
Gregory Remez: «Wer guten Journalismus sucht, findet ihn.»
Das 323. Fragebogeninterview, heute mit Gregory Remez, stellvertretender Ressortleiter Wirtschaft bei der «Luzerner Zeitung». Er sagt, er habe zwar bei fast allen sozialen Medien ein Profil, nutze die Dienste aber nur passiv: «Ich spioniere also überall mit, poste aber nur selten, vorzugsweise auf LinkedIn.» Zurzeit sei er «oft auf Substack unterwegs, eine Plattform, die an fast vergessene, unaufgeregte Blogzeiten» erinnere. Er finde da viele «hochinteressante Stimmen», die dem Wahnsinn sozialer Medien bewusst aus dem Weg gehen, «aktuelles prominentes Beispiel: Paul Krugman». Er findet, die Qualität der journalistischen Medien habe zugenommen, «gerade wegen der Dauerkontrolle durch soziale Medien und der gestiegenen öffentlichen Sensibilität». Natürlich habe auch der Druck auf den Redaktionen zugenommen, «aber wer guten Journalismus sucht, findet ihn». Bloss um die jungen Medienkonsumenten macht er sich Sorgen: «Um junge Menschen besser abzuholen, müssen die Medien dorthin, wo sich diese tummeln», sagt er. Podcasts seien ein gutes Beispiel. «Viele klassische Medien tätigen solche Investitionen aber nur zögerlich.» Die KI macht ihm keine Angst: «Die journalistischen Königsdisziplinen – die Reportage, das Interview, der Essay, die Analyse, der Kommentar – bleiben unautomatisierbar.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Berufsbedingt darf bei mir kein Medium fehlen, emotional und historisch fühle ich mich aber meinem Heimatblatt verbunden, der «Luzerner Zeitung».
Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?
Ich habe bei allen ausser TikTok ein Profil, das ich passiv nutze. Ich spioniere also überall mit, poste aber nur selten, vorzugsweise auf LinkedIn. Zurzeit bin ich zudem oft auf Substack unterwegs, eine Plattform, die an fast vergessene, unaufgeregte Blogzeiten erinnert. Dort finden sich viele hochinteressante Stimmen, die dem Wahnsinn obiger Medien bewusst aus dem Weg gehen. Aktuelles prominentes Beispiel: Paul Krugman.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Da ich viel grössere Textmengen verarbeiten muss, lese ich viel systematischer: Scannen am Morgen, Vertiefen am Abend – wenn die Augen nicht zufallen.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Die Zeitungen waren früher sicher dicker, aber Quantität ist bekanntlich kein Qualitätsmerkmal. Ich würde gar die steile These wagen, dass die Qualität zugenommen hat, gerade wegen der Dauerkontrolle durch soziale Medien und der gestiegenen öffentlichen Sensibilität. Natürlich hat auch der Druck auf den Redaktionen zugenommen, aber wer guten Journalismus sucht, findet ihn.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Das geschriebene Wort ist zeitlos.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Alles, was den eigenen Horizont erweitert. Gerade auf meinem Nachttisch: «Schicksalsstunden einer Demokratie» von Volker Ullrich.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Da bin ich inzwischen viel radikaler als früher. Das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher. Dasselbe gilt für Filme und Serien.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Von Fremden.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
So lange, wie die Leserinnen und Leser bereit sind, dafür zu bezahlen.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Mis- und Desinformation sind keine neuen Phänomene, es gibt sie so lange wie den Menschen. Verschwörungserzählungen waren früher gar sehr viel verbreiteter und bildeten das Fundament ganzer Gesellschaften (Buchtipp: «Nichts ist wie es scheint» von Michael Butter). Eine Aufgabe der Medien ist, immer wieder darauf hinzuweisen, zu erklären, einzuordnen und zu kontextualisieren. Das ist ermüdend, aber notwendig.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Live schaue ich eigentlich nur noch Sport. Alles andere wird nach Bedarf zeitversetzt gestreamt. «Echo der Zeit» zum Beispiel höre ich, wenn die Zeit reicht, am Morgen.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
«Making Sense» von Sam Harris. Intellektuell sehr stimulierend, gerade weil man ihm im ersten Moment oft widersprechen will, dann aber von seiner bestechenden Argumentation mitgerissen wird und danach meist schlauer ist als vorher.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Das ist gesamtgesellschaftlich eine bedenkliche Entwicklung, hat aber auch mit der Multikrise zu tun, die wir gerade erleben. Ich frage mich regelmässig, wie meine kleine Tochter wohl dereinst Nachrichten konsumieren wird. Um junge Menschen besser abzuholen, müssen die Medien dorthin, wo sich diese tummeln; Podcasts sind ein gutes Beispiel. Viele klassische Medien tätigen solche Investitionen aber nur zögerlich.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Ein Teil sicher, Nachrichtenmeldungen eignen sich dafür gut. Die journalistischen Königsdisziplinen – die Reportage, das Interview, der Essay, die Analyse, der Kommentar – bleiben aber unautomatisierbar. Und jene, die es sind, braucht es nicht.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Sie ist Fluch und Segen zugleich. Aber es bringt nichts, eine Entwicklung zu beklagen, auf die man selbst keinen Einfluss hat. Entweder man passt sich an oder geht unter. Manchen Medien gelingt das besser, anderen schlechter. Das ist der Lauf der Dinge.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Die gibt es ja schon. Es geht darum auszuloten, wie gross der Batzen sein soll. Das ist auch eine gesellschaftliche Frage. Wenn ich auf andere Länder schiele, denke ich, dass es gute Gründe gibt, zumindest ein Minimum an Medienförderung aufrechtzuerhalten.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ja, für persönliche Notizen. Oder für die paar Stichworte während Interviews, Laptops haben da nichts verloren.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Frag doch mal die Associated Press.*
Wem glaubst Du?
Meinem Bauchgefühl. Nein, schlechter Witz. Ich glaube am ehesten all jenen, die mit nachvollziehbarer Methodik vorgehen und viel Zeit dafür aufwenden, der Realität so nah wie möglich zu kommen.
Dein letztes Wort?
Das wird sich ergeben.
Gregory Remez
Gregory Remez (36) hat in Zürich Politikwissenschaften und Soziologie studiert und ist beim «Blick» in den Journalismus eingestiegen. Da hat er mehrere Jahre gearbeitet und sagt, es sie «eine sehr gute Schule» gewesen. Seit Seit 2017 ist er in verschiedenen Funktionen bei der «Luzerner Zeitung» (CH Media) tätig, derzeit als Stv. Ressortleiter Wirtschaft. Er schreibt überwiegend über wirtschaftliche Themen, sporadisch auch über Politisches und Gesellschaftliches.
Basel, 05.03.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Bild: Manuela Jans-Koch, LZ
* Im Februar 2025 untersagte die Regierung von Präsident Donald Trump der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) den Zugang zu Presseveranstaltungen im Weissen Haus, einschliesslich des Oval Office und von Air Force One. Der Grund dafür war die Weigerung von AP, den Golf von Mexiko wie von Donald Trump gefordert «Gulf of America» zu nennen. Siehe hier
Seit Ende 2018 sind über 300 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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