Die fatale Verwechslung von Nationalstolz und Heimatliebe
Am 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag, komme ich immer etwas ins Grübeln. Was feiern wir da eigentlich? Und warum? Warum sollte ich stolz darauf sein, Schweizer zu sein? Verstehen Sie mich richtig: Ich lebe gerne da, wo ich bin. Ich liebe die Kultur, ich schätze die Menschen und als schreibender Mensch bin ich tief verwurzelt in der Sprache. Ich halte die Bundesverfassung für einen klugen Text. Die direkte Demokratie hat viele Vorteile. Ich bin gerne Schweizer. Aber ich kann nichts dafür und ich habe auch nichts dazu beigetragen. Die Berge, die Sprache, die direkte Demokratie, all das ist ohne mich entstanden. So wie die Franzosen oder die Deutschen nichts an ihrem Land ändern können, kann ich nichts an meinem Land ändern. Ich habe es gern, wie Deutsche und Franzosen ihr Land auch. Aber ist es wirklich das Land, das ich gern habe? Sind es nicht vielmehr die Sprache, die Berge und die Menschen? Warum also sollen wir einmal im Jahr die Nation feiern, uns auf die Brust klopfen und stolz sein? Mein Wochenkommentar über die fatale Verwechslung von Nationalstolz und Heimatliebe.
Volkswirtschaftsminister Guy Parmelin rief am 1. August die Schweiz in Luzern dazu auf, sich nicht kleiner zu machen, als sie ist. Er ging in seiner Rede der Frage nach, ob es unanständig sei, Nationalstolz zu zeigen. «Von der Schweiz könnten andere in vielerlei Hinsicht etwas lernen», rief Parmelin seinem Publikum zu. Selbstzufriedenheit sei nicht angesagt, ein gewisser Stolz aber schon. «Mehr Patriotismus» forderte auch die «Basler Zeitung» zum Schweizer Nationalfeiertag. Denn «Herr und Frau Schweizer tun sich schwer damit, nationale Verbundenheit auszudrücken, vor allem in einer Stadt wie Basel», schreibt die Zeitung. Ihre Indikatoren nennt sie auch gleich: «Wer hisst auf dem Balkon eine Fahne? Wer singt die Nationalhymne mit? Und wer streift sich am 1. August ein rotes Shirt mit dem weissen Kreuz über?»
Etwas merkwürdig, dieser Nationalstolz. Schauen wir uns die Sache etwas genauer an. «Stolz», so definiert es der Duden, ist das Gefühl von Selbstbewusstsein und Freude über einen Besitz oder eine eigene Leistung. Und was bedeutet «Nation»? Das ist eine große, meist geschlossen siedelnde Gemeinschaft von Menschen mit gleicher Abstammung, Geschichte, Sprache, Kultur, die ein politisches Staatswesen bilden. Wenn wir die beiden Definitionen zu Grunde legen, müssen wir zum Schluss kommen, dass es Nationalstolz in der Schweiz gar nicht geben kann.
La Suisse n’existe pas
Die Schweiz ist keine Nation. Diese Tatsache hat der Künstler Ben Vautier an der Weltausstellung 1992 in Sevilla in einem Bild zum Ausdruck gebracht: «Suiza no existe» – «La Suisse n’existe pas». Die Schweiz gibt es nicht? Das ging vielen Politikern zu weit und führte zu Empörung und einer Interpellation im Ständerat. Dabei wird der Sinn des Satzes sofort klar, wenn man ihn auf Deutsch etwas anders betont: DIE Schweiz gibt es nicht. Es gibt, wenn überhaupt, viele Schweizen. So heisst denn auch ein Buch von Charles Lewinsky: «Schweizen – 24 Zukünfte». Die Schweiz gibt es mindestens vierfach, als Schweiz, Suisse, Svizzera und Svizra – und im Tourismus auch als Switzerland. Die Schweiz ist kein einheitlicher Sprachraum. Es gibt keine Nationalsprache, keinen Nationaldichter und keine Nationalkultur. Es ist vielleicht kein Zufall, dass das Nationalgericht das «Birchermüsli» ist, also ein gesundes Durcheinander – wobei das natürlich auch wieder falsch ist, denn das Müsli nach Bircher-Benner ist nur in der Deutschschweiz Nationalgericht.
