Emanuel Gisi: «X, ehemals Twitter, wird gefühlt jeden Tag dümmer»

Publiziert am 18. Oktober 2023 von Matthias Zehnder

Das 251. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Emanuel Gisi, Sportchef beim «Blick». Er sagt, wenn er Twitter nicht für seinen Job bräuchte, «wäre ich wohl schon weg». Instagram sei auch nicht besonders schlau, aber wenigstens schön bunt. «Vielleicht fange ich irgendwann an, Fotos vom Wandern hochzuladen und werde Wanderinfluencer.» Sportreporter seien «schon vor der Pandemie seltener in der Redaktion» gewesen. Mit all den hybriden Sitzungen seien sie noch weniger vor Ort. «Aber es ist mir wichtig, dass sich das Team regelmässig zum Austausch trifft.» Er plane deshalb die Einführung eines Team-Tages für die Sportredaktion. «Weil die besten Ideen halt eben doch entwickelt werden, wenn man sich in Fleisch und Blut gegenübertreten kann.» Publizistisch findet Gisi die Digitalisierung nicht schlecht: «Ein Teil des Journalismus lässt sich garantiert automatisieren, je ausgeklügelter KI wird, desto häufiger und effizienter wird das geschehen. Wenn wir die frei werdenden menschlichen Ressourcen dann für qualitativ hochwertigen Journalismus einsetzen können, ist das grossartig.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

«Blick»-Sport, «Tagi», «NZZ», «Süddeutsche», «The Athletic» und ESPN, alles auf dem Handy. Und wenn meine Freundin nichts dagegen hat, «Deutschlandfunk» im Radio.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Als Journalist gehört es dazu, sich in sozialen Netzwerken zu bewegen. Bei Facebook bin ich nur noch, weil es da ein paar Menschen gibt, mit denen man doch gerne in Kontakt bleiben möchte. X, ehemals Twitter, wird gefühlt jeden Tag dümmer. Bräuchte ich es nicht für meinen Job, ich wäre wohl schon weg. Instagram ist auch nicht besonders schlau, aber wenigstens schön bunt. Ich gucke da einfach, habe einen Account, aber noch nie etwas gepostet. Vielleicht fange ich irgendwann an, Fotos vom Wandern hochzuladen und werde Wanderinfluencer.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Wir Sportreporter waren im Vergleich mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ressorts ja schon vor der Pandemie seltener in der Redaktion. Aber es ist eher noch weniger geworden, hybriden Sitzungen sei Dank. Aber es ist mir wichtig, dass sich das Team regelmässig zum Austausch trifft. Darum planen wir demnächst die Einführung eines – freiwilligen – Team-Tages für die Sportredaktion. Weil die besten Ideen halt eben doch entwickelt werden, wenn man sich in Fleisch und Blut gegenübertreten kann.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Früher durfte man noch Business Class an die Olympischen Spiele reisen, habe ich mir sagen lassen. Man musste sich als Journalist damals auch nicht mit Heerscharen von PR-Menschen herumschlagen, wenn man von jemandem etwas wollte. Darum behaupte ich einfach mal: Manches war sicher bequemer. Ob es besser war? Wenn ich mir anschaue, was damals alles gedruckt und gesendet wurde: Nein.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Klar.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Worauf man Lust hat. Wer es noch nicht getan hat, könnte sich «Things The Grandchildren Should Know» (deutsche Fassung: «Glückstage in der Hölle») von Mark Oliver Everett vornehmen.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich lege manchmal sogar gute Bücher zwischenzeitlich weg, weil ich drei bis vier Bücher parallel lese. Bücher, die ich nicht gut finde, kann ich aber problemlos dauerhaft weglegen.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Auf X. Das ist ja der Fluch: Die App ist manchmal eben doch für etwas gut.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Morgen kommt sicher noch eine. Höchstwahrscheinlich noch deutlich länger.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Sie sind eine Herausforderung, weil wir nicht darauf hereinfallen dürfen. Aber am Ende ist das doch immer schon unser Job im Journalismus: Die Realität so gut wie möglich abzubilden und begründet zu sagen, was stimmt und was nicht. Und dann hoffen, dass die Medienkompetenz der Menschen gut genug ist, zu erkennen, was ein seriös gemachtes journalistisches Produkt ist und was nicht.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Im linearen TV gucke ich praktisch nur Live-Sport. Und ab und zu die «Arena», um mich danach aufzuregen, wenn einmal mehr destruktiv diskutiert wurde.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja. Seit ich in Zürich lebe und nicht mehr täglich mit dem Zug von Basel hierher pendle, habe ich allerdings latent das Gefühl, nicht genügend Zeit dafür zu haben. Lieblingspodcast: «The Bill Simmons Podcast», wo US-Sport und Popkultur verhandelt werden, mit Gästen von Jimmy Kimmel bis Barack Obama. Oder es wird einfach debattiert, ob die San Francisco 49ers am Wochenende gegen die Cleveland Browns von den Buchmachern zurecht nur mit 3 Punkten favorisiert werden, also die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Ansonsten Pflicht: «The Steve Dangle Podcast» (Hockey), «Plain English» (Weltwissen an und für sich), «The Briefing Room» von der BBC. Zuletzt habe ich angefangen, «The Rest Is Football» mit Gary Lineker, Alan Shearer und Micah Richards zu hören. Darum kommt die famose «Dritte Halbzeit» der Sport-Kollegen von Tamedia gerade etwas zu kurz. Und wenn ich wissen will, was ich vor wenigen Tagen selber noch gedacht habe, höre ich «Pro und Konter», den Blick-Sport-Podcast von Dino Kessler und mir. Was ich niemals hören werde: True-Crime-Podcasts. Soll ein wahnsinnig populäres Genre sein, erschliesst sich mir nicht.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Zyniker würden sagen: Dass wir zu dröge und behäbig sind für 55 Prozent der 16-29-Jährigen. Für uns bedeutet es konkret, dass wir stärker auch jene Kanäle bedienen müssen, auf denen sich die jungen Personen bewegen, und dass wir unsere Beiträge so gestalten, dass sie auf diesen Plattformen funktionieren. Ich habe nämlich nicht den Eindruck, dass die U30-Generation weniger am Weltgeschehen interessiert ist als ihre Vorgänger. Im Gegenteil. Zudem würde vielleicht ein bisschen mehr Diversität in den Redaktionen helfen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

