Tizian Schöni: «Dort, wo Fake News entstehen, gehen die Medien ihren Aufgaben nicht nach.»

Publiziert am 11. Juni 2025 von Matthias Zehnder

Das 337. Fragebogeninterview, heute mit Tizian Schöni, Chefredaktor des digitalen Stadtmagazins «Wnti». Das Magazin ist als Reaktion auf die Abbaupläne von Tamedia bei Lokalzeitungen wie dem Winterthurer «Landboten» entstanden. Tizian Schöni sagt, im Lokaljournalismus habe man es selten mit Fake News zu tun: «Dort, wo die Gesellschaft direkt hinschauen kann, erlaubt sich niemand zu lügen.» Im Umkehrschluss bedeute das, dass «die Medien dort, wo Fake News entstehen, nicht mehr ihren Aufgaben nachgehen». Er findet, dass sich die «Schweizer Leitmedien viel zu sehr vom aufmerksamkeitsheischenden Ton Trumps verführen» lassen. «Die grosse SRF-Reportage über Schweizer Käseproduzenten, die mit hohen Zöllen zu kämpfen haben, ist bereits drei Tage später völlig irrelevant geworden, weil die Tarife wieder ausgesetzt sind.» Die einzigen Formate, die der wirren US-Tagespolitik noch gerecht werden, seien «Langzeitbetrachtungen und Analysen». Er findet, die Digitalisierung befreie die Medien «aus der Abhängigkeit von grossen Druckereibetrieben und Medienkonglomeraten» – und treibe sie, «wenn wir nicht gut aufpassen, direkt in die Arme noch grösserer amerikanischer Tech-Konzerne».

Welches Medium darf bei Dir zum Frühstück nie fehlen?

Ich frühstücke ausgiebig, passend dazu versuche ich, mit der «Zeit» fertigzuwerden. Dazu höre ich SRF. Und manchmal lese ich das «Lustige Taschenbuch», das kommt aber leider nur monatlich heraus.

Wie hältst Du es mit Facebook und Instagram, X, Bluesky, Threads und Mastodon, LinkedIn, YouTube und TikTok?

Auf dem WC öffne ich TikTok. Seit Instagram zu Werbe«pausen» verpflichtet, ignoriere ich die Plattform als Nutzer komplett. Auf YouTube schaue ich Leuten beim Gamen zu, wirklich wahr.

Wie hat sich Dein medialer Alltag seit Deinem Berufseinstieg verändert?

Ich habe immer schon viele Medien konsumiert. Seit ich für «Wnti» arbeite, schaue ich genauer in die Quartierzeitungen und ins «Reformiert» ‒ ein grossartiges Medium!

Wenn Du an die Medien in der Schweiz denkst – war früher alles besser oder schlechter?

Kürzlich schwärmte ein Pressefotograf von seinen Pauschalen pro abgeliefertem Sportbild in den Neunzigern. Der hat mit zehn Bildern meinen heutigen Monatslohn verdient. Zurück möchte ich trotzdem nicht ‒ unsere Chance entsteht ja gerade aus einer Eruption der Medienlandschaft.

Haben geschriebene Worte noch Zukunft?

Sie haben definitiv eine Zukunft. Die Frage ist für wen: Ein kleines Nischenpublikum oder die breite Gesellschaft? Ich vermute: ersteres.

Was soll man heute unbedingt lesen?

Alles von Christian Kracht, aber obligatorisch für Schweizer:innen ist «Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten». Was hat der Mann für eine Fantasie!

Kannst Du schlechte Bücher weglegen oder musst Du Bücher zu Ende lesen?

Leider muss ich sie beenden, aber ich beginne dann oft, parallel zu lesen. Oft ackere ich mich durch langweilige, sich endlos wiederholende Sachbücher. Daneben lese ich dann geschwind ein paar Romane.

Wo erfährst Du Dinge, von denen Du nicht gewusst hast, dass sie Dich interessieren?

Auf TikTok.

Wie lange gibt es noch gedruckte Tageszeitungen?

Ich zahle meine Abos jedes Jahr brav ‒ entsprechend hoffe ich, für immer!

Sind Fake News eine Gefahr – oder eine Chance für die Medien?

Im Lokaljournalismus haben wir es selten mit Fake News zu tun. Dort, wo die Gesellschaft direkt hinschauen kann, erlaubt sich niemand zu lügen. Ergo gehen die Medien dort, wo Fake News entstehen, nicht mehr ihren Aufgaben nach.

Wie hältst Du es mit linearem (live) Radio und Fernsehen?

Radio höre ich, einen Fernseher besass ich nie.

Hörst Du Podcasts? Hast Du einen Lieblingspodcast?

