Corsin Zander: «Früher war alles schlechter, langsamer und vor allem langweiliger»

Publiziert am 1. November 2023 von Matthias Zehnder

Das 253. Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Corsin Zander, stellvertretender Leiter des Zürich-Ressorts beim «Tages-Anzeiger» und Mitgründer und Co-Chefredaktor des Radsport-Magazins «Gruppetto». Zander glaubt an den Print. Er sagt: «Tamedia plant noch bis mindestens 2032 mit gedruckten Tageszeitungen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sie noch länger geben wird.» Sorgen machen ihm die jungen Menschen, die sich nicht mehr für Nachrichten interessieren. Für die Gesellschaft sei das bedauerlich: «Sich mit dem (politischen) Tagesgeschehen auseinanderzusetzen, sollte eine Selbstverständlichkeit sein», sagt Zander. In Fake News sieht er eine Chance für die Medien, weil sie Fake News aufdecken und einordnen können. Zur Gefahr können sie werden, weil Redaktionen «Fake News nicht immer auf Anhieb als solche erkennen können. Umso wichtiger ist es für Journalist:innen, vorsichtig und kritisch zu sein.» Auch wenn er selbst mit «Gruppetto» auf Print setzt, findet er es «unerheblich, auf welchem Datenträger journalistische Erzeugnisse erscheinen».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich esse kein Frühstück, lese (meist im Bett) den «Tagi», die NZZ und klick mich durch die Pushs von «20 Minuten», «Watson» und «Blick», die mich über Nacht erreicht haben.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram, YouTube, TikTok und BeReal?

Ich nutze Twitter bzw. X intensiv, Instagram selten, Facebook und TikTok gar nicht. Mit YouTube höre ich beim Arbeiten Musik und was ist BeReal?

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich war öfter mal im Homeoffice, was ich gar nicht mag. Und ich hörte danach vereinzelt, ich würde für die Mainstream-Medien arbeiten.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Ich habe mich in meiner Masterarbeit («Wie Tageszeitungen Geschichte schreiben. Der Einfluss der Massenmedien auf die Erinnerungskultur am Beispiel der Berichterstattung der NZZ über das ‹Massaker von Katyn› (1943-2017)») intensiv mit der «NZZ» in den vergangenen fast 80 Jahren beschäftigt. Dabei gelangte ich zur Erkenntnis, dass früher so ziemlich alles schlechter, langsamer und vor allem langweiliger war.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Selbstverständlich.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Alles, was einen interessiert und nicht langweilt. Qualitätsmedien, um als mündige Bürger:innen dem politischen Prozess folgen zu können.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Ich gebe einem Buch meist etwa 50-100 Seiten, wenn es mich dann noch immer nicht gepackt hat, lege ich es weg. Ich lese allerdings nicht mehr als 3 Bücher im Jahr. Höchstens.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Gespräch mit anderen. Und auf X.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Tamedia plant noch bis mindestens 2032 mit gedruckten Tageszeitungen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sie noch länger geben wird.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

In erster Linie eine Chance, weil Medien Fake News aufdecken und einordnen können. Das bietet den Konsument:innen einen unverzichtbaren Mehrwert. Für die Redaktionen sind sie eine Gefahr, weil sie Fake News nicht immer auf Anhieb als solche erkennen können. Umso wichtiger ist es für Journalist:innen, vorsichtig und kritisch zu sein.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Ich höre jeden Morgen unter der Dusche «Radio 1». Sportveranstaltungen schaue ich oft im linearen öffentlichen Fernsehen oder auf Bezahlsendern.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