Und dann die Sache mit dem Stolz. Ich bin stolz auf ein Buch, das ich geschrieben habe und auf den Preis, der mir dafür verliehen worden ist. Ich bin stolz darauf, weil ich viel Zeit und Arbeit in das Buch investiert habe. Ich bin also stolz auf meine Leistung. Wie der Duden es schreibt: Stolz ist das Gefühl von Selbstbewusstsein und Freude über einen Besitz oder eine eigene Leistung. Es gibt Menschen, die sind stolz auf ihr Auto, ihren Hund oder das Trikot ihres Lieblingsfussballclubs mit der Rückennummer ihres Lieblingsspielers. Sie sind stolz darauf, dies oder jenes zu besitzen, und sie identifizieren sich damit. Aber mein Land ist weder mein Besitz noch meine Leistung. Ich besitze den Schweizer Pass, darauf könnte ich vielleicht noch stolz sein. Aber Schweizer zu sein, ist keine Leistung, sondern ein biografischer Zufall. Warum also der ganze Stolz?
Ich habe ja kein anderes
Wenn ein Franzose, ein Deutscher oder ein Schweizer sagt: «Ich liebe mein Land». Warum sagt er das? Es ist ja nicht so, dass er (oder sie) eine grosse Auswahl gehabt hätte. Wenn Sie sagen: «Ich liebe meinen Mann», dann heisst das etwas. Sie könnten ja auch einen anderen (oder eine andere) lieben. Wenn ich sage: Ich liebe die Musik von Mendelssohn oder von Dire Streits, dann sagt das etwas über mich aus, schliesslich gibt es Tausende andere Komponisten und Bands. Was soll das heissen, wenn ich sage, dass ich mein Land liebe? Ich habe ja kein anderes.
Einmal abgesehen davon, dass wir in aller Regel das Vaterland nicht wählen können – was lieben Sie genau, wenn Sie Ihr Heimatland lieben? In aller Regel sind das konkrete Dinge. Die Menschen, mit denen Sie zusammenleben, ihren Wohnort, das Klima, die Stimmung, die Sprache, das Essen, die Musik. Ich persönlich finde die Bundesverfassung der Schweiz ganz ausgezeichnet. Die direkte Demokratie in der Schweiz ist eine vernünftige Einrichtung. Aber nicht etwa, weil das sogenannte Volk immer das letzte Wort hat, sondern weil dabei das Subsidiaritätsprinzip gilt. Das bedeutet, dass Aufgaben und Entscheidungen auf der tiefstmöglichen politischen Ebene angesiedelt sind. Soll ich deswegen das ganze Land lieben?
Verwechslung von Heimat und Heimatland
Ich vermute, es handelt sich beim Nationalfeiertag schlicht um eine Verwechslung: Man feiert das Heimatland, meint aber die Heimat. Nationalstolz hat also weniger mit dem Land zu tun, als mit der eigenen Identität. Wie ich bin, wie ich spreche, was ich esse, wie ich mich verhalte, das ist in wesentlichen Zügen eine Frage der Gewohnheit. Wir sind so, sprechen so und essen so, weil wir das von Kindesbeinen an so gelernt haben. Es ist also ein biografischer Zufall. Wäre ich woanders aufgewachsen, würde ich anders sprechen, anders essen, anders leben. Wenn jemand sagt: «Ich liebe mein Land», dann meint das eigentlich: «Ich liebe meine Heimat».
