Ladina Heimgartner: «Die Finanzierung von professionellem Journalismus muss ein gesellschaftliches Anliegen werden»

Publiziert am 27. Februar 2019 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview mit Ladina Heimgartner, Direktorin Radiotelevisiun Svizra Rumantscha und stellvertretende Generaldirektorin SRG, über ihren persönlichen Mediengebrauch, ihren Umgang mit sozialen und anderen Medien sowie Zustand und Zukunft des Journalismus in der Schweiz. Heimgartner sagt, Radio und Fernsehen werde es noch lange geben, man müsse jedoch daran arbeiten die Erkennbarkeit von vertrauenswürdigen Inhalten zu steigern. Pessimismus bezüglich des Medienkonsums von Jugendlichen findet sie, gerade angesichts der Klimajugend, fehl am Platz: «Vielleicht interessieren sie sich einfach nicht für das, was wir ihnen vorsetzen…»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich frühstücke eigentlich nur am Wochenende. Am Sonntag läuft oft die Sternstunde Philosophie im TV. Die Zeitungen habe ich in der Regel dann bereits gelesen: NZZ am Sonntag, Sonntagszeitung, Sonntagsblick. Ganz am Anfang steht der allmorgendliche Besuch auf rtr.ch, Instagram, Facebook und Twitter.

Im Zweifel lieber Text ohne Bild oder Bild ohne Text?

Als Mitarbeiterin eines audiovisuellen Medienhauses: Bild.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?

Ich bin nicht die aktivste Posterin, nutze alle drei aber sehr intensiv und bin hier kategorisch der Meinung, dass wir Medienschaffenden uns aktiv mit den verschiedenen Aspekten der sozialen Medien auseinandersetzen müssen. Tatsache ist, dass 50% der Schweizerinnen und Schweizer einen Facebook-Account haben. Es ist ein mächtiges Instrument und nur schon darum erachte ich es als unsere Aufgabe, diese Entwicklung aus der Nähe zu beobachten und kritisch zu begleiten.

Es passiert etwas ganz Schlimmes wie 9/11. Wie informierst Du Dich?

In solchen Momenten zieht es mich nach den Breaking News auf dem Handy sofort zum linearen TV, in der Regel SRF, ARD oder CNN.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Beides. Die Arbeitsbedingungen der Medienschaffenden waren früher besser, das Businessmodell war über Jahrzehnte intakt. Das ist heute nicht mehr so, was zu einem Verlust an Ressourcen und auch an Vielfalt führt. Auf der anderen Seite entsteht aber auch eine neue Art von Vielfalt und viel Kreatives von Personen oder Gruppen, die ihre Beiträge auf Social Media posten und ausserhalb der traditionellen Strukturen ihr Publikum finden.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Natürlich.

Was muss man unbedingt gelesen haben?

Daniel Kahnemanns «Schnelles Denken, langsames Denken».

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Wenn mich ein Buch nicht ziemlich rasch auf irgendeine Art packt, lege ich es weg. Während meines Germanistikstudiums musste ich derart viel Pflichtlektüre lesen – heute lese ich nur noch, was mir Spass macht.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Genau deshalb schaue ich die «Sternstunden» gerne. Radio hören eignet sich ebenfalls wunderbar dafür: Man kann nicht vorwärtsspulen, überblättern oder runterscrollen. Man begibt sich einfach in die Obhut der Programmacher und lässt sich überraschen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Heute sind sie eher eine Gefahr. Da es oft nicht einfach ist, Fake News von echten News zu unterscheiden, schwindet das Vertrauen in die Medien allgemein und das ist keine gute Entwicklung. Wir müssen daran arbeiten, die Erkennbarkeit von vertrauenswürdigen Inhalten und gleichzeitig die Medienkompetenz innerhalb der Gesellschaft zu steigern. Dann können Fake News auch eine Chance sein, denn ihre blosse Existenz zeigt, dass sorgfältig erarbeitete, überprüfte und eingeordnete News keine Selbstverständlichkeit sind – das steigert wiederum den Wert der journalistischen Arbeit.

