Johannes Hapig: «Einsparpotenziale als unvermeidliche Zukunft zu verkaufen – das ist eine Nebelkerze.»

Publiziert am 13. November 2024 von Matthias Zehnder

Das 307. Fragebogeninterview, heute mit Johannes Hapig, Co-Chefredaktor der Wirtschaftspublikation «m&k – Das Magazin für Markt und Kommunikation». Er gibt zu, dass auch nach dreizehn Jahren in der Schweiz seine erste News-Adresse morgens meist Spiegel.de sei. Er gibt schamhaft zu, dass er «Heavy User» bei TikTok sei. «Wenig entspannt mich so wie der kuratierte Kurz-Content (während ich unseren Leser:innen immer predige, sie sollen meine «Achtseiter» lesen …).» In der Schweiz vermisst er «eine:n Verleger:in vom Format eines A.G. Sulzberger» und sagt: «So jemanden würde ich uns von Herzen wünschen.» Er ist überzeugt, dass «Premium-Produkte» sich noch lange auf Papier halten werden, «ebenso wie Magazine mit ‹Coffee Table Quality›, die man gern zuhause um sich hat». Eine Gefahr sieht er weniger in Fake News, als in «Menschen, die es besser wissen könnten, aber sich in einer ‹Fake-Bubble› eingerichtet haben, die zu ihren Gefühlen und Vorurteilen passt. Diese Gruppe scheint mir kaum noch für Qualitätsjournalismus erreichbar zu sein.» Dass Verleger uns derzeit das Einsparpotenzial durch Einsatz der KI als «unvermeidliche Zukunft» verkaufen, bezeichnet er als «Nebelkerze»: «Die KI wird überall dort schalten und walten, wo wir sie einsetzen.» Noch hätten wir die Möglichkeit für einen kritischen Diskurs, aber «der Damm bricht früher, wenn wir das zulassen».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Nach dreizehn Jahren in der Schweiz ist meine erste News-Adresse morgens meist trotzdem Spiegel.de – mea culpa! Dann aber die NZZ, die UK- und die internationale Ausgabe von «The Guardian» und die «New York Times». Bei «Spiegel» und NYT besitze ich bezahlte Digital-Abonnements, weil mir der Content wirklich hervorragend gefällt. Ich «browse» morgens natürlich nur; längere Artikel merke ich mir meistens für den Abend vor.

Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, Twitter/X, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?

Facebook nutze ich kaum noch, ausser, wenn Erinnerungen an meine Jugend mir ungefragt als Reel angeboten werden. Dann bin ich immer schockiert, wie schlank ich einmal war. X habe ich auch vor Elon Musks Übernahme nie genutzt, ebenso wie Threads und Mastodon. LinkedIn nutze ich regelmässig, YouTube auch – und bei TikTok bin ich, das gebe ich schamhaft zu, «Heavy User» mit mehr als drei Stunden Bildschirmzeit pro Tag. Wenig entspannt mich so wie der kuratierte Kurz-Content (während ich unseren Leser:innen immer predige, sie sollen meine «Achtseiter» lesen …).