Die Heimat, das ist das erweiterte Zuhause. Heimat hält sich nicht an Landesgrenzen. Heimat, das ist vielleicht eine Aussicht, der Geruch nach den Dielen aus Lärchenholz, ein Gewürz, von mir aus der Klang der Kuhglocken. Heimat ist da, wo ich mich wohl fühle und was mich zu dem gemacht hat, der ich bin. Meine Schule, meine Universität, meine Eltern, meine Geschwister, meine Geschichte. Heimat kann ich lieben. Heimat ist meine Geschichte. Weil diese Heimat meine Herkunft ist, macht sie meine Identität aus. Warum kann, warum soll ich stolz darauf sein? Reinhard Haller schreibt in seinem Buch über die «Macht der Kränkung»: Menschen mit hohem Selbstbewusstsein und gesundem Stolz seien viel weniger kränkbar. «Der Stolz ist etwa das Gegenteil von Gekränktheit, nicht umsonst sprechen wir bei Ehrbeleidigungen von ‹verletztem Stolz›.»
Andern eine lange Nase zeigen
Ich lese daraus, dass Stolz auf die eigene Heimat und die eigene Identität uns widerstandsfähiger macht. Der Stolz auf die eigene Identität stärkt das Selbstbild. Er speist sich aus Anerkennung und Wertschätzung. Wenn sich ein Mensch einer Gruppe anschliesst, die Anerkennung und Wertschätzung erfährt, entsteht aus der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Stolz. Wenn es eine Berufsgattung ist, entsteht daraus Berufsstolz, wenn es die Nation ist, entsteht daraus Nationalstolz. Deshalb ist diese Art von Stolz eng mit Zugehörigkeit verbunden. Ich bin stolz, weil ich dazugehöre. Der Stolz speist sich daraus, dass es als Auszeichung empfunden wird, dazu zu gehören. Eine Auszeichnung ist das aber nur, wenn andere nicht dazu gehören. Deshalb ist im Stolz immer auch der Keim zu Ablehnung und Ausgrenzung enthalten.
Wenn Bundesrat Parmelin zum 1. August zu Nationalstolz aufruft, ist das deshalb auch ein Aufruf zur Ablehnung all jener, die nicht zu dieser Nation (oder besser: zu diesem Land) gehören. Es sind die Menschen, über die Parmelin sagt, dass sie von der Schweiz «in vielerlei Hinsicht etwas lernen» können. Meine Freunde in Deutschland und Frankreich zucken da nur mit den Schultern: Sie können weder etwas dafür, dass sie Deutsche oder Franzosen sind, noch können sie in ihren Ländern umsetzen, was sie allenfalls von der Schweiz lernen könnten. Der Parmelinsche Nationalstolz entpuppt sich aus dieser Sicht als Aufforderung dazu, allen Menschen, die nicht dazugehören, eine lange Nase zu zeigen. Deshalb ist es fatal, wenn wir Heimatliebe und Nationalstolz verwechseln.
Basel, 2. August 2024, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
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Quellen
Bild: KEYSTONE/Urs Flüeler
Bundesrat Guy Parmelin bei seiner Ansprache anlässlich der Bundesfeier 2024 der Stadt Luzern auf dem Europaplatz vor dem KKL.
Haller, Reinhard (2015): Die Macht der Kränkung. Wals bei Salzburg: Ecowin.
Meier, Christian Peter (2024): Guy Parmelin: «Von der Schweiz könnten andere in vielerlei Hinsicht etwas lernen». In: Bote der Urschweiz. [https://www.bote.ch/nachrichten/zentralschweiz/guy-parmelin-von-der-schweiz-koennten-andere-in-vielerlei-hinsicht-etwas-lernen-art-1554917; 2.8.2024].
Rohr, Marcel (2024): Mehr Patriotismus – weniger scheinheilige Migrationsdebatten. In: Basler Zeitung. [https://www.bazonline.ch/1-august-bitte-keine-scheinheiligen-zuwanderungsdebatten-324380953920; 2.8.2024].
Schweizerische Nationalbibliothek (2017): 20. April 1992. «Suiza no Existe». In: SNB. [https://www.nb.admin.ch/snl/de/home/publikationen-forschung/thematische-dossiers/1992/april.html; 1.8.2024].
SRF und (SRF) (2024): So feierte die Schweiz den Nationalfeiertag. In: Schweizer Radio Und Fernsehen (SRF). [https://www.srf.ch/news/schweiz/1-august-so-feierte-die-schweiz-den-nationalfeiertag; 2.8.2024].
