Warum die Künstliche Intelligenz zum Tod der Medien führt
Spoiler: ChatGPT hat nichts damit zu tun. Als Open AI im Dezember 2022 einer breiten Öffentlichkeit ChatGPT vorstellte, kam es zu einem technologischen Erdbeben, wie es sich seit der Vorstellung des iPhones durch Steve Jobs nicht mehr ereignet hat: Nur wenige Tage nach der Freischaltung nutzten bereits mehr als 100 Millionen Menschen den KI-Chatbot. Auch bald zwei Jahre danach verblüffen die grossen Sprachmodelle mit ihren Leistungen immer noch. Medienschaffende sehen sich bedroht durch KI-Programme, die wahre Zauberkunststücke mit Sprache, Bild, Ton und Video vollführen. Die Verblüffung ist gross – wie bei jedem Zaubertrick legen sich Entzücken und Verwunderung wie ein Schleier über die profane Mechanik, die den Zauber möglich macht. Im Fall der generativen KI sind das gigantische Rechenmaschinen, die sich Sprache, Bilder, Ton und Video mit Wahrscheinlichkeitsrechnungen erschlossen haben. Das mag der Verarbeitung von Sprache dienen, kreativ sind die Maschinen nicht. Reporterinnen, Interviewer, Kommentatorinnen und Cartoonisten können sie nie ersetzen. Die grosse Verblüffung hat aber dafür gesorgt, dass die meisten Menschen gar nicht gemerkt haben, wie die künstliche Intelligenz auf ganz andere Weise zum Tod der Medien führt. Denn die KI hat die Medien ökonomisch überflüssig gemacht.
Seit gut zwei Jahren geistert die Mär von schreibenden Computer durch die Medien. Die meisten Menschen sind heute überzeugt, dass ChatGPT, Google Gemini und all die anderen generativen KI-Modelle Texte schneller und fehlerloser schreiben können als jede Journalistin und jeder Journalist. Spätestens dann, wenn ein Demonstrationszug durch die Innenstadt zieht, ein Chemieunfall die Anwohner in Panik versetzt oder ein Politiker sich zum Ringkampf mit dem Sicherheitsdienst im Bundeshaus hinreissen lässt, wird jedem Chefredaktor klar, dass es ohne Journalistinnen und Journalisten nicht geht. Die künstliche Intelligenz ist eingesperrt in den Datenraum. Die reale Welt ist ihr nur insofern zugänglich, als sie sich in Daten niederschlägt.
Auf der Basis von Sensorendaten kann sie Wetterprognosen erstellen. Sie kann die digitalisierten Fussballresultate in Tabellen verpacken und aufgrund der Daten ausrechnen, wie wahrscheinlich es ist, dass ein bestimmter Fussballclub ein Tor schiesst. Sie kann aber nicht mit der Frau sprechen, die mit ihren Kindern an der Demo teilnimmt. Sie riecht die Chemikalien nicht, die in die Luft ausgestossen worden sind und sie versteht die Bedeutung des Ringkampfs im Parlament nicht. Schlimmer noch: Sie versteht gar nichts, weil erstens in der KI niemand steckt, der etwas verstehen könnte, und zweitens die KI keine Ahnung von der Bedeutung der Sprache hat.
Verheerende Auswirkungen
Keine Frage: KI-Werkzeuge werden die Verarbeitung von Sprache, Bildern, Ton und Video verändern. Wenn unsere Journalistin von der Demo in der Innenstadt zurückgekehrt ist, kann sie ihre Reportage dem Computer diktieren. Eine KI kürzt die Langversion auf einen Kurztext mit vier Bullet-Points und überträgt diese Angaben vielleicht auch noch in eine andere Sprache. Ohne die Journalistin und ihre Eindrücke kommt die KI aber nicht zu ihren Informationen – und ohne den Redakteur am Pult kommt die Zeitung nicht zu einer vernünftigen Analyse des Geschehens. Das ist so und das wird so bleiben.
