Warum wir mit unseren Medien so wenig zu lachen haben

Publiziert am 17. November 2023 von Matthias Zehnder

Wer heute Zeitung liest, Radio hört oder die Fernsehnachrichten einschaltet, hat nicht viel zu lachen: Kriege, Krisen und Katastrophen prägen die journalistischen Medien. Und das, nachdem wir drei Jahre ganz im Bann einer Pandemie verbracht haben. Kein Wunder, wird der Anteil der sogenannten News-Deprivierten grösser, also jener Menschen, die den Nachrichten den Rücken zukehren und keine journalistischen Medien mehr konsumieren. In der Schweiz machen sie bereits zwei Fünftel aller Menschen aus. Aber warum kommt Humor in unseren Medien kaum vor? Warum haben Mediennutzer:innen auch in guten Tagen so wenig zu lachen? Warum nimmt kein Medium das Bedürfnis ihrer Nutzer nach einem Lächeln im Alltag ernst? Ich vermute: Weil schwere Texte leichter zu schreiben sind und die optimierten Produktionsprozesse moderner Medien kaum Platz für Humor bieten. Mein Wochenkommentar darüber, warum mehr Humor den Medien und ihren Nutzern gleichermassen guttun würde.

Auf dem Lesetisch in meinem Wohnzimmer liegen jeweils die neuesten Ausgaben der «Zeit», des «Spiegel», des «Atlantic» und ähnlicher Lesestoff, etwa «Uninova», das Magazin der Universität Basel und natürlich das Schweizer Medienmagazin «Edito». Nach einem anstrengenden Arbeitstag ist es erholsam, sich in einen langen Artikel vertiefen zu können oder in einem spannenden Magazin zu blättern, ohne ständig von Pushmeldungen aus der Spur geworfen zu werden. In den letzten Wochen, nach Tagen voller Meldungen über Krieg und Katastrophen, hatte ich immer häufiger das Bedürfnis, am Abend nicht noch einmal schwere Kost zu lesen. Ich hätte gerne einmal gelacht oder wenigstens gelächelt. Allerdings geben mir die journalistischen Medien auf meinem Lesetisch nur sehr selten zu lachen. Warum eigentlich?

Jetzt sagen Sie vielleicht: «Die Welt ist, gerade jetzt, ein Jammertal, die Medien spiegeln die Welt, also bleibt nicht viel anderes als zu jammern.» Doch auch in friedlichen Zeiten konzentrieren sich die Medien gerne auf die schlechten Nachrichten. Sie wissen ja: nur bad News sind good News. Wir kennen die Aufmerksamkeitsmechanismen zur Genüge, ich habe darüber ein ganzes Buch geschrieben: Nachrichten, die von Gefahren und Bedrohungen handeln, die uns schrecken und erschrecken, holen mehr Aufmerksamkeit. Geben uns die Medien deshalb so wenig zu lachen? Ich habe mich wie weiland Timm Thaler auf die Suche nach dem Lachen gemacht.

Der Hohlspiegel im «Spiegel»

Die Leserinnen und Leser des Nachrichtenmagazins «Der Spiegel» lassen sich in zwei Gruppen einteilen: die eine Gruppe hält das Heft in der rechten Hand und blättert mit der linken Hand von vorne nach hinten im Heft, die andere Gruppe hält das Magazin in der linken Hand und blättert von hinten nach vorne im «Spiegel». Die erste Gruppe beginnt die Lektüre mit der Politik, die zweite Gruppe beginnt mit dem «Hohlspiegel». Das ist eine der ganz wenigen wirklich lustigen Rubriken in den journalistischen Medien deutscher Sprache: Sie bietet jede Woche eine Handvoll lustiger Druck- und Sprachfehler. Kein Pennälerhumor, eher das, was man als Studienrätinnenhumor bezeichnen könnte – also genau das richtige für Sie und mich.

Da finden sich Schlagzeilen wie «12 von 8 Menschen sind von Mathe überfordert» oder «Auto fährt nach Kollision mit E-Bike davon» oder «Ampel einigt sich beim Verkehr». Es sind Schreib- und Sprachfehler, die mir zuverlässig ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Bloss: es ist eine einzige Spalte, also ein Drittel einer Seite, in einem Magazin von im Schnitt 130 Seiten. Davon abgesehen haben «Spiegel»-Leser wenig zu lachen: Wer in deutscher Sprache ernsthaften Journalismus betreibt will, muss offenbar ernst bleiben.