«Alles gesagt» von den beiden «Zeit»-Redaktoren Jochen Wegner und Christoph Amend. Ein Interviewformat, das in der Schweiz seinesgleichen sucht.

Was bedeutet es für die Medien (und die Gesellschaft), dass laut fög 56 % der 16- bis 29-Jährigen zu den News-Deprivierten gehören?

Dass sie es verschlafen haben, junge Menschen für ihre Inhalte zu begeistern. Aber ich gebe zu, es ist nicht einfach. Auch unsere Redaktion erreicht hauptsächlich Personen zwischen 35 und 65.

Tamedia-VR-Präsident Pietro Supino geht davon aus, dass in zehn Jahren zwischen einem Viertel und einem Drittel der Artikel im «Tages-Anzeiger» von Robotern geschrieben werden. Lässt sich Journalismus automatisieren?

Pietro Supino hat mit seiner Strategie für die Zürcher Regionalzeitungen unsere Gründung erst ermöglicht. Ich wünsche ihm weiterhin viel Glück bei der Ausrichtung seiner Medienprodukte.

Führt die Digitalisierung zum Tod der Medien oder im Gegenteil zur Befreiung des Journalismus?

Sie befreit uns aus der Abhängigkeit von grossen Druckereibetrieben und Medienkonglomeraten. Und treibt uns ‒ wenn wir nicht gut aufpassen ‒ direkt in die Arme noch grösserer amerikanischer Tech-Konzerne.

Brauchen wir in der Schweiz eine Medienförderung?

Ja. Aber sie könnte besser verteilt werden. Schade, dass Medienförderung heute nur dann zu haben ist, wenn damit Dividendenzahlungen quersubventioniert werden.

Schreibst Du manchmal noch von Hand?

Ich arbeite noch immer mit Notizheft und werde ab und zu für meine schöne Handschrift gelobt, das darf ich ohne Scham sagen.

Ist (oder war) Donald Trump gut oder schlecht für die Medien?

Schweizer Leitmedien lassen sich viel zu sehr vom aufmerksamkeitsheischenden Ton Trumps verführen. Die grosse SRF-Reportage über Schweizer Käseproduzenten, die mit hohen Zöllen zu kämpfen haben, ist bereits drei Tage später völlig irrelevant geworden, weil die Tarife wieder ausgesetzt sind. Die einzigen Formate, die der wirren US-Tagespolitik noch gerecht werden, sind Langzeitbetrachtungen und Analysen.

Wem glaubst Du?

Grundsätzlich? Meinen Berufskolleg:innen und allen, mit denen ich persönlich sprechen kann.

Dein letztes Wort?

Das ist hoffentlich noch lange nicht gesprochen. Wir wollen mit «Wnti» noch ein paar Jahre am Platz bleiben.


Tizian Schöni
Tizian Schöni hat Journalismus an der ZHAW studiert. Nach einem Abstecher in die Organisationskommunikation arbeitete er drei Jahre bei der «Andelfinger Zeitung» im Zürcher Weinland. Im April 2025 gründete er in Winterthur das digitale Stadtmagazin «Wnti» mit (nein, da fehlt kein «i») und ist dort als Chefredaktor tätig. https://wnti.ch/


Basel, 11.06.2025, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch

Bild: Nick Eichmann

Seit Ende 2018 sind über 330 Fragebogeninterviews erschienen – eine alphabetische Liste mit allen Namen und Interviews gibt es hier: https://www.matthiaszehnder.ch/aktuell/menschenmedien-die-uebersicht/

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Ein Kommentar zu "Tizian Schöni: «Dort, wo Fake News entstehen, gehen die Medien ihren Aufgaben nicht nach.»"

  1. Tizian Schöni – ein Medienmensch am Anfang seiner Laufbahn, mitten in der Zange des medialen Konsums vom Zmorge über Tik-Tok bis Zeitungstitel bis zum Znacht…
    Einerseits gut so – andererseits verpasst er vielleicht Wichtiges – Wichtigeres… was auch ich immer wie mehr spüre und mein Medienkonsum „gedeckelt“ wird. Ganz im Sinne vom 80jährigen Medienpionier Roger Schawinski, welcher immer gegen den Strom schwamm, noch nie (bis jetzt) Staatssubventionen nahm und wie schon kürzlich in der NZZ am Sonntag gestern bei TeleZüri ein eindrückliches Lebensinterview zum Besten gab, Rückschau, Gedanken und die Weisheit, dass sich die (er inkl.) Medienmenschen allesamt „zu wichtig“ nähmen…. Dafür muss man wohl erst 80. werden… Wie wahr….
    https://www.telezueri.ch/talktaeglich/80-jahre-roger-schawinski-der-medienpionier-im-geburtstags-talk-160631612

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