Das heisst aber nicht, dass die KI nicht doch verheerende Auswirkungen auf die Medien hat. Die KI macht die Medien nämlich ökonomisch überflüssig. Etwas Schlimmeres hätte gar nicht passieren können. Das Unglaubliche daran ist: Kaum jemand redet davon.
Werbung im Glauben an die Marke
Bevor das World Wide Web die Welt mit dem Versprechen verführte, den Zugang zu Informationen, ja Wissen und Bildung zu demokratisieren, haben die Zeitungen ihr Geld zu etwa zwei Dritteln mit Werbung verdient. Wer in der NZZ, dem «Tages-Anzeiger», der «Süddeutschen Zeitung» oder der «Zeit» eine Anzeige schaltete, der buchte den Anzeigenplatz ganz bewusst in diesen Zeitungen. Sei es, weil man genau dieses Publikum erreichen wollte, sei es, weil man in der NZZ, im «Tages-Anzeiger», der «Süddeutschen Zeitung» oder in der «Zeit» präsent sein wollte. Es gab mit anderen Worten eine Verbindung zwischen der Zeitung und den Anzeigen.
Diese Verbindung bestand manchmal aus einem Glauben an die Marke, einer Hoffnung auf das Publikum oder auch einer Verbindung mit den Inhalten der Zeitung. Durchaus auch im negativen Sinn. Ein berühmtes Beispiel für die Verbindung zwischen Anzeigen und redaktionellen Inhalten ist der Boykott des Zürcher «Tages-Anzeigers» durch die Autoindustrie. Aus Protest gegen die kritische Berichterstattung der Zürcher Tageszeitung zur Umweltverschmutzung durch Autos und zur Ölkrise entschied die Autoindustrie 1979, alle Werbeanzeigen im «Tages-Anzeiger» zu stoppen. Der Boykott der Branche hielt etwa ein Jahr an, dann begann die Front der Autoindustrie zu bröckeln. Bloss die Emil-Frey-Gruppe blieb dabei. Erst 20 (!) Jahre später hob der Chef der Emil-Frey-Gruppe, SVP-Nationalrat Walter Frey, den Werbeboykott gegen den «Tages-Anzeiger» wieder auf. Er begründete damals den Entscheid mit dem «neutralisierten Verhältnis» zwischen den beiden Kontrahenten.
Jeder zweite Werbefranken geht an die KI
Ein solcher Werbeboykott gegen eine Tageszeitung wäre heute gar nicht mehr möglich. Der Löwenanteil der Werbegelder hat sich ins Internet verschoben. Mehr als jeder zweite Werbefranken in der Schweiz geht heute an Google und Meta, also an Facebook. Wie gut die beiden Riesen im Geschäft sind, hat diese Woche eine Auswertung von «Tsüri» gezeigt. Das Medium hat die Werbeausgaben der Stadt Zürich im Jahr 2023 unter die Lupe genommen. Resultat: 90 Prozent der Werbegelder gingen an Google und Facebook!
Das heisst nicht, dass die Anzeigen auf den Resultateseiten von Google oder im Nachrichtenstream von Facebook erscheinen. Die beiden Unternehmen sind heute die mit Abstand grössten Werbedienstleister der Welt. Sie nehmen digitale Anzeigen entgegen und sorgen über ihre Netzwerke dafür, dass diese Anzeigen auf den Bildschirmen der gewünschten Zielpersonen erscheinen. Beide Unternehmen haben diese Woche im Rahmen ihrer Quartalszahlen rekordhohe Erträge bekannt gegeben. Google und Facebook arbeiten weltweit mit Millionen von Websites zusammen. Bei Google heisst die entsprechende Technologie «AdSense».
Wer eine Website publiziert, kann mit Hilfe von Google AdSense Anzeigen auf der Seite platzieren. Dabei kann es sich um Textanzeigen, Bild- oder Videoanzeigen handeln, die sich je nach Design und Layout der Website anpassen lassen. Gebucht werden die Anzeigen von Unternehmen, die ihre Werbung über Google Ads schalten. AdSense nutzt dabei ein Auktionssystem, bei dem verschiedene Unternehmen in Echtzeit auf Anzeigenplätze bieten. Wer am meisten Geld bietet, gewinnt den Platz für seine Anzeige. Die Betreiber der Website verdienen entweder pro Klick auf die Anzeige oder pro tausend «Impressionen», also pro Tausend Auslieferungen der Anzeige auf einen Bildschirm.
