
Yves Kugelmann: «Journalisten sollten nicht zu Influencern verkommen.»
Das 339. Fragebogeninterview, heute mit Yves Kugelmann, Chefredaktor des jüdischen Wochenmagazins «Tachles». Er sagt, die mit Facebook und Instagram, Bluesky und LinkedIn einhergehende Personalisierung sei für Medienschaffende «ein Deal, den jede und jeder bewusst eingehen muss». Er findet aber, etwas «Entpersonalisierung zugunsten der Versachlichung des Journalismus» würde helfen: «Journalistinnen und Journalisten sollten nicht zu Influencern verkommen». Kugelmann betont: «Konspiration, Manipulation und Fehlinformation sind Gift für jede Gesellschaft.» Für den Journalismus könne das zur Chance werden, «wenn er es schafft, Dynamiken zu durchbrechen und Oberhand zu gewinnen». Voraussetzung sei aber, dass die Medienschaffenden die «Dynamiken und Mechanismen verstehen, um nicht Teil von allem zu werden». Die drängende Frage in der Branche sei derzeit die KI. Das Problem: Die «ökonomischen Anreize sind oft grösser als die Anreize zur Qualität – und die Möglichkeiten, ethisch akkurate Lösungen zu finden».
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Eine Mischung aus digitalen und gedruckten, Qualitäts- und anderen Medien: lokal, national, international.
Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?
Das sind wichtige und teils unumgängliche Plattformen zur Reichweitenerweiterung. Die damit verbundene Personalisierung ist ein Deal, den jede und jeder bewusst eingehen muss oder sich eher zurückhält. Ein wenig Entpersonalisierung zugunsten der Versachlichung des Journalismus würde indessen helfen. Journalistinnen und Journalisten sollten nicht zu Influencern bzw. Akteuren verkommen.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Die Frequenz ist massiv höher, digitaler, oberflächlicher und der Energieaufwand, um alle drei Punkte ab- oder dagegen zu arbeiten, ist höher geworden.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Weder noch: Wandel ist ein Teil des Lebens, da Kategorien von besser oder schlechter nicht greifen. «Die» Medien bzw. die enorme Vielfalt des medialen und somit Angebots von im besten Falle journalistischer Öffentlichkeit spiegelt Entwicklungen und nicht umgekehrt. Der Kampf um Quote wider Qualität ist so alt wie die Presse, ebenso wie die Tatsache, dass Journalismus nur einen sehr begrenzten Teil der Menschen erreichen kann und in jeder Zeit neu diskutiert werden muss, ebenso wie das journalistische Selbstverständnis, der Verfassungsauftrag und integre Geschäftsmodelle, die letztlich zuerst Journalismus und nicht Rendite zum Ziel haben müssen. Doch alle wissen, dass diese Quadratur des vieldimensionalen Kreises nicht dem Markt alleine überlassen werden kann, wenn ein gesellschafts- und demokratiefördernder Auftrag mit Journalismus verbunden bleiben soll.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Das geschriebene Wort hat Hochkonjunktur. Es wird mehr geschrieben, mehr gelesen, mehr genutzt.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Zumindest soll man noch mehr lesen, denn die Angebote sind viel breiter und zum Teil besser geworden. Zusatzformate als Podcast, digitale Erweiterungen bringen im im Bereich Analyse, Recherche, Reportagen den grössten vertiefenden Mehrwert der letzten Jahre und wirken zurück in die Medien selbst.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Eher weglegen – manchmal im Wissen, dass man damit nicht immer richtig liegt.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Im Gespräch mit Menschen.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Länger als uns.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Konspiration, Manipulation und Fehlinformation sind Gift für jede Gesellschaft. Der Journalismus soll und kann dies als Chance sehen, wenn er es schafft, Dynamiken zu durchbrechen und Oberhand zu gewinnen. Zugleich muss er Dynamiken und Mechanismen verstehen, um nicht Teil von allem zu werden.