Beatrice Kern: «Menschlichkeit kann nicht automatisiert werden»

Publiziert am 25. Oktober 2023 von Matthias Zehnder

Das 252. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Beatrice Kern, Moderatorin bei SRF 2 Kultur. Sie sagt, Radio habe eine Kraft, die kein anderes Medium habe. «Kein Medium kann so nah an sein Publikum herankommen wie Live-Radio», ist Beatrice Kern überzeugt. «Wir sind da, wenn vielleicht sonst niemand da ist.» Das sei auch eine riesige Verantwortung: «Im Lockdown habe ich das ganz fest gespürt, wie uns unsere Hörerinnen und Hörer an den Lippen gehangen sind. Nie vorher und nie nachher bin ich mir mehr systemrelevant vorgekommen.» Beatrice Kern liebt nicht nur das Radio, sondern auch Podcasts: «Da lerne ich immer wieder etwas Neues.» Früher liebte sie auch Twitter. Heute bricht es ihr das Herz, dass X zur «Selbstverwirklichungsmaschinerie eines Milliardärs und Echokammer von Verschwörungstheorien» geworden ist.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich fange schon vor dem Frühstück mit den Medien an. Je nach Moderationsschicht weckt mich der Radiowecker etwas früher oder später. Seit Jahrzehnten läuft da SRF 3. Spätestens zum «Heute Morgen» wechsle ich dann auf SRF 2 Kultur. Noch im Bett klicke ich mich durch die unterschiedlichsten (Digital-)Zeitungsangebote von «Bajour» bis «Guardian».

Während des Frühstücks läuft bei mir das Radio. (Meistens SRF 2 Kultur, aber nicht nur) Da höre ich mich rein in die Welt und werde in den Tag begleitet.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, YouTube, TikTok und BeReal?

Lange bevor ich Radio gemacht habe, war ich schon aktiv in den sozialen Medien unterwegs. Angefangen mit einem Blog, der mich durch die Zeit des Studiums begleitet hat, bin ich via Facebook und Twitter bei Instagram gelandet. Da bin ich zurzeit am aktivsten.

Früher habe ich Twitter geliebt, habe da auch Freund:innen fürs Leben gefunden. Dass diese Plattform heute als Selbstverwirklichungsmaschinerie eines Milliardärs und Echokammer von Verschwörungstheorien herhalten muss, bricht mir das Herz.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich fürchte, das Corona-Virus hat meine Bildschirmzeit exponentiell steigen lassen, speziell während des Lockdowns. Heute habe ich das recht konstant im Griff, wenn auch immer noch im hochstündigen Bereich.

Diese ganz spezielle Zeit hat mir wieder vor Augen geführt, wie wichtig Qualitätsmedien für eine funktionierende Demokratie sind. Fundiert recherchierter Journalismus ist nicht nur in Krisenzeiten elementar wichtig.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Anders.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Ja. Das geschriebene Wort verändert sich mit der Zeit, doch verschwinden wird es nicht. Davon bin ich fest überzeugt.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Neuste Literatur mindestens genauso wie Klassiker mit der Brille von heute.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Wenn mich ein Buch nicht überzeugt, dann darf es ruhig in der Ecke landen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Wenn ich mal meine Bubble verlasse. Sei das, wenn ich andere Radiosender höre, mich in neue Podcasts vertiefe oder mal jenseits des Algorithmus im Internet unterwegs bin. Und ganz oft im Gespräch mit lieben Menschen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Noch lange. Auch wenn ich zugeben muss: Gedruckte Zeitungen lese ich am Wochenende oder in den Ferien. Sonst lese ich meist digital.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Sie fordern die Medien heraus, das Beste zu geben und über sich herauszuwachsen. Daher wohl eher eine Chance.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Das Radio hat eine Kraft, die kein anderes Medium hat. Kein Medium kann so nah an sein Publikum herankommen wie Live-Radio. Wir wecken die Menschen, kriechen zu ihnen ins Bett, begleiten sie durch den Tag. Wir teilen den Moment mit dem Publikum. Wir sind da, wenn vielleicht sonst niemand da ist. Das ist eine riesige Verantwortung. Im Lockdown habe ich das ganz fest gespürt, wie uns unsere Hörerinnen und Hörer an den Lippen gehangen sind. Nie vorher und nie nachher bin ich mir mehr systemrelevant vorgekommen.