Die Inhalte sind völlig egal
Die Werbekunden wissen dabei nicht, wo ihre Anzeige ausgeliefert wird und das ist auch völlig egal. Pornographische Websites, oder Angebote, die von Waffen oder Religion handeln, lassen sich natürlich ausschliessen. Davon abgesehen ist der Werbung die Umgebung einerlei. Das grosse Kapital von Google sind nicht die Inhalte der Websites, sondern die demographischen Merkmale ihrer Benutzerinnen und Benutzer. Ich kann zum Beispiel Technologie-affine junge Eltern in urbanen Gebieten ansprechen, also Menschen im Alter von 25 bis 35 Jahren, die Kinder haben, in Grossstädten leben und ein hohes Interesse an Technik und Geräten zeigen. Interessant ist diese Zielgruppe zum Beispiel für ein Unternehmen, das smarte Babygeräte oder Apps für die Kindererziehung bewerben möchte. Ein anderes Unternehmen möchte vielleicht neuartige Finanzprodukte bewerben und sucht deshalb junge Berufseinsteiger. Mit Hilfe von Google Ads kann das Unternehmen gezielt Menschen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren ansprechen, die in Finanzberufen arbeiten oder gerade eine Ausbildung in diesem Bereich absolvieren.
Unsere Unternehmen, die ihre Zielgruppe mit Hilfe von Google AdSense ansprechen, interessieren sich gezielt für genau jene Menschen mit den gewünschten Merkmalen. Mit der ausgeklügelten Werbetechnik ermöglicht es Google den Unternehmen, die Werbeanzeigen in einem bestimmten Zeitraum auf soundsovielen Bildschirmen solcher Menschen erscheinen zu lassen. Dabei ist es völlig egal, ob diese Anzeigen auf einer Rezeptdatenbank, einem Babyratgeber, einem Reiseblog oder einer Finanzwebsite angezeigt werden. Es geht nicht um den Inhalt der Websites, es geht nur und ausschliesslich um die Menschen, die sie ansehen.
Die KI hat Werbung und Medien voneinander getrennt
Jetzt sagen Sie vielleicht: Technologie-affine junge Eltern erreiche ich aber eher auf einer Website über Baby-Produkte. Vielleicht. Man findet sie aber sicher auch auf Rezeptdatenbanken und Vorsorgewebsites, auf dem Fahrplan-Angebot, im Modejournal und auf dem Informationsdienst über kranke Katzen. Das Drumherum spielt absolut keine Rolle. Hauptsache, die Anzeige wird auf einem Bildschirm ausgeliefert, an dem eine junge Mama oder ein junger Papa sitzt. Die künstliche Intelligenz von Google und von Facebook beherrscht ihr Datenhandwerk so gut, dass sie das fast garantieren kann. Das bedeutet: Medien und ihre Inhalte haben ausgedient. Die künstliche Intelligenz macht sie überflüssig. Die KI hat Werbung und Medien voneinander getrennt.
Das ist unvorstellbar, es ist dramatisch und es ist eine Illusion. Aber der Reihe nach.
Es ist unvorstellbar.
Es ist unvorstellbar. Wir können uns nicht vorstellen, was sich genau hinter den Kulissen des Internets abspielt, weil es mit menschlicher Arbeit nichts zu tun hat. Nur schon die Versteigerung eines Werbeplatzes in Millisekunden passt in den Kopf eines normalen Menschen nicht hinein. Dann diese riesigen Datenmengen, die mit der Auswahl der Ziel-Menschen und der Auslieferung der Anzeigen verbunden sind. Der blitzschnelle Abgleich der Datenbanken. Wir können uns nicht vorstellen, dass die Inhalte auf den Websites nicht mehr relevant sind, weil wir Menschen doch auf diese Inhalte schauen. Aber es ist so: Wo die Anzeige erscheint, ist Google und dem Kunden piepegal – es zählt nur die Benutzerin oder der Benutzer am Gerät.
