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Digitaler Humanismus

Publiziert am 23. Mai 2025 von Matthias Zehnder

Kein Zweifel: Wir sind alle etwas überfordert von der digitalen Entwicklung und insbesondere vom Tempo, mit dem sich die KI entfaltet. Hannes Werthner, emeritierter Informatikprofessor an der TU Wien, hat deshalb das Konzept eines Digitalen Humanismus entwickelt. Er versteht es als Antwort auf diese Überforderung. Sein zentrales Anliegen ist, dass die Menschen rasch die Wechselwirkung von Mensch und Maschine verstehen müssen und aktiv die Entwicklung digitaler Technologien so beeinflussen, gestalten und regeln müssen, sodass sie zum Wohl von Mensch und Natur eingesetzt werden. Im Zentrum steht dabei die Idee, dass der technologische Fortschritt nicht festgelegt ist, sondern sich gestalten lässt. Wir Menschen haben es in der Hand. Sein Digitale Humanismus wendet sich damit gegen zwei Extreme: gegen den technologischen Determinismus, der behauptet, Technologie folge immer ihrer eigenen Logik, und gegen den Techno-Animismus, also die Zuschreibung menschlicher Fähigkeiten an KI-Systeme. Der Digitale Humanismus ist nicht zu verwechseln mit den Digital Humanities, also der Anwendung digitaler Werkzeuge in den Geisteswissenschaften. Es handelt sich dabei um einen normativen Gestaltungsansatz, der Technologien und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen bewertet und auch verändern will. Im Zentrum stehen dabei die Demokratie und die Menschenrechte, die Kontrolle und Regulierung grosser Plattformen, die Verantwortung der Wissenschaft, neue Bildungskonzepte und die globale Zusammenarbeit.

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Das Manifest zum Digitalen Humanismus wurde von über 50 Ländern unterzeichnet und ist in mehrere Sprachen übersetzt – ein Symbol für den politischen und zivilgesellschaftlichen Anspruch des Ansatzes.

Der Digitale Humanismus ist ein interdisziplinärer Ansatz, der die digitale Transformation vor dem Hintergrund humanistischer Werte wie Autonomie, Verantwortung, Menschenwürde, Demokratie und Nachhaltigkeit denkt und auch gestalten will. Er beruft sich auf die Traditionen des Humanismus in der Renaissance und der Aufklärung, insbesondere auf das Ideal der Mündigkeit, wie es Immanuel Kant postuliert hat, und dem damit verbundenen Ziel der Freiheit, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.

Im Zentrum des Digitalen Humanismus steht die Idee, dass der technologische Fortschritt nicht vorbestimmt ist, sondern gesellschaftlich gestaltbar ist – und dass diese Gestaltung menschenzentriert und wertegeleitet erfolgen soll. Dabei geht es um den Schutz der Menschenwürde, der Demokratie und der digitalen Rechte, um Regulierung und Kontrolle insbesondere von grossen Plattformen, um Bildung und Wissenschaft, um Technologiegestaltung und um globale Governance.

Hannes Werthner stellt den Digitalen Humanismus einerseits in die Tradition der Renaissance, also von Leonardo da Vinci und Vitruv, mit Fokus auf den Menschen und dessen Mass, andererseits in die Nachfolge der Aufklärung und damit der Menschenrechte, von Demokratie und Bildung als Emanzipation. Er bezieht sich dabei kritisch auf die Frankfurter Schule: Adorno und Horkheimer warnten vor der instrumentellen Vernunft und technokratischen Macht. Habermas betonte dagegen die kommunikative Vernunft als Grundlage demokratischer Verständigung. Diese Spannung zwischen kritischer Theorie und aufklärerischer Hoffnung durchzieht den Digitalen Humanismus – besonders im Hinblick auf die Gefahren durch Plattformmonopole, algorithmische Manipulation und Datenmacht.

Hannes Werthner: Digitaler Humanismus. Über Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Picus, 160 Seiten, 34.90 Franken; ISBN 978-3-7117-2159-4

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783711721594

Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps finden Sie hier: https://www.matthiaszehnder.ch/buchtipp/

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