Angela Müller: «Wir müssen auch als Gesellschaft Verantwortung übernehmen.»
Das 306. Fragebogeninterview, heute mit Angela Müller, Geschäftsleiterin von AlgorithmWatch CH und Mitglied der eidgenössischen Medienkommission EMEK. Sie sagt, sie wage keine Prognose, wie lange es noch gedruckte Tageszeitungen gebe. «Für mich persönlich hoffe ich, die Sonntagsausgabe bleibe uns noch eine Weile erhalten, da bin ich durchaus etwas nostalgisch.» Eine wichtige Aufgabe der Medien sieht sie darin, zuverlässige und relevante Informationen bereitzustellen: «Medien mit Qualitätsanspruch haben schon immer eine zentrale Funktion dabei wahrgenommen, Informationen zu prüfen, einzuordnen, bereitzustellen. Diese Funktion müssen und sollen sie auch heute noch wahrnehmen.» Der Zugang zu verlässlicher Information und eine gemeinsame Faktenbasis seien für demokratische Gesellschaften zentral. Es sei besorgniserregend, wenn Menschen, statt journalistische Medien zu konsultieren, «lieber stundenlang Videos auf Plattformen ansehen, deren Algorithmen polarisierende, misogyne oder aufstachelnde Inhalte hochspülen (und, notabene, die Unternehmen dahinter damit Milliarden verdienen)». Sie sagt aber auch, dass wir es «als Gesellschaft so weit kommen lassen. Wir müssen also auch als Gesellschaft Verantwortung übernehmen, dass sich das ändert, dass wir für gesunde öffentliche Debattenräume sorgen, die allen offenstehen.» Angesichts der enormen Machtkonzentration von Online-Plattformen sei es «zentral, dass wir den Spiess umdrehen und ihnen die Spielregeln vorgeben – nicht umgekehrt.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Während des Frühstücks müssen alle fehlen, denn am Tisch widme ich mich meiner Familie. Aber vorher sind es die News im (öffentlich-rechtlichen) Radio und danach ein Mix aus Newsletter-Briefings, E-Papers und Zeitungs-Apps. Je nach Zeit… Und sonntags gibt es Print!
Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, Twitter/X, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?
Sehr schlank – ich nutze keines der genannten privat. Beruflich nutze ich LinkedIn. Twitter, das lange mein Favorit war, wurde so zugrunde gerichtet, dass ich mich da zurückgezogen habe. That’s it.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Oh, ziemlich. Bei meinem ersten Job musste ich ohne Laptop auskommen – ich hatte nur einen Desktop-Computer im Büro. Imagine! Heute piept und pingt es den lieben, langen Tag bei uns allen auf allen Geräten, via Signal, Mail, Slack, Wikis, LinkedIn, …, und dabei vermischen sich globale und private News wild durcheinander – die «New York Times», die Arbeitskollegin, die Schule der Kinder und die Schwester erreichen uns alle ständig, gleichzeitig und auf demselben Kanal. Das ist schön, bereichernd, intensiv – aber manchmal auch ganz schön anstrengend. Und es macht es oft nicht einfacher, den Fokus zu behalten.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Schlechter. Besser. Besser. Schlechter. Anders.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Ja, sie haben Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – und das macht das geschriebene Wort aus.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Geschriebene Worte. In Medien, guten Newslettern, wissenschaftlichen Beiträgen, aber insbesondere auch Literatur. Und Kinderbücher! Und Postkarten! Und …
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Schlechte Bücher muss ich weglegen. Mit Job und Familie ist mir meine rare Lesezeit einfach zu kostbar, um sie zu verschwenden.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
