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Alles oder Nichts

Publiziert am 27. März 2025 von Matthias Zehnder

Ein Buch über Donald Trump? Das wirkt so absurd, wie wenn man einen Zeichner an einen Fussballmatch schicken würde, wo das Spiel doch im Fernsehen übertragen und per Lifeticker kommentiert wird. Doch gerade die Flut der Meldungen über den Mann im Weissen Haus führt dazu, dass man vor lauter Bäumen manchmal den Wald nicht mehr sieht. Da hilft Michael Wolff: Er beschreibt die Zeit von der Abwahl bis zur Wiederwahl von Donald Trump so prägnant und süffig wie ein Thriller-Autor. Nach seiner Wahlniederlage 2021 zog sich Donald Trump nach Florida zurück – verlassen von engen Vertrauten, gezeichnet vom Sturm aufs Kapitol. Doch entgegen aller Wahrscheinlichkeiten und Voraussagen gelang ihm ein spektakuläres Comeback. Wolff schildert, wie Trump Attentatsversuche, Anklagen und Prozesse zu seinen Gunsten drehen konnte und 2024 ins Weisse Haus zurückkehrte – als rachsüchtiger Kämpfer, der seine Kandidatur als Vergeltung inszenierte. Wolff schreibt scharf, zugespitzt, mit vielen Zitaten anonymer Quellen und bizarren Details. Er porträtiert Trump als egomanen Strippenzieher, umgeben von loyalen Helfern, die ihn lobhudeln. Er schildert, wie Trump die juristischen Angriffe in mediale Präsenz und als Basis für seinen Wahlkampf nutzte. Er zeichnet Trump dabei als einen Sieger ohne Freude – getrieben nicht von einem Gestaltungswillen oder einer Mission, sondern von Geltungsdrang und Rachsucht. Am Ende zitiert Wolff einen langjährigen New Yorker Bekannten von Donald Trump: Was Trump am meisten errege, sei nicht das Feuer, sondern die zum Einsatz rasenden Feuerwehrfahrzeuge und das Sirenengetöse. Das Dramatische daran, das Konfliktgeladene, der Tumult und die Wut. Wenn wir die letzten Tage und Wochen betrachten, den weltweiten Tumult rund um die Zollentscheidungen, die ebenso gefährliche wie lächerliche Posse rund um die Signal-Leaks und das gnadenlose Vorgehen gegen Andersenkende, können wir dem Bekannten nur recht geben.

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Das Buch setzt 2021 ein. Trump hat die Wahl verloren (was er nicht eingestehen will) und sich nach Florida zurückgezogen. Mar-a-Lago war ein guter Ersatz für das Weisse Haus. Wolff schreibt, Trump hsbe seine Tage so verrbacht, wie er es im Westflügel des Weissen Hauses und zuvor im Trump Tower getan hatte: Er traf sich mit Fans, Gefolgsleuten, Schleimern und Opportunisten. Er spielte Golf. Und alle redeten ihn weiterhin, nicht nur ehrenhalber, mit «Mister President» an. «Als König von Mar-a-Lago lebte er womöglich besser denn als Präsident», schreibt Wolff. Jeden Abend, wenn er die Terrasse zum Dinner betrat, erhoben sich zweihundert Gäste, applaudierten lange und ausgiebig und suchten später seine Nähe, um einen persönlichen Gruss auszutauschen und ein paar Augenblicke privater Schleimerei zu geniessen. Wohin auch immer er ging, betrachtete ihn seine Machtbasis, die MAGA-Leute, geradezu mit Ehrfurcht. Er verfügte weiterhin über den Schutz durch den Secret Service, zu manchen Zeiten mit bis zu achtzig Personenschützern. Und er war das Schwergewicht der Republikanischen Partei; sein Einfluss überragte den jedes anderen. «Er führte ein Leben wie seinerzeit im Westflügel, musste aber nichts mehr tun und war auch für nichts verantwortlich. Eigentlich war das eine ideale Situation», schreibt Wolff. Warum ist Donald Trump nicht in Mar-a-Lago geblieben? Lasut Wolff aus zwei Gründen: Zum einen, weil ihn eines Tages ein anderer Republikaner als Bannerträger ersetzen könnte. Und das hielt er nicht aus. Zum anderen, weil er in die Offensive geht, wenn man ihn angreift – und genau das machten aus seiner Sicht die verschiedenen Staatsanwälte in den Klagen, mit denen er sich zu beschäftigen hatte.

Wolff schildert das Leben und Denken des Donald Trump wie in einem Krimi. Eine wesentliche Rolle spielt dabei seine Entourage. Auch im Rückblick können wir nur staunen, mit welch zwielichtigen Gestalten sich der ehemalige Präsident der USA umgibt – und wie er es trotzdem immer wieder schafft, sich durch eine eigentümliche Mischung aus Angriff, Frechheit, Selbstüberschätzung und schierem Glück aus den misslichsten Situationen zu befreien und alle Fachleute Lügen zu strafen.

