Buchtipp
Nächster Tipp: Die Fitness-Lüge
Letzter Tipp: Künstliche Intelligenz und echtes Leben
Hitlers Interviews
Dorothy Thompson, Sefton Delmer und Karl von Wiegand gehören zu den rund zwei Dutzend Journalistinnen und Journalisten, die Adolf Hitler interviewt haben. Wie interviewt man einen Diktator – und warum überhaupt? Dieser Frage geht der deutsche Medienforscher Lutz Hachmeister nach. Entstanden ist eine ebenso spannende wie einsichtsreiche Analyse. Journalisten, die ihn befragen wollten, mochte Hitler nicht, auch nicht die Berichterstatter aus dem faschistischen Italien, schon gar nicht «publizistische Abgesandte demokratisch-medienkapitalistischer Institutionen». Hitler liess sich zudem bei seinen Deklarationen nur ungern unterbrechen. Er hatte, schreibt Hachmeister, «gar keinen Sinn für mögliche dialogische Formen von Gesprächen mit Reportern, die erst ein spannendes Interview ausmachen». Auch gefiel ihm nicht, dass er in den Auslandsmedien das Umfeld und die Folgekommentare zu den Interviews nicht kontrollieren konnte. Die Interviewer schneiden dabei nicht gut ab. «Für sie war Hitler eine Trophäe, der Scoop war das Interview mit dem ‹Führer› an sich, unabhängig von Struktur und Inhalt», schreibt Hachmeister. «Die meisten Journalisten waren auf Hitler schlecht vorbereitet, im biografischen, strategischen und politisch-konkreten Sinn.» Sie hätten deshalb «den sperrigen Gesprächspartner» «zwecks schneller Schlagzeilengewinnung» einfach reden lassen.» Die Analyse ergibt gespenstische Ähnlichkeiten zur Gegenwart. Es geht nicht darum, Hitler mit Khomeini oder Assad, Putin oder Trump zu vergleichen. Es geht um die Ähnlichkeit der Mechanismen, wie sie zwischen autoritärer Macht und demokratischer Presse spielen.
Das Titelbild des Buchs zeigt drei Schwergewichte des amerikanischen Journalismus mit Adolf Hitler am 17. August 1932 auf dem Berghof: Karl H. Von Wiegand (Hearst), Hans V. Kaltenborn (CBS) und Louis P. Lochner (Associated Press). Nach dem Treffen mit Hitler gab Karl von Wiegand zu Protokoll: «Dieser Mann ist ein hoffnungsloser Fall. Es wird jedes Mal schlimmer, wenn ich ihn sehe. Ich habe nichts aus ihm herausbekommen. Wenn du ihm eine Frage stellst, hält er eine Rede. Dieser ganze Besuch bei ihm war eine Zeitverschwendung.» Trotzdem trabten die Korrespondenten immer wieder bei Hitler zum Interview an. Ganz im Gegensatz zur inländischen Presse. Lutz Hachmeister nennt in seinem buch zwei Gründe dafür: «Zum einen hatten demokratische Qualitätsblätter wie die ‹Frankfurter Zeitung› oder das ‹Berliner Tageblatt› kein Interesse an dem völkischen Rabulistiker und Provinzpolitiker Hitler, der sich wiederum bis 1933 auch nicht mit Journalisten von ‹Judenblättern›, wie er sie nannte, treffen wollte. Danach waren sie für ihn ohnehin nicht mehr relevant. Zum anderen verfügte die NSDAP mit dem ‹Völkischen Beobachter› über ein eigenes Zentralorgan, in dem Hitler ab 1921 gern und häufig schrieb».