Lesevergnügen zur Leserbindung

Ausnahmen von dieser Regel gibt es nur ganz wenige. Meine Grossmutter hatte «Readers Digest» abonniert. Ich erinnere mich, dass ich als Junge immer in den kleinen Heften geblättert und die lustigen Seiten gelesen habe. Ich habe deshalb beim Verlag nachgefragt, ob es diese Seiten immer noch gibt. Die Antwort: «In der Tat spielen humorige Rubriken wie ‹Lachen› und ‹Menschen› seit Jahrzehnten eine wichtige Rolle in der Themenmischung unseres Hefts», schreibt «Reader’s Digest».

Mehrere Leserbefragungen hätten bestätigt, dass diese Inhalte eine «liebgewonnene Tradition» geworden seien. Unterhaltsames zwischen den manchmal schweren Gesundheitsartikeln und dramatischen Geschichten trage «zur Auflockerung und damit zum Lesevergnügen» bei. Darüber hinaus nutze der Verlag die Rubriken auch als Instrumente zur Leser-Bindung, indem originelle Einsendungen, seien es Witze oder Anekdoten, honorieret werden.

«Watson» macht «Spass»

Eine der wenigen Ausnahmen in der Schweiz ist «Watson»: Das Online-Nachrichtenportal hat eine eigenes Ressort «Spass». Hier finden sich Rubriken wie «Fail Dienstag» mit Bildern und Videos aus dem Internet, die kleine Unfälle und andere Beweise menschlichen Scheiterns zeigen. Das Besondere daran: Oft finden sich mehr (und lustigere) Bilder und Videos in den Leserkommentaren als im redaktionellen Beitrag selbst. Die Rubrik «Cute News» hat sich ganz den sprichwörtlichen Jöh-Bildern verschrieben und zeigt Fotos von Tierbabys und anderen Herzigkeiten. «Picdump» zeigt eine aktuelle Auswahl von im Internet kursierenden Memes. Wenn Sie also einmal wissen möchten, wie das grosse weite Netz auf Aktualitäten reagiert, konsultieren Sie diese Rubrik. Journalistisch am interessantesten sind sicher die regelmässigen Zusammenstellungen aktueller Karikaturen: «Watson» ist meines Wissens das einzige Medium, dass regelmässig gute Überblicke über politische Karikaturen und Cartoons gibt – auch bitterböse Zeichnungen zum Krieg in der Ukraine sind darunter.

Ich bin offensichtlich nicht der einzige, der regelmässig das Ressort «Spass» von «watson» konsumiert. Maurice Thiriet, der Geschäftsführer von «watson», sagt auf Anfrage: «Die Unterhaltung und damit auch der Humor sind einer der drei inhaltlichen Grundpfeiler des Redaktionskonzepts und journalistischen Vollprogramms von ‹watson›.» Auch im Markenkern, im Markenversprechen und damit im Angebot im Werbemarkt sei der Humor ein wichtiges Distinktionsmerkmal gegenüber anderen Anbietern. «Und ja, das zahlt sich aus.» Er bestätigt damit indirekt meine Vermutung: wenn der Humor ein «wichtiges Distinktionsmerkmal» ist, dann bedeutet das: es gibt kaum andere Angebote, die sich durch Humor auszeichnen. Die These scheint sich zu bestätigen: Wer journalistische Medien konsumiert, hat kaum etwas zu lachen.

Ist ernsthafter Journalismus gleich ernster Journalismus?

Bloss: Warum ist das so? Warum scheint der seriöse Journalismus im deutschsprachigen Raum den Humor zu scheuen wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser? Denn auch ausserhalb der angeschriebenen Rubriken haben Leserinnen und Leser wenig zu lachen mit den hiesigen Medien. Ganz offensichtlich verstehen Medien unter ernsthaftem Journalismus ernsten Journalismus.

Das war nicht immer so. Erich Kästner und Kurt Tucholsky sind nur zwei bekannte Namen von Journalisten aus der Zeit der Weimarer Republik, die es verstanden haben, ernsthafte Gedanken in leichte Gewänder zu kleiden und die Menschen im deutschen Reich mit einem Lachen zum Denken zu bringen. Die letzten Überreste davon finden sich heute nur noch in den Karikaturen eines Peter Gut oder eines Chappatte. Ausserhalb der bitterbös witzigen Zeichnungen ist der Humor von stromlinienförmigem Bierernst aus den Medien vertrieben worden. Die meisten Nachrichten lesen sich so, als handelte es sich um das Skript von Leon Huber, der die Nachrichten mit grösster Gleichmut zu verkünden pflegte. Selbst als im Mai 1981 Vermummte die «Tagesschau» stürmten und sich hinter ihm mit einem Transparent aufbauten, blieb er unbewegt.

