
Wissenschaftsjournalismus: Gummibärchen oder Rosenkohl?
Eigentlich wollte ich heute über KI und das «mental Offloading» nachdenken, also über die Frage, wie viel Wissen wir an digitale Speicher und die KI auslagern können, ohne das kritische Denken zu beeinträchtigen. Wörter lernen, Anatomie büffeln, Philosophen lesen – braucht es das heute noch, wo die KI doch alles auf Knopfdruck abrufbar hält? Und dann kam die Nachricht, dass SRF aus Spargründen das «Wissenschaftsmagazin» streicht. Die erste Reaktion auf eine solche Meldung ist emotional: Kopfschütteln, Erschrecken, ja Entsetzen. Eine ganze Reihe von Leserinnen und Lesern haben sich bei mir gemeldet: «Schreib was darüber!» Aber was kann ich von der Seitenlinie aus schon dazu beitragen? Ich bin kein Aktivist. Mein Thema ist das kritische Denken. «Kritisch» meint dabei nicht «kritisieren», sondern urteilen: begründet zu unterscheiden, was wichtig und unwichtig, richtig oder falsch ist. Ich habe mir deshalb gedacht, dass wir gemeinsam kritisch über den Entscheid von SRF nachdenken. Ich dekonstruiere für Sie die Medienmitteilung von SRF und gebe Ihnen ein begriffliches Raster, damit Sie sich selber eine Meinung bilden können. Denken Sie mit?
Kritisch denken meint urteilen. Nicht verurteilen, sondern sich ein Urteil bilden. Das bedeutet: Sich einen Begriff davon zu machen, was passiert. Den Gegenstand begrifflich zu durchdringen. Der Gegenstand ist in unserem Fall die Nachricht, dass SRF das «Wissenschaftsmagazin» streichen möchte. Versuchen wir also, uns gemeinsam ein Urteil darüber zu bilden, was da passiert.
Bevor wir über etwas nachdenken können, müssen wir wissen, was wir wissen. Das ist manchmal gar nicht so einfach. Besonders dann nicht, wenn uns als Quelle nur die Medienmitteilung eines Unternehmens zur Verfügung steht. Medienmitteilungen sind oft in schönfärberischer Sprache gehalten: Sprachliche Zuckerwatte umhüllt rosarot und klebrig die Tatsachen. Das bedeutet, dass wir als erstes die Mitteilung in eine möglichst nüchterne Sprache übersetzen müssen. Schauen wir uns die Medienmitteilung von SRF also genauer an.
Dekonstruktion der Medienmitteilung
Unter dem Titel «‹SRF 4.0›: Einsparungen in Angebot und Technologie» schreibt das Medienunternehmen: «SRF vollzieht bereits in den kommenden Monaten weitere Spar- und Personalmassnahmen aufgrund der angespannten finanziellen Situation. Gleichzeitig passt das Medienhaus sein Angebot noch stärker dem Nutzungsverhalten des Publikums an.» Das ist typische Unternehmenssprache: «Sparmassnahmen» statt Kürzungen, «Personalmassnahmen» statt Stellenabbau und die «angespannte finanzielle Situation» verkleidet schon fast rührend bemüht die sinkenden Erträge im Medienhaus. So weit, so normal. Spannend ist der nächste Satz: «Gleichzeitig passt das Medienhaus sein Angebot noch stärker dem Nutzungsverhalten des Publikums an.» Das klingt zunächst logisch. Das Publikum hat die Art und Weise, wie es Medien nutzt, in den letzten Jahren stark verändert. Also muss sich das Medienhaus anpassen. Aber ist das wirklich so?
Jetzt sagen Sie vielleicht: Klar doch! Die Menschen haben ihr Verhalten verändert, also muss das Medienhaus SRF sich auch verändern. Aber was meint «Nutzungsverhalten des Publikums» genau? Wie tritt das zutage? Jetzt sagen Sie vielleicht: Wir schauen alle weniger Fernsehen und nutzen dafür mehr digitale Medien. Stimmt. Das ist mit dem veränderten Nutzungsverhalten gemeint. Aber wie äussert es sich? Die Antwort: in Zahlen. In Einschaltquoten, Views und Klicks, Downloadzahlen – kurz: in der Reichweite. Wenn SRF also schreibt: «Gleichzeitig passt das Medienhaus sein Angebot noch stärker dem Nutzungsverhalten des Publikums an», dann bedeutet das: SRF passt sein Programm so an, dass es möglichst viel Reichweite erzielt.
