Kaspar Surber: «Wir müssen als Journalist:innen täglich auf der Hut sein vor all den Narrativen.»

Publiziert am 19. Februar 2025 von Matthias Zehnder

Das 321. Fragebogeninterview, heute mit Kaspar Surber, Mitglied der «WoZ»-Redaktionsleitung. Er sagt, für ihn sei Wikipedia das «das eigentliche soziale Medium. Die Fussnoten mit ihren weiterführenden Links sind eine wahre Recherche-Fundgrube.» Er stellt fest, dass es «von allem» spürbar weniger gebe: «Weniger Medientitel, weniger Journalist:innen». Die wirtschaftliche Zusammenlegung habe zu einer «thematische Monopolisierung» geführt, die er zunehmen als Problem empfindet: «dass nur noch die immergleichen Politiker:innen, Expert:innen, Künstler:innen vorkommen». Mehr Sorgen als Fake News macht ihm die Übermacht der PR, ganz gleich, «ob von Parteien, Behörden oder Konzernen. Wir müssen als Journalist:innen täglich auf der Hut sein vor all den Narrativen, Framings und Spins». Dass immer weniger Menschen journalistische Medien konsumieren führe zudem dazu, dass es «keine gemeinsame Basis von Informationen für Diskussionen» mehr gebe und Medienschaffende bei der Berichterstattung «immer weniger Wissen voraussetzen» können.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Das «St.Galler Tagblatt». Ich wohne schon länger in Zürich, da muss ich mich erst recht informieren über die Umtriebe im Osten.

Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?

Ich bin auf Instagram, Facebook und Bluesky aktiv. Sehr oft lese ich auch Beiträge bei Wikipedia, es ist ja das eigentliche soziale Medium. Die Fussnoten mit ihren weiterführenden Links sind eine wahre Recherche-Fundgrube.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Es gibt von allem spürbar weniger: Weniger Medientitel, weniger Journalist:innen, weniger kurze Nachrichten, denen man für einen grösseren Bericht nachgehen könnte.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Zunehmend als Problem empfinde ich die thematische Monopolisierung als Folge der wirtschaftlichen. Dass nur noch die immergleichen Politiker:innen, Expert:innen, Künstler:innen vorkommen.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Auf jeden Fall. Sich im Schreiben zu verlieren ist doch etwas vom Schönsten.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Mehr über die Geschichte, um die Gegenwart zu verstehen. Das beste Buch, das ich im letzten Jahr gelesen habe, war «Killing Hitler» des Historikers Roger Moorhouse. Es ist schon etwas älter, aber eine enorm aufschlussreiche Beschreibung der Nazi-Herrschaft aus der Perspektive der Hitler-Attentäter, darunter auch der Schweizer Maurice Bavaud.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Als Krimileser bin ich es mir gewohnt, schlechte Bücher rasch wegzulegen. Man soll sich nicht bis ans Ende quälen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Was die Musik betrifft: In «Listen up!», dem Popnewsletter von Benedikt Sartorius.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Wir planen auf der «WoZ» einen Relaunch unserer Printzeitung. Bis zur Lancierung hoffentlich!

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Die weit grössere Gefahr im Arbeitsalltag als Fake-News ist die Übermacht des PR: ob von Parteien, Behörden oder Konzernen. Wir müssen als Journalist:innen täglich auf der Hut sein vor all den Narrativen, Framings und Spins.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich höre sehr oft Radio: Zur Information auf SRF1 das «Rendez-vous» und «Echo der Zeit», für gute Musik seit meiner Jugend den Wiener Sender FM4, oft auch GDS.FM aus Zürich, manchmal BBC6 aus London oder Ghetto Radio aus Nairobi. Und immer am Dienstag natürlich die Morgenshow meiner geschätzten Arbeitskollegin Ayse Turcan auf Radio RaBe aus Bern! Am Fernsehen schaue ich Nachrichten, allerdings meist nur auf den deutschen Kanälen.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Oft. Am liebsten den «Dissens»-Podcast von Lukas Ondreka über Kapitalismus, Politik und Gesellschaft.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Diese Zahl macht mir enorme Sorgen, weil es so letztlich keine gemeinsame Basis von Informationen für Diskussionen mehr gibt. Beim Schreiben bedeutet es auch, dass man immer weniger Wissen voraussetzen kann.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Sicher weniger gut als die ewig gleichen Sparprogramme von Pietro Supino.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Ich denke, sie führt vor allem dazu, dass Redaktionen aufgelöst werden und wir uns in einem Influencer-Einzelkämpfertum wiederfinden. Mit den Redaktionen geht der wichtigste Schutzraum für uns Journalist:innen verloren, nach innen wie gegen aussen.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Wir hätten in den letzten Jahren sehr dringend eine umfassende Medienförderung gebraucht. Dass jetzt noch eine kommt, daran glaube ich leider nicht mehr. Stattdessen folgt die für die ganze Branche fatale Halbierungsinitiative, mit freundlichem Flankenschutz unseres Anti-Medienministers. Es ist ein Politikversagen sondergleichen.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Alle Notizen. Am liebsten auf karierte A4-Blöcke, Moleskine ist mir zu vornehm.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Wie alle Narzissten braucht Trump sehr viel Platz und trägt global zur inhaltlichen Monopolisierung der Medien bei. Ich versuche deshalb, Trump möglichst wenig in meine Gedankenwelt zu lassen. Ich kann mir das aber auch leisten, im Gegensatz zu den Migrant:innen in den USA, die von seiner Gewalt unmittelbar betroffen sind.

Wem glaubst Du?

Meiner Freundin.

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Kaspar Surber
Kaspar Surber, 45, ist Mitglied der «WoZ»-Redaktionsleitung. Er schreibt über Politik, Medien und Geschichte, speziell über Asyl- und Migrationsthemen. Surber hat Geschichte und Publizistikwissenschaften studiert. Seine Laufbahn begann er beim Ostschweizer Kulturmagazin «Saiten» und als Konzertkorrespondent für das «St.Galler Tagblatt».
https://www.woz.ch/


Basel, 19.02.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: Florian Bachmann

Seit Ende 2018 sind über 300 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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3 Kommentare zu "Kaspar Surber: «Wir müssen als Journalist:innen täglich auf der Hut sein vor all den Narrativen.»"

  1. In diesem Interview gibt es einige Aussagen, mit denen ich höchst ungern übereinstimme. Sie betreffen die mediale Gleichmacherei, das Ablenkungsmanöver mit der Fake-News-Diskussion oder die Verdummung der Gesellschaft. Daran aktiv oder passiv beteiligt sehe ich insbesondere auch die sogenannten Leitmedien. Sie scheinen mir journalistisch nicht das Gelbe vom Ei, weil und wenn sie tatsächliche Wahrheiten der Welt verschweigen, oder sie gar nicht tiefgründig kennen.

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