Selbst Loriot gab kaum zu Lachen

Ein Sprecher vom Schlag eines Leon Huber ist die perfekte Besetzung für eine Nachrichtensendung. Es wäre aber wohl keine gute Idee, das ganze Fernsehprogramm im Stil von Leon Huber zu gestalten. Genau das aber machen viele Medien. Zwar handeln die Texte nicht mehr nur von den Kriegen und Konflikten auf dieser Welt. Zu den am besten gelesenen Seiten gehören Stoffe rund um das Leben und die Gesundheit. Aber auch diese Texte lesen sich oft so, als wären ihre Autorinnen und Autoren bei Leon Huber in die Schule gegangen.

Selbst der 100. Geburtstag von Loriot diese Woche gab kaum Anlass zu lachen, sondern war vielmehr Thema von tiefschürfenden Analysen über den Humor im Allgemeinen und denjenigen der Deutschen im Besonderen. Zitat aus der «NZZ» über Loriots legendäre Nudelszene: «Pathos und Pasta sind hier in einer Szenerie männlicher Urängste zusammengebracht, wie sie sich Sigmund Freud nicht besser hätte ausdenken können. Wenn Loriot auf seiner Fernsehcouch sitzt, dann liegt in Wahrheit das erweiterte deutsche Sendegebiet auf einer ebensolchen. Damals war es so, und es ist so geblieben.» Das mag durchaus klug sein, lustig ist es nicht.

Die Menschen verabschieden sich von den Medien

Jetzt fragen Sie sich vielleicht, warum der alte Mann so lautstark darüber jammert, dass ihm die Medien kaum Anlass zu Heiterkeit geben. Nichts liegt mir ferner, als einer persönlichen Befindlichkeit Ausdruck geben zu wollen. Mein Thema sind die Medien. Und den journalistischen Medien kommen zusehends die Nutzer abhanden. Die Zahl der so genannten «News-Deprivierten» hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. So wird in Mediennutzungsanalysen jene Gruppe bezeichnet, die über alle Medienkanäle hinweg von einer «Unterversorgung an Nachrichten» geprägt sind, wie es das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich definiert. Es sind also Menschen, die Nachrichten stark unterdurchschnittlich konsumieren und wenn, dann hauptsächlich über soziale Medien. Die Gruppe dieser «News-Deprivierten» ist in den letzten Jahren kontinuierlich grösser geworden. Heute ist es mit 42,7 % die mit Abstand grösste Gruppe von Mediennutzern in der Schweiz. Ihr Anteil hat sich seit 2009 mehr als verdoppelt. Bei den 16- bis 29-Jährigen gehören mit 56 % bereits mehr als die Hälfte der jungen Menschen zu dieser Gruppe.

Analysen zeigen, dass viele der Nachrichtenverweigerer sich nicht den Nachrichten als solchen verweigern. Sie fühlen sich durch die vielen schlechten Nachrichten überwältigt und mit den Problemen, über die berichtet wird, alleine gelassen. Die Analysen des fög zeigen in der Gruppe zwei interessante Punkte:

1) ein grosses Interesse für positiven und für konstruktiven, also lösungsorientierten Journalismus.

2) eine ablehnende Reaktion auf Monotonie und immer gleiche Perspektiven.

Was die Nachrichtenmüdigkeit anfacht

In der Pandemie haben die meisten Medien sich genau umgekehrt verhalten: bis zu 70 % der Berichterstattung widmete sich Themen rund um Corona; die dabei transportierten Perspektiven waren alles andere als vielfältig. Die Forscher des fög folgern, dass diese einseitige Aufmerksamkeitskonzentration die «Nachrichten-Müdigkeit der Nutzer:innen anfachen» könne.

Wenn uns unsere Medien also nichts zu lachen geben, schaden Sie sich dabei vor allem selbst, weil sie Ton und Perspektive der Berichterstattung auf die eines Nachrichtensprechers einengen und kaum andere Zugänge zu ihren Inhalten schaffen. Dass ernsthafter Journalismus im deutschsprachigen Raum immer ernst sein will, schadet ihm also selbst. Bleibt die Frage: Warum scheuen die Medien den Humor? Ich sehe zwei Gründe dafür.

