Barbara Peter: «Den Algorithmen hinterherzuhecheln kann nicht die Lösung sein»

Publiziert am 29. Dezember 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Barbara B. Peter, bei der SRF Ausbildung zuständig für die Weiterbildung im Bereich Audio. Sie sagt: «Ich liebe den Live-Charakter des Radios nach wie vor.» Die Digitalisierung führe aber «zu neuen Herausforderungen, die wir heute wohl erst bedingt abschätzen können.» Die Rolle der grossen Plattformen sei noch immer nicht restlos verstanden. Die Interessen von Meta/Facebook und Google/Alpha und die der Öffentlichkeit seien «weit voneinander entfernt.» Deren Algorithmen «hinterherzuhecheln kann nicht die Lösung sein; Social Media einfach den Rücken zu kehren, geht selbstverständlich auch nicht.» Dazu kommt die Gefahr, die von Fake News ausgeht: «Wir müssen dringend Medienkompetenz systematisch und ernsthaft fördern. Ansonsten sehe ich schwarz für demokratische Staaten im Allgemeinen und für die direkte Demokratie der Schweiz im Besonderen.»

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Unter der Woche: gibt es bei mir nur akustisches Frühstück, meine Radio-Routine (Ö1, DLF Nova, SRF4); am Wochenende, Zeitungen.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

So viel wie nötig, so wenig wie möglich.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Wenn es mir zuweilen etwas zu viel wird, drossle ich den Medienkonsum und beschränke mich auf das «Echo der Zeit», «Mailab» und ausgewählte Podcasts. So bleibe ich gut informiert und etwas ruhiger in diesen aufgeregten Zeiten.

In der SRF Ausbildung haben wir die allermeisten Aus- und Weiterbildungen auf online umgestellt – was nicht nur ein Nachteil ist, auf einmal können auch Korrespondent:innen, die auf anderen Kontinenten stationiert sind, an Workshops teilnehmen.

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Es war vor allem früher. Im Ernst, der Printbereich dürfte vielfältiger, vor allem aber vielstimmiger gewesen sein, dafür verfügen wir jetzt über interessante und innovative Online-Medien und ein immer breiter werdendes Podcastangebot.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Keine Frage. Unbedingt. 

Was soll man heute unbedingt lesen?,

Lange Stücke, natürlich auch Bücher und zwar sowohl Sachbücher als auch kluge Romane (möglichst zeitgenössische und Klassiker), zum Beispiel: «Was das Valley denken nennt»  von Adrian Daub, «Über Menschen» von Juli Zeh oder «Vom Aufstehen» von Helga Schubert.

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Aber ja. Da ich gewöhnlich ohnehin eine Handvoll Bücher parallel lese, geht das von allein.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Im Leben indem ich Menschen zuhöre, die sich in anderen Lebenswelten bewegen als ich. Eine enge Freundin ist Primarlehrerin, was sie mir aus ihrem Alltag erzählt, stimmt mich immer wieder nachdenklich.

Wissenschaftspodcasts und -sendungen schaffen es regelmässig auf andere Weise ebenfalls und zuverlässig auch das Wirtschaftsmagazins «brand eins». 

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Hoffentlich länger als viele von uns denken.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Sie sind eine immense Gefahr, die wir unbedingt ernst nehmen müssen und zwar schnell. Wir müssen dringend Medienkompetenz systematisch und ernsthaft fördern. Ansonsten sehe ich schwarz für demokratische Staaten im Allgemeinen und für die direkte Demokratie der Schweiz im Besonderen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Ungefähr fifty/fifty. Ich liebe den Live-Charakter des Radios nach wie vor. Es begleitet mich am Morgen, auf langen Autofahrten und oft am Feierabend beim Kochen.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Aber sicher, als Ausbilderin für Audio und Radio gehört das ganz einfach dazu. Es gibt eine ganze Reihe, die ich sehr schätze und regelmässig höre. Dazu gehören «Cosmo Tech» (WDR); «Holger ruft an» (Übermedien) oder «Klassik für Klugscheisser» (BR Klassik), «Rotzphase» und aus unserem Haus «Dini Mundart».

