Denise Bucher: «Mein Bedürfnis nach Print ist gestiegen»

Publiziert am 30. Juni 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Filmjournalistin Denise Bucher. Sie sagt: «Je schlechter die Menschen informiert sind, desto leichter lassen sie sich manipulieren». Sie selbst lese zwar lieber auf Papier, weil sie die Übersichtlichkeit von gedruckten Zeitungen und Magazinen möge. «Das endlose Scrollen liegt mir nicht. Aber dennoch: Online haben wir mehr Möglichkeiten.» Voraussetzung sei aber, «dass man Journalismus stärker multimedial denkt und nach neuen Formen sucht, und nicht bloss einen Abklatsch von Printprodukten online stellt.» Um die Zukunft des Journalismus macht sie sich keine Sorgen: «Ich kenne diesen Beruf nur im Krisenzustand, aber liebe ihn trotzdem sehr.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Eine Infosendung von 3sat oder Arte. Auch gern Trevor Noah oder John Oliver.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Twitter ist halb unterhaltsam, halb nützlich, um sich einen Überblick über Aktualitäten zu verschaffen oder Ereignisse so gut wie in Echtzeit mitzuverfolgen. Auf Facebook hingegen, das einen in eine immer kleiner werdende Bubble zwingt, verbringe ich kaum noch Zeit. Instagram war eine Weile lustig, aber das hat sich schnell abgenützt.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Mein Bedürfnis nach Print ist gestiegen, weil der Bildschirm omnipräsent war. Das hat nicht nur damit zu tun, dass ich nicht gern am Computer lese, sondern auch damit, dass von Print im Vergleich zu Onlinemedien eine willkommene Ruhe ausgeht.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Beides. Die Abnahme der Vielfalt ist bedenklich, vielleicht sogar bedrohlich. Erfreulich hingegen ist, dass es heute im Journalismus mehr Frauenstimmen gibt. Es dürften gern noch mehr werden, gerade auch in leitenden Positionen.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Wenn man davon ausgeht, dass Menschen dem Geschriebenen auch weiterhin mehr Glauben schenken als dem Gesagten, dann bestimmt.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Bücher.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Es gibt zu viele Bücher, um sich mit schlechten aufzuhalten.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In Büchern, in qualitativ hochwertigen Medien, in Filmen und von Menschen.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Wenn ich das wüsste, würde ich noch ganz andere Dinge voraussagen können und nebenberuflich als Wahrsagerin reich werden. Da ich Tageszeitungen schon länger nur noch online lese, würde ich sie kaum vermissen. Wochentitel hingegen sehr.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Dass wir, inspiriert von Trump, damit angefangen haben, «Fake News!» zu schreien, sobald uns etwas nicht passt, hat zu sinkendem Vertrauen in die Medien geführt. Diesen Kollateralschaden halte ich für gefährlicher als Fake News selbst. Das Vertrauen können Medien wohl nur durch herausragende Qualitätsarbeit zurückgewinnen. Und das kostet Geld.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

So gut wie gar nicht. Nur beim Autofahren höre ich manchmal Radio. Und ich schaue mir Skirennen und ab und zu Fussballspiele an.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ja, ich höre viele Podcasts. Die BBC macht einige sehr gute, von der «Zeit» mag ich «Alles gesagt». Und niemand macht so gute Interviews wie Terry Gross von «Fresh Air».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Obwohl sie ständig online sind? Für die Medien bedeutet das, dass wir uns fragen müssen, was wir falsch machen. Genauso auch die Schulen. Als Lehrperson hat man eine Verantwortung dafür, mit seinen Schülerinnen und Schülern über den Umgang mit und die Bedeutung von Medien zu sprechen. Falls die Ahnungslosigkeit über 29 hinweg anhält, bedeutet es für die Gesellschaft das, wovon Autokraten träumen: Je schlechter die Menschen informiert sind, desto leichter lassen sie sich manipulieren.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Das heisst, dass es den «Tages-Anzeiger» in zehn Jahren noch gibt? Geführt von jemandem, der Menschen mit Maschinen ersetzen will, ist das schwierig vorstellbar. Falls es zu dieser erträumten Automatisierung kommen sollte, plädiere ich dafür, dass man zwischen News-Fabriken und Redaktionen unterscheidet. Journalismus wird von Menschen gemacht.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Zur Befreiung. Ich lese zwar selbst lieber auf Papier, weil die Übersichtlichkeit von gedruckten Zeitungen und Magazinen mag. Das endlose Scrollen liegt mir nicht. Aber dennoch: Online haben wir mehr Möglichkeiten. Vorausgesetzt, dass man Journalismus stärker multimedial denkt und nach neuen Formen sucht, und nicht bloss einen Abklatsch von Printprodukten online stellt.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Wenn ich diese nicht sehen würde, würde ich am Morgen nicht aufstehen wollen. Ich kenne diesen Beruf nur im Krisenzustand, aber liebe ihn trotzdem sehr. Die Orientierungslosigkeit in unserer Branche macht zwar manchmal schwindlig, aber solange das Bedürfnis nach seriöser Information spürbar bleibt und der Wille vorhanden ist, dafür auch zu zahlen, ist nicht alles verloren. Ich höre Klagen in meinem Umfeld, dass man sich eine Zeitung wünscht, die seriös und fundiert, nüchtern und nicht ideologisch gefärbt informiert, gerade auch über Lokales, man diese aber auf dem Markt nicht findet.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, sogar ziemlich oft.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Eine Katastrophe. Siehe die Antwort zu den Fake News.