Es gibt einen kleinen Test, den Sie für sich machen können. Suchen Sie einige Male nach einem Gegenstand, den Sie nie kaufen würden. Ich könnte zum Beispiel nach einem roten Kleid suchen. Oder nach einem himmelblauen Hut, einer Ferienwohnung in Nizza oder einem Flug nach Honolulu. Das würde ich mir nie kaufen und nie ansehen. Suchen Sie nach so etwas bei Google, bei Zalando und vielleicht bei Amazon. Nach kurzer Zeit begegnen Ihnen Anzeigen, die Ihnen ein rotes Kleid anbieten, einen himmelblauen Hut, eine Ferienwohnung in Nizza oder einen Flug nach Honolulu. Und zwar ganz egal, wo Sie gerade herumsurfen. Ob Sie eine englischsprachige Zeitung lesen, eine Website über die Ferienbetreuung von Meerschweinchen, die besten Kürbiskuchenrezepte oder Tipps für eine Meditationspause – überall sehen Sie nur noch rote Kleider und himmelblaue Hüte, und zwar überall dieselben. Die Anzeigen scheinen Sie zu verfolgen. Und genau das machen Sie ja auch: Google oder Facebook interessieren sich für Sie, nicht für die Zeitung, die Meerschweinchen, die Kürbiskuchenrezepte oder die Meditationspause.
Das ist dramatisch.
Das ist dramatisch. Es bedeutet, dass Medien ausgedient haben. Und zwar im wörtlichen Sinn. Das lateinische Wort «Medium» bedeutet «das Mittlere», «der Mittler». Das Medium steht als «das Mittlere» zwischen dem Sender und dem Empfänger, es ist das Transportmittel, mit dem der Sender dem Empfänger eine Botschaft schickt. Genau so haben früher Werbekunden die NZZ oder die «Zeit» als Mittel genutzt, um ihre Botschaft an die Leserinnen und Leser der Zeitung zu bringen. Im vollen Bewusstsein, dass Sie dabei in der NZZ oder in der «Zeit» erscheinen. Es ging und geht dabei nie nur um die Demographie der Zielgruppe, sondern immer auch um Branding. Das meint: um den Eindruck, den ein Unternehmen auch ausserhalb seiner eigentlichen Kundinnen und Kunden erzielt.
In diesem Sinn gibt es heute kein Transport-Medium mehr. Es gibt nur noch das aus Sicht des Mediums zufällige Aufeinandertreffen von Werbekunden und Nutzerinnen auf einem Bildschirm. Die künstliche Intelligenz von Google und Facebook nutzt die englischsprachige Zeitung, die Website über die Ferienbetreuung von Meerschweinchen, die besten Kürbiskuchenrezepte oder Tipps für eine Meditationspause wie ein Parasit. Der künstlich-intelligente Parasit wirft zwar einige Rappen Profit ab, interessiert sich aber nicht die Bohne für das Medium. Weil er es nicht braucht. Natürlich kann Google ohne die vielen Websites keine Werbung schalten, insofern braucht Google Ads die Websites. Aber die Zahl der werbewilligen Websites ist so gross, dass es auf eine Website nicht ankommt. Und schon gar nicht auf ihre Inhalte.
Das ist eine Illusion
Das ist eine Illusion. Google Ads und die Werbeangebote von Facebook sind ein probates Mittel, wenn Sie über das Internet Vitaminpillen verticken wollen, oder selbstwärmende Wollsocken für Wanderer im Seniorenalter oder eine Zwiebelbrille fürs tränenlose Zwiebelhacken. Also für Anbieter von kleinen Dingen, die von Impulskäufen leben. Sie sehen eine Werbung ein-, zwei-, fünf-, zehnmal im Internet, sie klicken drauf, nächste Woche haben Sie das Zeug im Briefkasten, übernächste Woche bereuen Sie den Kauf. So etwa. Die grosse Frage ist, was diese Art von Werbung Roche und Novartis, Mercedes und BMW, UBS und der Kantonalbank bringt. Bei diesen Unternehmen geht es nicht um Impulskäufe, sondern um grundsätzlichere Formen des Marketings. Um Image, um Employerbranding, um Präsenz und Bewusstsein.
