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Geister der Gegenwart
Wolfram Eilenberger schreibt und redet seit vielen Jahren über Philosophie – und das verständlich. In «Zeit der Zauberer» hat er sich den 1920er-Jahren gewidmet und damit der Philosophie von Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin, Ernst Cassirer und Martin Heidegger. In «Feuer der Freiheit» folgte die Beschäftigung mit der Philosophie in den finsteren Zeiten von 1933 bis 1943 rund um die Gedanken von Simone de Beauvoir, Hannah Arendt, Simone Weil und Ayn Rand. Sein neustes Buch widmet er den «Geistern der Gegenwart» Theodor W. Adorno, Michel Foucault, Susan Sontag und Paul K. Feyerabend. Die vier bilden keine Schule und keine Gruppe. Sie haben im Gegenteil aus unterschiedlichen Perspektiven die sich verfestigenden Formen und Trends des Philosophierens kritisiert. Sie seien, sagt Eilenberger «beispielhafte Verkörperungen eines Lebens im Sinne der Aufklärung». Das meint (im Nachgang von Kant) das Erlangen von «Geistesgegenwärtigkeit». Dass ausgerechnet diese vier, Adorno, Sontag, Foucault und Feyerabend, oft als Paradebeispiele einer Verabschiedung des Aufklärens genannt werden, sei, schreibt Eilenberger, ein Zeichen dafür, wie «hoffnungslos verwirrt eine geistige Gegenwart sich erfahren, artikulieren und ermüden kann».
Das Buch setzt ein mit der grossen Frage, wie man nach dem Abgrund, den der Zweite Weltkrieg aufgerissen hat, überhaupt noch Philosophie treiben kann. Hatte nicht Auschwitz gerade jede Aufklärung zertrümmert? Schritt für Schritt führt Eilenberger ein in die Gedanken von Adorno und Sontag, Foucault und Feyerabend. Deren Bücher sind wahrlich keine einfache Kost. Eilenberger versteht es aber, den Leser an der Hand zu nehmen. Er doziert nicht Philosophie, sondern nimmt uns mit an den Bahnsteig, wo Adorno nach dem Krieg in Deutschland eintrifft, ins Wohnzimmer von Thomas Mann in Pacific Palisades, wo seine Frau der sechzehnjährigen Susan Sontag Tee und Plätzchen serviert, weil die Mann für die Schülerzeitung zum Zauberberg interviewt. An den Rand ihres Erinnerungsprotokolls schreibt Susan: «Die Kommentare des Autors verraten sein Werk durch ihre Banalität.» Es sind diese kleinen Szenen, die uns einen Einstieg ermöglichen in Leben und Werk und es verständlich machen, warum Susan Sontag später für eine direktere, sinnlichere Begegnung mit Kunstwerken plädierte, Michel Foucault Macht und Wissen miteinander verbunden sieht, Adorno auf die Idee kam, zu untersuchen, wie Machtstrukturen und Ideologien das Denken und Handeln der Menschen beeinflussen und Paul Feyerabend die Wissenschaft als Ganzes zertrümmerte und dem universellen, logischen Denken eine Abfuhr erteilte. Eilenberger mischt in seinem Buch also persönliche Erzählung, philosophische Einführung und Heranführung an Gedanken und Zitate. Das ist wunderbar zu lesen – und vor allem gibt es zu denken. Was will man mehr.
Wolfram Eilenberger: Geister der Gegenwart. Die letzten Jahre der Philosophie und der Beginn einer neuen Aufklärung 1948–1984. Klett-Cotta, 496 Seiten, 39.50 Franken; ISBN 978-3-608-98665-5
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783608986655
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