«Apropos» vom «Tages-Anzeiger», «Zeit Verbrechen» von der «Zeit», «NZZ Akzente» von der «NZZ». Und «Journal en français facile» von RFI, wenn das als Podcast zählt. Am liebsten höre ich «ZEIT Verbrechen». Aber alle Podcast höre ich höchst unregelmässig.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Für die Gesellschaft ist das bedauerlich. Sich mit dem (politischen) Tagesgeschehen, was für mich einen grossen Teil der News ausmacht, auseinanderzusetzen, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Für die Medien ist das eine Herausforderung, weil sie Wege finden müssen, diese Alterskohorte noch besser zu erreichen.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Ich teile diese Einschätzung nicht. Klar lassen sich einzelne Dinge automatisieren. Aber Journalismus soll Unbekanntes aufdecken, Zusammenhänge einordnen, Neues schaffen. Journalist:innen erhalten interessante Antworten, indem sie kluge Fragen stellen. Das alles lässt sich kaum automatisieren.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Für den Journalismus ist es unerheblich, auf welchem Datenträger seine Erzeugnisse erscheinen. Er ist übrigens auch nicht gefangen, sondern ziemlich frei. Den Journalist:innen eröffnet die Digitalisierung neue Chancen und Möglichkeiten.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja. Die Presse wird ja bereits mit jährlich 50 Millionen Franken vom Bund gefördert – ohne die ermässigte Zustellung wären viele Medien in ihrer Existenz bedroht. Je mehr die Zahlungsbereitschaft der Leser:innen sowie der Verlage sinkt, desto notwendiger wird die Presseförderung. Solange die Unabhängigkeit der Redaktionen sichergestellt werden kann, sehe ich darin auch kein Problem.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Oft, ja. Notizen bei Recherchen oder meinen Einkaufszettel. Weihnachtskarten an alle, die mir im vergangenen Jahr bei meiner Arbeit geholfen haben. Postkarten aus den Ferien und Karten oder Briefe an Geburtstagen von guten Freund:innen. Und natürlich Liebesbriefe.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Gut. Die Nachfrage nach Qualitätsmedien ist enorm angestiegen. Auch wenn es einige gibt, die Donald Trump Glauben schenkten und ihr Vertrauen in die Medien verloren haben, so dürfte der Anteil jener grösser sein, welche sich Einordnung und gesicherte Informationen wünschen.

Wem glaubst Du?

Grundsätzlich allen. Aber ich höre aufmerksam zu, frage kritisch nach und vertraue auf mein Bauchgefühl.

Dein letztes Wort?

Ich folge meiner Leidenschaft und werde Unternehmer, Verleger und Co-Chefredaktor des «Gruppetto», dem Magazin für Radsport und Velokultur. Wer mich und meine Amici dabei unterstützen möchte: Abos gibts auf gruppetto-magazin.ch


Corsin Zander
Corsin Zander ist stellvertretender Leiter des Zürich-Ressorts beim «Tages-Angzeiger» und Mitgründer, Co-Chefredaktor und Verleger des Radsport-Magazins «Gruppetto». Corsin Zander ist 1988 in Zürich geboren. Während seines Geschichtsstudiums arbeitete er bei der Zürcher Studierendenzeitung. Er sagt heute: «Es war meine bisher beste Zeit im Journalismus. Wir hatten zwar kein Geld, aber wir waren unabhängig und brannten alle für den Journalismus.» Danach absolvierte er Praktika beim »Sonntag» (heute «Schweiz am Wochenende»), der «WoZ» und der «NZZ», wo er dann vier Jahre blieb. 2017 wechselte er zum «Tages-Anzeiger».  und bin heute stellvertretender Leiter des Zürich-Ressorts beim «Tagi». Ab nächstem Jahr arbeitet er nur noch 30 Prozent als Printleiter beim «Tages-Anzeiger» und konzentriert sich daneben auf das Magazin «Gruppetto».
https://gruppetto-magazin.ch/


Basel, 1. November 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Seit Ende 2018 sind über 250 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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2 Kommentare zu "Corsin Zander: «Früher war alles schlechter, langsamer und vor allem langweiliger»"

  1. Zur Fragwürdigkeit, Menschen als „news-depriviert“ zu bezeichnen, wenn sie auf einen Medienkonsum verzichten, habe ich mich vor einer Woche geäussert.
    Heute möchte ich in Anbetracht dieses Interviews erwägen, dass es auch „News-Deprivierer“ zu geben scheint: also Journalisten, die Medienkonsumenten relevante Informationen vorenthalten und sie (und sich selber?) – ob bewusst oder unbewusst – mit Medien-Schrott zu beschäftigen tendieren.

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