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Der zeitversetzte Konsum ist ein echter Mehrwert. Live ist somit wichtiger im Bereich Unterhaltung, wie ESC oder Sportübertragungen.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Sehr viel und es gibt wirklich viele gute Angebote. Vor allem haben klassische Medienmarken in den letzten Monaten zugelegt und den Kanal verstanden als journalistischen Mehrwert. Ich selbst habe viele Dutzend abonniert.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Zielgruppen orientierter Journalismus kann in diesem Bereich sehr wichtig sein. Redaktionen müssen sich da mehr als nur ein paar Gedanken machen und Angebote schaffen, die auch der Nutzungswirklichkeit so entsprechen, dass nicht zu viele Konzessionen an Inhalte gemacht werden. Klar ist aber auch, dass Medienkompetenz sowohl bei Kindern und Jugendlichen, Menschen mit unterschiedlicher Herkunft und anderer Mediensozialisation frühzeitig im Bereich der Institutionen, Bildungsbereich etc. beginnen muss, sonst funktioniert die Transmission nicht.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Das hängt zuerst mal von der Selbstregulation in der Branche ab. Richtig ist, dass die KI-Frage im Moment die drängende in der Branche ist. Denn die ökonomischen Anreize sind oft grösser als die Anreize zur Qualität – und die Möglichkeiten, ethisch akkurate Lösungen zu finden.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Die Presse ging durch Radio, TV, Internet nicht zugrunde. Im Genteil: Sie alle haben zur Erweiterung des Journalismus geführt. Dieser allerdings darf nicht weiterhin in die Fallen tappen, die neue Genres und Kanäle abseits der Chancen bieten.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Ja. So wie Kulturförderung unabdingbar ist, wird die Medienförderung unabdingbar. Das ist kein Plädoyer für Regulierung, aber gegen die Blindheit des zu konsequenten Liberalismus. Wir kenne die Debatte und Erfahrungen ja aus anderen Bereichen.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ja.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Wirtschaftlich war er sicher gut für viele Medien in seiner ersten Amtszeit. Er war der grösste Stellengenerator in Redaktionen. Nun allerdings zerstört er viele von denen, namentlich das öffentlich-rechtliche Network PBS.
Wem glaubst Du?
Der zweiten und dritten Quelle.
Dein letztes Wort?
Fortsetzung folgt.
Yves Kugelmann
Yves Kugelmann ist 1971 in Basel geboren und hat schon während der Schulzeit für jüdische Zeitschriften und verschiedene Tageszeitungen geschrieben. Ab 1996 arbeitete er auf der Redaktion der «Jüdischen Rundschau», 1998 übernahm er deren Leitung. 2001 fusionierten die «Jüdische Rundschau» und das «Israelitische Wochenblatt» zur Jüdischen Medien AG, die neu das Wochenmagazin «Tachles» herausgab. 2004 erwarb der Verlag die Rechte an der Emigrantenzeitung «Aufbau», seit 2005 erscheint der «Aufbau» unter Chefredakteur Yves Kugelmann als Monatsmagazin. Neben seiner publizistischen Tätigkeit ist Kugelmann Filmproduzent und Mitglied in den Stiftungsräten des Anne Frank Fonds und in der Stiftung Öffentlichkeit und Gesellschaft, die das Jahrbuch Qualität der Medien herausgibt.
https://www.tachles.ch/
Basel, 25.06.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Bild: zvg
Seit Ende 2018 sind über 330 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
Wenn Sie kein Fragebogeninterview verpassen möchten, abonnieren Sie meinen Newsletter.
- Das neue Fragebogeninterview
- Hinweis auf den Wochenkommentar
- Ein aktueller Sachbuchtipp
- Ein Roman-Tipp
Nur dank Ihrer Unterstützung ist das Fragebogeninterview möglich. Herzlichen Dank dafür!