Dennis Bühler: «Ich bin flexibler, aber einsamer»
Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Dennis Bühler, Bundeshaus- und Medienredaktor der «Republik». Bühler sagt, Twitter sei für ihn beruflich unverzichtbar: «Nirgendwo sonst findet Medienkritik unmittelbarer statt als auf Twitter.» Anderen sozialen Medien steht er kritischer gegenüber: «Wie trist wäre es, wenn ich nur noch von Dingen erführe, die mich bereits interessieren!» Die wirre Informationslage begreift er als Chance: «Menschen, die informiert sein wollen, sind im Durcheinander von News und Fake News auf Medien angewiesen. Diese Chance sollten wir Journalistinnen und Journalisten ergreifen!» Sorgen macht er sich um junge Menschen und fordert, mittelfristig solle «Project R», die Dachorganisation der «Republik», sich «ein Projekt überlegen, um die Journalismus-Begeisterung junger Menschen zu wecken.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
Wochentags die gedruckte Ausgabe des «Bund», am Sonntag die «NZZ am Sonntag». Noch vor dem Frühstück gibt es aber – im Bett liegend – einen digitalen Rundgang: zu Twitter, zu Instagram, zum Newsletter der «Republik», zum Teletext sowie zur App des deutschen Fussballmagazins «Kicker».
Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram?
Meine Facebook-Nutzung hat in den letzten Jahren stark abgenommen: Dieses Portal dient mir eigentlich nur noch zur Belustigung, wenn ich jeweils zum Jahrestag eines alten Posts von mir daran erinnert werde, wie ich es früher nutzte – anfänglich schrieb ich von mir doch tatsächlich in der dritten Person, später teilte ich das eine oder andere im Rückblick ziemlich peinliche Bild… Abgelöst wurde Facebook durch Instagram, das ich häufig, aber fast ausschliesslich privat nutze. Auf Twitter hingegen bewege ich mich beruflich – dort erhalte ich zahlreiche Inputs für mein Schaffen und stosse regelmässig auf spannende Artikel. Nirgendwo sonst findet Medienkritik unmittelbarer statt als auf Twitter, deshalb ist diese App für mich unverzichtbar.
Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?
Ich arbeite sehr viel häufiger im Homeoffice, lese ausführlicher Zeitung (in den meisten Wochen schaffe ich neuerdings wenigstens die Hälfte meiner Lieblingslektüre «Die Zeit») und treffe nur noch selten auf Menschen. Und ich schlafe morgens länger, was ich abends kompensiere. Kurzum: Ich bin flexibler, aber einsamer.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Weder noch. Die Arbeitsbedingungen waren früher in den meisten Redaktionen feudaler, dafür sind heute die Recherchemöglichkeiten vielfältiger. Und das potenzielle Publikum ist um ein Vielfaches gewachsen, was ebenfalls motivierend wirken kann.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Selbstverständlich! Ich bin überzeugt, dass der Bedarf an Analysen und Hintergründen tendenziell steigt. Geschriebenes vermag diese Leistungen besser zu erbringen als Gehörtes und Gesehenes, weil letztere Beiden sehr viel flüchtiger sind.
Was soll man heute unbedingt lesen?
So viel wie möglich. Und zwar nicht nur Journalismus, sondern auch Literatur (ich nehme mir an jedem Silvester vor, im neuen Jahr mehr Bücher zu lesen – und scheitere leider regelmässig). Lesen sollte man aber nur, wenn man es geschafft hat, pro Tag wenigstens eine halbe, besser eine ganze Stunde an der frischen Luft zu sein.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Aktiv weglegen kann ich sie nicht. Es passiert aber gelegentlich, dass ich mangels Lust nicht mehr nach ihnen greife – und sie im Bücherstapel irgendwann so weit unten landen, dass ich sie niemals zu Ende lesen werde.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Im «Bund», in der «NZZ am Sonntag» und in der «ZEIT», in der Republik, auf Twitter, bei Recherchen sowie im Gespräch mit Freunden und Bekannten. Zum Glück kommt das nach wie vor häufig vor, auch wenn ich weiss, dass auch ich mich in einer Bubble bewege. Wie trist wäre es, wenn ich nur noch von Dingen erführe, die mich bereits interessieren!
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Noch mindestens zwanzig Jahre. Auch, weil die Politik Strukturerhaltung betreibt – was ich nicht schlimm finde, solange sie gleichzeitig auch den digitalen Wandel forciert und Onlinemedien unterstützt. Auch ich geniesse es, morgens zu einer Tasse Kaffee meine gedruckte Zeitung zu lesen oder an den Wochenenden und in den Ferien eines meiner rund zehn abonnierten Magazine (von «Ernst» über den «etü» und «Fluter» bis zu «Zwölf»).
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
Beides, wobei das Positive aus meiner Sicht überwiegt: Menschen, die informiert sein wollen, sind im Durcheinander von News und Fake News auf Medien angewiesen. Diese Chance sollten wir Journalistinnen und Journalisten ergreifen!