Wem glaubst Du?

Fast niemandem.

Dein letztes Wort?

Lest und bleibt skeptisch.


Denise Bucher
Denise Bucher ist Filmjournalistin und Präsidentin des Schweizerischen Verbands der Filmjournalistinnen und Filmjournalisten (SVFJ). Denise Bucher hat nach dem Grundstudium der Fotografie an der Hochschule der Künste Zürich an der Universität Zürich Germanistik, allgemeine Geschichte und Filmwissenschaft studiert. In den Journalismus stieg sie über ein Volontariat bei «saldo» und «K-Tipp» ein. Schon während der Ausbildung am MAZ schrieb sie für diverse Zeitungen als Freie: «Die Zeit», das «Tagimagi», den «Züritipp», die «NZZ am Sonntag» und deren Filmmagazin «Frame». Dort ist sie seit 2016 in einem Teilzeitpensum als Redaktorin angestellt und schreibt auch regelmässig für den Kulturbund der «NZZ am Sonntag», vorwiegend, aber nicht ausschliesslich über Filmthemen.

https://blog.denisebucher.ch/denise-bucher.html


Basel, 30. Juni 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:
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2 Kommentare zu "Denise Bucher: «Mein Bedürfnis nach Print ist gestiegen»"

  1. Ob Online oder Print, ob Fake oder nur News: Wir leben in und mit einem System, wo die Mehrheit die Macht hat zu sagen, was gilt … und das auch dann, wenn es nicht für alle und für alles das Richtige ist. Wir leben in einem Schlaraffenland. Mit einer Mehrheit von wohlstandsverwahrlosten Bürger*innen, die gemäss ihrem Verhalten wahlweise als dumm, unkritisch, obrigkeitshörig, bequem oder einfach nur als vergnügungssüchtig gesehen werden müssen, ist die Demokratie im Eimer. Wir leben in einer vielfach gespaltenen Gesellschaft. Mit Parlamenten und Parteien, die vor allem an der Macht interessiert sind, und sich in Sachfragen perspektivenlos wie auf einem Karussell im Stillstand im Kreis drehen, lässt sich kein Staat machen und keine nachhaltige Zukunft bauen. Fazit: Sei gelassen und vertraue mit Herz und Kopf freiheitsliebend konsequent und friedvoll mutig auf deine innere Wahrheit. Und giesse immer wieder die Bäumchen, die du gepflanzt hast.

  2. Denise Bucher lebt in einem Bläschen. In ihrem Bläschen. Natürlich leben wir alle in einem Bläschen. Sie in ihrem Flim- und Kunstbläschen. Alles muss irgendwie mit Kunst, mit Film, mit Interesse, mit Tiefgang, mit Hintergrund, mit Kultur zu tun haben.
    Wahrscheinlich lebt sie auch in ihrem Kinderlos-Bläschen. Denn wer zum Frühstück „3sat“ schaut… dies wird wohl (verantwortungsvoll) nicht anders gehen. Deshalb ist z.B. Kinderbegleitung ihr fremd. Nicht wertend. Aber ungesamtheitlich.
    Deshalb ist auch Trump „schrecklich“. Weil nicht aus Sicht des Hispanics oder Latinos, der zur Trump-Ära endlich wieder Arbeit fand, weil nicht aus Sicht des Mehrfachjobbers, welcher in der Trump-Ära wieder einen richtigen Job als Ernährer fand anstelle 7 miese Jobs gleichzeitig. Nicht aus Sicht des Börsianers, welcher zur Trump-Ära Börsenhöhenflüge beging. Nicht aus Sicht der Grenzbewohner zu Mexico, welche – hüben wie drüben – eine Schusswaffenatempause hatten, ihre Kinder 4 Jahre lang im Vorgarten spielen lassen konnten, ohne in einen Schusswechsel zu gelangen, die Drogenclans ihre Revierabsteckungen zurückfuhren…. Nein, sie sieht es als Europäer-Kopf-Bläschen-Mensch, informiert von dem Euro-Press-Bläschen…..
    Dies alles – NICHT WERTEND – sondern aufzeigend, was so Einzelinterviewantworten aufzeigen. Der jeweilige Ballon des Befragten. Meist hochgebildet und durch dies in die Falle des Empathielosen, des Gehobenen, der Upperclass-Person getappt.
    Deshalb, ja genau deshalb sollten die so vielen guten Interviews zu einem Buch gebunden werden, einem Kaleidoskop über die Medienschaffenden unseres Landes. Dann käme man einer Gesamtschau näher, könnte Parallelen aufzeigen, Differenzen, Tendenzen und hätte so eine wunderbare Vergleichsmöglichkeit, wie unsere Medienzunft wirklich tickt.
    Natürlich, ein enormer Aufwand, auch finanziell – doch wer weiss, interessanter allemal wie das was oftmals heute in den Buchhandlungen zwischen zwei Buchdeckeln zu lesen ist….
    Übrigens: Was hilft denn noch gegen so viele (eigenbrödlerische) Blasen wie wir sie im hier und jetzt haben?
    Thomas Bär (Ex-DRS-Mann und heutiger Hotelier im Weissen Kreuz in Bergün) gab mir in seiner trockenen und unvergleichlichen Art die Antwort dazu: «Blasentee.»

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