Christina Leutwyler: «Die tägliche Zeitung wird zum Luxusgut.»
Das 358. Fragebogeninterview, heute mit Christina Leutwyler, Präsidentin von Fairmedia und Stiftungsrätin der Kurt Imhof Stiftung für Medienqualität. Sie hat als Junge Redaktorin noch «Artikel mit einer ‹Hermes Baby›» getippt und dann «die Zeitungsseiten mit einem Metteur im Bleisatz» zusammengebaut. «Deshalb kann ich heute noch spiegelverkehrte Schrift mühelos lesen.» Sie findet, es sei etwas unfair, wenn man behauptet, der «Journalismus sei viel besser geworden»: «Bevor das Internet erfunden wurde, mussten Zeitungen, Radio und TV die relevanten Informationen zuerst vermitteln, bevor diese eingeordnet und diskutiert werden konnten.» Probleme sieht sie heute vor allem beim Druck und Vertrieb von Zeitungen: Das sei «teuer». «Die tägliche Zeitung wird deshalb zum Luxusgut und tendenziell durch gehaltvollere Wochenendausgaben ersetzt.» Die grossen Tech-Plattformen hätten den Medien zuerst «zwei Drittel der Werbeeinnahmen abgegraben» und jetzt «zerstören sie mit ihren KI-generierten Texten nun auch das Reichweitenmodell der Medien.» Sie ist deshalb überzeugt: «Künftig zählt die Nähe zum eigenen Publikum.»
Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?
«Republik», «Der Bund», «NZZ» und «The Atlantic»: In diesem digital servierten Menu suche ich schon vor dem Frühstück nach Texten, die relevante Neuigkeiten oder Einordnung versprechen. Derzeit gibt es kein einzelnes Medium, das meinen Informationshunger umfassend zu stillen vermag.
Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?
«LinkedIn» ist mein «Social Media»; ich schätze es, da der Umgangston in der Regel zivilisiert ist. «YouTube» finde ich eine ausgezeichnete Suchmaschine – vor allem, wenn ich mich über Wissenschaftlerinnen und ihre Forschung informieren will. Bei BlueSky, Instagram und TikTok habe ich zwar Konten eröffnet, nutze sie aber kaum.
Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?
Buchstaben aus Metall sind zu Pixeln geworden. Als junge Redaktorin tippte ich meine Artikel mit einer «Hermes Baby» und baute die Zeitungsseiten mit einem Metteur im Bleisatz zusammen. Deshalb kann ich heute noch spiegelverkehrte Schrift mühelos lesen.
Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?
Bevor das Internet erfunden wurde, mussten Zeitungen, Radio und TV die relevanten Informationen zuerst vermitteln, bevor diese eingeordnet und diskutiert werden konnten. Ohne diese journalistische Pflicht gab es keine Basis für die Kür. Dies geht zuweilen vergessen, wenn heute behauptet wird, der Journalismus sei viel besser geworden.
Haben geschriebene Worte noch Zukunft?
Das Geschriebene bewährt sich nicht umsonst seit Tausenden von Jahren. Eine Parlamentskommission zum Beispiel kommt nicht ohne das geschriebene Wort aus, wenn sie an Gesetzestexten feilt.
Was soll man heute unbedingt lesen?
Geschichten, die einen ungewohnte Perspektiven entdecken lassen. Zum Beispiel «Umlaufbahnen» von Samantha Harvey.
Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?
Ich bemühe mich, all jene Bücher zu Ende zu lesen, die wir in unserem privaten Literaturclub besprechen. Ansonsten lese ich nach dem Lustprinzip und lege ein Buch, das mich nicht anspricht, nach ein paar Dutzend Seiten weg.
Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?
Von meinen Freundinnen und Freunden, in den SRF-«Sternstunden», am Locarno Film Festival – generell in der Wissenschaft und Kultur. Ich hätte nicht gedacht, dass mich metallorganische Gerüstverbindungen interessieren könnten, bevor ich Balzan-Preisträger (und jetzt auch Nobelpreisträger) Omar Yaghi begeistert davon erzählen hörte, wie sich dank diesem Pulver aus Wüstenluft Wasser gewinnen lässt.
Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?
Druck und Vertrieb von Zeitungen sind teuer. Die tägliche Zeitung wird deshalb zum Luxusgut und tendenziell durch gehaltvollere Wochenendausgaben ersetzt. Bei der «Tageswoche» war das schon Programm, und die Berliner «TAZ» macht es gerade vor.
Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?
In einem Meer von Halbwahrheiten und Lügen braucht es Leuchttürme, die verlässliche Wege weisen: kompetente Journalistinnen und Journalisten, die sich bei ihrem Publikum Glaubwürdigkeit und Vertrauen erarbeitet haben.
Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?