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
An linearem Radio höre ich einzig «Deutschlandfunk Nova», wo stündlich Nachrichten aus der Wissenschaft präsentiert werden – flankiert von einem ausgezeichneten Musikprogramm. Fernsehen schaue ich seit drei, vier Jahren fast gar nicht mehr. Wenn ich das doch mal tue, dann in aller Regel linear: Live-Übertragungen von Fussballspielen. Ach, und ja: natürlich schauen meine Freundin und ich jeden Sonntag den «Tatort». Dazu gibt’s Pizza – unsere Tradition zum Wochenendausklang.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Seit Beginn der Pandemie höre ich regelmässig Podcasts – beim Joggen, das bei mir im vergangenen Jahr Fussball und Badminton leider weitestgehend ersetzt hat. Besonders schätze ich die SRF-«Zeitblende», «Eine Stunde History» von «Deutschlandfunk Nova», die hintergründigen Reportagen von «SWR2 Wissen» und «The Documentary» von «BBC World Service». Zurzeit höre ich «Faking Hitler», einen vor einem Jahr erschienenen Zehnteiler des «Stern». Der beste Podcast, den ich bis jetzt hörte, kommt jedoch aus der Schweiz: «Zündstoff» von Franziska Engelhardt und Stefanie Müller-Frank, meinen beiden Kolleginnen vom Reporterforum.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?
Das bereitet mir Sorge. Ich hoffe sehr, dass sich in diesem Bereich in den nächsten Jahren einiges tun wird: gefordert sind sowohl die Verlage als auch die Schulen. Und ich sehe hier mittelfristig auch eine Aufgabe für die «Republik». Sobald die Redaktion ihr Überleben langfristig gesichert hat – es sieht diesbezüglich zurzeit sehr gut aus –, sollte sich die Dachorganisation «Project R» ein Projekt überlegen, um die Journalismus-Begeisterung junger Menschen zu wecken.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Jener Journalismus, den ich schätze, lässt sich nicht automatisieren. Nicht ausgeschlossen allerdings, dass Supino eine ziemlich andere Vorstellung von Journalismus hat als ich.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Das ist mir zu schwarz-weiss. Wovon sollte sich der Journalismus denn befreien müssen? Klar ist für mich, dass die Digitalisierung primär eine Chance ist.
Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?
Für welchen Journalismus denn sonst? Dem ambitionierten Journalismus, der höchstmöglichen Qualitätsansprüchen zu genügen versucht, gehört die Zukunft.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ich schreibe seit je sehr schlecht von Hand. Leserlich zwar, aber: schrecklich langsam. Wann immer ich eine Postkarte oder ein Glückwunschkärtchen zu schreiben habe, fällt mir fast die Hand ab. Positiv wirkt sich meine Schreibschwäche aus, wenn ich im Rahmen von Recherchen mit Protagonisten spreche, beispielsweise mit Politikerinnen in der Wandelhalle: Ich bin gezwungen, im Kopf bereits eine Vorauswahl des Gehörten zu treffen – mangels Geschwindigkeit schreibe ich nur jene Zitate auf, von denen ich mir relativ sicher bin, dass ich sie werde gebrauchen können.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Das Positive überwiegt auch bei ihm: Die Medien sind sich in der Ära Trump bewusst geworden, dass sie nicht länger Gatekeeper sind, sondern Sensemaker. Sie bestimmen nicht mehr darüber, was wichtig ist, und sie sind – ausser bei investigativen Recherchen – kaum je die ersten, die eine Information verbreiten. Ihre Aufgabe ist es heute, kursierende Nachrichten zu verifizieren, zu gewichten und einzuordnen. Das macht Journalismus relevanter und interessanter, kurz: besser.
Wem glaubst Du?
Dem kategorischen Imperativ. Und meiner Skepsis.
Dein letztes Wort?
Seid grosszügig zueinander.
Dennis Bühler
Nach dem Politologie-Bachelor an der Uni Zürich und dem Journalismus-Master an der Uni Hamburg und an der Journalistenschule maz wurde Dennis Bühler 2013 Inlandredaktor bei der «Südostschweiz» in Chur. Zwei Jahre darauf wechselte er ins Bundeshaus. Im Frühling 2018 strich die «Südostschweiz» ihr Inlandressort, Bühler wurde entlassen. Nach einer Ferienvertretung bei der Schweizer Ausgabe der «Zeit» begann er im August 2018 beim Onlinemagazin «Republik» als Bundeshaus- und Medienredaktor. Zudem ist Bühler Mitglied der ersten Kammer des Presserates, unterrichtet an zwei Radioschulen sowie am maz Medienethik und sitzt im Vorstand des Medienverbandes «Medien mit Zukunft». Ferner ist er Präsident des Herausgebervereins des Gesellschaftsmagazin «Ernst».
Web: https://dennisbuehler.com/
Twitter: @dennisbuehler
Basel, 27. Januar 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
PS: Nicht vergessen – Wochenkommentar abonnieren. Kostet nichts, bringt jeden Freitag ein Mail mit dem Hinweis auf den neuen Kommentar, den aktuellen «Medienmenschen» einen Sachbuchtipp und einen Video-Buchtipp auf einen Roman:
www.matthiaszehnder.ch/abo/
2 Kommentare zu "Dennis Bühler: «Ich bin flexibler, aber einsamer»"
Immer mehr scheint mir alles „sowohl – als auch“. Einerseits entspricht mir das sehr. Anderseits finde ich es perspektivenlos feige.
Antwort:
Weiser Kommentar eines weisen Mannes. Kann ich nur unterschreiben.
Perspektivenlos feige…., kollektive Verantwortungslosigkeit….
Erlebbar bei Hotlines, bei Firmen, bei Behörden, bei Banken, bei der (Yellow- und nicht nur dort-) Presse und umweltschutztechnisch-global bei JEDEM.