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Unsichtbarer Tod
Bis heute ist nicht klar, wie Covid-19 entstanden ist. Wahrscheinlichste Hypothese: Das Virus ist auf einem Fleischmarkt in China von Tieren auf den Menschen übergesprungen. Das enge Zusammenleben von Tieren und Menschen ist eine neue Erscheinung – wenigstens aus evolutionärer Perspektive. Sie begann damit, dass der Mensch sesshaft wurde. Dirk Bockmühl schreibt in seinem Buch über den unsichtbaren Tod durch Viren und Bakterien: Nachdem unsere Vorfahren das Leben als Jäger und Sammler aufgegeben hatten, drohten neue Gefahren aus dem engeren Miteinander der menschlichen Siedler und ihrer Haustiere. «Bis heute begleiten uns Krankheitserreger, die sich in einer wachsenden, mobileren Bevölkerung von Mensch zu Mensch verbreitet haben, vor allem aber immer wieder von Tieren auf Menschen übertragen wurden.»
So, wie uns in den letzten zwei Jahren die Covid-19-Pandemie erschüttert hat, haben Infektionskrankheiten und Epidemien in der Geschichte Weltreiche in ihren Grundfesten erschüttert
und Gesellschaften zu verändert. Erkenntnisse der medizinischen Forschung, pharmazeutische Entwicklungen und vor allem Hygienemassnahmen und Impfungen haben der Menschheit geholfen, die schlimmsten Krankheiten in Schach zu halten. Antibiotika haben als wichtige Therapeutika
vielen eins tödlichen Krankheiten den Schrecken genommen. «Aber wir müssen wachsam bleiben, damit diese Errungenschaften uns auch in Zukunft noch uneingeschränkt
zur Verfügung stehen», warnt Bockmühl. Er fragt: «Kann man aus der Geschichte lernen?» Nicht unbedingt. «Aber wir können die gegenwärtige Situation als Folge historischer Entwicklungen betrachten und versuchen, aus den Erfolgen und dem Scheitern früherer Generationen
unsere Schlüsse zu ziehen.» Eine Welt ohne Pandemien werde es vermutlich nie geben, ein Leben ohne Mikroorganismen ganz sicher nicht. Wie die Menschen den Herausforderungen der mikrobiellen Welt in der Vergangenheit begegnet sind, erzählt Bockmühl in seinem Buch eindrucksvoll.
Er beginnt sein Buch in der Zeit, als die Menschen sesshaft wurden und zeigt, welche Folgen das Sesshaftwerden der Menschen und das Domestizieren ihrer Haustiere für das Immunsystem hatten und warum Infektionen ein Spiegel der Mobilität und Vernetzung sind. Seine Geschichte der Mikroben führt uns ins alte Ägypten, als der über die Ufer tretende Nil ideale Brutstätten für Stechmücken bot und Tutenchamun wohl eines der ersten Opfer der Malaria war. Er erzählt, welche Rolle Parasiten spielen, warum Garum fermentiertem Fisch, das «Maggi der Antike», für die Menschen gefährlich war und was es mit der Badekultur des alten Rom auf sich hatte.
Bockmühl erklärt, warum Kaiser Leo VI. im christlichen Byzanz die Blutwurst verbot – vermutlich war ein Bakterium die Ursache für Lebensmittelvergiftungen. Er erzählt natürlich die Geschichte der Pest und wie lebendig das Pest-Bakterium bis heute ist. Wie die Menschen entdeckten, dass Krankheiten übertragbar sind und Beobachtung und Beweis schneller zum Ziel führen
als Mutmassung und Mythologie. Warum Lepra als Strafe Gottes galt und die Isolation von Aussätzigen als eine frühe Massnahme zum öffentlichen Infektionsschutz angesehen werden kann. Was die Anfänge der organisierten Müllabfuhr mit dem aussichtslosen Kampf gegen Ratten und Flöhe zu tun haben. Welche Verheerungen die Entdeckung der neuen Welt mit sich brachte – vor allem für die Entdeckten, weil der Austausch zwischen den Völkern der Alten und der Neuen Welt sich nicht auf Waren beschränkte.
Und vor allem erzählt Bockmühl die spannende Geschichte der modernen Medizin: der Beginn von Hygiene und Sterilisation, die Entdeckung, dass das Impfen vor Neuinfektionen schützen kann, die antibakterielle Wirkung ätherischer Öle, wie die Konservendose entwickelt wurde und warum die Cholera eine der am längsten währenden Pandemien ist. Der Blick in die Geschichte hilft dabei, die Covid-19-Pandemie als das zu begreifen, was sie ist: keine Ausnahme, sondern die Regel in der Geschichte der Menschheit. Das Fazit des spannenden Streifzugs durch die Welt der Mikroben ist denn auch: Wir müssen uns (wieder) an Infektionen gewöhnen. Absolute Sicherheit gibt es nicht.
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