Video-Buchtipp

Nächster Tipp: Ascona
Letzter Tipp: Unerbittliches Kreta

Bei Föhn brummt selbst dem Tod der Schädel

Publiziert am 10. August 2021 von Matthias Zehnder

Ich gebe Ihnen jede Woche einen Lesetipp: ein Buch das ebenso intelligent wie unterhaltend ist.

Diese Woche: «Bei Föhn brummt selbst dem Tod der Schädel» von Jörg Maurer.

Hier gibt es die ausführliche Fassung dieses Buchtipps auf Youtube:

Es ist Sommer – naja, wenigstens dem Kalender nach. Wir alle haben dringend Urlaub nötig, Reisen aber ist nach wie vor nicht ganz einfach. Ich entführe Sie deshalb diesen Sommer mit einer Reihe von Buchtipps an Sehnsuchtsorte: Machen Sie mit mir wenigstens im Kopf Ferien mit Krimis, die in besonders schönen Gegenden spielen. Heute geht die Reise in die Alpen. In die bayrischen Alpen.

Die Bayrischen Alpen rund um Garmisch-Partenkirchen –© SusaZoom – stock.adobe.com

In die bayrischen Alpen also. Ein Gebiet, das aus Sicht eines Deutschen alles beinhaltet, was Alpen ausmacht: Berge, Skipisten, Sprungschanzen, Kühe – und aus Sicht eines Schweizers kaum dazu qualifiziert, sich überhaupt Berge zu nennen. Hier, in der Nähe der Zugspitze, in Garmisch-Partenkirchen, wohnt der Krimiautor und Kabarettist Jörg Maurer. Und hier spielen auch seine Alpenkrimis rund um Kommissar Hubertus Jennerwein. Es sind keine schaurigen Thriller und auch keine spannungsgeladenen Krimis. Mir fällt als Beschreibung für die Alpenkrimis das Wort «Gaudi» ein: Die Krimis sind absurd, aberwitzig, köstlich-komisch – und herrlich unterhaltend.

Hauptfigur der Krimis ist der besagte Kommissar Hubertus Jennerwein. Der wackere Kommissar ermittelt bereits zum 14. Mal im idyllischen Alpenkurort. In allen spielt Jörg Maurer mit den Versatzstücken, die das Alpenfeeling ausmachen: mit Trachten und Traditionen, mit Alm-Romantik und Dirndl-Schönheit, mit ahnungslosen Touristen und eingefleischten Einheimischen. Nur dass Maurer die Versatzstücke nicht für Bergromantik missbraucht, sondern zu grotesken Komödien zusammensetzt. Er schafft es dabei, währschafte Krimis zu schreiben mit einem Toten, Ermittlungen und allem Spannenden drum und dran, gleichzeitig amüsiert man sich köstlich über die biederen Bayern, die Kleinbürger im Gross-Kurort und den Krawall im Kommissariat. 

Der neuste Band der Alpenkrimi-Reihe heisst: «Bei Föhn brummt selbst dem Tod der Schädel». Der Titel hat zwar mit dem Inhalt nichts zu tun, das ist aber eigentlich egal. Jörg Maurer dreht darin die Schraube noch etwas weiter: Er schickt Kommissar Jennerwein auf einen Science-Fiction-Parforce-Ritt. Inspiriert von Elon Musk hat sich Maurer eine Story ausgedacht, die auf einer neuen Technik beruht. Es ist möglich, das Gehirn eines Menschen zu kopieren und die Kopie in einen anderen Körper einzusetzen. Leider ist die Technik in falsche Hände geraten. Und leider ist das Opfer des Kopiervorgangs Kommissar Hubertus Jennerwein selbst. Das tönt schräg und ist es auch – aber gleichzeitig beste Unterhaltung.

Elon Musk kennen Sie sicher: Der charismatische Chef und Besitzer der Raumfahrtfirma SpaceX und des Elektroautounternehmens Tesla macht ja genug Schlagzeilen. Das sind aber nicht die einzigen Firmen von Elon Musk. Weniger bekannt ist die Firma Neuralink, die er 2016 gegründet hat. Ziel von Neuralink ist es, eine Mensch-Maschinen-Schnittstelle zu entwickeln, genauer: eine Technik zur Kommunikation zwischen dem menschlichen Gehirn und Computern, ein sogenanntes Brain-Computer-Interface (BCI).

Diese Hirn-Computer-Schnittstelle soll es in einem ersten Schritt gelähmten Menschen ermöglichen, über Hirnimplantate einen Computer zu steuern. Entsprechende Versuche mit Affen waren bereits erfolgreich. Elon Musk liess aber verlauten, dass es langfristig das Ziel sein könnte, das Hirn auf einen Computer zu kopieren. 