Es geht mit anderen Worten um Dinge, die sich nicht so einfach in Zahlen abbilden lassen wie eine Impression-Rate, eine Click-Rate und der ROAS, also der Return on Ad Spend. Unser Vitaminpillenverkäufer kann den ROAS schnell ausrechnen, weil er in seinem Onlineshop digital nachvollziehen kann, welche Anzeige zu wieviel Umsatz geführt hat. Gefühle wie Ansehen und Vertrauen lassen sich so nicht abbilden. Verstehen Sie mich recht: Onlinewerber werden auch Roche und Novartis, Mercedes und BMW, UBS und die Kantonalbank mit vielen Zahlen beliefern und den Unternehmen die Illusion geben, dass die künstliche Intelligenz auch Gefühle im Griff hat. Aber eine künstliche Intelligenz ist in die Datenwelt eingesperrt. Was sich nicht in Zahlen manifestiert, kann sie nicht bearbeiten. Sie können versuchen, auch Gefühle in Zahlen auszudrücken, anders als Klicks und Verkäufe sind das aber keine Daten, sondern Annahmen, Schätzungen und Mutmassungen. Auch wenn Sie diese Vermutungen in Zahlen ausdrücken, bleiben es Vermutungen.
Auch wenn das Onlinewerbegeschäft wenigstens zum Teil eine Illusion ist – die Auswirkungen auf journalistische Medien sind verheerend, weil die Inhalte in diesem Geschäft keine Rolle mehr spielen. Dabei ist der Zusatz: «in diesem Geschäft» wichtig. Für die Menschen sind die Inhalte natürlich nach wie vor entscheidend. Ob ich Zugang habe zum «Guardian» und zum «Spiegel» oder nur noch zur Meerschweinchenwebsite und der Kochrezeptedatenbank, das macht für mich einen riesigen Unterschied – aber nicht für Facebook und Google, und das heisst: Es macht ökonomisch keinen Unterschied mehr. Deshalb führt die Künstliche Intelligenz zum Tod der Medien.
Die Reaktion der journalistischen Medien
Wie reagieren die journalistischen Medien darauf? Sie versuchen mitzuhalten im Kampf um möglichst viele Nutzerinnen und Nutzer, deren Aufmerksamkeit sie an die grossen Werbenetzwerke verkaufen können. Und machen sich damit erst recht obsolet. Wer im Internet Aufmerksamkeit erregen will, muss extrem auffallen. Muss die Nutzer aufschrecken mit immer noch drängenderen Schlagzeilen und Pushmeldungen. Rasch kann die Dringlichkeit, in der die Schlagzeile formuliert wird, mit dem Inhalt nicht mehr mithalten. Wer immer öfter viel Lärm um Nichts macht, wird nicht Nutzer gewinnen, sondern verlieren. Die paradoxe Folge einer aufmerksamkeitsorientieren Publizistik ist deshalb der Verlust an Aufmerksamkeit.
Es wäre deshalb klüger und nachhaltiger, wenn die Medien mehr in Substanz, in Einzigartigkeit und in Kreativität investieren würden. Und das heisst: In die Menschen, die die Medien machen.
Und die Werbekunden von Roche und Novartis über Mercedes und BMW bis zur UBS und der Kantonalbank? Liebe Werbeverantwortliche, denken Sie daran, dass die künstliche Intelligenz von Google und Facebook nur die Zahlenwelt beherrscht. Nicht die Menschen. Investieren Sie deshalb wenigstens einen Teil Ihres Werbebudgets in menschengemachte Medien. Einige grosse Schweizer Unternehmen nennen sich «stolze Partnerin» der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft. Oder «Premium Partner» von Swiss Ski. Wie wäre es, wenn die grossen Unternehmen auch den Journalismus als «stolze Partner» oder gar als «Premium Partner» unterstützen würden? Wenn Sie denkende Menschen fördern würden statt die künstliche Intelligenz? Vergessen Sie nicht: KI kann jeder kaufen. Denken ist einzigartig. Das zu zeigen, fördert ganz bestimmt auch Ihre Marke.
