Beat Rüdt: «Was Roboter nicht können, ist Missstände aufdecken»

Publiziert am 25. Januar 2023 von Matthias Zehnder

Das 213. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Beat Rüdt, Studienleiter für Visuelle Kommunikation der Schweizer Journalistenschule MAZ. Rüdt nutzt Facebook, Twitter und Instagram täglich und sagt, vermehrt komme auch TikTok zum Einsatz: «Ich sehe hier einerseits, was die Menschen in meiner Bubble beschäftigt, andererseits interessieren mich neue Formate, mit denen Nachrichten vermittelt werden.» Er selbst experimentiert mit Nachrichtenavataren auf TikTok. Gedruckte Tageszeitungen sieht er mit der letzten Zeitungsdruckmaschine untergehen: «Ich glaube nicht, dass derzeit ein Verlag in ein neues Druckzentrum investieren wird.» Rüdt sieht in der Digitalisierung eine grosse Chance, «weil sie es den Journalistinnen und Journalisten ermöglicht, sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren – unter der Voraussetzung, dass sie die neuen Möglichkeiten kennen und auch anwenden können».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Bei Frühstück versuche ich, mich von Smartphone und Zeitungen fernzuhalten und Gespräche mit meinen Kindern zu führen. Wenn ich alleine bin lese ich «Die Zeit», am liebsten die Artikel mit Schweiz-Bezug.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Ich nutze die Plattformen täglich, wobei vermehrt auch TikTok zum Einsatz kommt. Ich sehe hier einerseits, was die Menschen in meiner Bubble beschäftigt, andererseits interessieren mich neue Formate, mit denen Nachrichten vermittelt werden. Und ich experimentiere auf den Plattformen auch immer wieder mit neuen Formaten, zurzeit zum Beispiel mit Avataren der Plattform elai.io, mit denen ich auf TikTok Meldungen verbreite.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich habe mich zu Beginn sehr stark mit der Entwicklung der Fallzahlen beschäftigt und habe versucht, mich möglichst umfassend zu informieren. Mit der Zeit hat das zu einer News-Müdigkeit geführt, die bis heute anhält. Ich konzentriere mich vermehrt auf Medien, die mehr Hintergrundinformationen liefern, als auf Breaking News.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Seit ich um die Jahrtausendwende als Redaktor bei der Appenzeller Zeitung in den Journalismus eigestiegen bin, habe ich bei den Verlagen nur sinkende Abozahlen und Sparrunden erlebt. Lange Zeit waren die Auswirkungen nur, dass man für mehr Aufgaben immer weniger Zeit hatte, und das sah und sieht man den Produkten an. Heute allerdings kann ich beobachten, dass vermehrt spezialisierte Teams gebildet werden, etwa im Datenjournalismus, für aufwändige Recherchen oder für Umweltthemen. Als Resultat nehme ich wahr, dass wieder vermehrt eigenständige und hochrelevante Geschichten publiziert werden.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Unbedingt. Nur bei geschriebenen Worten hat das Publikum die Möglichkeit, Geschichten im eigenen Tempo zu konsumieren, was eine willkommene Abwechslung zu den immer schneller werdenden kurzen Videoformaten in den sozialen Medien ist.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Möglichst vieles, aus verschiedenen politischen und sozialen Perspektiven. Das hilft, die eigenen Meinung zu hinterfragen und Menschen zu verstehen, die gegenteilige Meinungen vertreten.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lese fast alle Bücher zu Ende, auch wenn ich mich schwer tue. Gerade habe ich mich durch «Blutbuch» von Kim de l’Horizon gekämpft. Das erste Drittel bestenfalls provokativ, das zweite teils langfädig, und erst nach dem letzten Drittel habe ich verstanden, warum das Buch vielerorts gelobt wird.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In «Reportagen». In jeder Ausgabe hat es mehrere Geschichten zu Themen, die mir fremd sind und die mir ein besseres Verständnis dafür geben, wie Gesellschaften lokal oder global funktionieren oder eben nicht funktionieren.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Bis die letzte Zeitungsdruckmaschine ihren Lebensabend erreicht hat. Ich glaube nicht, dass derzeit ein Verlag in ein neues Druckzentrum investieren wird.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Wenn eine Redaktion seriös arbeitet und ihre Quellen überprüft, erkennt sie Fake News und kann sie entlarven. Das sehe ich als Chance wenn man bedenkt, dass sich viele (vor allem junge Leute) jenseits der klassischen Medien informieren.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Das kommt in meinem Medienmix kaum mehr vor. Wichtige Live-Events streame ich via Computer direkt von der Quelle.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Selten bis nie.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Ich schliesse daraus, dass die Medienhäuser die Kanäle nicht bedienen, auf denen sich diese Altersgruppe tummelt. Im Moment stösst man in den Video-Feeds auf TikTok, Instagram und YouTube vermehrt auf redaktionelle Newsbeiträge. Ich bin gespannt, ob das dazu beiträgt, dass die

