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Blödmaschinen II

Publiziert am 27. Juni 2025 von Matthias Zehnder

2011 haben Markus Metz und Georg Seeßlen unter dem Titel «Blödmaschinen» gezeigt, warum die Dummheit zum Produkt des Neoliberalismus geworden ist und davor gewarnt, dass sich die Gesellschaft in ihrem Dummsein gemütlich einrichte. Damals stand die Welt vor abgrundtiefer Dummheit – mittlerweile ist sie einen Schritt weiter: «Eine mächtigeVerbindung von Dummheit (oder ‹Blödheit›), Politik (oder ‹Ideologie›), Paranoia (oder ‹Wahn/Vorstellung›) und Gewalt (oder ‹Terror›) … setzt überall im Westen nationalistische, sexistische, rassistische und terroristische Kräfte frei.» Das sei weit mehr als ein blosser Trend: Derzeit werde man «Zeuge, wie die bürgerliche Rationalität und die öffentliche Moral wie ein Kartenhaus zusammenbrechen.» Dabei sei abzusehen, dass «Menschen, die sich für ein Welt- und Menschenbild jenseits der zivilisatorischen Verabredungen von Demokratie, Liberalismus und Aufklärung entschieden haben, von argumentativen Verpflichtungen auf die Vernunft oder die bloße Erinnerung an eine Welt der Tatsachen nicht mehr zu erreichen sind.» Schmerzhafter, weil überraschender sei die «mitunter geradezu kindsköpfige Beratungsresistenz der politischen, kulturellen und administrativen Systeme im demokratischen Staat und in der liberalen Gesellschaft.» Sie versuchen deshalb noch einmal aufzurüsten und warnen vor Propaganda, Psychose und Metapolitik, vor «Bad Religion», also dem Rechtsextremismus als Erlösungsversprechen und von der «Umvolkung zur Endschlacht», der grossen Erzählung der Rechten.

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Markus Metz und Georg Seeßlen warnen in ihrem Buch eindringlich davor, dass die allgemeine Bewegung nach rechts und gegen Demokratie, Liberalismus und Humanismus kein blosses Krisen-Symptom sei, sondern eine «tiefgreifende Transformation in der Wahrnehmung von Ich und Welt». Es entstehe, «mit viel Material aus einer alten, eine neue ‹Weltanschauung›, die sich fundamental von der Fortschrittserzählung des vorher in Europa dominanten Liberalismus unterscheidet.» Der Kapitalismus ist nicht mehr Ausdruck von Freiheit und Fortschritt, sondern Inbegriff der «‹wölfischen Natur› des Menschen, es herrscht die ‹Freiheit› der Starken und Harten, und an die Stelle von regelbasiertem Miteinander treten wechselnde Allianzen und Deals (die von den Stärkeren diktiert und bei Bedarf aufgehoben werden können).» Die glorreiche Rekonstruktion von Reich, Nation, Heimat und Volk sei zu einer «Fantasy-Politik» von rechts geworden. Dieser «Weg nach rechts» sei weder als Tendenz noch als Stimmung zu begreifen, sondern nur als «Verwandlung bis in dieWurzeln von Ökonomie, Sexualität, Religion (oder ‹Weltanschauung›) und Macht».

Zu einem grossen Problem für die westlichen Demokratien und den Liberalismus wird das, weil die Gefahr nicht von aussen oder von den Rändern kommt, sondern «aus dem Wesen und Wirken des Systems selber, aus der Mitte der Post-Gesellschaft und in der Mitte des bürgerlichen Subjekts». Gerade weil in einer Demokratie das Volk das Sagen hat, kann man ihm schlecht verbieten, Scharlatanen zu folgen, «sich zu faschisieren, die Demokratie selbst zum Feind zu erklären und sich eine Regierung wie die Trump-Gang in den USA zu wählen».

Zu recht weisen Markus Metz und Georg Seeßlen darauf hin, dass der Aufstieg der Rechten eng mit der Plattformökonomie im Internet verbunden ist. Die Ökonomisierung der Aufmerksamkeit und die damit verbundene Boulevardisierung der Medien habe dazu geführt, dass alle medialen Akteure im Internet «ein Interesse an Kontroversen, Spaltungen, Erregungen und Hysterisierungen» haben, die sie durch Werbung oder Gebühren monetarisieren können. Dass die Plattformen juristisch nicht als Medien, sondern wie Telekomanbieter nur als Intermediäre behandelt werden, habe die «katastrophale Verrohung des politischen Diskurses» erst ermöglicht: «Trump selbst sagte, ohne Twitter wäre er niemals Präsident geworden. Bis heute profitieren gerade extremistische und radikale Positionen von den entsprechenden Algorithmen der Plattformen». Mittlerweile hat sich Trump mit den Besitzern der grossen Plattformen zusammengeschlossen: Gemeinsam wehren sie sich gegen eine Regulierung der Plattformen. «Die Plattform-Kapitalisten verteidigen ihre Macht, indem sie den Nutzern eine paranoide Angst vor dem Ende ihrer Freiheit und dem Ende ihrer Genüsse vermitteln.» Auf die Versuche der EU, die Rechte der Bürger auf den digitalen Plattformen zu schützen, hat der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance mit wüsten Tiraden und polternden «Zensur»-Klagen reagiert.

Markus Metz und Georg Seeßlen zeigen in ihrem Buch, wie sehr die neuen Rechten mit den «Blödmaschienen», den grossen Plattformen, zusammenarbeiten. «Dieser Unterbau der rechten Architektur, schlecht ausgeleuchtete Kellerräume, Labyrinthe, Verliese auch, verborgene Erinnerungen und verstaubte Dokumente inklusive, macht erklärlich, dass die rechte ‹Weltanschauung› zwischen Religion, materiellem Interesse und Psychose und das Konstrukt der zweiten Wirklichkeit von äußeren Einwirkungen, also Argumenten, Tatsachen oder moralischen Appellen, nicht zu erreichen ist.» Es brauche deshalb einen Reset: eine «Bereitschaft der Kritik an der rechten Bewegung, sich mit einer fundamentalen Kritik an der eigenen Gesellschaft zu verbinden.»

Markus Metz, Georg Seeßlen: Blödmaschinen II. Die Fabrikation der politischen Paranoia und wie Meloni, Höcke und Trump davon profitieren. Suhrkamp, 348 Seiten, 31.90 Franken; ISBN 978-3-518-12846-6

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783518128466

Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps finden Sie hier: https://www.matthiaszehnder.ch/buchtipp/

Basel, 27.06.2025, Matthias Zehnder

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