Die Wirkung beim Publikum
Fernsehdirektorin Nathalie Wappler erklärt in der Medienmitteilung, die Kürzungen seien «unumgänglich», nur so könne für das laufende Jahr ein ausgeglichenes Budget sichergestellt werden. Auf finanzieller Seite nennt sie als Gründe dafür die rückläufigen kommerziellen Einnahmen, die Reduktion des Teuerungsausgleichs auf die Medienabgabe sowie die steigenden Kosten in IT und Technologie. Anders gesagt: SRF verkauft weniger Werbung und der Bundesrat hat die Erträge aus der Medienabgabe gedeckelt. Interessant ist die Begründung für die konkreten Massnahmen. Nathalie Wappler sagt, die Massnahmen seien so ausgerichtet, dass «sowohl die Wirkung beim Publikum wie auch die Zukunftsfähigkeit der Angebote» sichergestellt sei. Das klingt gut. Aber was meint es genau?
Die «Wirkung beim Publikum» kann simpel und direkt die Quote meinen, also die Zahl der Menschen, die das Radio oder den Fernseher einschalten, den Podcast herunterladen oder den Inhalt auf der News-App lesen. Das ist die zahlenmässige Reichweite, von der wir schon gesprochen haben. Eine «Wirkung beim Publikum» kann sich aber auch indirekt einstellen. Nehmen wir die Übertragung der Medienkonferenzen des Bundesrats im Fernsehen und im Internet. Die Quoten dieser Sendungen sind nicht berauschend. Wenn aber viele Journalistinnen und Journalisten diese Sendungen für ihre Berichterstattung nutzen, erreichen die Inhalte indirekt sehr viele Menschen. Die unmittelbar gemessene Reichweite ist dann zwar gering, die mittelbare Reichweite aber riesig. Die Übertragung der Medienkonferenzen hat über die Zahlen hinaus aber noch eine ganz andere Wirkung: SRF sorgt damit für Transparenz. Wer will, kann zuschauen, wie Medienschaffende dem Bundesrat kritische Fragen stellen. Das hat eine Wirkung, auch wenn nur wenige Menschen direkt zuschauen, weil das Publikum weiss, dass es zuschauen könnte.
Das bedeutet: Die «Wirkung beim Publikum» hat drei Aspekte. Die direkt messbare Reichweite, die mittelbare Reichweite über, sagen wir: «Meinungsmacher» und die Wirkung, die entsteht, weil die Inhalte potenziell verfügbar wären. Dieser letzte Effekt der potenziellen Öffentlichkeit lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Wenn die Fernsehdirektorin von «Wirkung» redet, meint sie vermutlich nur die messbare Reichweite – also die Quote.
Die Sache mit der Zukunftsfähigkeit
Dann spricht Nathalie Wappler die «Zukunftsfähigkeit der Angebote» an. Was meint das? Generell sind die Angebote eines Unternehmens «zukunftsfähig», wenn sie so gestaltet sind, dass sie langfristig erfolgreich und relevant bleiben. Sie müssen also technisch und gestalterisch so gemacht sein, dass sie viele Menschen erreichen und gute Nutzungszahlen aufweisen. Wenn Nathalie Wappler von «Zukunftsfähigkeit» spricht, dann heisst das nichts anderes, als dass die SRF-Angebote auch in Zukunft gute Quoten erzielen sollen. Wir können die Begründung der SRF-Direktorin für die Kürzungen im Angebot also auf einen Satz reduzieren: SRF hat die Kürzungen des Angebots an der heutigen und der künftigen Reichweite der Angebote ausgerichtet.
