Matthias Ackeret: «Ich bin kein professioneller Medienpessimist»

Publiziert am 10. November 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Matthias Ackeret, Verleger und Chefredaktor des Branchenmagazins «persönlich». Ackeret sagt, die Schweiz habe «eine sehr lebendige Medienszene mit qualitativ hochstehenden Titeln». Das Problem sei, dass «das Publikum, für das wir produzieren, dies wegen Zeitmangel und anderen Hindernissen nicht mehr estimiert.» Er bedauert, dass «die Journalistinnen und Journalisten heute immer mehr aus der News-Room-Perspektive heraus ein Bild der Welt machen, ohne in die Welt hinauszugehen.» Ackeret selbst war acht Jahre lang VJ im ersten Team von «TeleZüri» und sagt: «Ich habe in dieser Funktion jeden Winkel Zürichs kennengelernt. Das prägt viel mehr als jede theoretische Betrachtung.» Er sagt deshalb, die Hauptgefahr im heutigen Journalismus sei es, «dass alle voneinander abschreiben und dass man vor allem Journalismus für seine Kolleginnen und Kollegen macht.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Da ich selten Frühstück essen, mache ich meinen Medienkonsum nicht davon abhängig. Wenn doch, ist das iPhone dabei, sofern man dies als Medium bezeichnen kann. Unerlässlich für meinen Tageskonsum ist aber der gedruckte «Tagi» und die «NZZ».

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Facebook und Instagram konsumiere ich sehr viel, wobei ich letzteres für das perfekteste Medium halte. Die realexistierende Umsetzung des Warhol-Prinzips «15 minutes of fame».

Bei Twitter habe ich einen eigenen Account, den ich aber nie nutze. Es ist mir zu zeitaufwändig und auch zu gefährlich, da man sich einer kleinen Pointe wegen oftmals Aussagen provozieren lässt, die man später bereut. Ich habe einmal eine Liste derjenigen Personen geführt, die über solche Tweets gestürzt sind. Sie war lange.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Passiv eigentlich überhaupt nicht. Aktiv – als «persönlich»-Verleger – hatten wir im Verlag Kurzarbeit und einzelne Heftausgaben mussten wir wegen der fehlenden Inserate im Umfang reduzieren oder terminlich zusammenlegen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Ich bin kein professioneller Medienpessimist. Ich glaube, die Schweiz hat eine sehr lebendige Medienszene mit qualitativ hochstehenden Titeln. Das Problem ist eher, dass das Publikum, für das wir produzieren, dies wegen Zeitmangel und anderen Hindernissen nicht mehr estimiert.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Unbedingt.

Was soll man heute unbedingt lesen?

(lacht) persoenlich.com und «persönlich». Und die Peter-Bodenmann-Kolumne in der «Weltwoche», weil sie überraschend ist und jeglichen Gesetzmässigkeiten einer Kolumne widerspricht. Sie zeigt aber, dass man auch mäandernd zum Ziel kommt.

 Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Nein, ich kann Bücher nur nicht wegschmeissen, auch wenn sie schlecht sind. Das täte mir weh. Aber ich kann auch kein Fleisch und Fisch essen. Diesbezüglich bin ich sensibel.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

In den sozialen Medien. Und in der «Bunten».

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Solange es Leserinnen und Leser gibt, die sie kaufen und auch lesen. Ich gehöre immer noch dazu. Konkreter: sicher noch zehn Jahre. Wenn die Leserinnen und Leser den gleichen Stoff digital konsumieren, geht die Welt auch nicht unter. 

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Fake News und Verschwörungstheorien gab es immer. Und auch den sogenannten seriösen Medien entspricht auch nicht alles immer der Wahrheit. Trotzdem ist es wichtig, dass es professionellen Journalismus gibt. Was ich echt bedauere, dass die Journalistinnen und Journalisten heute immer mehr aus der News-Room-Perspektive heraus ein Bild der Welt machen, ohne in die Welt hinauszugehen. Ich war acht Jahre lang VJ im ersten Team von «TeleZüri» und habe in dieser Funktion jeden Winkel Zürichs kennengelernt. Das prägt viel mehr als jede theoretische Betrachtung. Die kollektive journalistische und publizistische Fehleinschätzung der Trump-Wahl 2016 ist für mich der ultimative Beweis dieser These. Die Hauptgefahr im heutigen Journalismus ist es, dass alle voneinander abschreiben und dass man vor allem Journalismus für seine Kolleginnen und Kollegen macht.  

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Immer noch grosses Kino, um dieses verquere Wortspiel zu machen. Ich bin Traditionalist. Schawinski hat mit seiner Endlos-Corona-Serie vorgemacht, wie spannend lineares Live-Radio auch heute noch sein kann. Ähnlich verhält es sich mit dem «Donnschtig Jass», der jeweils im Sommer live vom Schweizer Fernsehen übertragen wird. Das sind Ereignisse, die müssen auf der grossen Bühne live stattfinden. 

