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In die Politik gehen. Tipps für den Nachwuchs

Publiziert am 5. März 2021 von Matthias Zehnder

Der Basler Regierungsrat Conradin Cramer hat das Buch geschrieben, das er selbst vor 20 Jahren gerne gelesen hätte: Es ist ein praktischer Ratgeber für alle, die Politik machen wollen. Es enthält praktische Überlegungen eines Praktikers, nicht mehr und nicht weniger. Cramer ist dabei geradezu überraschend ehrlich und direkt. «Einer Partei beitreten ist nicht wie heiraten. Einer Partei beitreten ist endgültig», schreibt er etwa und rät von sympathischen Klein- und Kleinparteien ab. Die perfekte Partei gebe es nicht: «Eine Partei ist ein Kompromiss. Suche bei der Parteiwahl nicht die Perfektion, sondern suche das Optimum für dich.» Er drückt sich nicht vor unangenehmen Feststellungen: «Die besten Voraussetzungen für die Politik hat, wer reich ist.» Reich an Geld, nicht an Idealen. Denn Menschen mit viel Geld sind unabhängig. Das Buch liest sich süffig, man erfährt dabei eine Menge über das Werden und das Sein eines Politikers – und über Conradin Cramer persönlich.

Im Detail birgt das Buch einige Überraschungen. Die wichtigste Eigenschaft eines Politikers, so Cramer, sei nicht die fette Punchline bringen zu können oder den deftigsten Spruch, sondern: zuhören können: «Zuhören ist nicht einfach und will gelernt sein. Der wesentliche Grundsatz ist: Einfach mal Klappe halten.» Die meisten Menschen wollen bei Politikern laut Cramer in erster Linie abladen. «Du bist nicht in der Verpflichtung, ihnen eine pfannenfertige Lösung zu präsentieren.» Die beste Antwort auf Anregungen, Kritik, Sorgen oder auch Wut sei meist: «Danke. Ich bin froh, dass Sie mir das sagen. Ich werde dem nachgehen.» Spannend ist, was Cramer über die unterschiedlichen Sprachen und Kommunikationsgepflogenheiten erzählt. «Wenn eine Lehrperson an einer Lehrerkonferenz gegenüber einem Kollegen Kritik äussert, kann es sein, dass du das noch nicht mal als Kritik erkennst, während das Lehrerkollegium im Schock über so viel Unfrieden erstarrt ist. Wenn der Feuermann kritisiert, wackeln dir die Ohren, während die anderen Feuermänner ungerührt ihren Helm polieren.»

Interessant sind die Ratschläge, die Cramer, selbst Jurist, (angehenden) PolitikerInnen in Sachen Juristerei gibt. Den Nicht-Juristen rät er: «Respektiere die Arbeit der Juristen. Lass dir von den Juristen alles erklären. Lerne juristische Grundlagen.» Denn Politik habe immer auch juristische Aspekte. Den JuristInnen rät er dagegen: «Akzeptiere, dass Politik nicht Juristerei ist. Meide Metadiskussionen. Rede über Inhalte statt Verfahren. Fühle dich als Politikerin nicht verpflichtet, die juristische Expertin zu sein.» Und das gelte eigentlich für alle Wissensfelder: Ein bisschen Kenntnisse sei gut, Experte zu werden dagegen nicht nur nicht nötig, sondern kontraproduktiv.

Cramer macht sich keine Illusionen: PolitikerInnen spielen immer eine Rolle. Aber das machen sie am besten so authentisch wie möglich. Authentizität heisst: Eigenheiten zuzulassen, nicht Fehler zu akzeptieren. Wer ständig Fehler macht, sei «nicht authentisch», sondern «nachlässig». «Und es ist unprofessionell. Nur Amateure akzeptieren solches Verhalten bei sich selbst. Profis arbeiten an sich. Sie beobachten ihr Verhalten und ändern es, wenn es für andere und sie selbst destruktiv ist.» Professionell muss ein Politiker auch mit Sprache umgehen. Was Cramer dazu schreibt, würde auch in ein Journalismus-Handbuch passen. Und natürlich kommunizieren Politiker nicht nur mit Worten: «Deine Kleidung, dein Schmuck, deine Frisur und die Länge deiner Fingernägel sagen etwas über dich aus.»

Überhaupt: die Professionalität. Cramer macht klar, dass Politiker sein kein Zuckerschlecken ist. Er selbst hat zum Beispiel ein schlechtes Namengedächtnis und lernt deshalb Namen und das dazugehörende Umfeld mit einer App – Cramer empfiehlt «Name Shark». Weil er viele Veranstaltungen besuchen muss, die ihn manchmal nicht interessieren, hat er es sich angewöhnt, dabei zu denken. «Ich nehme immer Probleme mit an Veranstaltungen.» Während er äusserlich als passiver Dulder dasitze und auf eine Bühne starre, denkt es in ihm. «Das funktioniert.»

Das Buch, das Cramer vorgelegt hat, ist erstaunlich ehrlich. Er macht seinem Leser nichts vor. Ein gutes Beispiel ist das, was Cramer zur politischen Meinung schreibt. Er sei, als er Parlamentarier wurde, überfordert gewesen und nicht in der Lage, sich zu allem eine fundierte, eigene Meinung ztu bilden. Er habe sich deshalb Fraktionskollegen oder der NZZ angeschlossen und sei überzeugt gewesen, dass seine «Meinungshochstapelei» bald auffliegen werden. Doch das passierte auch nach Monaten nicht. «Ich beobachtete und kam langsam zum Schluss, dass alle Politiker Meinungshochstapler sind. Alle plapperten in den meisten Themen einfach die Meinungen anderer Leute nach.» Mit der Zeit habe er die eigene Überforderung akzeptiert: «Man kann und muss nicht zu allem eine eigene Meinung bilden. Wenn ich mir zu allem eine Meinung bilde, verzettle ich mich und meine Meinungsäusserungen sind oberflächliches Gebell.» Das ist erfrischend, erstaunlich ehrlich – und es hilft, nicht nur angehenden PolitikerInnen, ganz konkret weiter. 

Conradin Cramer: In die Politik gehen. Tipps für den Nachwuchs. NZZ Libro, 150 Seiten, 24 Franken; ISBN 978-3-907291-26-9

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783907291269

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