Potz Heimatland

Publiziert am 8. August 2015 von Matthias Zehnder

Nachdem sich der Pulverdampf des ersten August etwas verzogen hat und wir die Reden und Raketen überstanden haben, ist es Zeit, ohne Höhenfeuerhitze über einige Aspekte von Heimat und Heimatland nachzudenken. Da ist zunächst die simple Feststellung, dass Heimat und Heimatland nicht dasselbe sind und es keineswegs vaterlandsverräterisch ist, dies festzustellen. Daran krankt der erste August vielleicht am meisten: dass alle das Heimatland feiern, aber die Heimat meinen.

Heimat, das ist da, wo man zuhause ist und sich auch so fühlt. Heimat, das ist «kein schöner Land», ein Herzensort. Heimat hat mit Erinnerungen zu tun, mit Gerüchen und Geräuschen, mit Liebgewordenem, mit dem Klang der Sprache, einem bestimmten Gericht, einem Brauch. Kurz: mit Kultur. Heimat ist also ein Gebiet, das von Gefühlen abgesteckt wird und sich deshalb nicht an Grenzen hält. Nicht an Landesgrenzen und schon gar nicht an Kantonsgrenzen.

Heimatland dagegen meint das Vaterland. Das ist ein Staat mit Landesgrenzen und also ein bestimmtes Gebiet. Ein Heimatland hat deshalb klar definierte Grenzen, die immer noch auf den Meter genau gezogen sind, auch wenn sie heute nicht mehr so scharf bewacht werden. Die Grenzen werden zwar gerne emotional aufgeladen, sind aber letztlich willkürlich. Das wissen wir in unserer Region ganz besonders und das nicht nur wegen Kantonsgrenzen, die mit dem Alltag der Menschen nichts zu tun haben. Die Landesgrenze zwischen Deutschland und Frankreich hat sich in den letzten zweihundert Jahren mehrfach verschoben. So hat Basel erst seit dem ersten Weltkrieg wieder ein Dreiländereck. Vorher grenzte Basel nur an Deutschland und die Grenze war weniger spürbar als heute.

Willkürlich ist die Schweizer Grenze, weil sie einem Willen entspringt und keine natürliche Umrandung eines gewachsenen Ganzen ist. Der Rhein wäre eigentlich eine natürliche Grenze, genau die ist in Basel aber ausser Kraft gesetzt. Zwischen St.-Louis und Burgfelden oder Grenzach und Hirzbrunnen ist die Grenze kaum spürbar. Heimatland ist also ein letztlich willkürliches Gebiet, in das der Zufall der Geburt einen verschlagen hat.

Anders als Heimat, die sich immer aus Erleben speist, berufen sich Heimatländer gerne auf viele hundert Jahre Geschichte. Im Fall der Eidgenossenschaft sind es mittlerweile 724 Jahre. Viele Redner (und Schreiber) berufen sich gerne darauf und erinnern daran, mit welcher Tapferkeit die frühen Eidgenossen ihre Unabhängigkeit erkämpft hätten. Sie vergessen dabei, dass zu den Gegnern der Innerschweizern eine ganze Reihe von Schweizer Orten gehörten, allen voran Basel als frühe Hauptstadt der Habsburger. Und sie blenden dabei komplett aus, dass sich die Eidgenossen immer zum deutschen Kaiser bekannt haben. Es ging bei den Kämpfen nie um Unabhängigkeit, bloss um Interessen. Bis 1559 liessen sich die Eidgenossen ihre Reichsprivilegien vom Kaiser schriftlich bestätigen und machten sich damit zu Untertanen dieses Kaisers und bis weit ins 18. Jahrhundert hinein war der doppelköpfige, deutsche Reichsadler Teil vieler Schweizer Kantons- und Ortswappen, zu besichtigen etwa im Basler Ratshaus.

Ein ganz anderer Widerspruch zwischen Heimatland und Heimat spielt heute eine immer grösser Rolle: Flüchtlinge sind Menschen, die in ihrem Heimatland nicht mehr leben können. Sie können zwar ein Stück Heimat mitnehmen, sich vielleicht in einem anderen Land eine neue Heimat suchen, ihr Heimatland aber haben sie verloren. Sie versuchen, sich in der Schweiz eine neue Heimat einzurichten. Weil die Vorstellung von Heimat von Zugewanderten und von Einheimischen oft recht unterschiedlich sind, kommt es zu Konflikten, die umso heftiger ausgetragen werden, als Heimat eben kein einfach begrenztes Gebiet ist, sondern ein Gefühl.

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Auch unter Schweizern sind die Vorstellungen von Heimat sehr unterschiedlich. Das wäre kein Problem, wenn es nicht eine Art offizielle Vorstellung von der Schweiz als Heimat gäbe. In diesem offiziellen Heimatbild ist die Schweiz das Land der Sennen und Bauern, wo Milch und Käse dafür sorgen, dass die ein Auskommen haben, die währschaft arbeiten. In den Geschichten ist das die Schweiz von Johanna Spyri und Alois Cariget, also von Heidi und Schellenursli. Es ist die Schweiz, die von Schweiz Tourismus gerne im Ausland präsentiert wird und die von vielen Schweizern mittlerweile für die einzige Schweiz gehalten wird. Doch daneben gibt es noch viele andere «Schweizen», wie es Charles Lewinsky formuliert hat. Zum Beispiel die Schweiz von Jacob Burckhardt oder Urs Widmer, von Albert Hofmann oder Rolf Martin Zinkernagel, die städtische Schweiz also, die Schweiz der Forscher und Entwickler. Und noch viele weitere mehr.

Heimat als Herzensort hat oft weniger mit dem Ort als mit dem Herzen zu tun. Bloss schade, dass die Schweiz als Heimat unter dem Diktat von Nationalpolitik und Switzerland-Marketing zum Stereotyp zu werden droht. Fremdes und Anderes hat da keinen Platz mehr und deshalb auch keine Fremden und keine Anderen. Dabei ist Heimat, weil es eben kein Gebiet ist, sondern ein Gefühl, ganz grenzenlos und höchst individuell. Und das bedeutet: Die Heimat anderer kann einem ja nur fremd sein.

Am 1. August…

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