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Praktisch nie, dies aber aus Zeitmangel. Die «NZZ» hat einen hervorragenden Podcast über Ursula Koch gemacht, der Stern einen über die gefälschten Hitler-Tagebücher. Meine Sendung «Shortlist» mit Marc Jäggi auf Radio 1 kann man auf Podcast hören. Das freut mich hingegen sehr. 

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

War es früher anders? Schon in meiner Schulzeit vor bald vierzig Jahren hörte ich den Vorwurf, wir läsen zu wenig Bücher. Ich habe den Eindruck, dass eine Gesellschaft die Heranwachsenden immer als «problematisch» bezeichnet. Ich sehe es anders: das Bedürfnis nach News wird immer bestehen, die Frage ist nur, wo und wie man diese konsumiert.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Nein.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch. Ein Teil der Bevölkerung hat immer das Bedürfnis nach professionellem Journalismus. Nur die Werkzeuge, wie dieser konsumiert wird, ändern. Die Digitalisierung macht doch vieles möglich, was früher noch undenkbar war. So können wir uns beispielsweise im Tram oder Zug über aktuelle Fussballresultate oder andere Geschehnisse informieren. Das ist doch toll. Das ist ja die Crux: wir sind ständig digital unterwegs und fluchen gleichzeitig darüber.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Unbedingt. Nur müssen die JournalistInnen und Journalisten wieder mehr raus. Viel grösser ist doch die Gefahr, dass viele Medien gar nicht mehr ihr Publikum erreichen, da sie in der berühmten Wolke leben.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Gut. Ansonsten hätten die Medien nicht ständig nicht über ihn berichtet. 

Wem glaubst Du?

Der «Bunten». 

Dein letztes Wort?

Wir Medienmenschen sollten uns nicht zu wichtig nehmen. Es gibt auch ein Leben ausserhalb.


Matthias Ackeret
Matthias Ackeret (1963) ist Verleger und Chefredaktor von «persönlich», der Schweizer Branchenzeitschrift für die Kommunikationswirtschaft. Ackeret hat in Zürich Jurisprudenz studiert und schrieb seine Dissertation über das Schweizer Medienrecht. Er gehörte 1994 dem Urteam von «TeleZüri» an und arbeitete danach als Bundeshaus-Korrespondent beim SRG-Sender «S-Plus». Seit 2002 ist er Chefredaktor von persoenlich.com und «persönlich», seit 2014 deren Verleger. Seit 2008 hat er in der «Schweiz am Wochenende» eine Medienkolumne. Ackeret schrieb fünf Romane. Der neuste heisst «SMS an Augusto Venzini» und ist im Münster-Verlag erschienen – den Verlag hat Matthias Ackeret im Juni zusammen mit Manfred Klemann übernommen. Seit 2007 führt Ackeret jede Woche ein Gespräch mit Alt-Bundesrat Christof Blocher – die aktuelle Folge von «Teleblocher» ist Gespräch Nummer 740. Ackeret wohnt in Zürich.
https://www.persoenlich.com/ 


Basel, 10. November 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:
www.matthiaszehnder.ch/abo/

4 Kommentare zu "Matthias Ackeret: «Ich bin kein professioneller Medienpessimist»"

  1. Wenn Herr Ackeret sagt: „Die Hauptgefahr im heutigen Journalismus ist es, dass alle voneinander abschreiben …“, dann gilt dies regional leider auch für meinen Hoffnungsträger «bajour», der vor allem den Kaffee aufwärmt, den Mainstream-Medien gekocht haben.

  2. Welch Licht und Strahlen auf meinem Bildschirm!
    M. Ackeret ist einer der besten, brilliantesten und grossartigsten Medienschaffenden unseres Landes.
    Ob früher mit Jean Ziegler, mit Gerhard Schröder oder Christoph Blocher – „Auf Du und Du“ mit der hohen Literatur (Martin Walser) oder Small Talk mit Helmuth Newton – Ausnahmetalent Ackeret kanns – allumspannend!
    Medienkenner, Werbekenner, Weltenbummler, Romanschreiber, Musikliebhaber, Unternehmer, Verleger – „Die ganze Welt ist Ackeret“ !
    Hoffe bleibt uns noch lange erhalten – ansonsten mein TV/Radio/PC & Co. definitiv nutzlos würden….
    Hübsches „Tele24-Rundum-Portrait“ hier:

    1. Antwort:
      Herr Hungerbühler – „Teleblocher“ sieht Ackeret als journalistisches Projekt – sich über Jahre wöchentlich (ohne etwas rauszuschneiden) mit der selben Person zu unterhalten. Die Veränderung über die Jahre an Person und Meinung zu beobachten, ein Zeitdokument zu erstellen. Die klassenkämpferischen uraltbetonworte wie „Spaltpilz“ werden sie revidieren, wenn sie sich mal eine Folge anschauen. Sachlich und differenziert wird dort das Weltengeschehen verfolgt.
      Der wahre „Spaltpilz“ heisst „Corona“.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.