In geschriebenen Worten – zu Ende lesen lohnt sich. Und in gesprochenen Worten – zuhören lohnt sich auch. Beides kommt aber im Strudel des Alltags und des Information Overloads tragischerweise manchmal zu kurz.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Da wage ich keine Prognose. Für mich persönlich hoffe ich, die Sonntagsausgabe bleibe uns noch eine Weile erhalten, da bin ich durchaus etwas nostalgisch. Wie wichtig das aus gesellschaftlicher Perspektive dann auch tatsächlich wäre, sei mal dahingestellt.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Zuverlässige und relevante Informationen bereitstellen, das ist eine Chance für die Medien. Falsche Inhalte sind kein neues Phänomen – auch wenn ihre Verbreitung heute einfacher sein mag – und Medien mit Qualitätsanspruch haben schon immer eine zentrale Funktion dabei wahrgenommen, Informationen zu prüfen, einzuordnen, bereitzustellen. Diese Funktion müssen und sollen sie auch heute noch wahrnehmen. Denn Zugang zu verlässlicher Information und eine gemeinsame Faktenbasis sind für demokratische Gesellschaften zentral.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Ich höre oft und gerne Radio (das passt ganz gut in einen Alltag, in dem man kaum je die Hände frei hat …) – aber nicht linear. Das «Echo der Zeit» ist zum Beispiel ein Fixpunkt, aber selten um Punkt 18 Uhr. TV besitze ich keinen, aber ich wüsste auch nicht, wozu – ich bin bei TV und Radio ziemlich exklusiv öffentlich-rechtlich, da reicht mir die entsprechende App.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Jein. Ich höre sie ab und zu und es gibt einige, die ich sehr gut mag. (Ich bin aber auch regelmässig leicht überfordert mit dem riesigen Dschungel an Angeboten.)
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Natürlich ist das für die Medien keine gute Nachricht, aber insbesondere ist das für unsere Gesellschaft und Demokratie besorgniserregend, wenn Menschen lieber stundenlang Videos auf Plattformen ansehen, deren Algorithmen polarisierende, misogyne oder aufstachelnde Inhalte hochspülen (und, notabene, die Unternehmen dahinter damit Milliarden verdienen). Gleichzeitig haben wir es ja auch als Gesellschaft so weit kommen lassen. Wir müssen also auch als Gesellschaft Verantwortung übernehmen, dass sich das ändert, dass wir für gesunde öffentliche Debattenräume sorgen, die allen offenstehen. Medien und Medienkompetenz spielen dafür eine zentrale Rolle. Aber angesichts der enormen Machtkonzentration von Online-Plattformen ist es auch zentral, dass wir den Spiess umdrehen und ihnen die Spielregeln vorgeben – nicht umgekehrt.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Die Frage stellt sich hier sicher, was man unter Journalismus versteht, welche Rolle er in unserer Gesellschaft spielt – und spielen soll – und welche Funktion die Medien für die öffentliche Meinungsbildung haben. Ob sich investigative Recherchen, Interviews mit von Krieg betroffenen Zivilist:innen oder die historische Einordnung geopolitischer Ereignisse automatisieren lässt, das würde ich zu bezweifeln wagen.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Weder noch. Die Digitalisierung alleine macht erstmal gar nichts, schon gar nicht töten oder befreien. Entscheidend ist, wie die Menschen mit ihr umgehen. Wir sollten Technologie nie unter-, aber auch nicht die ganze Zeit überschätzen.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Ja.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ja! (Aber zu selten, besonders in Anbetracht dessen, dass ich das eigentlich richtig gern tue.)
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Ein Desaster.
Wem glaubst Du?
Der Kraft des guten Arguments.
Dein letztes Wort?
Ich hoffe, das war nicht mein letztes Wort.
Angela Müller
Dr. Angela Müller ist Geschäftsleiterin von AlgorithmWatch CH – einer NGO, die sich dafür einsetzt, dass Algorithmen und KI uns allen zugutekommen, statt nur einigen Wenigen – und Mitglied der eidgenössischen Medienkommission EMEK. Angela Müller hat politische Gremien in der Schweiz, Deutschland und Europa zum Thema KI-Regulierung beraten und wurde 2024 als eine von «100 Women in AI Ethics» weltweit ausgezeichnet. Sie hat Philosophie studiert und in Rechtswissenschaft promoviert.
