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Die Fitness-Lüge

Publiziert am 21. November 2024 von Matthias Zehnder

Der Titel des Buchs klingt zwar reichlich reisserisch, der Inhalt ist es nicht: Thema ist die Faszie. Das ist ein weissliches Gewebe, das sich durch den ganzen Körper spannt und alle Regionen miteinander verbindet. Der Chirurg und Orthopäde Arvid Neumann sagt deshalb: Es gibt nur eine Faszie. Sie wiegt, je nach Körpergrösse, 18 bis 22 Kilogramm und besteht zu 70 Prozent aus Wasser. Der Rest sind Zucker-Eiweiss-Verbindungen. Sie ist durchsetzt mit Fibroblasten. Das sind hochaktive Zellen, die unermüdlich straffe Kollagenfasern und dehnbare Elastinfasern produzieren. Diese Fasern können, je nach Funktion, ganz unterschiedliche Formen annehmen: zugfeste Bänder am Gelenk, lockere Füllung im Bauchraum oder dehnbares Häutchen um ein Organ. Sie packen Nervenbahnen, Arterien und Venen ein, überziehen jeden Knochen, umschliessen jede Muskelfaser und jeden Muskel als Ganzes.

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Arvid Neumann schreibt: «Bemerkenswert ist die hohe Zahl an Nervenenden in der Faszie. Es sind etwa zweieinhalbmal mehr als in der Haut, die ja schon ein sehr sensibles Organ ist. Das dichte Nervennetzwerk der Faszie teilt dem Gehirn unaufhörlich mit, wo sich ein jedes Körperteil befindet, ob und wie es sich bewegt. So fühlen wir mit geschlossenen Augen, dass wir einen Arm ausstrecken. Die sogenannten Propriozeptoren machen auch unbewusste, komplexe Bewegungsabläufe möglich und ebenso, dass wir uns in völliger Ruhe bewusst spüren können. Das können wir als sehr angenehm empfinden, aber auch, je nach Zustand der Faszie, als schmerzhaft.»

Wenn der Rücken schmerzt und es zieht in den Beinen, den Armen oder anderswo im Körper, ist daran oft nicht die Muskulatur schuld, es ist also nicht die Muskelkraft beeinträchtigt, wohl aber die Faszie. «Das Gewebe aus Kollagen und Elastin ist bei Schmerzpatienten kürzer, dicker und unflexibler», schreibt Neumann. «Auslöser sind Verletzungen, Fehlhaltungen und Bewegungsmangel.» Die Folge: die Faszie verkrampft, entwickelt unangenehme Knoten, Beulen oder Knubbel, die viele Menschen aus eigener Erfahrung kennen. «Ich kenne etliche Leute, die ihre Verspannungen resigniert durch den Alltag schleppen», schreibt Neumann. «Sie betrachten sie fast als normal, stoisch ertragen sie Bewegungseinschränkungen und Schmerzen. Allerdings glauben viele, ihre verspannten Muskeln würden schmerzen.» Die Folge: statt sich um die Faszie zu kümmern, trainieren sie die Muskulatur und machen die Sache dadurch manchmal noch schlimmer.

In seinem Buch zeigt Arvid Neumann, wie man sich um seine Faszie kümmert. Das ist einfacher, als man denkt – und es beginnt schon bei der Kleidung: «Ich habe Gürtel und Hosen mit unnachgiebigem Bund ausgemustert, weil ich erkannt habe, dass die Faszie Freiraum braucht, besonders im Bauch, wo so viele Organe in Bewegung sind, allein schon durch Atmung und Verdauung», schreibt er. «Karl Lagerfeld soll mal gesagt haben, wer Jogginghosen trägt, habe die Kontrolle über sein Leben verloren. Für mich stellt sich die Situation umgekehrt dar.»

Ziel für Arvid Neumann ist eine aufrechte, geschmeidige Beweglichkeit. Sein Mittel: «Ich versetze die Struktur des Körpers in einen natürlichen Zustand. Der Beitrag des Patienten: loslassen.» Sein Vorbild dafür sind Kinder: Sie bewegen sich ohne Anleitung und ganz von sich aus leicht und geschmeidig. Wir Erwachsenen müssen das meist eher mühevoll wieder lernen. Wobei die Mühe sich nicht auf eine Anstrengung bezieht, sondern im Gegenteil auf das Loslassen. Im Buch erklärt Arvid Neumann, wie das beim Stehen, Bücken, Hocken geht Sitzen. Es ist nicht kompliziert und man kommt dabei nicht ins Schwitzen. Wenigstens körperlich nicht.

Arvid Neumann: Die Fitness-Lüge. Wie wir die Kraft der Faszie nutzen und ein Leben lang schmerzfrei und geschmeidig bleiben. DuMont Buchverlag, 256 Seiten, 28.90 Franken; ISBN 978-3-7558-0027-9

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783755800279

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