Das ist die allgemeine Begründung für die Massnahmen. Wie begründet SRF die Streichung des Wissenschaftsmagazins? Das Unternehmen schreibt, künftig würden «längere Wortinhalte durch kürzere Beiträge ersetzt. Dies entspricht vermehrt den Nutzungsgewohnheiten des Radiopublikums». Statt in Form von längeren Beiträgen im «Wissenschaftsmagazin» über Wissenschaftsthemen zu berichten, sollen «Wissensinhalte ins Tagesprogramm integriert» werden. Konkret heisst das wohl, dass die Wissenschaftsredaktion zum Beispiel die Nachrichtensendungen und das «Echo der Zeit» mit Beiträgen beliefern soll. Das sind die reichweitenstärksten Sendungen des Radios, die Wissenschaftsinhalte erreichen auf diese Weise viele Menschen.
Wissenschaft hat Zukunft
SRF sagt also: Mit kurzen Beiträgen erreichen wir mehr Menschen, deshalb streichen wir das «Wissenschaftsmagazin». Da stellen sich zwei Fragen: Ist das wahr? Und: Ist das richtig? Die erste Frage: Entsprechen kürzere Beiträge tatsächlich eher den Nutzungsgewohnheiten als «längere Wortinhalte»? Wir erinnern uns: SRF-Direktorin Wappler hat von «Zukunftsfähigkeit» gesprochen. In Bezug auf Hörinhalte muss das auch die digitale Nutzung der Inhalte meinen, also die Nutzung als Podcast. Im Zusammenhang mit dem «Wissenschaftsmagazin» ist aber plötzlich nur noch die Rede von den «Nutzungsgewohnheiten des Radiopublikums». Das Radiopublikum habe lieber kurze Inhalte, das Wissenschaftsmagazin passt da nicht rein.
Das mag sein. Wenn wir aber die «Zukunftsfähigkeit» ins Spiel bringen, also den Erfolg als Podcast, sieht es ganz anders aus. Da geht die Entwicklung in die gegenteilige Richtung, also in Richtung lange und tiefgehende Beiträge. Unter den Top Ten der deutschsprachigen Podcasts finden sich etwa «Lanz&Precht» oder «Lage der Nation», beide dauern meist um eine Stunde herum, sowie «Alles gesagt». Dieser Podcast der «Zeit» ist jeweils sogar mehrere Stunden lang. Die NZZ berichtete diese Woche über die Rolle der Podcasts im amerikanischen Wahlkampf und schrieb, dass auch in Europa «längere Interviews und tiefgehende Diskussionen auf Interesse stossen». Vor diesem Hintergrund liesse sich also auch das Gegenteil schlussfolgern: Das «Wissenschaftsmagazin» hat Zukunft, weil es ausführlich ist.
Ist Reichweite die richtige Messgrösse?
Die zweite Frage: Ist die Reichweite in Bezug auf Wissenschaftsinhalte wirklich die richtige Messgrösse? Wenn Medienschaffende darüber entscheiden müssen, ob sie über ein Thema berichten, steht eine Frage im Zentrum: Ist das relevant? Eigentlich heisst das: Ist das Thema wichtig? Hat es Auswirkungen auf uns alle, ist es bedeutsam? In der Praxis wird es aber oft anders verstanden: Relevanz wird da oft mit Interesse gleichgesetzt. Wenn ein Journalist an der Redaktionskonferenz ein Thema mit der Begründung «Das ist nicht relevant» ablehnt, meint er oft: «Das interessiert niemanden.» Tatsächlich ist das ein Aspekt von dem, was man «Nachrichtenrelevanz» nennt: Wenn Sie oder ich vom Fahrrad fallen, interessiert das niemanden. Wenn Prince Charles vom Fahrrad fällt, geht die Nachricht um die Welt. Inhaltlich ist sie nicht bedeutsam, aber die Nachricht stösst auf Interesse. Die Information ist also als Nachricht relevant, weil sie auf Interesse stösst.