1) Die Umkehrung der Tolstoi-These

Leo Tolstoi eröffnet seinen Roman «Anna Karenina» mit folgendem Satz: «Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.» In der Berichterstattung ist es genau umgekehrt: Alle Meldungen über Unglücke sind einander ähnlich, jeder lustige Inhalt ist lustig auf seine Weise. Es ist mit anderen Worten viel einfacher, in einer Newsfabrik ernste Nachrichten am Fliessband für ein breites Publikum zu produzieren als lustige Inhalte. Denn Humor ist individuell und verlangt nach gutem Kunsthandwerk. Das verträgt sie schlecht mit mit den auf Skalierung optimierter Produktionsmitteln moderner Medienkonzerne und ihrem Multi-Channel-Ansatz.

2) Humor ist schwieriger als man denkt

Ich gebe Ihnen, wie Sie wissen, jede Woche einen Buchtipp, ein Buch, das ebenso intelligent wie unterhaltend ist. Diese Woche habe ich den neuen Roman von Charles Lewinsky vorgestellt: «Rauch und Schall» heisst das Buch. Die Geschichte: Der alte Goethe leidet unter einer Schreibblockade und muss sich, ausgerechnet, von seinem Schwager Vulpius helfen lassen, einem Schreiber von Trivialromanen. Im Buch findet sich folgender wunderbarer Dialog der beiden ungleichen Schreibhandwerker:

Vulpius sagt: «Tragödien werden sehr viel weniger nachgefragt, was ich bedaure.»

Goethe: «Weil Sie lieber traurige Dinge schreiben?»

Vulpius: «Weil Tragödien leichter zu schreiben sind. Man kann dort Fehler der Konstruktion hinter grossen Worten verstecken. Wenn man eine Heldin dramatisch sterben lässt, fassen alle Hände nach den Taschentüchern, das ist nicht weiter schwierig. Aber bis man den Zuschauer dazu gebracht hat, Lachtränen zu vergiessen …» (S. 109)

Schwere Texte sind leicht

Das ist, vermute ich, des Pudels Kern: Es ist einfach, die Kümmerlichkeit eines Gedankens in grossen Worten zu verbergen. Die Leserin, den Leser zum Lachen zu bringen, das ist schwer. Das ist das paradoxe daran: Schwere Texte zu schreiben ist leicht, leichte Texte zu schreiben dagegen ist schwierig. Leider sieht das die deutsche Kultur anders. Sie fasst bis heute Kästner und Tucholsky mit spitzen Fingern an und empfindet herzhaftes Lachen als Störung des Kulturbetriebs.

Schon Immanuel Kant war sich aber der Bedeutung des Lachens bewusst. Der grosse deutsche Denker, dem nun definitiv niemand seine Ernsthaftigkeit absprechen würde, schrieb in seiner «Kritik der Urteilskraft»: «Voltaire sagte, der Himmel habe uns zum Gegengewicht gegen die vielen Mühseligkeiten des Lebens zwei Dinge gegeben: die Hoffnung und den Schlaf. Er hätte noch das Lachen dazu rechnen können; wenn die Mittel es bei Vernünftigen zu erregen nur so leicht bei der Hand wären, und der Witz oder die Originalität der Laune, die dazu erforderlich sind, nicht so selten wären.»

Genau das ist wahrscheinlich das Problem: die Mittel, das Lachen bei Vernünftigen zu erregen, sind nicht so leicht bei der Hand, wie jene, die Aufmerksamkeit durch Entsetzen zu erregen. Das ist wahrscheinlich die Ursache dafür, dass sich unsere Medien immer nur im Ton von Nachrichtensprechern an uns wenden. Ich bin aber sicher: Wenn sie uns auch ab und zu Anlass zu Heiterkeit geben würden und es uns ermöglichen würden, dem Druck des Alltags und den deprimierend schlechten Nachrichten mit einem herzhaften Lachen zu begegnen, wir hätten weniger Menschen, die sich den journalistischen Medien verweigern würden. Anders gesagt: Wir müssen das Lachen einfach ernster nehmen.