Basel 1. November 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
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Quellen
Bild: KEYSTONE/AP Photo/Godofredo A. Vásquez
Mark Zuckerberg, fotografiert während einer Präsentation an der Meta Connect conference am 25. September 2024 in Menlo Park, Kalifornien, macht gigantische Geschäfte mit Onlinewerbung.
Jacoby, Simon (2024): So viel Geld überweist die Stadt Zürcher Medienhäusern. In: Tsüri. [https://tsri.ch/a/so-viel-geld-ueberweist-die-stadt-zuercher-medienhaeuser-nzz-tages-anzeiger-tamedia-zff-tsuri; 1.11.2024].
Müller, André (2024): Meta, Microsoft, Google: Die Tech-Giganten Reiten Die KI-Welle Weiter. In: Neue Zürcher Zeitung. [https://www.nzz.ch/wirtschaft/meta-verdient-mit-werbung-so-viel-geld-wie-noch-nie-und-gibt-es-gleich-wieder-aus-fuer-kuenstliche-intelligenz-und-vr-brillen-ld.1855223; 1.11.2024].
Zehnder, Matthias (2017): Die Aufmerksamkeitsfalle. Wie die Medien zu Populismus führen. Basel: Zytglogge-Verlag
Zehnder, Matthias (2019): Die digitale Kränkung. Über die Ersetzbarkeit des Menschen. Zürich: NZZ Libro.
3 Kommentare zu "Warum die Künstliche Intelligenz zum Tod der Medien führt"
Das Handelsblatt aus Deutschland titelte: „Das Potenzial Künstlicher Intelligenz wird oft überschätzt“. Die „FAZ“ letzthin: „Warum die KI von heute gewaltig überschätzt wird“. Die „NZZ“ kürzlich: „Neue Technologien wie Chat-GPT werden kurzfristig immer überschätzt“. Und „Focus“ neulich: „KI-Spezialist: Wir überschätzen künstliche Intelligenz maßlos“. Denn sogar renommierte Fachleute warnen vor der KI – und vergleichen deren Risiken mit denen von Atomwaffen. Warum das zu weit geht. Total. Und welche Grenzen diese Technologie nun einmal, wie alles, gottlob, hat. Auch von den „virtuellen Welten“ hören wir auch nicht mehr so viel wie vor einigen Jahren. Und das vor 20 Jahren angekündigtke „Papierlose Büro“ existiert ebenfalls nur in der Utopie.
Auch die „Neuen Medien“, oder noch besser die (A)“Sozialen Medien“ in welcher jeder PR-Opa (zu)viel Werbegeld reinbuttert, ob von Dr. Oetker Schweiz zu Leisi Schweiz über Hitachi Schweiz bis zu Toschiba Schweiz, nur weil es gerade „Hip“ ist, die Reichweiten aber gar nicht messbar und ausgelotet sind, werden total überschätzt. Die Nutzenden merken superschnell, ob das jetzt ein „Meme“, ein „Podcast“, ob es „Comedy“ oder einfach plumpe versteckte Propaganda ist.
Werbung, ob im Print, auf Plakat oder im Netz mag ich nicht. Die überkanditelten Werbeagenturen-Jahren, wo Millionen für den Betriebsausflug rausgebuttert wurden, hinterliessen spuren. Die Ego-Fritzen, die „mit-100er-Nötli-Zigarren-Anzünder“, die Kokser (war usus in der Branche) lebten in Saus und Braus – bezahlen taten (und tun es immer noch) die Verbraucher mit höheren Produktepreisen. Denn Werbung ist abstossend – das Produkt muss überzeugen. Für mich (und immer wie mehr Sparende im Lande) gilt (Sorry, Werbe- und angegliederte Branchen): Produkte für welche KEINE Werbung läuft, werden gekauft. Erst recht. Ob Schoggi, Kleidung oder Backwaren. Ob Fisch, Tiefkühl oder Technik/Möbel. Die wahren Werte spürt man, überzeugen, sprechen selbst. Die schwingenden Werbetrommeln können stumm bleiben, sie stören nur beim Entscheid, Kauf und Genuss danach….