9 Kommentare zu "Die fatale Verwechslung von Nationalstolz und Heimatliebe"
Sie schreiben „Deshalb ist im Stolz immer auch der Keim zu Ablehnung und Ausgrenzung enthalten“. Das ist richtig, doch weshalb soll das schlecht sein? Abgrenzung ist die einzige Möglichkeit eine eigenes Profil, einen Charakter zu kreieren. Kinder entwickeln in der Pubertät durch Abgrenzung von ihren Eltern die eigene Idendität. Nationen und Berufe durch die Abrenzung zu anderen (oder möchten Sie sich nicht abgrenzen zu Berufsverbrechern?) . Ethiker durch die Abgrenzung zum nicht ethischen. Das Heil in Gleichmacherei zu suchen hat nichts mit Gerechtigkeit oder Ethik zu tun. Menschen sind sehr unterschiedliche Individuen, Gesellschaften, Kulturen, Staaten sind verschieden. Da sich dies zum Glück nicht ändern wird, haben wir durchaus gute Gründe weiterhin daran zu arbeiten besser zu werden. Von Zeit zu Zeit zurückzublicken und mit dem Erreichten für einige Momente zufrieden oder sogar stolz zu sein, kann dabei nicht schaden – im Gegenteil.
mfg, Alex
Ja, das stimmt. Indem ich meine Identität entwickle, grenze ich mich von all dem ab, was ich nicht bin. Wenn es gut geht, bin ich am Ende stolz auf das, was ich erreicht habe. Alles richtig. Bloss: Die Nation oder das Vaterland, das ist nichts, was ich erreicht habe. Ich bin aus einem biografischen Zufall heraus Schweizer, Deutscher oder Franzose. Warum soll ich darauf stolz sein und auf die herabschauen, die es nicht sind? Ich kann mein Land dennoch lieben, die Berge, meine Stadt, den Rhein – und andere respektieren, die ihr Land lieben, ihre Stadt, ihr Meer. Es geht nicht um Gleichmacherei, es geht darum, dass ich den Stolz in Bezug auf die Nationalität als falsch empfinde. So oder so: Danke für die Rückmeldung und ein schönes Wochenende.
Durch die neuen Realitäten, welche die Schweiz betreffen, kann ich ganz gut zwischen „Heimatliebe“ und „Nationalstolz“ differenzieren.
Heimatliebe – dass ist das, was ich verlor. Früher stritten sie um die Migration, die Migranten, die (ausgebeuteten) Saisonniers welche vom alten Gotthardtunnel über den Basistunnel bis hin zur Autobahn A2 in Basel alles erschufen. Heute kann man sich über die Angst dieser schaffigen (meist) Südeuropäer nur wundern.
Wen man die heutige Migration aus allen Herren Kulturen begutachtet, sieht es weit schwieriger + komplizierter aus….
Doch um das geht es bei meiner verlorenen Heimatliebe nicht. Es ist «einfach» der wahnsinnigen Siedlungsdruck, welcher in der Schweiz existiert und zugleich «Heimat» zerstört. Eine uferlose Bevölkerungszunahme ist festzustellen mit Nachteilen für alle, insbesondere aber für Mittelstand und ärmere Menschen.
Heute geht es nicht mehr um In- und Ausländer, aber diese Bevölkerungszuwächse jedes Jahr tun einer kleinen Schweiz, einem kleinen Land, nicht gut.
Das steht in jedem Uni-Lehrbuch auf Seite 1.
