Eva Hirschi: «Ich bin ein Newsletter-Junkie»

Publiziert am 18. Januar 2023 von Matthias Zehnder

Das 212. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Eva Hirschi, Journalistin und Geschäftsführerin des Schweizer Recherche-Netzwerks investigativ.ch. Sie sagt, früher seien die Verhältnisse in den Schweizer Medien wohl angenehmer gewesen. Viel besser seien aber heute die Möglichkeiten von Recherchen «mit all den digitalen Tools für tiefgründige Nachforschungen oder Verifikationen von Nachrichten, Fotos und Videos». Hirschi findet es wichtig, dass sich die Medien so anpassen, dass sie auch die jüngeren Generationen abholen: «Der Journalismus muss sich zusammen mit der Gesellschaft wandeln.» Auf die Frage, ob die Schweiz eine Medienförderung brauche, antwortet sie: «Es wäre schön, bräuchte es sie nicht». Eine breit aufgestellte und diversifizierte Medienlandschaft komme aber wohl nicht ohne Förderung aus: «Thoughts are free, information is not.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich lese den Newsletter «NZZ Briefing» oder höre – da ich in Lausanne wohne – die RTS-Sendung «La Matinale».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Facebook nutze ich kaum noch, Instagram habe ich vor allem während meiner vierjährigen Weltreise von 2016 bis 2020 intensiv bespielt, inzwischen bin ich aber hauptsächlich auf Twitter aktiv.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich lese noch kritischer als vorher.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Einiges war besser, wie etwa weniger Druck, mehr Zeit für Beiträge, einfacherer Zugang zu Personen in höheren Positionen. Aber viele Dinge sind heute besser, insbesondere, was die Möglichkeiten von Recherchen angeht mit all den digitalen Tools für tiefgründige Nachforschungen oder Verifikationen von Nachrichten, Fotos und Videos. Als Geschäftsführerin des Recherche-Netzwerks investigativ.ch wird mir immer wieder bewusst, was für unglaubliche Recherchen mit der heutigen Technologie möglich sind.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Auf jeden Fall; in all ihren verschiedenen Formen und Formaten.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Zurzeit lese ich vor allem Bücher von inspirierenden Journalistinnen auf Reisen. Etwa «Unsichtbare Mauern» von Hella Pick, «Die Weltbürgerin» über Alma Karlin, «Nehmt mich bitte mit. Eine Weltreise per Anhalter» von Katharina von Arx, «Turkestan solo» von Ella Maillart oder «Das glückliche Tal» von Annemarie Schwarzenbach.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Bei manchen Büchern brauche ich etwas Zeit, um richtig einzutauchen, aber wenn mich ein Buch bis zur Hälfte nicht überzeugen konnte, lege ich es weg.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In Gesprächen. Und: Ich bin ein Newsletter-Junkie.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Wohl noch ein paar Generationen, aber vielleicht nicht mehr unbedingt mit kurzen Nachrichten, sondern eher mit hintergründigen Artikeln oder schönen Lesestücken. Tageszeitungen könnten dadurch vielleicht langsam durch Wochenzeitungen oder -Magazine abgelöst werden.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Gefahr, da sie viel Unheil anrichten können, aber für Medien gleichzeitig auch eine Chance, sich (erneut) als seriöse Gatekeeper für verifizierte Nachrichten zu positionieren und damit das Vertrauen in die Medienmarke zu stärken.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Höchstens die RTS-Sendung «La Matinale» höre ich noch live, aber selbst das «Echo der Zeit» höre ich als Podcast später am Abend. Fernsehen schaue ich so gut wie nie live. Gewisse Sendungen wie «Einstein», «SRF DOK» oder «NZZ Format» schaue ich ebenfalls dann, wann es mir passt.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Vor allem die SRF-Sendungen «Echo der Zeit», «Tagesgespräch» und «International». Zwischendurch aber auch «Eine Stunde History» von Deutschlandfunk Nova, der «Alpen-Podcast» der ZEIT oder «Vivons heureux avant la fin du monde» von Arte Radio.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Hoffentlich ein Warnsignal wie auch eine Motivation, den Journalismus so anzupassen, dass er auch die jüngeren Generationen abholt. Der Journalismus muss sich zusammen mit der Gesellschaft wandeln.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Nein.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Zur Befreiung des Journalismus, da neue Formate möglich sind und Medien dank Smartphones etc. eine ganz andere Präsenz haben können als reine Printmedien.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Es wäre schön, bräuchte es sie nicht, aber für eine diversifizierte, unabhängige und demokratierelevante Medienlandschaft von hoher Qualität scheint sie mir zumindest zurzeit notwendig. Thoughts are free, information is not.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja! Notizen bei Interviews (ich finde es schrecklich distanziert, wenn Journis bei Interviews ihren Laptop zücken), ausserdem schreibe ich regelmässig Postkarten aus dem Ausland oder zu Weihnachten und Geburtstagen. Ich habe sogar meinen eigenen Wachssiegel-Stempel.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Herausforderungen sind immer gut.

Wem glaubst Du?

Im Sinne des Fact-Checkings: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Dein letztes Wort?

Mein Motto als Journalistin frei nach Antoine de Saint-Exupéry: Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.


Eva Hirschi
Eva Hirschi ist in Bern aufgewachsen und hat in Genf Internationale Beziehungen sowie Kommunikation studiert. Ihre ersten journalistischen Erfahrungen sammelte sie beim Jugendmagazin Tink.ch, bei NZZ Campus und beim Bundeshaus-Radio. Sie reiste als freie Reporterin während vier Jahren um die Welt. Seit Mitte 2020 lebt sie in Lausanne und berichtet hauptsächlich über die Romandie. Letztes Jahr erschien ihr Reiseführer «Die Romandie entdecken» beim K-Tipp. Eva Hirschi ist Geschäftsführerin von investigativ.ch (20%) und arbeitet zurzeit an ihrem ersten Dokumentarfilm.
https://investigativ.ch/


Basel, 18. Januar 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 200 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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2 Kommentare zu "Eva Hirschi: «Ich bin ein Newsletter-Junkie»"

  1. Einmal mehr jemand aus der Medienwelt, die genau zu wissen scheint, welche Infos sogenannte Fake News sind. Ähnlich wie auch bei den sogenannten Verschwörungstheorien: wo ich aber noch nie von jemand gehört oder gelesen habe, dass, was er oder sie als eine solche bezeichnet hat, sich im Nachhinein als gar keine herausgestellt hat.

  2. E. Hirschis Motto als Journalistin nach Antoine de Saint-Exupéry: „Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.“
    Mein Motto frei nach Ueli de Kéllèr: „Perfekt ist defekt.“

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