Dass der heutige Journalismus in allen Medien durch die KI zerstört wird, ist klar analysiert und völlig nachvollziehbar. Da wird aber nur eine Seite beleuchtet. Ebenso stark bringen dieheutigen Präsentationen der Inhalte den Journalismus an den Abgrund. Solange die *System-,Staats- und Mainstream-Medien* einseitig ideologisch durchtränkte Berichterstattungen präsentieren, ist das Vertrauen der Bevölkerung dahin und stärkt nur die Eliten, welche an der Macht sind. Nur wenige Menschen brauchen heute noch die traditionellen Medien. Die multipolare Welt ist mehr denn je gezwungen, Alternativen zu Plattformen wie YouTube, Meta und X zu entwickeln, auf denen die Weltöffentlichkeit wahre Informationen erhält – dies außerhalb der Reichweite von Lügen, Doppelmoral und Zensur. Dass man mit Staatsgeldern die verlorengegangenen Medienkonsumenten zurückgewinnen und Menschen neu bilden bzw. erziehen will, hilft nur der Zementierung der bisherigen Systemmedien, wo v.a. Interessen und Emotionen, nicht die Sachlichkeit im Mittelpunkt stehen. So nützen auch die Schönfärbereien der aktuellen Medienstudien wenig. Es gibt nur eine Lösung: Die Mainstream-Medien müssen vom Staat unabhängig werden und alle Sichten mit evidenzbasierten Fakten präsentieren, damit die Menschen selber denken und sich ein eigenes Urteil in Meinungsfreiheit und ohne Ausgrenzungen bzw. Manipulationen bilden können. Dies ist machbar!
Antwort Fr./Hr. Betolli
Hut ab. Das ist aber mal eine knackige, zusammengefasste, starke und wahre Darstellung der Ist-Situation unserer mehrheitlichen MSM-Medien. Ich bin ein bescheidener Mediennutzer welche vor so einem treffenden Kommentar den Hut zieht und nur aus eigener Erfahrung berichten kann. Sobald man bei „Tamedia“ via Leser-Online-Kommentare nur ein bisschen am Mainstream knabbert, ein bisschen eigenes Denken einstreuen will, ein „Mü“ die andere Sicht vermitteln will heisst es (hier im Original) wie immer:
„Vielen Dank für Ihren Kommentar. Leider müssen wir Ihnen jedoch mitteilen, dass Ihr Kommentar nicht veröffentlich werden kann.
Um einen angenehmen, sachlichen und fairen Umgang miteinander zu gewährleisten, publizieren wir keine Beiträge, die sich im Ton vergreifen. Dazu gehört die Verwendung von polemischen und beleidigenden Ausdrücken. Ebenso persönliche Angriffe auf andere Diskussionsteilnehmer sowie Dritte oder auch ein grundsätzlicher Ton «unter der Gürtellinie». Als beleidigend gelten auch Verunstaltungen von Namen, entweder von anderen Diskussionsteilnehmern, aber auch von dritten Personen oder Einrichtungen.“
Natürlich vergriff ich mich nicht im Ton, schiesse auch explizit nicht mit Namen auf Personen, und unter der Gürtelline geht bei mir, wer mich kennt weiss dies, ob im direkten Gespräch mit Kollegen oder Familie, jedoch schon gar getippt, nichts.