Trumps Leute, schreibt Wolff, denken nicht grundlegend anders über ihn als der Rest der Welt: «Sie halten ihn für launisch, kapriziös, faul, schlecht informiert und unaufmerksam. Der Unterschied liegt nur darin, dass sie ihn aus der Nähe erlebt haben. Sie haben gesehen, wie er Dinge überlebte, die andere sterbliche Politiker umgebracht hätten. Und deshalb glauben sie inzwischen, dass er etwas weiss, sieht, begreift, eine Art neuer Wirklichkeit wahrnimmt, die wir anderen nicht erkennen.»

Wolff erzählt nicht nur die grosse Geschichte. Es sind die kleinen Details, die sein Buch ausmachen, den Blick, den er uns hinter die Kulisse und ein bisschen auch hinter die Stirn von Donald Trump werfen lässt. Nach dem versuchten Attentat in Butler lehnt Trump im Krankenhaus, in das er eilig gebracht wird, eine Computertomografie ab: Er befürchtet, man könne Ablagerungen erkennen, die Leute würden dann behaupten, er hätte Alzheimer.

Wolff zeigt dabei quasi nebenbei, wie unprofessionell die Demokraten ihren Wahlkampf führten. Mit beissendem Spott hält er fest, dass die Demokraten neun Jahre Zeit hatten, um «herauszufinden, wie sie das Scheusal zu Fall bringen können». Weder Trump zu besiegen noch ihn vor Gericht zu bringen, habe funktioniert. Die «kraftlose Demokratische Partei» habe lange nicht glauben können, dass Donald Trump, den sie als echte existenzielle Bedrohung betrachtete, wählbar war – bis sie die harten Zahlen sah, die den Erdrutsch deutlich machten. Erst nach dem öffentlichen Spektakel mit einem ratlosen, hilflosen Joe Biden im direkten Streitgespräch mit einem erbarmungslosen Trump liess sich die Partei «zu ernsthaften Bedenken, dann zu regelrechter Panik und endlich zu entschiedenem Handeln bewegen». Fast buchstäblich über nacht wurde Kamala Harris, die Nachfolgerin von Biden, zur «Inspiration, Mission und Zukunft der Demokratischen Partei». Die Dems liessen den Kandidaten Biden, von dem alle angenommen hatten, dass Trump ihn klar schlagen würde, sang- und klanglos verschwinden. Drei Jahre lang hatte sowohl in der Partei als auch in den Medien kaum jemand auch nur ein gutes Wort über Kamala Harris gesagt. Jetzt vollzog sich ein «blitzschneller, schwindelerregender Wandel, und sie wurde zum verborgenen Juwel der liberalen Politik, zu einer einzigartigen Gestalt voll politischer Energie und Klarsicht. Ein Trump-Killer.» Damit überraschten die Demokraten auch das Team Trump.

Zum Leidwesen von Donald Trump stand jetzt plötzlich Kamala Harris im Mittelpunkt des Interesses. «Seit Beginn des Wahlkampfs hatte es kaum einen Nachrichtenzyklus gegeben, den Trump nicht dominierte. Auch deshalb konnten ihm seine innerparteilichen Opponenten nicht das Wasser reichen. Biden hatte im vergangenen Jahr überhaupt keine Chance gegen Trump gehabt.» Doch es dauerte nicht lange, dann sorgte «sein übernatürliches Glück», wie Wolff es schreibt, dafür, dass die Bühne wieder ihm gehörte. Denn, wir wissen es, er hat es am Ende wieder geschafft.

«Er hatte alles erreicht, wonach er gestrebt hatte. Er übertraf mit seinem Comeback vermutlich alle anderen Politiker der modernen Geschichte. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt und gewonnen», schreibt Wolff. «Er hatte sein Leben lang nach der nächsten Stufe Ruhm, Anerkennung, Aufmerksamkeit geheischt, jetzt gab es kein Ziel mehr. Er würde mit 82 aus dem Amt scheiden – so alt wie keiner vor ihm. Mehr war nicht zu haben.» Und das wird zum grössten Problem für Donald Trump. Was jetzt? «Er wird ein Freund von Chaos und Dreistigkeit bleiben, denn die Kombination hält ihn im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit – sein wahres Amüsement – und lenkt ihn von allem ab, was eigentlich gerade seiner eigenen Aufmerksamkeit bedürfte. Und – sein wahrer Lebenszweck – er wird sich auf seine Eigenwerbung und auf die Frage konzentrieren, wie er es auf den Mount Rushmore schafft.»

Michael Wolff: Alles oder nichts. Donald Trumps Rückkehr an die Macht. Droemer/Knaur, 480 Seiten, 39.50 Franken; ISBN 978-3-426-28480-3

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783426284803

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