2 von 3 neu erstellten Wohneinheiten werden wegen der Bevölkerungsexplosion gebaut. Der Charakteristik von unseren Dörfern wird der Garaus gemacht, man kann es nur noch in alten «Heimatmuseums-Aufnahmen» anschauen. Überall weichen charakteristische Häuser eintönigen Mehrfamilienblöcken. Häuser wie aus «Pippi Langstrumpf» verschwinden. Zwischen Ettingen und Therwil ein Haus mit Blumengarten, einprägsamem Gartenhag, mit rotem Ziegeldach, mit Charme war früher; als Ersatz – was wohl – MFH mit Betongarageneinfahrt und pflegeleichtem Schottergarten. Von Reinach/BL kommend erblickte man das «Aesch-bigott-Weindorf» mit charakteristischer Silhouette. Heute spendet eine New-York-Wohnmaschine, genannt «Areal Aesch-Nord» reichlich Schattenwurf. Das Goetheanum ist von der (ehem.) Birsebene nicht mehr erblickbar, 800-Seelen- Neubauwohnungs-Grossüberbauung (Reinach) versperrt die Sicht. Der Zürichsee, einst gesäumt von lockerer Bebauung gleicht heute einer Betonwanne mit MFH’s bis Rapperswil. Wer von Basel dem Rhein entlang nach Rheinfelden radelt, tut das in nicht enden wollender Wohn- und Industrielandschaft (Augst, Kaiseraugst, Rheinfelden) ohne Genuss mit viel Verdruss (und entsprechender Luft…) In jedem Wohngebiet Abriss grauer Energie und seelenlose Norm-MFH’s. Ob Allschwil (Rosenberg) bis Birsfelden (Freuler), ob Therwil (Birsmatt) bis Münchenstein (Alioth). Und in Basel wir aufgestockt, verdichtet, gehämmert, gelärmt und aufgerissen. Denn die Infrastruktur muss stetig mitwachsen (dickere Stromstränge, Abwasserrohre, Frischwasserrohre usw). Der Baumeisterverband schwärmt von einer «durchaus» möglichen 16-Millionen-Schweiz und reibt sich gewinnbringend seine Hände. Die Drahtzieher dieser uferlosen Totalverbauung entschwinden dann aber aus der Grossaglo Schweiz, des New-Yorks mit den Alpen als Central-Park in unbebaute, warme, schöne Paradiese. Inkl. EU-Turbo-Politiker/innen, welche 12-Millionen-Böresengewinne aus der Totalverbetonierung (Insiderwissen, Insiderbörsenhandel) in den letzten Jahren bezogen (Namen bleiben hier und heute besser unter Verschluss)….
Kommen wir aus dieser Spirale wieder raus? Mehr mehr mehr bis zum geht nicht mehr? Oder machen wir weiter, bis die Schweiz wirklich total und absolut nicht mehr Lebenswert ist?
Unser System ist auf ewiges Wachstum (AHV, PK, Gewinne, Banken, Versicherungen usw) aufgebaut. Der «SAC» jubelt, wenn wieder neue Überachtungszahlen «geknackt» wurden, wie es hiess. Die SBB gibt neue Passagierrekorde bekannt, mit «Stolz» natürlich. Die BLT habe noch nie so viele Menschen in ihrer Geschichte transportiert – Freude herrsche. Bei gleichbleibenden Umsätzen wie im Vorjahr ist jeder «Coop-Filialleiter» schlecht, ein «Looser». (Bei niedrigeren Zahlen wie im Vorjahr kann er «gehen»). Nur bei «MEHR» ist alles bestens. Überall.
Mehr mehr mehr bis zum geht nicht mehr (in Allem). Doch ewiges Wachstum (in Allem) gibt es nicht.
Das wissen alle. Eigentlich. Schade um das verlorengegangene Angenehme von Früher (= was für mich Heimat bedeutete) durch so viel Menschen auf einem Haufen. DAS IST DES PUDELS KERN…. welchen ich hoffentlich ohne gleich in die «Rassismus»-Ecke gestellt zu werden versuchte, rüberzubringen. Denn das eine hat mit dem andern gar nichts zu tun.
Auch der Nationalstolz ist von vorgestern. Stolz als neutraler Partner gute Dienste leisten zu dürfen war ich als Schweizer. Im Ausland stets betont, gelobt, gar benieden so einem Land anzugehören. Die Elsässer, die Badischen, ja auch die Norditaliener, sogar die Vorarlberger wollten von der Schweiz annektiert werden….
Heute sieht das anders aus. Binnen wenigen Monaten gab man die lange aufgebaute, immerwährende Neutralität, welche von unseren Vätern und Vätersvätern mühsam errungen wurde, auf.