Live Fernsehen schaue ich schon länger praktisch gar nicht mehr.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

So sehr ich das live Radio liebe, so sehr höre ich auch liebend gerne Podcasts. Da lerne ich immer wieder etwas Neues. Einer meiner Favoriten ist da: «Servus, Grüezi und Hallo» oder aktuell gerne auch «Sunset Club». Wenn ich richtig viel Zeit habe (beim ausgiebigen Kochen für Freund:innen zum Beispiel), dann gerne auch «Alles gesagt».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Eine riesige Herausforderung, die es zu meistern gilt. Dass dies klappen wird, davon bin ich eigentlich überzeugt. Man muss die «Jungen» halt da abholen, wo sie sind.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Dass Börsendaten oder Sportartikel automatisiert werden, ergibt durchaus Sinn. Bei Recherche-Journalismus und da, wo Kreativität gefragt ist, sehe ich kein Potenzial für automatisierten Journalismus. Die Menschlichkeit kann nicht automatisiert werden.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Die Optimistin in mir hofft, dass wir von einer Befreiung reden. Ob sie das auch glauben kann, ist eine andere Frage.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

In unserem kleinen Land mit seinen vier Sprachen auf alle Fälle.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, ab und zu. Es ist aber wirklich selten geworden. Meistens sind es Postkarten aus den Ferien an meine Neffen.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Er hat die Medien herausgefordert. Vielleicht war das ja tatsächlich gut, ABER, er hat Fake News auch salon-fähig gemacht …

Wem glaubst Du?

Meinem Bauchgefühl.

Dein letztes Wort?

John Lennon hat mal gesagt: «Life is what happens to you while you’re busy making other plans.» Das ist mein Lebensmotto und das lässt sich bestens auch auf die Medienwelt übertragen.


Beatrice Kern
Beatrice Kern hat in Basel und Berlin Anglistik und Germanistik studiert. Während und nach dem Studium hat sie in der freien Theaterszene als Dramaturgie- und Regieassistentin gearbeitet. Nach Stationen bei Livingroom.fm, Radio Basel und Radio X ist Beatrice Kern seit 2015 als Moderatorin bei SRF 2 Kultur tätig.
https://www.srf.ch/radio-srf-2-kultur


Basel, 25. Oktober 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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5 Kommentare zu "Beatrice Kern: «Menschlichkeit kann nicht automatisiert werden»"

    1. 36,6% der Schweizer Wohnbevälkerung gehören zu den so genannten Newsdeprivierten. Quelle: Jahrbuch Qualität der Medien 2022, S. 43, siehe hier: https://www.foeg.uzh.ch/dam/jcr:e38aba0b-4d51-4b89-a087-ec7d346ed317/JB_2022_online_gesamt_20221206.pdf

      Ach ja, hier noch die Definition: Für «News-Deprivierte» ist ein unterdurchschnittlicher News-Konsum über alle Medien hinweg typisch. Vereinfacht ausgedrückt, beinhaltet dieser Repertoiretyp Personen, die sämtliche Medien unterdurchschnittlich zu Newszwecken nutzen. Wenn News konsumiert werden, dann über gratis verfügbare Online- oder Social-Media-Angebote. Klassische Printmedien fallen als News-Quellen vollständig weg. News-Deprivierte kommen weniger vor als in der Gesamtbevölkerung, doch auch in der Stimmbevölkerung machen sie die grösste Gruppe aus. (JdM 2022, S. 42)

  1. Danke für diese Infos. Depriviert sein scheint mir zu bedeuten, an einem Mangel zu leiden, etwas entbehren zu müssen. Zumindest subjektiv dürfte dies aber nicht zutreffen. Menschen, die keine Medien konsumieren, fehlt aus ihrer Sicht nichts. Heikel finde ich in diesem Jahrbuch auch die Zuweisung von Qualität. Bei mir war es so, dass ich drei Zeitungen, die ich abonniert hatte (BaZ, BZ und NZZ), nicht mehr haben wollte. Und dies nach jeweils intensiven Auseinandersetzungen mit den Redaktionen: Weil sie über aus meiner Sicht wichtige (politische) Themen gar nicht, oder nur einseitig berichtet hatten, aber dies nicht so sehen wollten.

