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Was gut ist und was böse
Thomas Mann ist uns bekannt als grossbürgerlicher Schriftsteller, der im Zweiten Weltkrieg über sich hinaus wuchs und zum politischen Aktivisten wurde. In einer ganzen Reihe von Radioansprachen wandte er sich an seine «Deutschen Hörer» und wurde zur bürgerlichen Stimme des Antifaschismus. In diesem Buch zeigt Kai Sina, dass dieses politische Engagement keineswegs erst in den USA einsetzte. Er führt ein ins politische Denken, Schreiben und in den politischen Aktivismus von Thomas Mann. Entstanden ist eine Würdigung des politischen Thomas Mann in seinem konkreten Handeln und Agieren. In seinen Positionen und Äusserungen war er nicht immer konstant. «Worum es ihm geht, und was er selbst geradlinig ungeradlinig wie kaum ein anderer Intellektueller verkörpert hat, ist eine Demokratie als Lebensform», schreibt Kai Sina. Einzelne fragwürdige Aussagen könnten, schreibt Kai Sina, «den Gesamteindruck nicht entkräften». Ein besonderer Fokus gilt seiner Darstellung überraschenderweise dem Zionismus: Kai Sina zeigt, dass Thomas Mann ein beharrlicher Unterstützer des Zionismus war: als Mitglied eines Komitees «Pro Palästina» in den Zwanzigerjahren; als verlässlicher Anwalt in Zeiten von Krieg, Verfolgung und Genozid; schliesslich, in der Nachkriegszeit, als energischer Fürsprecher des jungen Staates Israel.
Lesenswert ist dieses Buch vor allem deshalb, weil es die einzelnen politischen Äusserungen von Thomas Mann in einen Kontext stellt. Das macht den politischen Thomas Mann erst richtig sichtbar – seine klare Haltung, und immer wieder sein Ringen darum.
Bis 1930 blickten die meisten linken Intellektuellen skeptisch auf den Bürgerkünstler Thomas Mann. Er war ein Vertreter des Grossbürgertums, Nobelpreisträger und zuweilen bis auf die Knochen wertkonservativ und steif. Das änderte sich radikal, als Thomas Mann sich im Oktober 1930 mit aller Vehemenz gegen den Nationalsozialismus stellte. Er machte klar, dass der Platz der Bürger und damit sein eigener Platz in der gegebenen historischen Situation an der Seite der Arbeiter und der Sozialdemokratie sein muss. «Selbst Brecht schrieb ihm daraufhin Ende März 1933 einen Brief, seinen ersten an Thomas Mann vermutlich, in dem er ihm seinen ‹großen und ehrlichen Respekt› für dessen ‹Stellungnahme für die deutsche Arbeiterschaft in einem so kritischen Augenblick› aussprach», berichtet Kai Sina. Kurz zuvor hatte die NSDAP bei den Reichstagswahlen ihren Wähleranteil versiebenfacht und war hinter der SPD zur zweitstärksten Partei aufgestiegen: Fast ein Fünftel der Wählerinnen und Wähler hatte sich für Adolf Hitler und seine Partei ausgesprochen. «Für Thomas Mann bedeutete dieses Ergebnis eine Zäsur, nicht nur für das Land, sondern auch für sein eigenes politisches Denken und Handeln», schreibt Kai Sina. «18,3 Prozent: Es ist diese Zahl, die aus dem engagierten Republikaner und Demokraten Thomas Mann einen bekennenden Aktivisten und Antifaschisten machte.» In seiner Rede spricht er von «unmittelbaren Notgedanken» und «krisenhafter Bedrängnis», die keine politische Zurückhaltung des Künstlers mehr duldeten. Mit dieser Ansprache wird Thomas Mann zum politischen Aktivisten.
Mann findet klare Worte. Man könne das Nazitum nicht bloss als ein Resultat von Arbeitslosigkeit, Hunger und Kälte verstehen, die das gesellschaftliche Leben infolge der Weltwirtschaftskrise prägten. Er bezeichnet den Nationalsozialismus als Mischung aus «mystischem Biedersinn und verstiegener Abgeschmacktheit», das mit «Vokabeln wie rassisch, völkisch, bündisch, heldisch» den «Deutschen von 1930» die Gehirne «verschwemmt und verklebt» habe. Das habe eine «Riesenwelle exzentrischer Barbarei und primitiv-massendemokratischer Jahrmarktsroheit» ausgelöst, die die gesellschaftliche Welt erfasst habe, eine Welt des Konsums, der Nervosität, der Technik, des Lärms, kurzum: der entfesselten Moderne. Aus der unheilvollen Verbindung dieser beiden Entwicklungen habe sich ein ins Groteske und Orgiastische verzerrter Politikstil ergeben: «Fanatismus wird Heilsprinzip, Begeisterung epileptische Ekstase …, und die Vernunft verhüllt ihr Antlitz.»
Es sind solche Passagen, die das Buch unbedingt lesenswert machen, weil sie sich gut auch auf unsere Gegenwart beziehen lassen. Thomas Mann macht dabei unzweifelhaft klar, dass es dabei nicht mehr um eine demokratische Diskussion geht, es ist kein demokratischer Streit mehr um das bessere Argument. Es ist nun ein politisch-gesellschaftliches Phänomen, das sich unter demokratischen Gesichtspunkten schlechterdings nicht debattieren lässt. Es muss vielmehr bekämpft werden. 1930 stehen sich nicht mehr Gegner im politischen Meinungskampf gegenüber – sondern Feinde.
Und das durchaus im wörtlichen Sinn: Ein gewisser Herr Goebbels hatte zwanzig verkleidete SA-Männer in den Beethoven-Saal geschickt. Ihr Auftrag: die Rede mit Zwischenrufen zu stören. «Die Szene ist auf einer berühmten Fotografie dokumentiert», schreibt Kai Sina. «Während sich das Publikum umwendet, fragend, was in den hinteren Reihen vor sich geht, steht Thomas Mann mit versteinertem Blick am Rednerpult. Es muss unheimlich gewesen sein, dass sich in diesem Moment genau das verwirklichte, wovor er in seiner Rede warnte: die gewaltsame Verunmöglichung eines demokratischen Meinungsstreits.»
Das Buch von Kai Sina ist in dreierlei Hinsicht spannend. Zum einen stellt es einzelne politische Äusserungen Thomas Manns in einen grösseren Zusammenhang und zeichnet den politischen Lebensbogen des Schriftstellers nach. Zweitens bietet es mit vielen Zitaten reichlich Material zum politischen Thomas Mann. Und drittens wird deutlich, wie sehr sich Thomas Mann für den Zionismus eingesetzt hat.
Kai Sina: Was gut ist und was böse. Thomas Mann als politischer Aktivist. Propyläen, 304 Seiten, 34.90 Franken; ISBN 978-3-549-10085-1
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783549100851
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