Spätestens seit der «Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock», bei welcher man sich ganz klar von einer Partei diktieren liess (Ukraine), wer kommen darf und wer nicht; bei der man nur eine Kriegspartei einlud (Ukraine), die andere nicht (Russia), kann ich nicht mehr von stolzer Nation, von Neutralität, von Vermittler, von austariert reden.
Und als das noch Selenski mit BR Amherd die «Waffen-Konferenz» eröffnete, sprach nicht nur die grösste deutsche Zeitung («Bild») von einer «Ukrainischen Konferenz in der Schweiz». Weltweit geisterte diese Meldung durch den Blätterwald, illustriert mit diesem einprägsamen Eröffnungsbild, das vieles historisch Gewachsenes innert Sekunden ausradierte.
Internat. Geschäftspartner fragen alle wieso die Schweiz binnen Monaten ihr Grundpfeiler der Stabilität, das Fundament ihres Seins, die Neutralität, abschaffte.
Wieso die CH (die Politiker, nicht das Volk) in die EU dränge? Grössere Bühnen, weitere Reisen, höhere Spesen und glänzenderes Parkett auf dem Politikball, kurz Prestige, Ego und Image müssen die Gründe dafür sein.
Deshalb wurde der Nationalstolz ebenso wie die Heimatliebe bei mir abgeschafft.
Ich sehe mich als Flüchtender im eigenen Land, unverstanden, ruhelos, haltlos, traurig.
Nicht nur Herr M. Zender liebt die lieblichen Dörfer Frankreichs, der Bretagne, der Camargue, die Englischen bunten Eigenheime, die sizilianischen Appartementis, welche an den Bergen kleben. Die weissen Solitärhäuser Griechenlands und die Irischen Cottages innert grünen Landen….
Dies alles und noch viel mehr – verloren, vorbei, Einheitsbrei. Schweiz Ade; zu feiern gibt es nichts mehr und der 1. August sowie die Schönwetterredner/innen gehören abgestraft.
Ach herrjeh. Da gäbe es so viel zu erwidern. Ich greife nur mal etwas heraus. Sie schreiben: «Binnen wenigen Monaten gab man die lange aufgebaute, immerwährende Neutralität, welche von unseren Vätern und Vätersvätern mühsam errungen wurde, auf.»
Das ist schlicht falsch. Die Neutralität wurde der Schweiz 1815 im Wiener Kongress auferlegt. Die umliegenden europäischen Grossmächte hätten 1815 die Schweiz gerne kontrolliert oder annektiert. Als Kompromiss und zu ihrem eigenen Schutz verpflichtete sich die Schweiz zu dauernder Neutralität. Nur so konnte sie sich ihre Unabhängigkeit wahren. Wirklich lang hielt das aber nicht: Im Zweiten Weltkrieg hat die Schweiz viel Geld verdient als Waffen- und Golddrehscheibe für Nazideutschland … Auch nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Schweiz nicht wirklich neutral verhalten, sondern sich ganz eindeutig an die Seite der USA gestellt. Die Neutralität wurde und wird vor allem dann hervorgekramt, wenn es sich geschäftlich lohnt. Deshalb ist die Schweiz nach dem Überfall von Russland auf die Urkaine auch in die Bredouille geraten. Völkerrechtlich ist der Fall klar. Ein Staat überfällt einen anderen. Als kleines Land ist die Schweiz auf die Einhaltung des internationalen Rechts angewiesen. Leider bringen die Russen der Schweiz viel Geld. Aus geschäftlicher Sicht lohnt es sich deshalb nicht wirklich, mit dem Recht die Schwachen zu schützen. Also kramt die Schweiz mal wieder die Neutralität hervor …
btw: Ich liebe nicht nur liebliche Dörfer, sondern auch London, Paris, Berlin und Basel. Ich liebe vor allem das Leben.