Ich höre und schaue die meisten Sendungen zeitversetzt – mit einer Ausnahme: Wenn ich am Abend zu Hause bin, schaue ich häufig die «Tagesschau». Dieses Ritual schliesst den Arbeitstag ab, bevor ich zu kochen beginne.
Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?
Ich nehme Informationen viel besser über die Augen als die Ohren auf. Deshalb höre ich nur ausnahmsweise Podcasts.
Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?
Der Anteil der Menschen in der Schweiz, die kaum mit journalistischen Nachrichten in Kontakt kommen, ist stark gestiegen: von rund 21 Prozent im Jahr 2009 auf rund 46 Prozent im Jahr 2025. Es geht längst nicht mehr nur um die junge Generation. «News-Deprivierte» sind nicht nur weniger gut informiert, sondern vertrauen Politik und Medien weniger, sie nehmen seltener am demokratischen Prozess teil und fühlen sich dem demokratischen Gemeinwesen weniger verbunden (Quelle: Jahrbuch Qualität der Medien 2025 des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft).
Wir müssen deshalb – vor allem jungen – Menschen zeigen, wie sie ihre Anliegen in die Politik einbringen können. Dann wächst auch das Interesse an Nachrichten.
Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?
Gegenfrage: Wieso sollen wir ein Medienunternehmen für KI-generierte Texte bezahlen, die wir jetzt schon kostenlos bekommen? Journalistinnen und Journalisten müssen wieder mehr von dem tun, was die KI nicht kann: sich in der realen Welt die Sohlen ablaufen, beobachten und mit den Menschen in einen echten Austausch treten.
Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?
Nachdem die grossen Tech-Plattformen den Medien zwei Drittel der Werbeeinnahmen abgegraben haben, zerstören sie mit ihren KI-generierten Texten nun auch das Reichweitenmodell der Medien. Künftig zählt die Nähe zum eigenen Publikum.
Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?
Ja, sonst geht eine zentrale Infrastruktur der Demokratie kaputt.
Schreibst Du manchmal noch von Hand?
Ich mache häufig handschriftliche Notizen, während Telefonaten, Sitzungen oder Referaten. Das hilft mir, das Gehörte besser aufzunehmen.
Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?
Donald Trump drangsaliert die Medien, die ihm nicht genehm sind. Ich hoffe, dass dies bei vielen Beobachterinnen und Beobachtern das Bewusstsein dafür schärft, wie wichtig glaubwürdige unabhängige Medien sind.
Wem glaubst Du?
Meinem Elektriker.
Dein letztes Wort?
Seid freundlich zueinander.
Christina Leutwyler
Christina Leutwyler (65) ist Präsidentin von Fairmedia und Stiftungsrätin der Kurt Imhof Stiftung für Medienqualität. Nach ihrem Politologie-Studium arbeitete sie 24 Jahre lang als Redaktorin und Korrespondentin bei «Associated Press» und «Tages-Anzeiger» – im Bundeshaus, der Westschweiz, der italienischen Schweiz, Norditalien und Zürich. 2009 verliess sie den Journalismus und war bis 2023 für das Bundesparlament tätig.
https://fairmedia.ch/
Basel, 05.11.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
Bild: zvg
Seit Ende 2018 sind über 350 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/
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2 Kommentare zu "Christina Leutwyler: «Die tägliche Zeitung wird zum Luxusgut.»"
Fairmedia sei u.a. auch aus dem Kampf gegen die „Blocher-BaZ“ entstanden.
Dann hat Fairmedia mir „meine Zeitung“ weggenommen. Als die BaZ unter Markus Somm erschien, brauchte ich immer eine Stunde um zu lesen. (Heute, bei der Mainstream-Tagi-BaZ (wie sie intern heisst) reichen 5 Minuten). So interessant war sie. Wirklich Artikel, die man sonst nirgends las. Originell, Aufdeckend (da hatten die Politiker „Angst“ vor der Zeitung – heute haben „die Zeitungen“ Angst vor der Politik – deshalb allüberall Fördergeldgesülze für die Hand die sie nährt, Samthandschuh und Lobeshymnen auf die geldgebende Politik), manchmal Schrill und Schräg…. Doch dies ist vorbei. Denn jede „Vermischtes“-Meldung musste eigens getippt und redigiert werden, alles selbst gemacht, alles aufwändig… Deshalb nicht nur Fairmedia besiegelte die Blocher-BaZ, so ein Projekt geht heut einfach nicht mehr – und Blocher erwischte gerade noch den letzten guten Zeitpunkt zum Verkauf (Unternehmer halt).
LEIDTRAGENDE SIND DIE LESER – Einheitsbrei der SRG, Tamedia, Reiniger und Wanner. Irgendwie schreiben alle einander ab, so fühlt der Lesende….
