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The Bright Side
Optimisten gelten oft als blauäugig. Zuweilen ist sogar von toxischem Positivismus die Rede. Pessimismus scheint die realistischere Haltung zu sein: Man wird nie enttäuscht, sondern höchstens angenehm überrascht. Wenn Sie sich Ihren Optimismus trotzdem nicht nehmen wollen, dann lesen Sie dieses Buch. Geschrieben hat es der Physiker Sumit Paul-Choudhury. Er war zehn Jahre lang Chefredakteur des «New Scientist», er ist also alles andere als ein blauäugiger Esoteriker. In seinem Buch über den Optimismus zeigt er mit wissenschaftlichen Daten und rationalen Überlegungen, warum es sinnvoll er ist, Optimist zu sein. Zum Beginn seiner Recherche ging er vom Gegenteil aus: «Ich hatte den Eindruck, dass Optimismus nichts weiter war als ein Glaube, und dass es grundsätzlich dumm und potenziell unverantwortlich war, diesem Optimismus Gewicht zu verleihen», schreibt er. Als er sich eingehender damit befasste, realisierte er, dass Optimismus die einzige Haltung ist, die einzunehmen sich lohnt. Wenn man mehr vom Leben erwarte, könne man auch mehr vom Leben haben, schreibt er. Als Wissenschaftler wollte er aber genau wissen, was hinter dem Optimismus steckt. Er wollte eine Möglichkeit finden, «Optimist zu sein, die tatsächlich dazu beiträgt, die Welt besser zu machen, anstatt nur davon auszugehen, dass sie es irgendwie schon sein würde». Das Resultat ist dieses Buch. Paul-Choudhury führt darin wissenschaftlich präzise ein in den inneren, den äusseren und den praktischen Optimismus. Er zeigt, dass Optimismus nicht naiv oder ein Luxus ist: «Er ist eine Ressource, die wir anzapfen können, wenn es hart auf hart kommt – und dann kann er den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen.»
1903 schrieb Helen Keller einen Essay über Optimismus. Helen Keller ist als Kind aufgrund einer Krankheit taub und blind geworden. Die Kraft des Optimismus wurde zu einem wiederkehrenden Thema in Kellers Werk. Ihre Schrift über Optimismus ist jetzt 120 Jahre alt. Die Welt hat sich seither stark verändert: «Wo Keller auf Glauben, Patriotismus und Schicksal setzte, setzen wir auf Psychologie, Philosophie und Prognose», schreibt Sumit Paul-Choudhury. Aber ihre Anliegen finden sich auch in seinem Buch wieder. Er hat deshalb für sein Buch über Optimismus dieselbe Gliederung gewählt wie Helen Keller für ihren Essay. Im ersten Teil dieses Buches geht es um den innerer Optimismus. Er trägt zusammen, was wir über unseren individuellen, intuitiven Optimismus wissen und was er für uns tut. Der zweite Teil widmet sich dem äusseren Optimismus. Er fragt sich, ob es eine rationale, intellektuelle Grundlage dafür gibt, das Beste von der Welt zu erwarten. Und im dritten Teil widmet Sumit Paul-Choudhury sich dem praktischen Optimismus und befasst sich mit unserer Fähigkeit, Künftiges zu antizipieren – und es zum Besseren zu verändern.
Darum geht es letztlich: «Wenn wir wollen, dass die Welt morgen besser ist als heute, müssen wir zuerst davon ausgehen, dass dies so sein kann. Dann müssen wir uns vorstellen, auf welche Weise das gelingen könnte. Und anschliessend müssen wir dafür sorgen, dass sie auch wirklich besser sein wird», schreibt Sumit Paul-Choudhury. Ohne Optimismus geht das nicht. Denn wenn wir nicht damit rechnen, dass sich unser Schicksal verbessern lässt, «haben wir auch keine Motivation, uns die dafür notwendigen Gedanken und die Mühe zu machen, und diese Lösungen bleiben im Verborgenen. Das Scheitern wird zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.»

Im persönlichen Leben ist das vielen Menschen heute klar: Während wir aber der Pessimismusfallen in unserem eigenen Leben durchaus bewusst sind, «fällt es uns in der weiten Welt um uns herum oft schwerer, sie zu vermeiden», schreibt Sumit Paul-Choudhury. Umfragen zeigen, dass etwa die Amerikaner mit Blick auf ihre persönlichen Aussichten weitaus zuversichtlicher sind als im Hinblick auf die Perspektiven ihres Landes, dessen Zukunft sie zunehmend düster sehen. Diese Haltung ist auch in Europa verbreitet: Zuversicht in Bezug auf das persönliche Leben, Pessimismus, wenn es um die Gesellschaft, das Land oder den Kontinent geht.
Doch Optimismus gilt auch als verdächtig. Unrealistischer Optimismus kann einem helfen durchzuhalten, aber wenn man auf ein unüberwindliches Hindernis stösst, kann die Enttäuschung niederschmetternd sein. Studien beweisen aber, «dass Optimismus ein universelles Phänomen ist, dass Optimismus weltweit mit einer besseren Wahrnehmung körperlicher Gesundheit einhergeht und dass Optimismus weltweit mit einem gesteigerten subjektiven Wohlbefinden verbunden ist», schreibt Sumit Paul-Choudhury.
In seinem Buch dekonstruiert er Mythen rund um den Optimismus, geht den Ursachen dafür auf den Grund, warum Menschen zu Optimismus neigen und warum sie die eigene Zukunft positiver sehen als die Zukunft des Landes oder des Planeten. Vor allem aber macht er Mut zum Optimismus. Es ist schlicht vernünftig.
Sumit Paul-Choudhury: The Bright Side. Eine optimistische Geschichte der Menschheit. Kjona, 384 Seiten, 35.90 Franken; ISBN 978-3-910372-36-8
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783910372368
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