This Wachter: «Automatisieren lässt sich nur die seelenlose Faktenhuberei»

Publiziert am 23. Juni 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit This Wachter, Audio- und Podcastproduzent der Audiobande. Er sagt, die Medien müssten auf den sozialen Medien präsent sein, weil sich da jene Menschen tummeln, die keine klassischen Medien konsumieren. «Die Kunst liegt darin, für Aufmerksamkeit zu sorgen, ohne Empörung zu bewirtschaften.» Er selbst pflegt aber zu den sozialen Medien eine «platonische Beziehung» – sprich: er ist nur beruflich präsent. Für freie Journalist:innen sieht er schwarz: «Heute lebt man als freier Journalist, der nicht zusätzlich in der Kommunikation arbeitet, im Prekariat.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Die gute alte Zeitung.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Ich pflege mit ihnen eine platonische Beziehung, also vor allem eine berufliche.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Ich war wieder etwas mehr auf den News-Apps als vorher.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Heute kann man sich als Podcastproduzent selbstständig machen – früher war es also schlechter. Heute lebt man als freier Journalist, der nicht zusätzlich in der Kommunikation arbeitet, im Prekariat – früher war es also besser.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Eine endlose.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Jene Bücher, die schon lange aus irgendeinem Grund zuhause im Büchergestell stehen. Die Tagebücher aus der Jugend, um sich der eigenen Vergänglichkeit bewusst zu werden. Und immer wieder die AGBs (ich tue es auch nicht).

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Bei Büchern, die mich auf den ersten Seiten nicht packen, bin ich gnadenlos.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Beim Spazieren durch unbekannte Gegenden und durch spontane Plaudereien mit Fremden.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

13 Jahre, drei Monate und sieben Tage.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Gefahr. Wenn die Medien ihre Daseinsberechtigung Fake News verdanken, dann merci schön!

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Fünf Minuten SRF 4 News beim Rasieren am Morgen (um mich zu versichern, dass sich die Welt noch dreht und sich Radio SRF dabei nur wenig verändert). Und aus aktuellem Anlass Live-Fussball am TV. Sonst nur noch on demand.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Wer keine Podcasts hört, kann keine produzieren. Ich bin so verstrickt in der Podcastszene, dass ich mich nicht getraue, öffentlich den einen Podcast herauszuheben und die anderen zu ignorieren. Denn es geht allen gleich: Wer einen Podcast macht, liebt ihn.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Depriviert klingt deprimierend. Wichtig ist es, News-Deprivierte zu verstehen und den Wert der News-Lawine nicht aus einer medialen Innensicht heraus zu überhöhen. News-Deprivierte tummeln sich vor allem auf dem Boulevard der sozialen Medien, wo auch die traditionellen Medien präsent sein müssen. Die Kunst liegt darin, für Aufmerksamkeit zu sorgen, ohne Empörung zu bewirtschaften. Also Zeit und Geld für tiefschürfenden Journalismus bereitzustellen. Die 45% Nicht-News-Deprivierten danken es (und bezahlen es hoffentlich.)

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Nur die seelenlose Faktenhuberei (was womöglich in zehn Jahren für einen Drittel der Tagi-Artikel zutrifft – vielleicht sind ja dann auch die Leserinnen und Leser durch Roboter ersetzt).

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch. Werden und Vergehen von Medien gab es in der analogen Welt und gibt es in der digitalen.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Klar. Ausser für Freie.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja. Einkaufszettel und persönliche Karten (wobei mir auffällt, dass meine Schrift auch schon schwungvoller und meine Hand lockerer waren.)

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Who the fuck is Trump? (Ignorieren ist ein zu selten benutztes Mittel der Medien.)

Wem glaubst Du?

Menschen, die über sich lachen und an sich zweifeln können (also keinen Fundamentalistinnen und Dogmatikern).

Dein letztes Wort?

Das hätte Gewicht und ich zweifle an mir, dass ich das richtige finde.


This Wachter
This Wachter schenkte sich zu seinem 50. Geburtstag die Kündigung bei Radio SRF 4 News und machte sich später als Audio- und Podcastproduzent selbstständig. Als Mitglied der Audiobande realisiert er Podcasts wie «Am Wegrand», «Supernova» und für die NZZ am Sonntag Audioserien wie «Sihlquai» und «Vermisst: Ursula Koch». Letztere wurde mit den Swiss Press Award 2021 ausgezeichnet. Früher war er als Wissenschafts- und Politjournalist tätig, etliche Jahre davon beim Berner «Bund». Er lebt und arbeitet in Bern.
www.audiostorylab.com, Twitter @this_wachter


Basel, 23. Juni 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Bild: Sabina Bobst

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