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Ich arbeite seit knapp sieben Jahren als Co-Chefredaktor eines Mediums namens «m&k – Das DACH-Magazin für Markt und Kommunikation». Wir haben dem Magazin einen breiteren Wirtschafts- und Gesellschaftsfokus gegeben – als ich anfing, war es ein reines Fachblatt für Marketer und Werbeagenturen – und deswegen sind gerade meine Interviews komplexer, aber auch viel spannender geworden. Durch unsere Expansion nach Deutschland und Österreich Anfang 2024 reise ich ausserdem viel mehr als früher, aber das macht mir Freude. Und ich moderiere häufiger, was meinem persönlichen Geltungsbedürfnis entgegen kommt ;). Insgesamt: Es ist viel mehr Arbeit als früher, aber es macht auch viel mehr Freude.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Ich kann nur auf die vergangenen dreizehn Jahre blicken – als Student, der sich immer stark für Medien interessiert hat, dann als Journalist. Die Schweiz ist von der globalen News-Deprivation und den sinkenden Werbeetats ebenso betroffen wie andere Länder, und mir tun alle Kolleg:innen leid, die für Publisher:innen arbeiten – oder gearbeitet haben – die zwar ordentlich Dividenden aus ihrem Verlag ziehen, parallel jedoch Dutzende Menschen auf einmal auf die Strasse stellen, weil Sparen mit «Innovation» gleichgesetzt wird. Ich mache ungern «name dropping», aber via unsere Medienrubrik haben wir regelmässige, recht konstante Verbindungen zur «New York Times» – und ich traue mir die Einschätzung zu: Eine:n Verleger:in vom Format eines A.G. Sulzberger hat unser Land nicht. Leider. So jemanden würde ich uns von Herzen wünschen.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja. Literatur etwa wird immer eine Zukunft haben – man muss sich nur die Besucher:innenzahlen der diesjährigen Frankfurter Buchmesse ansehen (230’000, ein Anstieg gegenüber den 215’000 des Vorjahres). Auch, was die Presse angeht: Wir werden wohl nie aufhören, Gedanken in schriftlicher Form zum Ausdruck zu bringen; irgendwann vielleicht nicht oder kaum mehr auf Papier, aber dann eben im Netz.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Ich widerstehe der Versuchung, auf unser Magazin oder Deine Website hinzuweisen. Ich empfehle die Bücher von Kurt Andersen, der uns hilft, die USA wirklich zu verstehen – nach Trumps erneutem Wahlsieg sind sie wichtiger denn je, und Andersen ist ein wirklich wunderbarer Autor und Intellektueller. Wer sich für Medien interessiert, dem seien auch die Bücher von Alan Rusbridger ans Herz gelegt – dem ehemaligen Chefredaktor von «The Guardian». Dazu: Die Lyrik von Gottfried Benn und Rainer Maria Rilke. Und schliesslich: Meine Lieblingsromane «Tyll» von Daniel Kehlmann und «Stoner» von John Williams.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Im Studium der Literaturwissenschaft habe ich gelernt: Das Leben ist zu kurz, um sich durch Bücher zu quälen. Ich habe Krieg und Frieden nach einhundert Seiten ins Regal gestellt und nie wieder angefasst – und es so bei etlichen Werken gehalten. Das «Problem» wird dadurch verstärkt, dass ich enorm gerne Bücher kaufe; mich aber oft von Covers und Klappentexten leiten lasse – und später merke, mich «geirrt» zu haben. Wobei, eine Einschränkung gibt es: Der «Zauberberg» von Thomas Mann war über weite Strecken eine Übung in … Geduld … aber nach mehr als eintausend Seiten war ich unglaublich froh, durchgehalten zu haben. Einfach, weil das Ende derart brillant mit den Erwartungen der Leser:innen spielt.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Auf TikTok (ja, leider); via die App Blinkist und via Claude.ai – dort bitte ich die KI regelmässig, mir Dinge vorzuschlagen (Bücher, Musik …) die zu meinen Interessen passen könnten.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