Aber wenn man natürlich auch keine „Einrichtungen“ mehr in Frage stellen darf (das geht vom Landrat, Regierungsrat, Kantonsrat, WHO-Behörden, Uno, Nato, Bundesrat, Kanzleramt, EU-Zentrale bis zum Elysee-Palast usw), kann man doch die ganze Kommentarfunktionen gleich einstellen (das einzige was bei Tamedia noch geht = Übers (Badi-)Wetter freuen, den FCB huldigen (Kritik an dieser „Einrichtung“ – siehe oben – ist natürlich auch sofort verpönt) und Oden an die „Einrichtungen“ (Theater, Fasnacht, Kaserne, Museen) der Stadt singen….
Schrecklich. Da kann man ja gerade das Bilderbuch der „Teletubbies“ anschauen gehen….
Stark eingeschräkt und ebenfalls die Zensur ausgebaut hat auch „AZ-Medien“ alles um die Leser-Kommentar-Funktionen. Viel mehr wird „nicht mehr veröffentlicht“ und zu viel weniger oder gar nicht (gerade „heisse“ Themen welche die Bevölkerung brennt) wird die Kommentarfunktion eingestellt. Das Kursbuch der SBB des Jahres 1990 ist daher eminent spannender zu konsultieren als die „RingierAZMedienTamedia“-Blätter… Welch Wandel.
Bei der SRG wurden die Kommentarfunktionen praktisch ganz elimieirt, so das alles unwidersprochen hingenommen werden muss. Wobei dieses „Alles“ bei der SRG stets „schludriger“ und „oberflächlicher“ gehandhabt wird, viel stimmt (auf die Region Basel bezogen kann ich es kontrollieren) schlicht nicht oder es wird viel Wesentliches (bewusst, unbewusst, absichtlich?) ausgelassen. Wie soll man da dem SRG-Überregionalen, dem Schweizweiten oder gar Weltweiten noch trauen? Die Einseitigkeit der SRG bei den US-Wahlen ist ja nicht mehr, als Beispiel, zu überbieten. Alles was Trump sagt, macht, handelt ist schlecht; alles was Harris redet, zeigt oder tut ist golden-wunderbar. Überzeugter kann ich nicht sein, wäre Harris vor Kameras bei McDonalds Fritten braten gegangen, hätte dies (nicht nur SRG, alle MSM-Medien) als „volksverbunden, volksnah“, als „geerdet“ und „nahbar einfach“ hochgejubelt. Hätte Harris in Warnweste aus dem heruntergedrehten Fenster des Müllwagen gesprochen, wäre dies als grossartig, standhaft, als „wow“ und ehrlich taxiert worden…
Die Medien haben viele Probleme. Eines ist, dass sie heute so berichten wie es vor 20 Jahren nie durchgegangen wäre. Die grossen Titel verlieren (mit dem Wegsterben der Leser) an Strahlkraft, der Glanz der guten Texte, Reporter, Autoren von früher wird matt, und neue Lesende kann man mit solchen Gesinnungs-Zeilen/Filmen/Töne sicher nicht gewinnen, zumal man für diesen medialen Gelichklang allüberall dann auch noch sein Portemonnaie öffnen soll… (Leider kann ich das „Abo“ der „SRG“ nicht künden höre ich viele Junge klagen, welche einen eigenen Hausstand gründen und erstmals mit den SRG-Medien-Serafe-Zwangsgebühren beglückt werden; eine logische Reaktion und Frage der meist klammen Jungenmenschenhaushaltskassen)…
Über das sollte mal in den Redaktionen nachgedacht werden, es sollten durchaus Selbstzweifel und Reflektion aufkommen, doch die Ego-Alpha-Figuren in den Teppichetagen können eines nicht: Selbstzweiflen (was ist das?), hinterfragen, (sich) in Frage stellen oder gar neuen, ehrlichen, stillen und auf alle Seiten hin offen und besseren Schaffer das Feld überlassen. Sie verteidigen ihre Pfrüdne lieber bis zur Kündigung des letzten Abonnenten…
Bin ich froh, nicht in diesem MedienClan zu arbeiten. Entweder das (oftmals) falsche Spiel mitmachen (was ich nicht könnte) oder davonlaufen (was ich in jungen Jahren in abgeschwächter Form auch tat). Im Nachhinein einen weise Entscheidung.