Genau das ist im Buch von Jörg Maurer einem windigen Wissenschaftler gelungen: Er kann Hirninhalte von einem Menschen auf einen anderen übertragen. Wobei der Hirninhalt des Empfängers dabei verlorengeht. Für den Kopierten ist das aber ein Weg zur Unsterblichkeit: Er kann sein Hirn in immer neue Körper kopieren und so theoretisch ewig leben. Der windige Wissenschaftler wittert deshalb ein grosses Geschäft. 

Ein Geschäft, das aber schwierig zu bewerben ist. Er braucht deshalb eine Demonstration. Der Plan: Er kopiert einen Verbrecher in einen anderen Menschen, dem man ein Verbrechen absolut nicht zutraut, und lässt diesen unfreiwilligen Wirt ein Verbrechen begehen. Auf diese Weise kommt Kommissar Hubertus Jennerwein zur zweifelhaften Ehre, Teil einer quasi-wissenschaftlichen Demonstration zu werden. Denn der Wissenschaftler kopiert einen Mörder in seinen Körper und lässt ihn einen Mord begehen. Als Zwischenspeicher benützt er den Pöstler des Ortes. 

Beim Experiment geht aber etwas schief. So erwacht Hubertus Jennerwein auf einer Parkbank im Körper des Postboten. Jennerweins Körper bleibt verschwunden. Im Körper des Postboten kann Jennerwein aber nicht gut auf dem Polizeiposten auftauchen und sich als Jennerwein zu erkennen geben. Das würde ihm kein Mensch glauben. Der Pöstler würde in die Psychiatrische verfrachtet, womöglich auf die geschlossene Abteilung. Jennerwein bleibt also verschwunden. Also: sein Körper. Jennerweins Geist versucht derweil im Körper des Pöstlers herauszukriegen, was da läuft.

Sein Team hat unterdessen damit begonnen, ihn zu suchen. Noch hat niemand herausgefunden, dass Jennerwein, also sein Körper mit fremdem Geist, einen Mord begangen hat. Also macht sich sein Team Sorgen.

«Die Gerichtsmedizinerin drehte ihren Rollstuhl herum.

«Maria, was halten Sie von der Annahme, dass es dem Chef einfach nur gereicht hat, dass er aus dem immer gleichen Trott ausbrechen wollte? Ich meine: So etwas hat es schon öfter gegeben, und zwar gerade bei den zuverlässigsten und eifrigsten Zeitgenossen.»

Maria wiegte den Kopf. 

«Sie meinen, Zigaretten holen und dann nach Australien auswandern? Ich war noch niemals in New York, wie bei Udo Jürgens?»

Obwohl Maria äusserst skeptisch dreinblickte, hatte sie selbst auch schon in diese Richtung spekuliert. Vielleicht war Hubertus von der Polizeiarbeit oder vom Team (vielleicht sogar von ihr?) so genervt gewesen, dass er eine Art radikaler Auszeit gebraucht hatte.

«Die Australien-Vermutung ist bei einem plötzlichen Verschwinden nie ganz auszuschliessen», fuhr sie fort. «Aber wir sind uns doch alle einig, dass er uns nicht in einem derartig ratlosen Zustand zurücklassen würde! Ich nehme an, dass er uns – oder wenigstens einem von uns – in so einem Fall eine Nachricht zukommen lassen würde.» (S. 96)

Aber genau das ist nicht möglich. Jennerwein steckt im falschen Körper fest und braucht Hilfe. Die sucht er sich in einem Parforce-Ritt durch die bayrischen Alpen bei einem Schamanen, einem Mafiaboss und, als letzte Hoffnung, im Vatikan. Aber nicht da, wo Sie jetzt denken. 

Kurz: Der Roman ist beste Unterhaltung und gibt dabei auch noch zu denken, über den technischen Fortschritt, die menschlichen Gewohnheiten und das Geist-Körper-Paradox. Aber lustig. Ein Gaudi, ich schwör. Einzige Enttäuschung: Mit dem Titel hat die Handlung absolut gar nichts zu tun. Aber das ist Wurscht: Lieber eine echte Delikatesse im falschen Mantel als umgekehrt. Oder?

Jörg Maurer: Bei Föhn brummt selbst dem Tod der Schädel. Alpenkrimi. Scherz Verlag, 416 Seiten, 24.90 Franken; ISBN 978-3-651-02590-5

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783651025905

Weitere Buchtipps gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/video-buchtipp/

Basel, 10. August 2021, Matthias Zehnder

PS: Wenn Sie keinen Buchtipp mehr verpassen möchten, abonnieren Sie meinen Newsletter: Sie erhalten jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den aktuellen Buchtipp, einen Sachbuchtipp und den Wochenkommentar. http://www.matthiaszehnder.ch/abo/