Basel, 06.11.2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Seit Ende 2018 sind über 300 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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2 Kommentare zu "Angela Müller: «Wir müssen auch als Gesellschaft Verantwortung übernehmen.»"
„Ist oder war Trump gut für die Medien….“
Lange dachte ich, wie oft kommt wohl diese Donald-Leier-Frage noch…
Doch heute ist sie wieder brandaktuell und wird die nächsten 4 Jahre wohl noch nicht ausgelistet…
Und obwohl 99% der (oftmals hoch gescheiten) „Medien&Menschen“-Fragebogen-Berfragten schludirge Antworten wie: „Was ist an Trump schon gut“ oder wie heuer (von Fr. Müller) ein „Desaster“ hingeschmettert bekommt, wurde Donald Trump wieder gewählt, weil er klare Botschaften sendet. Weil er sich auf die Probleme seiner Wähler konzentriert. Wirtschaft. Zuwanderung. Kriminalität. Weil er ein Versprechen für die Zukunft hat. Weil er scheinbar vor nichts und niemandem Angst hat und sich schlicht alles zutraut. Merke (weltweit): Wer sich nicht um die Probleme und Sorgen und Ängste seiner (eigenen!) Bürger kümmert, der wird abgewählt. Und: Wer die beleidigt, die die Probleme laut benennen, der fliegt aus der Kurve. Den Fehler hat Kamala Harris gemacht, denn eigentlich war ihr „Wahlkampf“ nur „den da“ wählt ihr bitte nicht. Sie schimpfte Trump „Faschist“, ja gar „Nazi“, statt sich um die Themen zu kümmern, die die Repuplikanische Partei gross machten. Harris hat versucht, die Probleme wegzulachen. Aber das reicht eben nicht. Und hat allerhöchstens 20 Min. lang gesprochen. Ein wenig wenig. Trump hat 3-Stünder hingelegt, im TV, in Podcasts usw… Nicht schlecht für einen 80 jährigen (z.B. bei Joe Rogan u.v.m.) Wenn’s ernst wird, will man nicht den nettesten Anwalt, sondern den gerissensten. Den, der am meisten für dich herausholt. Den starken Mann, die eiserne Lady. Jemanden, der es mit Putin und dem Chinesen aufnehmen kann. Harris hat ihr Scheitern hinter sich. WIR IN EUROPA HABEN ES NOCH VOR SICH (z.B. die „Goldene Ampel“-Regierung in D….) Wir haben keinen Grund, hochnäsig nach Amerika zu gucken.
Zudem traue ich ihm den Krieg in der Ukraine am ehsten zu beenden zu. Meine Frage zum „Fragebogen“, an welcher ich mir den Kopf zerbreche: Was zählt bloss mehr: „Desaster“-Wortlaut-Antworten oder die Volksmehrheit der grossen USA-Demokratie….
Sie fragen, was mehr zählt: «Desaster»-Wortlaut-Antworten oder die Volksmehrheit der grossen USA-Demokratie. Glauben Sie ernsthaft, man könne über Meinungen und Wahrheiten abstimmen?
Die Frage nach Trump im Fragebogen hat zwei Gründe:
1) die Bewirtschaftung der Aufmerksamkeit mit Trump-Themen durch aufmersamkeitsorientierte Medien, die vor lauter Aufregung über die rassistischen und misogynen Äusserungen von Trump andere Themen vergessen. Trump ist kurzfristig gut für die Klicks, langfristig aber schlecht für die Medien (wie der Zucker für den berühmten Monkey).
2) die Verachtung von Trump für alle Medien, die ihm nicht gerade dienen, die Anti-Inellektualität, seine Verachtung für Wahrheit und Korrektheit. Auch das ist schlecht für die Medien und einen anständigen Diskurs.
Davon abgesehen bin ich einfach traurig, dass sich Hass, Misogynie und Rassismus, wie Trump sie verbreitet, politisch auszahlen. Wollen wir wirklich so miteinander umgehen?