Interessant an der Analyse von Lutz Hachmeister sind die grundsätzlichen Ergebnisse. Erste Erkenntnis: Diktatoren mögen die Presse nicht, nutzen sie aber gerne. So hat Hitler, viel häufiger als vom Publikum angenommen, Gespräche förmlich bestellt. Damals wie heute argumentieren Diktatoren mit Schablonierungen und unterkomplexen Vereinfachungen, losgelöst von Fakten und oft beleidigend. Schon Hitler erkannte, dass ein Interview nützlicher sein kann als eine öffentliche Rede. Ohne plausiblen Anlass eine Rede zu halten, ist gefährlich. Intelligente Menschen suchen sofort nach dem Grund für die Rede. In einem Interview dagegen kann man auch in Nebensätzen Wichtiges unterbringen und Botschaften transportieren. Dabei ist es oft kaum relevant, wer das Interview führt. Reichspressechef Dietrich zitierte dazu Hitler: «Ob der Vertreter eines grossen oder kleinen, befreundeten oder neutralen Landes sei, spiele dabei keine Rolle; denn abgedruckt – da habe der Reichspressechef ganz recht – werde das Interview sowieso in der ganzen Welt.» Das ist noch heute so.
Damals wie heute wirken zwischen Interviewern und Interviewten «sich wechselseitig verstärkende Prominenzeffekte: Wirklich mächtige politische Führungsfiguren können sich häufig ihre journalistischen Interviewpartner aussuchen, während für Starjournalisten die Liste der Diktatoren, Staatschefs oder Topterroristen, die sie getroffen haben, zu Standardangaben in ihren professionellen Biografien gehört», schreibt Lutz Hachmeister. Das galt für die grossen Journalisten-Egos der 30er Jahre wie es heute für Tucker Carlson gilt.
Fast nebenbei werden weitere Parallelen zur Gegenwart deutlich. So erklärte Hitler in seiner Reichstagsrede vom 11. Dezember 1941, in der er den USA den Krieg erklärte, US-Präsident Franklin D. Roosevelt und dessen Amtsvorgänger Woodrow Wilson für «geisteskrank». Er beschreibt seinen Kampf für das Volk und seinen Einsatz dafür, Deutschland wieder gross zu machen: Sein Ziel es es, «das deutsche Volk aus dieser Zersplitterung zu erlösen, aus seiner Lethargie herauszureissen, es aus seinem Schlaf zu bringen und wieder zusammenzufassen.» Hitler erklärte zudem, dass er auf den meisten Gebieten keine Berater oder überhaupt irgendwelche Experten brauche: «Bei mir genügt immer mein Kopf ganz allein. Ich habe keinen Gehirntrust zur Unterstützung notwendig. Wenn also wirklich eine Veränderung irgendwo stattfinden soll, dann entsteht das zunächst in meinem Gehirn und nicht im Gehirn anderer, auch nicht bei Experten.»
Über diese Art von Egomanie und Solipsismus hätten auch die Hitler-Interviewer informiert sein können. In seinem Buch zeigt Lutz Hachmeister, dass sie das meist nicht waren. Er legt eine Chronologielogische Analyse der Hitler-Interviews mit der Auslandpresse vor und fragt am Schluss, welchen Sinn journalistische Interviews mit Diktatoren und Autokraten haben. Das Ergebnis seiner Analyse lässt sich kurz zusammenfassen: Sie ergeben sehr wenig Sinn.
Schon gar nicht, wenn sich Journalisten schlecht vorbereiten. Aber auch hervorragend vorbereitete Interviewer wie Armin Wolf vom ORF laufen bei Diktatoren auf. «Journalisten in demokratischen Mediensystemen sollten sich daher immer fragen, ob letztlich die Propagandaeffekte für den Tyrannen, der häufig mit Grossmachtansprüchen auch demokratische Systeme des Auslands aushebeln möchte, nicht gewichtiger sind als alle kurzfristigen Nachrichtenwerte und Scoops.» Für die Beschäftigung mit solchen Fragen liefert die Geschichte der Hitler-Interviews, wie sie Lutz Hachmeister vorgelegt hat, im Detail wie im Gesamtergebnis spannendes Material.
Lutz Hachmeister: Hitlers Interviews. Der Diktator und die Journalisten. Kiepenheuer & Witsch, 384 Seiten, 39.50 Franken; ISBN 978-3-462-00240-9
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783462002409
Wenn Sie das Buch lieber digital für Ihren Kindle beziehen möchten, klicken Sie hier
Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps finden Sie hier: https://www.matthiaszehnder.ch/buchtipp/
Abonnieren Sie meinen Newsletter, dann erhalten Sie jede Woche den Hinweis auf das Sachbuch der Woche in Ihre Mailbox geliefert: https://www.matthiaszehnder.ch/abo/