Im engeren Sinn meint Relevanz aber nicht die potenzielle Reichweite eines Themas, sondern seine Bedeutsamkeit. Versuchen wir also einmal, Reichweite und Relevanz auseinanderzunehmen. Am einfachsten geht das, wenn wir die beiden Faktoren in einem Schema auf zwei Achsen darstellen. Auf der X-Achse bilden wir die Relevanz ab. Je bedeutsamer ein Thema ist, desto weiter rechts ist es abgebildet. Auf der Y-Achse bilden wir die Reichweite ab. Je mehr Aufmerksamkeit und Reichweite ein Thema erzielt, desto weiter oben ist es abgebildet.
Reichweite und Relevanz
Das führt zu vier grossen Quadranten. Spielen wir das Schema anhand von Menschen durch. Oben rechts sind Themen, die reichweitenstark und relevant sind. Wenn zum Beispiel Donald Trump etwas sagt, kommt die Nachricht darüber in diesem Quadranten zu liegen. Nachrichten von Demis Hassabis wären in diesem Schema unten rechts: Demis Hassabis hat für seine Forschungen über Proteine und KI den Chemie-Nobelpreis 2024 erhalten. Wenn er etwas sagt, ist das wichtig, dürfte aber kaum viel Reichweite beim Publikum erzielen. Oben links sind Nachrichten, die auf viel Aufmerksamkeit stossen, aber nicht relevant sind. Zum Beispiel Nachrichten über Michelle Hunziker. Fehlt noch unten links, also Meldungen, die weder wichtig sind, noch viele Menschen interessieren. Um niemanden zu beleidigen, nehme ich als Beispiel Nachrichten über mich selbst: Die haben weder viel Reichweite noch viel Relevanz.
Aus journalistischer Sicht bildet dieses Schema einen Konflikt ab, wie er jeden Tag in allen Redaktionskonferenzen stattfindet: Medien brauchen, zumal im digitalen Raum, möglichst viel Aufmerksamkeit. Sie suchen also Themen mit einer möglichst grossen Reichweite. Das sind die beiden Felder oben im Schema. Gleichzeitig wissen Journalisten, dass sie über das berichten sollten, was wichtig ist. Sie suchen also Themen mit einer möglichst grossen Relevanz. Das sind die beiden Felder rechts im Schema. Damit haben wir einen klaren Gewinner und einen klaren Verlierer: Das violette Feld oben rechts ist der Gewinner: Diese Themen sind stark an Reichweite und an Relevanz. Das schwarze Feld unten links ist der Verlierer: Diese Themen sind weder noch.
Gummibärchen und Rosenkohl
Das Schema zeigt auch die beiden Konfliktfelder: Das rote Feld oben links, das sind die Gummibärchen des Journalismus. Verlockend süss, aber ungesund. Es sind Themen, die niemand braucht, aber alle lesen. Das blaue Feld unten rechts ist der Rosenkohl des Journalismus: Reich an Vitaminen, Antioxidantien und Ballaststoffen, aber nicht beliebt. Es sind Themen, die alle brauchen, aber niemand liest. Wenn wir schon bei den Nahrungsmitteln sind: Oben rechts wären die Äpfel – süss und trotzdem gesund.
Im digitalen Raum müssen sich heute die meisten Medien über Reichweite finanzieren. Sie konzentrieren sich deshalb auf die süssen Themen, also jene Angebote, die viel Reichweite garantieren. Öffentlich-rechtliche Medien sind zu einem grossen Teil über die Medienabgabe finanziert. Sie müssen deshalb nicht auf Teufel komm raus Reichweite generieren, sondern können sich auch Rosenkohl-Themen widmen. Sie sind über Konzession und Mediengesetzgebung sogar dazu verpflichtet.
Das politische Dilemma
In vielen europäischen Ländern stehen die öffentlich-rechtlichen Medienangebote unter Druck. In der Schweiz steht die Abstimmung über die Halbierungsinitiative der SVP an. Sie will die Mittel der SRG drastisch reduzieren. Schon bevor der Abstimmungskampf beginnt, sieht sich die SRG in der Pflicht, zu beweisen, dass das Publikum ihre Angebote braucht. Die Frage ist, was das heisst. Meint es, dass das Angebot eine hohe Reichweite hat – oder eine hohe Relevanz?