So wie ich die Frage verstehe, scheint Pietro Supino davon auszugehen, dass es in zehn Jahren noch gedruckte Tageszeitungen gibt. Das sind doch schon mal gute Aussichten, der Mann soll ja ein kühler Rechner sein. Ein Teil des Journalismus lässt sich garantiert automatisieren, je ausgeklügelter KI wird, desto häufiger und effizienter wird das geschehen. Wenn wir die frei werdenden menschlichen Ressourcen dann für qualitativ hochwertigen Journalismus einsetzen können, ist das grossartig.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Zweiteres. Die Digitalisierung ermöglicht uns neue Formen des Recherchierens und des Erzählens. Ist doch super.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Das Herz hofft nein, der Kopf denkt ja. Es wäre wahrlich wünschenswert, wenn sich Journalismus komplett unabhängig finanzieren lassen würde. Am Ende wäre entscheidend, dass geförderte Medien inhaltlich unabhängig bleiben können.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Dauernd. Manchmal kann ich es später sogar noch lesen.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Trump und seine mehr oder weniger originalgetreuen Klone sind vor allem schlecht für die Menschheit. Für die Einschaltquoten scheint er immer noch gut zu sein, für die Qualität der Berichterstattung muss das allerdings nicht zwingend Gutes verheissen.

Wem glaubst Du?

Jan Vetter, Dirk Felsenheimer und Rodrigo Gonzalez.

Dein letztes Wort?

Merci.

Emanuel Gisi

Emanuel Gisi (39) ist seit Oktober 2023 Sportchef beim «Blick». Der Solothurner studierte an der Universität Basel Medienwissenschaften und Soziologie, ehe der Journalismus endgültig dazwischenkam. Vor dem Wechsel zu Ringier 2013 arbeitete er für das «Oltner Tagblatt» und die «Basler Zeitung». Seit 2015 im «Blick»-Sport, leitete er während der letzten zwei Jahre das Reporterteam der Sportredaktion. Daneben war er seit 2018 für «MySports» regelmässig als Livekommentator für Eishockeyspiele der Schweizer National League im Einsatz.

https://www.blick.ch/sport/

Basel, 18. Oktober 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: Linda Käsbohrer/Blick.

Seit Ende 2018 sind über 240 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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2 Kommentare zu "Emanuel Gisi: «X, ehemals Twitter, wird gefühlt jeden Tag dümmer»"

    1. Antwort:
      Sehr guter Kommentar von U. Keller
      Intelligenz ist in diesen Zeiten eine Belastung.
      Und Gleichgültigkeit ist „besser“ fürs Leben, für die Nachbarschaft, für das Arbeitsleben, für das Weiterkommen (Karriere und/oder Politisch), für das eigene Portemonnaie.
      Der Spruch „Wer alles weiss, kann niemals mehr glücklich sein“ ist schon sehr alt. Ich münze ihn aufs 2023 um: „Wer alles sieht, durschaut, Hintergrundswissen hat, den „Meccano“ kennt, kann nie mehr glücklich sein“.
      Ein Sportchef beim „Blick“ ist ein Zahnrad im Räderwerk von Ringier. Und wir: Sind wir nicht alle Zahnräderzacken, jeder Einzelne ein Getriebener eines ganz grossen Getriebe für das ich aber noch keinen passenden Namen fand…

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