Basel, 17. November 2023, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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PPS: Wenn Sie den Wochenkommentar nur hören möchten, gibt es auch eine Audioversion. Hier der Link auf die Apple-Podcast Seite oder direkt auf die Episode:


Quellen

Bild: KEYSTONE/AP/SWR/Hugo Jehle

Vicco von Bülow alias Loriot in einer seiner Sendungen auf dem roten Sofa im SWR-Sendung.

fög – Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (Hg.) (2023). Jahrbuch Qualität der Medien 2023. Schwabe. https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4894-9

Lewinsky, Charles (2023): Rauch und Schall. Roman. Zürich: Diogenes 2023

Jandl, Paul (2023): Loriot ist seit 12 Jahren tot. Aber er ist auch an seinem hundertsten Geburtstag noch immer unschlagbar berühmt. In: NZZ. [https://www.nzz.ch/feuilleton/loriot-hat-den-deutschen-humor-revolutioniert-er-zeigt-wie-die-deutschen-sind-ld.1764336] 12.11.2023.

Zehnder, Matthias (2017): Die Aufmerksamkeitsfalle. Wie die Medien zu Populismus führen. Basel: Zytglogge 2017

11 Kommentare zu "Warum wir mit unseren Medien so wenig zu lachen haben"

  1. Fazit: weniger (Medienkonsum) ist mehr. Das Experiment habe ich gemacht: 1 Monat konsequent kein Medienkonsum (kein TV, keine Printmedien, kein Facebook). Wow: das eine Prozent, das wichtig ist, bekommst du trotzdem mit. News sind wie Zucker für den Körper: schädlich. Bücher lesen und Sport ist viel besser.

    P.S. der Tipp für keinen Medienkonsum stammt vom Buchautor Dobelli (getabstract Gründer).

  2. Früher gabs Witzchen und Cartoons in Reader’s Digest. Harmlos, brav, originell – über diese Lustigkeit würde heute aber niemand mehr lachen. Dies Blatt (gegründet 1922 in USA) ist heute ebenso aus der Zeit gefallen wie der gute Loriot. Er nimmt Sitten aufs Korn welche es heute gar nicht mehr gibt. Er zelebriert Weihnachtsfeiern welche heute patchworkig gar nicht mehr stattfinden. Er mimt Peinlichkeiten, die heute gar niemandem mehr peinlich wären. Früher konnte ich lachen, heute erinnert mich Loriot immer an das Deutschtum von Vorgestern, an Kaffeehäuser, an Tortengebäck, an deutsche Kellner, an steife Damasttischtücher im Speisewagen – all dies gibt es heute nicht mehr. Ein Augenschein in Karlsruhe, in Frankfurt (Bahnhofsviertel, Buisnessviertel), in Bielefeld, in Kassel, Essen, Leipzig, in Berlin oder auch nur in Weil am Rhein belehrt jeden sofort eines besseren. Da bleibt einem eher das Lachen im Hals stecken…
    Spass/Humor – auch der ist mit zunehmendem Alter ideologisch eingefärbt. Im Kommentar wird über „watson“ gelacht. Dieses einseitige linke Medium belustigt sich dementsprechend auch nur über bürgerlich-konservative Politiker. Bei den „SRF-Arena“-Kritiken werden ausschliesslich SVP-Politiker „in den Senkel gestellt“, bekommen „ihr Fett weg“ und stehen immer „begossen“ da…. (werden jedoch oft als Vertreter der wählerstärksten Partei bestens wiedergewählt). Dem geneigten „watson“-Publikum gefällts, klatscht und lacht sich die Kerbe voll….
    Auf meinem Stubentischchen liegt der „Näbi“ (Nebelspalter). Wird der Nebel gespalten, herrscht klare Sicht. Schmunzeln ja gar lachen tut gut ob den Cartoons, dem Inhalt, dem Humor. Verleger und Herausgeber M. Somm bedient wohl meine Geschmacksnerven, bemüht sich sogleich aber um ein breites Spektrum.
    Es gibt sie also noch, die Lachnischen. Doch sie werden seltener. Mit Emil, Rasser, mit Loriot oder Rittmeyer, mit D. Wiesmann (SH) oder Jürgen von Manger, Dieter Hildebrand, Georg Schramm oder Gerhard Polt sterben sie langsam aus…
    Und was folgt ist beängstigend. SRF/SRG probierts mit dem „Humorformat“, dem erschreckenden „Studio 404“. Ob die dortigen SRF-„Comedians“ Matthias Püntener, Philip Wiederkehr, David Meury, Jenna Meichtry, Jozo Brica, Julia Hostettler, Mateo Gudenrath, Rebekka Pérez, Janik Schäfli, Nefeli Avgeris, Jonas Ballmann, Luc Peyer, Till Wittmer, Neil Werndli und Tim Allenspach (Liste nicht abschliessend, wird laufend vermehrt) mit solch primitivem Humor bei den (normalen) Zusehern andocken können, darf bezweifelt werden:
    https://www.youtube.com/watch?v=GvrT42ohAnw
    ( Ab 4:44 ! )
    Mir fällt dazu übergriffig, anmassend, primitiv und ehrverletzend ein. Guter Humor definitiv nicht. Den der hat solches nicht nötig.
    Bin mit dem Wochenkommentar einig!!
    Wir brauchen wieder mehr Loriots&Co. !!
    Loriots 2.0 !!