Wenn die öffentlich-rechtlichen Angebote eine hohe Reichweite erzielen, erhalten die Gebührenzahler etwas für ihr Geld und sind zufrieden. Aber Angebote mit hoher Reichweite lassen sich am Markt refinanzieren, sie könnten also auch von Privaten produziert werden. Also ist das die falsche Strategie. Wenn die öffentlich-rechtlichen Sender sich auf Angebote mit hoher Relevanz konzentrieren, könnten Gebührenzahler argumentieren, dass sie weniger oder nichts für ihre Gebühren erhalten. Das geht also auch nicht. Was tun?
Die Frage ist ein klassisches Dilemma. Ihre Beantwortung hängt davon ab, wie wir die einzelnen Aspekte bewerten. Wir verlassen jetzt also den Bereich der gesicherten Information und kommen zum Urteilen. Dafür wechseln wir die Perspektive. Ich glaube nämlich, dass es falsch ist, das Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks immer nur aus der Konsumentenperspektive zu beurteilen. Statt zu fragen: Was ist gut für mich? Sollten wir vielmehr fragen: Was ist gut für die Gesellschaft, für das Land? Ein Beispiel: Hätte ich keine Kinder, könnte ich mich zum Beispiel darüber ärgern, wieviel Steuergeld für Schulen ausgeben wird. Ich habe ja nichts davon. Das ist die Konsumentenperspektive. Ich könnte mir aber auch sagen: Schulen und Bildung sind wichtig für die Gesellschaft, für das Land. Auch wenn ich selber sie nicht brauche, ist es wichtig, dass mein Steuergeld dafür eingesetzt wird. Ich frage also nicht: Was kriege ich für mein Geld? Sondern: Was ermögliche ich mit meinem Geld?
Ich glaube, wir haben uns bei der Beurteilung der öffentlich-rechtlichen Medien zu sehr in die Konsumentenperspektive begeben und messen deshalb der Reichweite der Programmangebote eine zu grosse Bedeutung zu. Wir sollten stärker die Landesperspektive einnehmen und der Relevanz der Angebote grösseres Gewicht geben.
Anders gesagt: SRF soll die Gummibärchen den Privaten überlassen und sich auf Äpfel und Rosenkohl konzentrieren. Ja, es kann sein, dass die Reichweite deshalb sinkt. Das muss uns die mediale Landesversorgung wert sein. Es kann aber auch sein, dass viel mehr Menschen Fans von Rosenkohl sind, als die Reichweiten-Manager glauben. Das gilt auch und gerade fürs «Wissenschaftsmagazin». Was meinen Sie? Ich bin gespannt auf Ihre Rückmeldungen. Und nächste Woche geht es dann um die Frage, wieviel wir heute noch lernen müssen, damit wir kritisch denken können. Versprochen.
Basel 7. Februar 2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
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Quellen
Bild: KEYSTONE/Pontus Lundahl/TT News Agency via AP
Demis Hassabis, der Träger des Nobelpreises 2024 in Chemie, während der Preisverleihung in Stockholm am 10. Dezember 2024
Knill, Matthias und Reber, Dominique (2025): Lange, ungezwungene Interviews sollen Authentizität vermitteln und die öffentliche Wahrnehmung prägen. In: Neue Zürcher Zeitung. [https://www.nzz.ch/meinung/lange-ungezwungene-interviews-sollen-authentizitaet-vermitteln-und-die-oeffentliche-wahrnehmung-praegen-ld.1867260; 7.2.2025].
Medienmitteilung SRF (2025): «SRF 4.0»: Einsparungen in Angebot und Technologie. In: SRF Medienportal. [https://medien.srf.ch/-/-srf-4.0-einsparungen-in-angebot-und-technologie?redirect=https%3A%2F%2Fmedien.srf.ch%2F%2339247199; 7.2.2025].