Fairmedia kämpft auch gegen den Judenhass im Print… Vergisst dabei als eher links angesiedelte Organisation aber, das es (auf Strasse, auf Sprays an Wänden, auf Flugblättern und Wandzeitungen bis hin zu den „etablierten“ Medien = ARD, ZDF, Der Spiegel usw.) IMPORTIERTER ANTISEMITISMUS ist. Nicht der deutsche Michel demonstriert daily in Berlin, nicht der Original-Franzose fährt auf Inseln in Menschenmengen. Und nicht der Engländer mordet in den U-Bahnen…. Denn Al Akbar ertönt bei jeder Tat. مغامرة «الأخبار» في القرن الواحد والعشرين هي في تميّزها سياسياً ومهنياً. في السياسة، هي جريدة تميل إلى اليسار وتنتمي الى معسكر رافضي الهيمنة من قلب الولايات . Dies alles sollte auch erwähnt werden. Faire Medien bedeutet nicht der Kampf gegen Rechts – sondern gegen Ungereimtheiten aller Schattierungen, deren es ob im ÖRR bis hin zum Quartierblatt viele gibt. Hinsehen und allumfassend handeln. Deshalb ist Vogelschau-Medienkonsum so wichtig (von Republik bis Weltwoche, von WoZ bis Nebelspalter, in dem Ex-BaZ-Boss Dr. Makrus Somm zur Höchstform aufläuft und mit dem Podcast „Bern Einfach“ zum massgebendsten und meistgehörtesten Polit-Podcast aller Bundespolitiker aufstieg – mach ich auch – auch wenns machmal ein bisschen Wehtut Fr. Leutwyler – die eigenen Blase zu Verlassen ist befreiend !!!)
Ich hoffe, mein Kommentar kam im Sinne von Fr. Leutwylers Schlussantwort „Seid freundlich miteinander“ rüber. Für mich zählt mehr „seid ehrlich miteinander“ – denn Schlagseiten-Einseiten-Freundlichkeit bringt diese Welt nicht weiter.
Lieber Herr Zweidler, ich teile vollkommen Ihre und selbstverständlich auch Christina Leutwylers Meinung, dass wir nicht nur freundlich zueinander sein sollen, sondern auch ehrlich. Zu Letzterem gehört, dass man Fakten ernst nimmt. Ein Fakt zum Beispiel ist: Die angeblich so spannende BaZ unter Markus Somm hat in dessen achtjähriger Amtszeit so viel an Auflage eingebüsst, wie vergleichsweise keine andere Tageszeitung. Das Traditionsblatt ist massiv eingebrochen. Wirtschaftlich hat Chefredaktor Somm versagt wie kein vergleichbarer Berufskollege oder keine vergleichbare Berufskollegin. Das hat damit zu tun, dass die meisten Leserinnen und Leser sich von der BaZ abgewandt und sich der vertrauenswürdigeren bz Basel zugewandt oder sogar ganz auf ein Zeitungs-Abonnement verzichtet haben. Dies, weil sie feststellten, dass viele der reisserischen und angeblich spannenden Artikel nicht der Wahrheit entsprochen haben, was sich in andauernden Berichtigungen, Massregelungen durch den Presserat bis hin zu juristischen Verurteilungen niederschlug. Die süffig und Ihrer Ansicht nach spannenden Artikel von Markus Somm selbst sowie von seinen engsten Adlaten konnten nie gut zur Rechenschaft gezogen werden, weil es Meinungsartikel waren, deren Wahrheitsgehalt diffus bus undiskutabel blieb und angesichts der verfassungsmässig garantierten Meinungsfreiheit toleriert werden mussten. Die Artikel hatten einzig und allein die Intention, rechtes Gedankengut in der Leserschaft zu implementieren. Aufregung, Klamauk, Häme gegenüber linken bis bürgerlichen Menschen aus Politik und Gesellschaft dominierten. Klamauk und Stimmungsmache war das Rezept von Markus Somm. Das ist keine Unterstellung, denn er selbst schrieb in einem Artikel in der Sonntagszeitung vom 5. Januar 2025: «Was Sie jetzt lesen, stammt von einem, der bekannt dafür ist, dass er sich irrt.» Somm schreibt weiter, der Leser und die Leserin hätten es bei Lesen seiner Artikel «mit einer Präzision zu tun, die, wäre ich ein Arzt, Leben kosten würden. Nun bin ich aber Historiker und Journalist – also Vertreter einer inexakten Wissenschaft und einer Industrie, die selten dafür zahlt, wenn sie Unsinn produziert – und hoffe auf Ihr Verständnis.» Das tönt wie das späte Eingeständnis eines Scharlatans. Dass Somm ein Scharlatan sei, würde ich nun nicht behaupten – nur schon weil ich auch der Meinung bin, man solle freundlich sein.