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Wir sollten dieses Ergebnis als Aufgabe verstehen. Wir müssen die Jugendlichen auf Augenhöhe abholen. Und wir sollten ihnen erklären wer welche Medieninhalte mit welchem Ziel verbreitet und auch warum sie das zu interessieren hat

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Wie ich gelernt habe, funktioniert das bei Sportresultaten und Börsenzahlen gut. Und damit hat es sich auch. Fundierte Analysen und pointierte Einordnungen verlangen weit mehr Substanz als die für künstliche Intelligenz verarbeitbaren Fakten.

Dagegen beim Durchforsten und Sortieren grosser Datenmengen, hilft die KI schon jetzt Zahlen, Verhältnismässigekeiten und anderes Material aufzuspüren, die dann durch eine kluge Interpretation und journalistisches Handwerk in Geschichten verwandelt werden. 

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch. Sie führt zu neuen Herausforderungen, die wir heute wohl erst bedingt abschätzen können. Die Rolle der Plattformen ist noch immer nicht restlos verstanden. Ihre Interessen und die der Öffentlichkeit sind weit voneinander entfernt. Ich sehe da komplexe Herausforderungen auf Medienmacher:innen und -manager:innen zukommen. Denn hinter den Algorithmen von Alpha und Meta hinterherzuhecheln kann nicht die Lösung sein; Social Media einfach den Rücken zu kehren, geht selbstverständlich auch nicht.  Ein tieferes Verständnis der Materie ist gefragt und die Gesetzgeber müssen anfangen ihre diesbezügliche Verantwortung wahrzunehmen. 

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Wir werden von Informationen überflutet und wir brauchen dringend Medien und Menschen, denen wir vertrauen können, die uns zumindest zu einer gewissen Orientierung verhelfen 

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Täglich. Mit dem Stift in der Hand kann ich besser und wendiger denken als mit den Fingern auf der Tastatur.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Seine Person und seine Aktionen haben viel zu viel Aufmerksamkeit, sowohl bei den Macher:innen als auch bei den Konsument:innen gebunden. Und auf den Begriff der „alternativen Fakten“ hätte die Welt bestens verzichten können. 

Wem glaubst Du?

Reflektierten Menschen mit guten Argumenten die ich als integer einschätze und die auch einmal einen Fehler zu geben können.

Dein letztes Wort?

Wenn in Pandemiezeiten alles zu viel wird, einfach mal die Augen zumachen, durchatmen und sich durchs Radio informieren lassen. Das ergibt eine markante Reduktion der Aufregung bei einem Plus an Informationstiefe.


Barbara B. Peter
Barbara B. Peter ist bei der SRF Ausbildung zuständig für die Weiterbildung im Bereich Audio. Daneben wirkt die langjährige Radiojournalistin als Beitrags- und Sendungsmacherin für SRF2Kultur. Ihr Spezialgebiet ist politisches Kabarett.  Ihr Studium der Medienwissenschaft, Zeitgeschichte und Neuen Deutschen Literatur in Fribourg und Wien schloss sie 2015 mit einer Dissertation zu TV-Kabarettisten als Interviewer ab («Satire in journalistischer Mission»). Derzeit ist sie Co-Präsidentin a.i. des Vereins «Qualität im Journalismus».
https://quajou.ch/


Bild Patrick Lux Hamburg

Basel, 29. Dezember 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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Ein Kommentar zu "Barbara Peter: «Den Algorithmen hinterherzuhecheln kann nicht die Lösung sein»"

  1. Keine Antwort scheint mir daneben. Einige wie „Im Leben, indem ich Menschen zuhöre, die sich in anderen Lebenswelten bewegen als ich.“ oder „Wir werden von Informationen überflutet und wir brauchen dringend Medien und Menschen, denen wir vertrauen können, die uns zumindest zu einer gewissen Orientierung verhelfen.“ entsprechen mir 100 Prozent.
    Anstatt den abgestandenen Fragen nach den Fake News (wo niemand wirklich weiss, was damit gemeint ist, und welches solche sind) sowie nach dem Trump (wo niemand wirklich weiss, wer er ist, und was er wollte und will) würde ich wenn möglich im 2022 gerne folgende Frage gestellt sehen: Welche Rolle können Medien angesichts einer demokratisch legitimiert herrschenden Mehrheit, die kollektiv unbewusst in einer Massenpsychose paralysiert scheint, die aber in für alle existenziell wichtigen Fragen keine tragfähigen Perspektiven zu entwickeln imstande scheint, für eine nachhaltig zukunftsfähige Politik spielen?

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