13 Kommentare zu "Wissenschaftsjournalismus: Gummibärchen oder Rosenkohl?"
Danke für das Unter-die-Lupe-nehmen der Medienmitteilung der SRG und für das Muster mit den vier Feldern zur Beurteilung der Situation. – Selber sehe ich es so, dass sich im Verhalten der SRG der Stand der Dinge in Gesellschaft und Politik spiegelt. Mehrheitlich zumindest toleriert und damit sozusagen als normal, erlebe ich dabei eine Welt, die von Gier, Herrsch- und Vergnügungssucht sowie von Zerstörungswut geprägt ist. Die Politik der parlamentarischen Parteiendemokratie war für mich ein Teil dieser Welt, wo die Absicht, sie von innen verändern zu wollen, krank machen kann. Wenn die Mehrheit konstituiert ist von Dummen, die nicht wissen, was sie tun, Gleichgültigen, denen eh alles Wurst ist, egoistisch Schlauen, denen nur wichtig ist, was ihnen selber nützt, und Gemeinen, die dafür auch noch andere über den Tisch ziehen, kann es sowohl für die Demokratie als auch für die Menschenwürde schwierig werden. Relevanz und Reichweite werden durch Herrsch- und Vergnügungssucht definiert. So wie sich letztere beispielsweise mit dem ESC manifestiert. – Weil im Grunde optimistisch, habe ich es mir mühsam abgewöhnt, gegen solcherart eine Mehrheit und ihr allgegenwärtig bestehendes System der „Zuvielisation“ anzukämpfen. Wie mir scheint, hat die Welt dieser „Zuvielisation“ in diversen Bereichen immer wieder erfahren können, was werden kann, wenn es so weitergeht wie gehabt; aber leider haben die Menschen und ihre Institutionen in den letzten etwa 50 Jahren daraus kaum etwas substanziell und qualitativ Zukunftsfähiges gelernt.
Gute Nachrichten aus dem Hause SRG – diese Sparrunden hätten schon viel früher begonnen werden sollten. Doch jetzt ist es glasklar durschaubar: Man zittert vor der „200 Fr – sind – genug – an – Medien – ZwangsGebühren – Initiative“ und will so mit „Abbau“ den zahlenden SERAFE-Haushalten (und vielen Firmen und KMU’s) klarmachen, dass man „Sparen“ tut….
(wobei, bei dem jährlichen Milliarden-Budget der SRG – das meiste aus Gebühren von uns Zahlenden – und Gehälter mehr als Bundesräte (SRG-Boss über 500’000 Fr / Programmdirektoren, und davon gibt es mehrere über 400’000 Fr) sind die gross rausposaunten Sparründelchen ein KLAKS.)
WISSENSCHAFT holt sich heut der interessierte Nutzer von Überall. Von toll gestalteten Web- und Infoseiten unserer Universitäten im In- und Ausland, von Technischen Hochschulen, von 1001 wissenschaftlichen Wissenschaftsforen im Netz, von anderen grossen europäischen und internationalen Medienanstalten – doch die wenigsten noch von der Wissenschaftsredaktorstube am Leutschenbach in Oerlikon, wo nichts anderes gemacht wird, als man „neu“ von jedem PC auch tätigen kann: Recherchieren, Konsultieren, Fragen und dann Artikel daraus drechseln… Diese wiederkäuende gebührenfinanzierte Zwischenstation kann und wird schon jetzt getrost ausgelassen werden.
SO IST DIE ZEIT. In unzähligen anderen Berufen, Bereichen wurde Wandel vollzogen. Kommt dies nun auch auf die traditonellen geschützten Medien-Anstalten zuzurollen, ist das nichts als folgelogisch.
