Annick Senn: «YouTube ist mein Netflix.»

Publiziert am 26. Februar 2025 von Matthias Zehnder

Das 322. Fragebogeninterview, heute mit Annick Senn, Redaktorin im Team «Neue digitale Inhalte» beim «Tages-Anzeiger» in Zürich. Sie sagt, auf YouTube erfahre sie Dinge, von denen sie nicht gewusst habe, dass sie sie interessieren. Auf TikTok lasse sie sich gerne berieseln. Sie unterdrücke «dabei die Angst zu verblöden». Für «Lifehacks und Meinungen» sei TikTok aber unschlagbar. LinkedIn habe sie ausprobiert, das Business-Netzwerk löse aber «immer noch mehrheitlich unangenehme Gefühle» aus. Auf die Frage, wie lange es noch gedruckte Tageszeitungen gebe, sagt sie: «Keine Ahnung. Ich lese nur noch digital, meine Mutter übrigens auch. Vielleicht also nicht mehr 200 Jahre. Wäre das so schlimm?» Sie verstehe sich und ihr Umfeld besser, «seit ich digital ganz viel verschiedenen Menschen, Geschichten und Kanälen zuhören kann». Die digitalen Möglichkeiten und was die Menschen damit machen, «bereichern mein Leben». Für eine Journalistin seien die Möglichkeiten auch eine Befreiung. «Jetzt kommt es darauf an, was die Schweizer Medienlandschaft weiter damit macht.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich wache mit Musik auf. Da sich meine «Morgenroutine» unter der Woche auf etwa 20 Minuten beschränkt, scrolle ich erst im Bus zur Arbeit durch den «Tagi» und den «Blick», damit ich einen ersten Eindruck habe.

Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?

Facebook: Habe ich nur noch jobbedingt ein anonymes Profil.
X, Bluesky, Threads und Mastodon: Nope.
Instagram: Hier kann man die Party von meinem besten Freund, ein neues Projekt oder Alltagsabsurditäten aus meinem Leben verfolgen.
TikTok: Lasse ich mich gerne berieseln und unterdrücke dabei die Angst zu verblöden. Für Lifehacks und Meinungen unschlagbar.
LinkedIn: Habe ich versucht gescheit zu nutzen aber löst immer noch mehrheitlich unangenehme Gefühle aus.
Und YouTube ist mein Netflix.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Ich muss viel bewusster Pausen einlegen. In den Ferien lege ich Zeitungen auch mal ganz weg. Und ich kann keine Videos mehr anschauen, ohne mir zu überlegen, was ich davon mitnehmen kann und was man hätte anders, besser oder schlechter machen können. Das nervt.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Es war anders? Für mich als junge Frau ist es jetzt wohl besser.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Etwas, das man nicht aus Pflichtgefühl liest, sondern aus echtem Interesse und aus Freude. Mir hat «Hund, Wolf, Schakal» von Behzad Karim-Khani letztes Jahr Freude gemacht. Oder «Hässlichkeit» von Moshtari Hilal. Es gibt wahrscheinlich eine intelligentere Antwort auf diese Frage. Mir ist sie nicht eingefallen.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Weglegen. Siehe Antwort oben dran.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

YouTube. Oder Gespräche mit Menschen, die so begeistert von einem Thema sind, dass man nach einer Stunde plötzlich eine Meinung zu gotischen Wasserspeiern hat.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Keine Ahnung. Ich lese nur noch digital, meine Mutter übrigens auch. Vielleicht also nicht mehr 200 Jahre. Wäre das so schlimm?

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Gefahr. Fake News auch nur ansatzweise etwas Gutes zuzuschreiben, fühlt sich für mich falsch an.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich schaue «Tatort» am Sonntag über SRF-Play. Das wars.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Jaaaa. Die Liste ist lang aber mein Liebingspodcast ist: «Das Wissen SWR». (Da erfahre ich übrigens auch immer von Dingen, von denen ich nicht gewusst habe, dass sie mich interessieren.) Ich höre auch gerne Einschlaf-Podcasts.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Als ich noch an der Uni war, hätte ich vermutlich eine bessere Antwort geben können aber jetzt würde ich einfach mal sagen: Nichts Gutes. Und es bedeutet für mich, dass wir etwas verändern müssen. Mehr Vielfalt auf Redaktionen wäre ein guter Ansatz.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Zumindest sicher nicht ganz.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Dichotomien sind nicht so mein Ding. Weder noch. Ich weiss aber, dass ich mich und mein Umfeld besser verstehe, seit ich digital ganz viel verschiedenen Menschen, Geschichten und Kanälen zuhören kann. Die vielen Möglichkeiten und was die Menschen damit machen, bereichern mein Leben und befreien auch die Art, Dinge zu publizieren. Jetzt kommt es darauf an, was die Schweizer Medienlandschaft weiter damit macht.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Liebesbriefe.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schlecht. Super schlecht. Ausser für meine Meme-Sammlung.

Wem glaubst Du?

Der Wissenschaft und meiner besten Freundin.

Dein letztes Wort?

Alexa, beende das Interview.


Annick Senn
Annick Senn arbeitet als Redaktorin für das Team «Neue digitale Inhalte» beim «Tages-Anzeiger» in Zürich. Sie erzählt Geschichten multimedial und plattformgerecht. Gemeinsam mit Annik Hosmann und Kerstin Hasse hat sie den Podcast «Tages-Anzeigerin» moderiert. Sie studierte «Media Engineering» an der Fachhochschule Graubünden FHGR mit einem Joint-Degree am MaZ.
https://www.tagesanzeiger.ch/


Basel, 26.02.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: Jonathan Labusch

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Ein Kommentar zu "Annick Senn: «YouTube ist mein Netflix.»"

  1. Immer wieder lehrreich. Wusste gar nicht, dass „Tamedia“ ein Team «Neue digitale Inhalte» unterhält. Dies zahle ich mit meinem Jahres – „BaZ“-Abo über 500 Fr. wohl mit. Dachte, dies sei alles auch schon weggesprart worden….
    Auffallend: Praktisch alle Befragten zum Thema „Lineares Fernseh“ (nicht nur hier, auch in „persönlich.com“ oder „Schweizer-Illu“-Interviews) nennen allesamt den „Tatort“. Dies ist wahrscheinlich gesellschaftlich goutiert – ein „Muss“ der braven Bildungsbürger, der „Netten“ und „Anständigen“ welche auch wie alle das „Böse“ in sich tragen und es dort wohl mal raus darf… Ich schaue keine Krimis mehr, Blut, Gewalt, Tod und Morde gibt es schon genug auf der Welt, dies muss nicht auch noch mit D-A-CH-Zwangs-Gebühren-Gelder (oppulent) Dar(nach)gestellt(geäfft) werden… dies meine Meinung.
    Zudem: Die Antwort auf die Frage „Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?“ fiel mit „Ja“ etwas kurz aus, gerne hätte ich die Begründung gehört. Und auch auf die Frage „Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?“ fiel die Antwort mit „Schlecht. Super schlecht. Ausser für meine Meme-Sammlung“ etwas gar kurz aus. Wie kommt dieses „Schelcht“ zustande wäre interessant gewesen…
    Verzeihbar, die Jugendlichkeit lässt dies zu. Denn wer die Frage „Wem glaubst Du?“ noch mit der Antwort „Der WISSENSCHAFT“ und meiner besten Freundin“ entgegnet und noch von Hand Liebesbriefe schreibt muss jung sein….

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