Wie lange gibt es noch Live-Fernsehen? Und Live-Radio?

Ich glaube, noch lange. Doch wird sich die Nutzung ausdifferenzieren. Live-TV bleibt für Programme mit Event-Charakter wichtig, also Programme, die man gemeinsam erleben und sich zeitgleich oder am nächsten Morgen darüber austauschen will. Radio wird noch verstärkt zum Begleitmedium, zum Treffpunkt für Menschen.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ich höre beim Joggen die RTR-Sendungen nach. Gerne auch Podcasts mit Expertentalks. Während ich im TV eher die Unterhaltung suche, ist für mich Audio das Medium der «Weiterbildung». Einen Lieblingspodcast habe ich noch nicht gefunden, nein.

Sind digitale Assistenten wie Alexa oder Google Home eine neue Chance für das Radio – oder eine Gefahr für die Menschheit?

Sprachgesteuerte Geräte sind der logische nächste Schritt in der Entwicklung der digitalisierten Welt. Sicher eine Konkurrenz für das lineare Radio, generell aber eine Chance für das Medium Audio allgemein. Die grossen Herausforderungen werden in der Auffindbarkeit bzw. der Präsenz, sowie im Branding liegen.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 53 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Für eine Demokratie ist es nicht gut, wenn sich weite Teile einfach mal ausklinken. Doch mag ich nicht schwarzmalen, denn ich glaube fest daran, dass sich diese Menschen nicht in alle Ewigkeit «verloren» sind. Als Medienschaffende müssen wir uns nach Kräften bemühen, die Inhalte so aufzubereiten, dass sie die Menschen erreichen und ihre Neugier wecken. Es gilt die Verbindung herzustellen zwischen dem, was sich auf der Welt abspielt, und dessen Relevanz für uns als Individuen oder als Mitglieder einer Community. Da können wir sicher noch besser werden! Denn wenn man schaut, wie viele junge Menschen sich gerade jetzt aktiv mit dem Thema Klimawandel auseinandersetzen, so soll doch niemand behaupten, junge Menschen interessieren sich nicht für die Politik! Vielleicht interessieren sie sich einfach nicht für das, was wir ihnen vorsetzen…

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Es gibt eine rein handwerkliche Seite des Journalismus: Aktivitäten mit standardisiertem Charakter, oder anders gesagt: Fleissarbeit. Da können Roboter sicher eine grosse Unterstützung sein: Einfache Nachrichten schreiben, Sportresultate verarbeiten, beim Faktencheck unterstützen. Es gibt aber auch einen sehr kreativen Teil im Journalismus, da, wo etwa Instinkt, Empfindungen, ethische Reflexionen, vernetzte Analysen, Einordnungen usw. journalistisch verarbeitet werden. In diesem Schaffensprozess werden Roboter den Menschen nicht ersetzen.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Mit voller Überzeugung: Ja! Ich sehe aber eine grosse Herausforderung in der Finanzierbarkeit. Meines Erachtens muss die Finanzierung von professionellem Journalismus ein gesellschaftliches Anliegen werden – unabhängig, ob wir von audiovisuellem oder von textbasiertem Journalismus sprechen.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja, ich schreibe in Sitzungen meist von Hand mit, Glückwunschkarten sind teils auch von Hand geschrieben. Aber klar: 98% aller Schreibtätigkeiten sind getippt.

Ist Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Die Medien sind gut für Trump, Trump ist schlecht für die Medien. Er mag zwar ein dankbarer Protagonist sein – immer für eine Schlagzeile gut. Indem er aber Fakten, die ihm einfach nicht behagen, als Fake News betitelt, schadet er bewusst dem Image der Medien – auch den vertrauenswürdigen unter ihnen. Medien haben die Aufgabe, Ankerpunkte der Ausgewogenheit und Sachgerechtigkeit zu sein und der Wahrheit so nahe wie möglich zu kommen. Das schafft Stabilität. Wenn diese Ankerpunkte sukzessive angegriffen und eliminiert werden, machen sich Verunsicherung und generelles Misstrauen breit. Ich halte das für keine gute Entwicklung.