Nur dass hier (man ist ja bei den Medien) es im ganzen Land ausgerufen und breitgetreten wird…
Ein Schauer fuhr mir den Rücken hinunter, als ich vernahm, welche Formate der SRG nun gestrichen werden sollen – WEIL ich und niemand sie kannte, wohl aber alles mitfinanzierte: Ohne «SRF Mood», «We, Myself & Why», «Das VARs», «Deep Dating», «Hypegenossen», «Pasta del Amore», «In Progress», «Helvetia» (ultra-schweizkritisch), «We, Myself & Why», «Zivadiliring» uvm. geht die Welt wohl kaum unter und 99% der CH-Bevölkerung bemerken NICHTS. Auch dass das Format „Glanz&Gloria“ bzw. „Gesichter&Geschichten“ wegfällt, löst nur bei den Machern Tränen aus (Blick: Wir sind die ganze Zeit am Heulen). Logisch, einen so gutbezahlten Job für so wenig Bling-Bling-Glitter-und-Glamour-Cüpli-MakeUp-Kaviar-Buffet-riche-Leistung werdet ihr nirgens mehr bekommen. Und wenn wie es weiter heisst, der Schweizer „Prominenz“ ihre Plattform wegfällt, wirkt das DEKADENT in der heutigen Welt mit den heutigen wahrhaftigen Prolbemen der Zeit…
Eine systemrelevantere Putzfrau, eine Verkäuferin hat auch nie eine Plattform und leistet still, leise und fleissig ein Vielfaches mehr!
Ein gescheiter Mensch mailte mir kürzlich:
„Die Mitgliedschaft bei der SRG ist wie der Schulbesuch ein Zwang. Beiden gemeinsam ist auch, dass sie zwar jammern, aber eigentlich im Geld schwimmen. Während freie Medien, Schulen und andere Projekte, die für und in einer anderen Welt unterwegs sind, am Hungertuch nagen.“
Wie wahre Worte. Die SRG muss abspecken, sonst hat sie die Daseinsberechtigung in der heutigen Zeit mit der neuen Info-Technik und Möglichkeiten in der Bevölkerung verloren.
Doch das Gute: Die Wissenschaft wird immer weitergehen, so ist die Menschheit – auch ohne „unseren“ SRG-Moloch im Schlepptau an der Seitenlinie mitschleifend….
Sehr geehrter Herr Zweidler
Danke für ihre Stellungnahme zum Thema.
Wenn Sie zahlreiche der von der SRF eingestellten Formate nicht kennen (geht mir übrigens auch so) sagt dies etwas über unseren individuellen Medienkonsum, aber (ohne uns zu nahe treten zu wollen) wenig über die Relevanz dieser Formate. Im Fall des Wissenschaftsmagazins scheint mir der Fall aber klar: Nie war Wissenschaft und Information über wissenschaftliche Erkenntnisse wichtiger als heute, denn wir leben in einer Zeit schnellen Wandels, der durch Technik und Wissenschaft getrieben ist. Wer nicht weiss, was in Wissenschaft und Technik aktuell passiert, verliert an Urteilskraft und damit den Anschluss und mittelfristig auch an Wohlstand. Wissenschaftsjournalismus bietet mir persönlich aber auch anderen kreativ im wissenschaftlich-technischem Bereich tätigen Menschen Einblicke in Felder der Wissenschaft, mit denen man im eigenen (Berufs)alltag wenig zu tun hat. Damit weitet sich bei den Hörern nicht nur das Allgemeinwissen und damit die Urteilsfähigkeit in einer sich sehr schnell verändernden Welt, sondern es stellen sich immer wieder Querverbindungen zum eigenen Tun und Handeln her, die den eigenen kreativen und forschenden Prozess erheblich befördern. Wo, wenn nicht im Wissenschaftsmagazin wird einem breiten Publikum die entsprechende seriös aufbereitete Information angeboten, die es erlaubt über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen? Natürlich kann man selbst im Internet auf die Suche nach entsprechender Information gehen (mache ich bei bestimmten Themen auch), aber dafür braucht es einen Startpunkt, eine Anregung, eine Einordnung: Was ist relevant? Hier leistet das Wissenschaftsmagazin herausragende Arbeit.
Ein gutes Wissenschaftsmagazin ist auch eine Investition in die Zukunft: Junge Menschen brauchen Anregungen, um sich für Wissenschaft zu interessieren und letzteres ist für die Zukunft der Schweiz entscheidend. In seiner allgemeinverständlichen Art komplexe Wissenschaft darzustellen leistet das Wissenschaftsmagazin hier unersetzliche Arbeit, die in Zukunft schmerzlich vermisst werden würde. Ob der „Import“ von Wissenschaftlern und Technikern in 20 Jahren noch so gut funktionieren wird wie heute, erscheint mir nicht sicher und damit auch die Zukunft des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandorts Schweiz.