So lange es Menschen gibt, die dafür bezahlen (eine klassische «Nicht-Antwort», oder?). Ich denke: «Premium-Produkte» wie «Die Zeit» oder «New York Times» werden sich am längsten auf Papier «halten», ebenso wie Magazine mit «Coffee Table Quality», die man gern zuhause um sich hat. Um «Vogue» und Co. mache ich mir dementsprechend wenige Sorgen. Natürlich – die Luxusindustrie hat weiterhin Geld für Werbung, was besagten Magazinen hilft.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Die Gefahr sind nach meinem Dafürhalten nicht die Fake News; auch nicht die wenigen Menschen, die darauf wirklich hereinfallen – es sind die Menschen, die es besser wissen könnten, aber sich in einer «Fake-Bubble» eingerichtet haben, die zu ihren Gefühlen und Vorurteilen passt. Diese Gruppe scheint mir kaum noch für Qualitätsjournalismus erreichbar zu sein.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich konsumiere weder das eine noch das andere. Das soll aber kein Urteil über die Qualität der Plattformen sein, sie passen einfach nicht so gut zu meinem Lebensstil.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Es gibt einen Marketing-Podcast der Universität St. Gallen, den ich sehr unterhaltsam finde – «Dirty Deeds Done Well». Ich kenne und schätze allerdings die Protagonist:innen, daher bin ich voreingenommen. Ansonsten höre ich eher «Blinks», also Zusammenfassungen von Büchern in der bereits genannten App Blinkist. Die Jahresmitgliedschaft ist nicht ganz billig, aber lohnt sich sehr.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Siehe oben: nichts Gutes. Ich habe allerdings kein Patentrezept, wie man gegen diesen Fakt angehen könnte. Estlands ehemalige Premierministerin Kersti Kaljulaid sagte mir im Mai in einem langen Gespräch, sie habe sich in ihrer Amtszeit besonders für die Medienkompetenz von Grundschüler:innen eingesetzt – auch, um russische Propaganda zu «kontern». Vielleicht liegt in frühkindlicher Bildung ein Ansatz, den es sich zu verfolgen lohnt. Aber das braucht politischen Willen, finanzielle Ressourcen und entsprechend ausgebildete Lehrer:innen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Roboter-Redaktionen kämen einigen Verleger:innen gerade recht, denke ich. Einsparungspotenziale als unvermeidliche Zukunft zu verkaufen – das ist eine Nebelkerze, da werde ich skeptisch. Die KI wird überall dort schalten und walten, wo wir sie einsetzen. Das «grüne Licht» geben wir Menschen – ein Mal. Danach ist die «Büchse der Pandora» aber geöffnet, und dann machen es auf einmal «alle», um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Noch haben wir die Möglichkeit für einen kritischen Diskurs, aber ich bezweifle, dass selbige noch eine volle Dekade besteht. Der Damm bricht früher, wenn wir das zulassen.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Wenn wir Digitalisierung und KI explizit nicht gleichsetzen, würde ich sagen: Journalismus kann problemlos online stattfinden – obgleich ich ein Print-Nostalgiker bin. Durch die Digitalisierung an sich stirbt er nicht. Ich denke sogar, «individuelle Publishing-Modelle» wie Substack haben einen befreienden Effekt. Jemand will weiter eine Kolumne lesen, deren Autor:in von ihrer/seiner Zeitung entlassen wurde? Dann haben jene Autor:innen die Möglichkeit, für eine kleine Gebühr via Substack zu publizieren und ihre Leserschaft dort zu adressieren – ja: derart sogar ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, eventuell besser als zuvor. Diese Entwicklung finde ich wunderbar.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Definitiv, und wir bräuchten sie auch in anderen Ländern, aber ich verliere die Hoffnung, dass sich da kurzfristig viel bewegt. Insbesondere für mittelgrosse und kleinere Medien gibt es ja auch keine nennenswerte Lobby, die sich in Bern engagiert. Wir haben das gerade spüren müssen, als die Post diskutiert hat, das Porto für Auslandssendungen um den Faktor Fünf anzuheben – für uns wäre das, vor dem Hintergrund unserer Expansion nach Deutschland und Österreich, eine Katastrophe gewesen. Denn wir drucken ja komplett in der Schweiz! Die Entscheidung wurde nun für ein Jahr ausgesetzt, aber ich mutmasse, dass da der Preisüberwacher eine grössere Rolle gespielt hat als unser Branchenverband.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Wenn ich Menschen schreibe, die mir viel bedeuten. Das sind in der Regel auch die einzigen, die meine Handschrift zu entziffern vermögen, weil sie sich daran gewöhnt haben.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er ist ein weiteres Exempel dafür, wie wichtig kritische Medien sind – aber er wird sie systematisch zu destabilisieren versuchen. Die Frage ist, wie weit er damit kommt, was genau er tun will und ob sich ihm jemand entgegen stellt. Die Frage ist auch, was die Rezipient:innen tun. Sprechen sie, zahlen sie, demonstrieren sie sogar für «ihre» Medien? Graydon Carter, einst Chefredaktor der «Vanity Fair» (und Urheber der Aussage, Trump habe winzige Hände) erzählte mir einst: «Jedes Mal, wenn Trump mich auf Twitter beleidigte, stiegen unsere Abonnent:innen-Zahlen.» Würde das in einem «Trump-Amerika 2.0» auch so sein, etwa bei der «New York Times»? Das müsste man abwarten. Ich glaube, die Familie Ochs-Sulzberger würde sich (notfalls auch mit ihren privaten) Ressourcen gegen Einflussnahme von Trump stemmen, bei der «Washington Post» haben wir ja vor der Wahl eindrucksvoll beobachtet, dass Bezos’ Milliarden nicht gleichbedeutend mit Freiheitsliebe und journalistischer Ethik sind.

Wem glaubst Du?

Meinen Eltern, meiner Schwester, meinen Freund:innen und meiner Redaktion. Auch den meisten der enorm engagierten Kolleg:innen «da draussen». Und ich glaube generell – an das Gute im Menschen. Den Luxus dieser Naivität möchte ich mir weiterhin erlauben.

Dein letztes Wort?

Wenn ich darf, würde ich gern die – so überlieferten – wirklichen letzten Worte des englischen Schriftstellers Gilbert Keith Chesterton zitieren: «Der Fall ist nun klar: Es geht um Licht oder Dunkelheit, und jeder muss sich entscheiden, wo er steht.»


Johannes Hapig
Johannes Hapig ist Co-Chefredaktor der Wirtschaftspublikation «m&k – Das Magazin für Markt und Kommunikation», die in Zürich gemacht und in der Schweiz, Deutschland und Österreich vertrieben wird. Er hat zuvor Deutsche Literatur und Philosophie studiert, für den mehrfachen Oscar-Gewinner Arthur Cohn gearbeitet und betreibt neben seiner journalistischen Tätigkeit eine Boutique-Agentur für strategische Kommunikationsberatung.


Basel, 13.11.2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 300 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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