Weil und wenn ich mir selber genüge, kann ich glücklich sein. Wer dafür besser als andere und darauf stolz sein muss, ist nicht frei: Konkurrenz ist der Vater von Kampf und Krieg. – Heimat ist für mich eine Herzensangelegenheit. Verbunden mit dem Gefühl sowohl von tiefer Geborgenheit als auch von himmelweiter Freiheit. Eine Welt, die von Gier, Herrsch- und Vergnügungssucht sowie von Zerstörungswut geprägt ist, kann nicht meine Heimat sein. Für eine andere Welt bin ich gemeinsam mit anderen beispielsweise und konkret im Hinblick auf den 3. Prattler Friedenskonvent unterwegs: https://www.einestimme.ch
Das ist ein gut überlegter Wochenkommentar von Matthias Zehnder, er regt zum Nachdenken an. Ich lebe schon lange in diesem Land, ich gehöre dazu, ich fühle mich hier zuhause, ich bin hier zuhause. Muss ich darauf stolz sein? Es ist einfach so! Und warum soll ich mir meine Liebe zur Schweiz, zu dem Ort, wo ich heute lebe, von Herrn Zweidlers Gejammer über die wachsenden Bevölkerungszahlen vermiesen lassen? Überall wächst die Bevölkerung, überall wachsen die Städte, und ich fühle mich wohl in Städten – offen gestanden habe ich als Stadtkind über das rein Beschauliche hinaus etwas Mühe mit Kuhweiden.
Sind Kuhweiden oder Alpwirtschaften neutral? Ach du lieber Himmel – ist die Schweiz neutral, wenn sie einen Aggressor zu Verhandlungen einlädt, der gar nicht verhandeln will? Der ein Nachbarland so zusammenschiesst, dass es heute aussieht wie Warschau 1945? Wir haben es nicht verdient, dass es uns besser geht, es gibt da nichts, worauf wir stolz sein müssten. Aber wir können durchaus einmal im Jahr, einen Moment lang, uns auf das besinnen, was wir schätzen und lieben.
Geschätzter Herr Streiter, was mich betrifft, so erlebe ich mich in einer Umwelt, die immer noch mehr voll und zugebaut wird; mit Strassen, auf denen immer noch mehr Autos fahren und mit immer noch mehr Menschen, die unterwegs sind; auch in Flugzeugen, die den Himmel immer noch mehr voll lärmen … wohl ergeht es mir dabei und damit nicht.
Antwort:
Genau so seh ich es. Ob SVP oder Grün – alle erkennen es. Bloss die FDP, die Mitte, die GLP und SP trommeln zum: „Mehr mehr mehr bis zum geht nicht mehr“
Auch mein Mantra – aber mit Negativ-Zeigefinger. Auch in der „BZ-Zeitungs“-Onlinekommentarspalte: „Wohl bald Dreistöcker anstelle Doppelstockzüge“ tippte ich, wenn das so weitergeht. Und was kam als Antwort eines Lesers: „Sie wollen wohl wieder zur Pferdekutsche zurück“…. Völlig überspitzt – und nichts begriffen.
Klar ist, wenn WIR (U. Keller, Th. Zweidler) so von Herz- und Bauch-Verstand denken, werden wir umgehend als „Vorgestrige“ angschaut und schubladisiert. Höher, breiter, mehr und stärker lautet die CH-Devise. An dem ungebremsten Bevölkerungswachstum (rede nicht von Migration) darf nicht gerüttelt werden.
Irgendwann platzt die Schweiz. Wenns gut geht…. In mageren Zeiten, in Rezession und Armut wird sie zum Riesen-Agglo-Slum von Genf bis St.Gallen….
Aber eben, wenn DU und ich die Wahrheit spricht,
„Vorgestrigen“ glaubt man einfach nicht….
Vor zehn Jahren hatte ich die Ehre, als Gemeinderat die Ansprache zum 1. August zu halten. Dabei machte ich mir einige Gedanken zum Thema Heimat. Der Kernsatz daraus hiess: „Und genau das ist für mich das, was Heimat ausmacht: Menschen und Nähe zu den Menschen. Und das ist in einem Dorf wie Lommiswil einfacher zu finden als in einer Stadt. Alle Wege sind kurz. Man kennt immer öpper, wo öpper kennt. Und so vertiefen sich Beziehungen und es entsteht ein tragfähiges Beziehungsnetz.“