    1. Mein Kommentar bezieht sich eben NICHT auf Comedy im Farbfernsehen und auf YouTube und auf Satiremagazine wie den «Nebelspalter». Er bezieht sich auf die Humorlosigkeit in der alltäglichen Berichterstattung. Er bezieht sich übrigens auch nicht auf Loriot, sondern auf die Berichterstattung über Loriot. Das Problem ist die Gleichsetzung von ernsthaft und ernst. Das hat mit Comedy absolut nichts zu tun. Im Gegenteil.
      Darüber hinaus finde ich es schade, dass Sie immer so ideologisch antworten müssen. Mein Kommentar hat mit links und rechts, Ihrer gehassten SRG und anderen Feindbildern rein gar nichts zu tun. Entspannen Sie sich doch mal ein bisschen und lassen Sie sich auf einen Gedanken ein, ohne gleich zu Harnisch und Zweihänder zu greifen.
      So oder so: ein lustiges Wochenende!

  3. … und dann noch dies: Wenn Charles Lewinsky den ehrenwerten Johann Wolfgang von Goethe wegen seiner Hämorroiden karikiert, dann kann ich dies nur sehr bedingt lustig finden. Auch wenn der ehrenwerte Charles Lewinsky nicht erwägt, dass die von ihm literarisch zelebrierte Schreibblockade Goethes durch einen Autoritätskonflikt gegenüber seinem Auftraggeber, Gönner und Dienstherrn, dem Herzog von Weimar, Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, mitbegründet hätte sein können.
    Lustig finde ich nach wie vor auch nicht die Geschichte mit den sogenannten Medien-Deprivierten: Wer weiss, ob sie wohl die wahrhaftig und wirklich Kultivierten sind, weil sie keine Medien sogenannt konsumieren, die kaum Aufklärung und Wahrheiten in die Welt bringen.

    1. Lieber Ueli Keller, es geht nicht darum, News-Deprivierte lustig zu finden oder anderswie zu werten. Der Name mag schlecht gewählt sein – bezeichnet werden damit Personen, die Journalismus und Newsmedien weit unterdurchschnittlich nutzen, sich gleichzeitig weniger für Politik interessieren und sich auch weniger am demokratischen Prozess beteiligen. Ich kann darin nichts besonders Kultiviertes erkennen. Als Gesellschaft muss es uns Sorgen machen, dass sich immer mehr Menschen aus dem politischen Diskurs verabschieden und sich nicht mehr an demokratischen Prozessen beteiligen.
      Lewinsky karikiert Goethe übrigens nicht, ganz im Gegenteil! Und der Schreibstau, von dem er erzählt, wird gerade nicht durch die Auftragsarbeit ausgelöst, die Blockade wird aber des Auftrags wegen zur existenziellen Bedrohung. Lesen Sie das Buch, es lohnt sich.
      Ein wunderbares Wochenende wünscht, mz

  4. Sorry: Der in der Buchbesprechung zu „Rauch und Schall“ zitierte Abschnitt zu Goethes Hämmoroiden wirkt auf mich wie eine ganz uns gar nicht lustige Karikatur. Und die Schreibstau-Diagnose entbehrt dem Wissen über Traumata. So wie auch Medien und Politik oft einer lesen.: Was mich zur These verleitet, dass eigentlich Medien und Politik depriviert sind, und nicht die Menschen, die keine Medien konsumieren oder nicht an der Politik partizipieren. Was bedeuten würde, dass es nicht andere Menschen, sondern andere Medien und eine andere Politik braucht.

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