Anzahl der News-Deprivierten in der erwähnten Altersgruppe wieder abnimmt.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ein Matchbericht oder eine Text über die aktuelle Entwicklung an der Börse kann ein Roboter schon heute problemlos verfassen. Was Roboter nicht können, ist Missstände aufdecken, recherchieren und neue, überraschende Zugänge zu Themen finden. Im Idealfall nehmen Textroboter den Journalistinnen und Journalisten Routinearbeiten ab, so dass sie mehr Zeit für die Recherche haben.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Digitalisierung ist eine grosse Chance, weil sie es den Journalistinnen und Journalisten ermöglicht, sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren – unter der Voraussetzung, dass sie die neuen Möglichkeiten kennen und auch anwenden können. Wichtig ist auch laufend zu beobachten, was die Digitalisierung für das Zielpublikum bedeutet, wie sich der Medienkonsum wandelt und was das für die Verbreitung der Inhalte bedeutet.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja. In einer Demokratie braucht es unabhängige Medien, die beobachten, einordnen und aufdecken. Die anhaltende Medienkonzentration hat sich negativ auf die Vielfalt der Berichterstattung zu einem Thema ausgewirkt. Eine breite Medienförderung könnte hier Gegensteuer geben und vor allem auch Gelder für Projekte jenseits der klassischen Kanäle (Print/Radio/TV) freigeben.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ich schreibe meine Notizen fast ausschliesslich von Hand und verliere dann viel Zeit beim Entziffern dieser Notizen.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Ich glaube, dass die Art wie Trump mit den Medien und insbesondere auch den sozialen Medien umgeht, vielen Meschen vor Augen geführt hat, wie wichtig es ist, dass Aussagen überprüft und eingeordnet werden. Das muss eine Kernkompetenz der Medien sein und zahlt auf ihre Glaubwürdigkeit ein.

Wem glaubst Du?

Einzelnen Journalistinnen und Journalisten, deren Arbeit ich über längere Zeit beobachten konnte. Und dann tendenziell den Medien, für die sie arbeiten. Und auch Fachpersonen, die sich frei zu Themen äussern, die ihr Fachgebiet betreffen.

Dein letztes Wort?

Immer offen bleiben für neue technologische Entwicklungen und deren Nutzen für die Medien.


Beat Rüdt
Beat Rüdt ist Studienleiter für Visuelle Kommunikation der Schweizer Journalistenschule MAZ und freischaffender IT-Journalist. Er hat seine Sporen im Lokaljournalismus abverdient (Appenzeller Zeitung), war später IT-Journalist beim PCtipp und Redaktionsleiter bei bernerzeitung.ch. Die Familienarbeit (vier Kinder) teilt er sich mit seiner Frau gleichwertig auf.


Basel, 25. Januar 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 200 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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