Wem glaubst Du?

Meinem Geschäftsleitungsteam bei RTR

Dein letztes Wort?

…. spreche ich hoffentlich erst aus, wenn ich ein stattliches Alter erreicht habe und rückblickend sagen kann: Ich habe stets mein Bestes gegeben, habe viel Schönes erfahren dürfen und bereue nichts.


Ladina Heimgartner

Ladina Heimgartner hat in Freiburg i. Üe. Germanistik und Rätoromanisch studiert. 2001 ist sie als freie Mitarbeiterin der «Freiburger Nachrichten» und als Mitarbeiterin des «Bündner Tagblatt» in den Journalismus eingestiegen. 2006 übernahm sie die Leitung des Ressorts Kultur beim «Bündner Tagblatt». Seit 2007 arbeitet sie für die SRG: zuerst als Redaktorin von Radio Rumantsch, danach als Leiterin des Hintergrund-Ressorts und als stellvertretende Chefredaktorin RTR. 2011 wechselte Ladina Heimgartner zur Generaldirektion der SRG nach Bern, wo sie den neu geschaffenen Bereich Märkte und Qualität aufgebaut und während dreier Jahre geleitet hat. Heute ist sie Direktorin von Radiotelevisiun Svizra Rumantscha und stellvertretende Generaldirektorin SRG.

https://www.srgssr.ch


Basel, 27. Februar 2019, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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2 Kommentare zu "Ladina Heimgartner: «Die Finanzierung von professionellem Journalismus muss ein gesellschaftliches Anliegen werden»"

  1. „Meines Erachtens muss die Finanzierung von professionellem Journalismus ein gesellschaftliches Anliegen werden – unabhängig, ob wir von audiovisuellem oder von textbasiertem Journalismus sprechen.“ Da es ausgerechnet dieser Satz in den Titel geschafft hat – zumindest ein Stück davon – kann ich es mir nicht verklemmen, dazu einen Kommentar zu schreiben – auch wenn ich Ähnliches andernorts auch schon geschrieben habe!

    Grundsätzlich bin ich damit vollkommen einverstanden! Allerdings – was heisst „gesellschaftliches Anliegen“? Letztlich haben doch nur Individuen wirklich Anliegen!

    Wenn man diese „Kleinigkeit“ vergisst dann kommt es am Ende eben so wie mit der Einführung der neuen Medien-Zwangsgebühr: Wo früher das Individuum entschieden hat, welches Medium es konsumieren und bezahlen will, sind wir dieser Entscheidung jetzt in Bezug auf Radio und Fernsehen enthoben – zugunsten des „gesellschaftlichen Anliegens“.

    Wer seit Jahrzehnten nie Fernsehen geschaut hat und das auch in Zukunft nicht vorhat – egal: zugunsten des „gesellschaftlichen Anliegens“ darf er dennoch bezahlen!

    Richtig ist für mich: Den Wert von professionellem Journalismus, den Unterschied zwischen Information, Fake News, Werbemüll uva. zu erkennen ist heute eine Aufgabe für jeden (nicht nur heranwachsenden) Menschen. Wenn uns dieser Lernaufwand aber durch Konzerne oder den Staat abgenommen werden soll ist das zwar bequem, aber kontraproduktiv: Papa Staat oder Mama Google sorgen vor – da kann ich ja ruhig weiter schlafen…

    Dass beim Staat noch Mehrheiten und bei Konzernen nur das Portemonnaie entscheidet ist für mich an dieser Stelle nebensächlich: das Kulturleben gehört weder in staatliche noch in rein wirtschaftliche Obhut!

  2. Zusatzfrage: Ist es (auch) mit der (Kommunikations-)Technologie so, dass sie immer noch aufwendiger und noch teuer wird, und immer noch mehr Ressourcen verschleisst und Abfälle produziert … aber zugleich immer weniger ergiebig und weniger wirkungsvoll ist?

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