Beste Grüsse
Einmal mehr merci!
Ich habe den Wochenkommentar auf bluesky geteilt.
Beste Grüsse
Herzlichen Dank!
Danke für die explizit gute Analyse. Ich glaube sogar, dass die Problematik auf die Wissenschaft selbst übertragen werden kann (nicht nur auf die mediale Verarbeitung). Auch in der Wissenschaft gibt es Gummibärli, Äpfel und Rosenkohl. Und genauso wie in der Medienförderung tobt hier ein Kampf um Reichweite (meistens ökonomischer Erfolg) und Relevanz.
Ich habe den Eindruck, dass Herr Zweidler es einfach nicht schafft, aus der Konsumentenperspektive herauszukommen. In meinen Augen ist dieser Wochenkommentar topaktuell, fundiert und hilfreich – in diesem Zusammenhang das Beste, was ich gelesen habe. Vielen Dank!
Herzlichen Dank. Der Kommentar von Herrn Zweidler zeigt, dass es dieser Ecke nicht um eine Auseinandersetzung mit der Sache geht, sondern um eine ideologische (und zumeist hasserfüllte) Anti-SRG-Position. Ideologisch heisst: Alle Antworten stehen schon fest, bevor eine Frage gestellt wurde.
Genau, Herr Zweidler hat grosse Scheuklappen und merkt es nicht einmal. Tragisch!
Und danke für ihren ausführlichen Kommentar, der mit schlüssigen Argumenten punktet.
Warum diskutiert eigentlich die Politik den Leistungsauftrag der SRG nicht bereits vor der Abstimmung über die Halbierungsinitiative? Vielleicht wäre es wirklich an der Zeit, den Service public-Auftrag an verschiedene Organisationen zu erteilen. Holland macht es vor! Mehrere öffentliche Medienanstalten könnten sich auf diese Weise unabhängig voneinander darauf konzentrieren, ein bestimmtes Genre zu bedienen. Also eine neue Anstalt mit Leistungsauftrag Bildung und Wissenschaft? Eine andere mit Schwerpunkt Kultur? Der Service public würde also neu von einem guten Dutzend unabhängiger Medienhäuser mit eigenem Schwerpunkt gewährleistet.
Danke für diesen Denkbeitrag.
Leider trifft das 4 Quadrate-Diagram auch auf die privaten Medien zu. Da fliessen zwar nur bescheidene öffentliche Gelder. Inhaltlich ist es aber die gleiche Problematik. Es ist ein oberflächlicher Einheitsbrei ohne grosse Relevanz aber mit viel Reichweite entstanden. Wenn ich mich davon beschallen lassen möchte, dann abonniere ich mir Influenzer-Kanäle auf TikTok aber keine „klassischen und angeblich seriösen“ Medientitel. Leider muss SRF als einer der letzten klassischen Medienproduzenten immer mehr Federn lassen und das liegt nicht an SRF selber.
Das gilt natürlich nicht pauschal für alle Medien und auch bei den alteingesessenen gibt es noch positive Welle Bewegungen.
Für die ökonomische Sicht sind Reichweite und Relevanz sicher die richtigen Parameter, doch entscheidend für eine echte Information durch die grossen» Medien ist für die Gesellschaft das Verhältnis zwischen Wahrheiten und Desinformationen, welches mit Vernunft und gesundem Menschenverstand (ohne Ideologien!) klar messbar sind, doch in der Diskussion über die Mainstream-Medien-Qualität weitgehend ausgeschlossen werden.
Schön, wenn es um die Vernunft geht. Anstatt bei der „Reichweite“ vor allem um den Stutz, und bei der „Relevanz“ vor allem um die Macht. Im übrigen erlaube ich mir die Frage, ob wohl die SRG nach beispielsweise der Post die nächste heilige Kuh sein wird, die sich selber schlachtet?