    1. Lieber U. Keller
      Ich empfinde: Qualität wird zugewiesen oder (das Gegenteil davon wäre) abgesprochen.
      Von diesem Zug bin ich längst abgesprungen.
      Zu viele Faktoren, Ideologien, Ansichten, Facetten, Wortdrehungen, Lücken, „zwischen den Zeilen stehendes“ usw… im Medienbereich können gar nicht eine objektive Beurteilung ermöglichen.
      Schon in der Schule quittierte die Lehrperson die Aufsätze (nebst Schreibfehlern) mit dem WAS drin stand, haben die abgesonderten Meinungen der Lehrperson „gepässelt“? Und auch der schlechteste Schüler aus der hintersten Bank checkte, wie man für den Aufsatz bei der „Lehrerin und SP-Grossrätin“ vom Schulhaus Bestnoten bekam: Mit sozialem Inhalt, mit „Alle Menschen und Völker sind Brüder“ (oder noch besser Schwestern) und „das jegliche Grenzen fallen sollten.“ Forderte man ein härteres Regime gegen Straftäter oder lobte das Polizeiwesen, sackte die Notenzahl rasch ab. Unvergesslich. Gab es „Freie Themenwahl“ waren Umweltthemen zu empfehlen, fremde Kulturkreise und Porträts von (ausschliesslich) klassischen Musikussen.
      Wählte man Themen wie „Der Turbolader im Motor“, „Autorennsport im Deutschland“ oder gar „Einwanderungsproblematiken“ war ein Ungenügend vorprogrammiert. Und was ist die Schule: „Ein Abbild der Gesellschaft“….
      (das Gegenteil war natürlich eine Rechenarbeit, die man anhand von richtig oder falschen Zahlen/Ergebnissen qualitativ bemessen konnte.)
      Warum soll jetzt plötzlich alles anders sein, denn wie sang schon Willy Millowitsch? „s‘ war immer so; s‘ war immer so“….

  2. Die Schweizer Medien seien «so gut wie lange nicht mehr». Das behauptet eine Analyse der Universität Zürich. Warum konsumieren dann 43 Prozent der Schweizer gar keine Medien mehr?
    Das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft an der Universität Zürich hat die neue Ausgabe des «Jahrbuchs Qualität der Medien» vorgelegt. Dieses beurteilt regelmässig, wie gut Schweizer Medien arbeiten, indem Zeitungstexte, Radio- und Fernsehsendungen analysiert werden.
    Die Forscher geben den Medien für das Jahr 2023 die besten Noten seit 2015, als die Untersuchung erstmals durchgeführt wurde. Der Journalismus konzentriere sich seit Corona und dem Ukraine-Krieg vermehrt auf relevante Themen und ordne stärker ein, so das Urteil.
    Besonders gelobt werden Formate des Schweizer Fernsehens…… Aber auch den Boulevardzeitungen attestiert das Forschungszentrum beispielsweise, qualitativ zugelegt zu haben.
    Die Qualitätsprüfung ist allerdings eine Analyse am Konsumenten vorbei. Denn gleichzeitig wächst die Zahl der sogenannten «News-Deprivierten». 43 Prozent der Schweizer Bevölkerung konsumieren laut dem Jahrbuch so gut wie keine Zeitungen, Radio oder TV.
    Das Produkt wird immer besser….., aber immer weniger Leute wollen es?
    Es gibt eine andere mögliche Begründung für den scheinbaren Widerspruch. Vielleicht haben die Beurteilungskriterien der Zürcher Forscher einfach nichts mit dem zu tun, was die Leser, Zuschauer und Zuhörer unter Qualität verstehen. Sprich: Die UNI, die FORSCHER verstehen etwas anderes unter QUALITÄT als die Leser/innen.
    Was ist jetzt wichtiger? Die THEATERintendanten verstehen oft auch was anderes von der (eigenen) Darbietung als die BESUCHER/innen im leeren Theatersaal.
    Was kann denn wohl hier helfen?
    Die Linken haben da ein Rezept: Medienförderung. So kann weitergemacht werden wie bis anhin und die eh (störenden) Leser/innen brauchts dann gar nicht mehr….
    (Ironie off…..)

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