Tilmann Zuber: «Das Leben spielt ausserhalb der Medien»

Publiziert am 22. Dezember 2021 von Matthias Zehnder

Das Fragebogeninterview über Mediennutzung – heute mit Pfarrer und Journalist Tilmann Zuber, Chefredaktor des Interkantonalen Kirchenboten. Zuber beginnt den Tag mit einer Tageszeitung und stöbert mehr aus Voyeurismus in den sozialen Medien: «Es bleibt ein schales Gefühl, wenn mich Facebook mit unzähligen neuen Freunden verkuppelt will.» In der Digitalisierung führt für Zuber lediglich zu einer Verlagerung in neue Medien: «Die Apokalypse auf den mittelalterlichen Fresken findet heute im Kino oder bei Netflix statt.» Ein Fernsehabend mit Commissario Brunetti gibt ihm das Gefühl, dass die Welt ist noch nicht verloren ist. Sein Lesetipp: Garten-Magazine. Und die Bibel.

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Eine Tageszeitung, (konkret der «Tagi»). Sie ist so anregend wie der schwarze Kaffee am Morgen.

Wie hältst Du es mit Facebook, Twitter und Instagram? 

Ich stöbere gerne darin, mehr der Neugierde und dem Voyeurismus geschuldet. Es bleibt ein schales Gefühl, wenn mich Facebook mit unzähligen neuen Freunden verkuppelt will.

Wie hat das Corona-Virus Deinen medialen Alltag verändert?

Natürlich durch Home-Office und Digitalisierung des Redaktionsalltags. Am Anfang der Pandemie war ich, wie viele, berauscht vom Medienhype. Auf den Rausch folgte der Kater. Heute frage ich mich, hat sich die ganze Hysterie gelohnt und in welchen Parallelwelten bewegen sich manche Zeitgenossen?

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter? 

Weder besser noch schlechter, nur anders. 

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Auf jeden Fall. Das Bedürfnis, das zur Erfindung der Keilschrift führte, ist noch lange nicht gestillt.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Bücher, gute Bücher und bessere Bücher. Dann natürlich Zeitungen wie die «Zeit», den «Spiegel» und andere. Und im Frühling Garten-Magazine. 

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Leider nicht. Da jeder – auch Autoren oder Autorinnen – die zweite Chance verdient hat, kämpfe ich mich durch. Und ärgere mich über die vergeudete Zeit.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Bei «arte», manchmal eröffnet dort ein Beitrag über etwas Belangloses ein neues Universum. Oder beim Plaudern mit Unbekannten.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Solange die Leute dafür bezahlen.

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Eine Chance, wenn Fake News dazu anspornen, besser zu recherchieren und dem Mainstream und den Autoritäten zu misstrauen.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen? 

Radio gerne beim Autofahren. Fernsehen nach einem turbulenten Redaktionstag. Nach einem Abend mit Commissario Brunetti weiss man, die Welt ist noch nicht verloren.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

Ab und zu, leider habe ich sie noch nicht entdeckt. Dazu fehlt die Zeit.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 55 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehört?

Das ist bedenklich. Aber reichte bei vielen Jungen in den 80er und 90er Jahren nicht auch der Blick in die Sportseite und ins Bravo, um die Welt zu verstehen?

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Als ich als Volontär stundenlang Kurzmeldungen zusammenkürzte, kam ich mir manchmal wie ein Roboter vor. –  Aus den Federn der Roboter werden aber kaum je gute Geschichten und Beiträge entstehen. Neugier, Emotionen und Originalität lassen sich schwerlich automatisieren.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Weder noch. Die Digitalisierung führt lediglich zur Verlagerung in neue Medien. Die Apokalypse auf den mittelalterlichen Fresken findet heute im Kino oder bei Netflix statt.

Siehst Du für professionellen Journalismus noch eine Zukunft?

Unbedingt. Die Gesellschaft braucht Leute, die gut recherchieren, gerne Geschichten erzählen und das Wort lieben. 

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ja und staune jeweils, wie anders sich dies anfühlt.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Donald Trump machte klar, wie entscheidend, guter und unabhängiger Journalismus für eine Demokratie ist.

Wem glaubst Du?

Das frage ich mich manchmal auch. Je älter ich werde umso mehr der Bibel.

Dein letztes Wort?

Das Leben spielt eigentlich ausserhalb der Medien. Das ist erfreulich.


Tilmann Zuber
Tilmann Zuber, *1960, ist Pfarrer und Journalist BR. Er studierte in Zürich Theologie und absolvierte die Journalisten-Ausbildung am MAZ in Luzern. Er schrieb für die verschiedensten Zeitungen und Mediendienste, bevor er als leitender Redaktor zum Zürcher Kirchenboten ging. Seit 2002 ist er Chefredaktor des Interkantonalen Kirchenboten. Tilmann Zuber ist verheiratet und hat zwei Kinder.
https://www.kirchenbote-online.ch/


Basel, 22. Dezember 2021, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

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