fortbestehen von kritischem Journalismus erlaubt.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Sie sind eine Gefahr für die Demokratie. Und was die Demokratie gefährdet, gefährdet die Medien.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Live Fernsehen: in Breaking News-Situationen. Lineares Radio: manchmal im Auto. Zum Glück gibt es Replay.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

«Politbüro». Ich bin seit langem Hörerin, seit kurzem diskutiere ich mit. Und das «Echo der Zeit».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Dass wir uns noch mehr darauf konzentrieren müssen, die relevanten Geschichten hinter den News zu finden. Und sie so zu erzählen, dass Junge sie gerne lesen, hören oder anschauen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Die Fleissarbeit schon, die Denkarbeit nicht. Und die Denkarbeit ist das Wichtigste am Journalismus.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Leider ja. Wir brauchen einen Ersatz für die heutige indirekte Presseförderung. Damit die Traditionszeitungen überleben und damit neue journalistische Projekte eine bessere Chance haben. Was aber noch wichtiger wäre: Eine griffige Regulierung, die verhindert, dass Google und AI unsere kostenpflichtigen Inhalte gratis verbreiten – und gleichzeitig monetarisieren, weil unsere Werbekunden ja auch zu ihnen abwandern.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Notizen mache ich fast immer von Hand. So kann ich mir Dinge besser merken.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Kurzfristig mag er für gute Klickzahlen sorgen, aber Diskursverweigerer in Machtpositionen sind nie gut für die Medien.

Wem glaubst Du?

Der zweiten Quelle, die mir etwas unabhängig von der ersten bestätigt.

Dein letztes Wort?

Wenn ihr dürft: Geht wählen und abstimmen. Immer.


Larissa Rhyn
Larissa Rhyn hat Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen studiert und ist als freie Journalistin bei der «Südostschweiz» in den Journalismus eingestiegen. Nach einem Volontariat bei der NZZ war sie Bundeshauskorrespondentin bei der NZZ und bei SRF. Seit rund einem Jahr leitet sie die Bundeshausredaktion des «Tages-Anzeigers» und ist stellvertretende Ressortleiterin Inland beim «Tages-Anzeiger».
https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz


Basel, 11. September 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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